· Fachbeitrag · Kommunikation (Teil 2)
Anwaltliche Schreiben klar und einleuchtend verfassen: Einfachheit durch Worte und Wortformen
von Dr. Doortje Cramer-Scharnagl, Edewecht
| Auch für gutes Schreiben gilt: „Ordnung ist das halbe Leben“. Dieses wichtige Merkmal guter Texte haben Sie bereits kennengelernt und erfahren, dass Sie sich dafür in Ihre Leser hineinversetzen müssen. Das zweite wesentliche Merkmal, das Ihre Texte aufweisen sollten, um Erfolg zu haben, ist Einfachheit. Dies ist nicht zu verwechseln mit Banalität oder Anspruchslosigkeit. Im Gegenteil: Einfachheit ist das ideale stilistische Vehikel, um schwierige Inhalte sicher und gut zu vermitteln. |
1. Auf der Suche nach Einfachheit
Einfachheit ist das wichtigste Merkmal verständlicher Texte, so der Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun. Sie hilft, Inhalte konkret und anschaulich darzustellen. Aber wo genau spielt sich „Einfachheit“ in einem Text ab? Denn über eines sind wir uns sicher einig: Bei Rechtstexten ist der Schauplatz für Einfachheit nicht der Inhalt selbst; Ihr Ziel ist es ja, gerade komplexe und schwierige Inhalte gut zu vermitteln. Schauen wir uns also einmal die entsprechenden Ebenen eines Textes an:
- Wortebene: Durch die Auswahl der passenden Worte und Begriffe können Sie Ihren Text bei gleicher Aussage stark verbessern.
- Satzebene: Wie die Worte zusammengefügt sind, beeinflusst die Lesbarkeit nachhaltig. Statt ellenlanger und komplizierter Satzungetüme sind kurze, klare Satzgefüge empfehlenswert.
- Grammatische Kategorien: Um Wörter zu Sätzen zu kombinieren, bewegen Sie sich außerdem auf der Ebene grammatischer Kategorien ‒ als Muttersprachler tun Sie das meist, ohne nachdenken zu müssen. Sie verwenden z. B. verschiedene Wortformen wie Aktiv und Passiv oder verschiedene Wortarten wie Substantive und Verben. Eine kluge Auswahl dieser sprachlichen Mittel ist ein wichtiges Werkzeug bei der Textbearbeitung.
Et voilà: Damit stehen Ihnen drei hervorragende Ansatzpunkte zur Verfügung, um Ihre Texte zu verbessern.
2. Wortebene
Wählen Sie für Ihren Text möglichst einfache Worte. Das bedeutet nicht nur „kurze Worte“, sondern es geht darum, bestimmte Worte ganz zu vermeiden oder zu entschärfen.
a) Fremdwörter & Co.
Vermeiden Sie Fremdwörter und Fachbegriffe (z. B. Annahmeverzug, Zession), Doppeldeutiges und Missverständliches (z. B. billig sein, unberührt bleiben). Dazu müssen Sie wissen, welche Formulierungen für Ihre Leser zu diesen Worten dazugehören ‒ ein Grund mehr, sich ‒ wie in Teil 1 beschrieben ‒ in die Leser hineinzuversetzen. Die problematischen Wörter ersetzen, umschreiben oder erklären Sie. Hier einige Beispiele für jede Technik:
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Ersetzen | Gewährleistungsansprüche sind präkludiert. | Gewährleistungsansprüche sind ausgeschlossen. |
Umschreiben | Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht möglich. | Eine weitere Aufklärung, was genau passiert ist, ist nicht möglich. |
Erklären | Die Hemmung der Verjährung beginnt zum Zeitpunkt xy. | Die Hemmung der Verjährung beginnt zum Zeitpunkt xy. Das bedeutet, dass ab xy die Verjährungsfrist nicht weiterläuft. |
b) Antiquiertes
Verzichten Sie auf veraltete Wörter und ersetzen sie durch aktuelle Bezeichnungen. Bei altbackenen Präpositionen, die den Genitiv erfordern, wählen Sie am besten Alternativen ohne Genitiv; das klingt klarer und besser. Beispiele dafür sind: mittels (besser ist → mit), seitens (→ von, durch), anlässlich (→ bei), mitnichten (→ nicht), unlängst (→ vor Kurzem), vonnöten (→ nötig, vorgeschrieben), fernmündlich (→ telefonisch), Reassumption (→ Wiederaufnahme eines Verfahrens), Kraftwagen (→ Pkw, Lkw), anheimstellen (→ die Entscheidung überlassen), bescheiden (→ mitteilen, unterrichten).
