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· Fachbeitrag · Digitalisierung

Wie der digitale Wandel mit dem 5-P-Digitalisierungsmix gelingt

von Daniel Terwersche, geprüfter Betriebswirt (IHK), Vreden und Christian Wenzel-Hofmann, B. A., Fürth

| Steuerberatung 2020 ‒ so der Arbeitstitel des im Jahr 2014 veröffentlichten handlungsempfehlenden Projekts der BStBK für eine zukunftsfähige Steuerkanzlei. Dabei fokussiert die BStBK den Ausbau von vereinbaren Tätigkeiten, insbesondere die Professionalisierung der betriebswirtschaftlichen Beratung als Handlungsfeld zur Umsetzung einer zukunftsfähigen Kanzlei. Doch wie hat sich der Markt seit 2014 tatsächlich verändert? |

1. Die Digitalisierung einer zukunftsfähigen Kanzlei

 

Wenn nur die vereinbaren Tätigkeiten betrachtet werden, setzen sich diese Umsätze zu etwa 70 % aus der betriebswirtschaftlichen Beratung zusammen (STAX 2015: Hrsg. BStBK, Berlin, 2016). Trotz dieser Entwicklung sehen nach einer aktuellen Studie die meisten Kanzleien ein eher zunehmendes Umsatzpotenzial in der betriebswirtschaftlichen Beratung für die kommenden Jahre.

 

 

Unabhängig davon, wie sich die Honorare in diesen Bereichen in Zukunft entwickeln werden; die Digitalisierung ermöglicht es Kanzleien schon heute, effizienter mit ihren Mandanten zusammenzuarbeiten und viel wichtiger: sich auf jene Mandanten zu fokussieren, mit denen die Zusammenarbeit hohe positive Deckungsbeiträge erzielt und dazu noch Spaß macht.

 

Es ist unumstritten, dass die Digitalisierung massive Auswirkungen auf den steuerberatenden Berufsstand hat. Neue digitale Geschäftsmodelle drängen in den Markt, wie etwa der Umsatzsteuerservice von Amazon oder die Steuererklärungsplattform Wundertax. Auf der Seite der Personalgewinnung sind überwiegend große Defizite vorhanden. Personalgewinnung mit klassischen Akquisetätigkeiten sind immer seltener erfolgreich.

 

Es sind vorwiegend junge sowie innovative Mandanten, die von ihrem Steuerberater weitere Ansprüche und Vorgehensweisen für sich beanspruchen. Neben der klassischen Finanzbuchführung werden von der neuen Mandantengeneration proaktiv Mehrwerte in Form von spezialisierten betriebswirtschaftlichen Beratungen (Coaching zu mehr Geschäftserfolg) verlangt.

 

Die Beraterauswahl wird oft aufgrund von Spezialisierungen bzw. Fokussierungen auf Branchen getroffen. Online lässt sich schnell recherchieren, welche Steuerkanzlei dem jeweiligen Mandanten vermeintlich am besten weiterhelfen kann. Unterstützt wird dies durch Plattformen wie SmartExperts (DATEV) https://www.smartexperts.de/suche/ oder AGERAS https://www.ageras.de/. Aber auch durch zielgruppenspezifische Werbeanzeigen auf Google u. w. können Mandanten auf eine Kanzlei aufmerksam werden.

 

 

Wie eingangs erwähnt sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf den steuerberatenden Berufsstand unumstritten. Dass das Einscannen von Dokumenten sowie deren elektronische Verarbeiten erst der Anfang ist, wird vielen Kanzleien immer klarer. Doch wie schafft es eine klassische Kanzlei, zu den Gewinnern im digitalen Wandel zu gehören? Welche Bereiche sind wichtig? Wo fange ich an und welche Strukturen müssen überhaupt geschaffen werden, um neben dem Kanzleialltag den digitalen Wandel zu gestalten?

 

Eine Antwort bietet der 5-P-Digitalisierungsmix:

 

 

Der 5-P-Digitalisierungsmix ist ein erprobtes Konzept, das Steuerkanzleien Schritt für Schritt darauf vorbereitet, sich in allen Kanzleibereichen innovativ aufzustellen. Es wird ein Fundament gegossen, auf dem nachhaltig die erforderlichen und innovativen Veränderungen stattfinden.

 

Der Schwerpunkt liegt darauf, sich auf die betriebswirtschaftliche Beratung zu fokussieren. Sich von anderen Kanzleien deutlich abzuheben ist wichtig. Durch die 5-P Bereiche wird eine innovative Kanzleikultur geschaffen, die sich an der Mentalität von jungen, innovativen Unternehmen orientiert, ohne die Besonderheit der Steuerberaterbranche außer Acht zu lassen. Doch was sind die 5-Ps des Digitalisierungsmixes?

2. Die Positionierung

Die Positionierung ist der erste Baustein. Es ist der Grundstein. Die Basis um weitere Bereiche zu planen und umzusetzen. Durch eine Positionierung wissen sowohl die Mitarbeiter als auch die (zukünftigen) Mandanten, wofür die Kanzlei steht und welche besonderen Expertisen vorhanden sind bzw. aufgebaut werden.

 

In dieser Phase wird von der Kanzleiführung (idealerweise mit den Mitarbeitern) erarbeitet, wofür die Kanzlei steht, wer die Wunschmandanten sind und wie die Wunschkanzlei in der Zukunft aussehen soll.