c) Abstrakta
Ein Abstraktum benennt nichtgegenständliche, gedankliche Einheiten. Oft handelt es sich um substantivierte Verben auf -ung, -heit, -keit, -nis oder -schaft. Abstrakta sind schwerer verständlich als Konkreta, die Dingliches beschreiben. Natürlich können Sie in Ihren Rechtstexten nicht auf abstrakte Begriffe verzichten. Manchmal lassen diese sich jedoch konkretisieren. Oder Sie füllen sie mit Leben, indem Sie Beispiele nennen oder das Abstraktum in ein Verb verwandeln.
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Konkretisieren | Das Einkommen liegt unterhalb der Pfändungsfreigrenze. | Das Einkommen liegt unter 1.622,16 EUR und kann darum nicht gepfändet werden. |
Beispiele nennen | Die Nachlasspflegschaft wird eingerichtet. | Die Nachlasspflegschaft wird eingerichtet, sodass der Nachlasspfleger z. B. offene Rechnungen bezahlen kann. |
Verb setzen | bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses | wenn das Arbeitsverhältnis weitergeführt wird |
d) Modalwörter & Co.
Modalität bezeichnet in der Sprachwissenschaft vereinfacht gesagt alles, was die subjektive Haltung eines Sprechers zu einer Aussage ausdrückt. Zu den Modalwörtern gehören Begriffe wie „folgendermaßen, einigermaßen, natürlich“. Modalpartikel sind z. B. „doch, ja, eben, bloß, wohl, eh, etwa“. Versuchen Sie, solche Worte selten zu verwenden. Sie beeinträchtigen die Klarheit und auch die Präzision Ihrer Texte.
Ein Spezialfall sind Modalverben (sollen, müssen, können, mögen, dürfen). Sie kennzeichnen Sachverhalte als nicht real. Im Konjunktiv (der Möglichkeitsform) fallen sie unter das eben beschriebene „Verbot“. Sollte, müsste, könnte etc. haben in juristischen Beiträgen nichts zu suchen. Im Indikativ (der Wirklichkeitsform) sind diese Verben gerade für Juristen notwendig und praktisch. Sie helfen z. B., amtsdeutsche Infinitivkonstruktionen mit „haben“ und „sein“ aufzulösen:
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Der Angeklagte hat sich zu verantworten. | Der Angeklagte muss sich verantworten. |
Der Arbeitgeber hat sich nicht einzumischen. | Der Arbeitgeber darf sich nicht einmischen. |
Die Gefahr ist zu beseitigen. | Die Gefahr muss beseitigt werden. |
Dem Urteil ist nichts hinzuzufügen. | Wir können dem Urteil nichts hinzufügen. |
PRAXISTIPP | Nicht immer fällt einem ein guter Ersatz ein, wenn man einen Begriff nicht verwenden möchte. Dann sind Synonymen-Wörterbücher und Wörterbücher zur Wortbedeutung sehr hilfreich, z. B. www.openthesaurus.de oder www.wortbedeutung.info. |
3. Grammatische Kategorien
Berühmt-berüchtigt ist der Nominalstil vieler Rechts- und Wissenschaftstexte ‒ er gilt als besonders unverständlich und distanziert. Wenn Sie hier im positiven Sinne Hand anlegen wollen, bewegen Sie sich im Bereich grammatischer Kategorien. Hier finden Sie noch manch anderen praktischen Kniff.
a) Vom Nominalstil zum Verbalstil
Wer viele Substantive verwendet, greift automatisch zu schwachen Verben, die wenig aussagekräftig sind. Hinzu kommt, dass im Fachjargon viele der verwendeten Substantive auch noch abstrakt sind. Beides spricht gegen den Nominalstil. Näher an der Umgangssprache ‒ und damit viel besser verständlich ‒ ist es, auf Vollverben zu setzen. Denn sie kommen klar und kräftig beim Leser an und sind voller Leben. Ein weiterer Vorteil: Im Verbalstil sparen Sie Genitive, die ebenfalls manchmal etwas abgehoben wirken.
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Veranlassung geben | veranlassen |
das im Falle der Rechtsmitteleinlegung zu befolgende Verfahren | das Verfahren, das befolgt werden muss, wenn Rechtsmittel eingelegt werden |
eine Befragung zur Durchführung bringen | befragen |
unter Beweis stellen | beweisen |
nach eingehender Überprüfung des Sachverhalts | nachdem wir den Sachverhalt eingehend geprüft haben |
Durch unsere Weiterbildung zum Thema xy konnten wir eine Verdoppelung unserer Mandantenzahl erreichen. | Wir konnten unsere Mandantenzahl verdoppeln, weil wir uns zum Thema xy weitergebildet haben. |
Apropos Genitive: Manchmal haben Sie die Qual der Wahl zwischen Wortzusammensetzungen (Rechtsmitteleinlegung) und Simplexformen mit Genitiv (Einlegung von Rechtsmitteln). Mal ist die eine Methode, mal die andere anschaulicher. Entscheiden Sie einfach aus dem Satzzusammenhang heraus ‒ lautes Vorlesen hilft Ihnen bei der Entscheidung.
b) Vom Passiv zum Aktiv
Schreiben Sie tendenziell lieber im Aktiv statt im Passiv (also besser „Der Richter verurteilte den Angeklagten“ statt „Der Angeklagte wurde vom Richter verurteilt“). Das hat mehrere Vorteile:
- Im Aktiv wird das handelnde Subjekt immer deutlich benannt. Im Passiv können Sie es hingegen weglassen. Sie können also sagen: „Der Angeklagte wurde verurteilt“ ‒ von wem, bleibt dann unklar. D. h., die Passivform kann anonym bleiben, die Aktivform zwingt Sie automatisch zu Klarheit und Präzision.
- Aktivformen lenken den Blick auf die Handlung und sind daher leichter zu verstehen. Passivformen wirken oft steif und umständlich.
- Sie vermeiden eine Häufung von „werden“, dessen verschiedene Formen Sie für das Passiv brauchen (wurde verurteilt, wird vorgeladen …).
- Mit dem Aktiv fällt es auch leichter, vom Nominalstil wegzukommen.
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Es sollte in Betracht gezogen werden, dass … | Bedenken wir, dass … |
Sie werden von uns kontaktiert. | Wir melden uns bei Ihnen./Wir rufen Sie an. |
Die Klage wird zurückgezogen. | Wir ziehen/der Kläger zieht die Klage zurück. |
Das Passiv ist nicht grundsätzlich schlecht. Verwenden Sie Passivformen aber immer mit Bedacht und wenn, dann nur in begründeten Fällen:
- Wenn die handelnde Instanz unwichtig ist.
- Wenn Sie den Vollzug von Prozessen oder Ereignissen betonen möchten.
- Wenn Sie den Ausdruck variieren möchten.
c) Vom Negativen zum Positiven
Unser Gehirn kann verneinte Aussagen schlechter erfassen als positive Aussagen. Deshalb beeinträchtigen Verneinungen das Verständnis. Verzichten Sie ‒ wo immer möglich ‒ auf verneinte Aussagen und negative Begriffe mit „un-“ und „nicht-“ etc. Noch schlechter für die Lesbarkeit sind nur noch doppelte Verneinungen.
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unproblematisch | einfach |
unter Nichtberücksichtigung der xy | wenn wir die xy vernachlässigen |
nicht ohne | nur mit |
nicht unrealistisch | realistisch |
Weiterführender Hinweis
- Der Satzebene widmen wir in einer Folge-Ausgabe von AK einen eigenen Beitrag.