 

Egal ob Branchenfokus, ein Beratungsschwerpunkt oder eine Interessensgruppe: Die moderne Kanzlei stellt ganz klar heraus, welche Stärken sie hat und welche besonderen Leistungen diese anbietet. Dadurch entstehen sogenannte „Mandantenmagneten”. Dieser „Magnet” zieht die gewünschten Mandate an. Andere Mandanten werden hingehend durch die Positionierung quasi automatisch abgestoßen.

 

Beachten Sie | Keine Steuerkanzlei sollte digitalisieren, nur um zu digitalisieren. Sie sollte eine klare Kanzleistrategie mit einer Positionierung verkörpern, die durch digitale Maßnahmen erzielt werden kann.

3. Personen

Durch die Digitalisierung werden früher oder später alle Deklarations- und Verwaltungstätigkeiten automatisierbar sein. Die Aufgaben und somit die Mitarbeiter werden durch Software, Maschinen und Algorithmen (künstliche Intelligenz) ersetzt. Stimmt das? Mitnichten!

 

Das Gegenteil ist der Fall. Sicher, Aufgaben die automatisiert werden können, werden automatisiert. Papier- bzw. Sichtdokumente wird es in einigen Jahren nahezu nicht mehr geben. Für die Kanzleien, die sich bereits jetzt auf die Veränderung einstellen, gibt es viele Chancen und Möglichkeiten den Mitarbeitern eine langfristige Daseinsberechtigung zu ermöglichen. Gerade weil es digitale, neue automatisierte Wege geben wird. Dadurch, dass viele Vorbehaltsaufgaben automatisiert ablaufen, entstehen neue Dienstleistungsfelder für die wiederum Fachpersonal benötigt wird, um spezielle Dienstleistungen anzubieten.

 

Daher ist es wichtig, die Mitarbeiter mit in den Innovationsprozess einzubeziehen und in die Digitalisierung proaktiv mit einzubinden. Idealerweise geschieht dies mit positiven Erlebnissen und jeden Mitarbeiter in seinem eigenen Tempo: durch Sog und nicht durch Druck, durch Chancen und nicht durch Angst. Um dieses zu erreichen, werden neue Führungsmethoden in Kanzleien Einzug halten. Es wird sich an den heutigen Unternehmenskulturen von jungen und innovativen Unternehmen orientiert. Agile Kanzleientwicklung mit SCRUM und OKRs wird spannend werden und die Kanzleiführung vor neuen Herausforderungen stellen. SCRUM und OKRs sind Führungsmethoden, die den Mitarbeiter stärker in die Kanzleientwicklung mit einbeziehen und motiviert, Veränderungen positiv gegenüberzustehen und diese anzunehmen.

4. Produkte und Dienstleistungen

Wie werden Tätigkeiten in der Zukunft abgerechnet? Was geschieht, wenn viele Aufgaben automatisiert durchgeführt werden?

 

Viele Leistungen werden heute noch nach Steuerberatervergütungsverordnung (StBVV) abgerechnet. Das ist heute in einer klassischen heterogenen Mandantschaft auch kaum anders machbar. Hier gilt es, durch die Positionierung und folglich durch die homogenere Mandantenstruktur Leistungspakete zu erarbeiten, die sich weniger an dem Faktor Zeit orientieren, sondern an dem Ergebnis und dem Leistungsumfang.

 

Durch die Professionalisierung und Automatisierung der Leistungen ist die Abrechnung nach Zeit kontraproduktiv. Ja, die gut aufgestellten Kanzleien werden für die Professionalisierung sogar bestraft, da diese mit einem immer kürzeren Zeiteinsatz immer bessere Ergebnisse erzielen.

 

Es wird immer wichtiger, Leistungen anzubieten, die der Mandant als Ergebnis honoriert. Kanzleien werden sich immer mehr in die Situation der Mandanten versetzen, um die richtigen Produkte und Leistungspakete zu erstellen.

 

Der Steuerberater wird seine Leistungen auch über die Kanzleigrenzen hinweg anbieten. So wird die Beratung bereits in den Arbeitsprozessen des jeweiligen Mandanten immer relevanter. Arbeitsprozessoptimierung, Verfahrensdokumentation und sogar Digitalberatung der kaufmännischen Prozesse wird vom Mandanten immer mehr nachgefragt werden.

 

5. Präsentation

Die digitale Präsentation bzw. digitale Kanzleiidentität geht weit über eine eigene Kanzleiwebsite hinaus. Als Basis sollte man eine gute Website vorweisen, bei Google gut positioniert sein und die Kanzleieinträge ordentlich durchgeführt haben. Hinzu kommen die Social-Media Kanzleiprofile. Facebook, Instagram, LinkedIn, Xing, Kununu sind heutzutage Grundlagen und sollten aktiv genutzt werden.

 

Neben der Kanzleiwebsite werden sogenannte Online-Funnels (Mandatsanfragen-Trichter) aufgebaut. Das bedeutet, dass durch die Positionierung genau die Personen über verschiedene Online-Kanäle angesprochen werden. Hierbei wird darauf geachtet, dass die Wunschmandanten auf die Leistungen aufmerksam gemacht und zur Kontaktaufnahme aufgefordert werden.

 

6. Prozesse

Durchgängige Prozesse vom Mandanten bis hin zum Steuerberater, Finanzamt und sämtlichen anderen Instituten wie Banken, Gesundheitskassen oder Versicherungen. Das ist keine Utopie. Doch der Weg dahin ist lang. Als einzelne Steuerkanzlei ist der Einfluss begrenzt, diese Prozesskette zu beeinflussen. Der einzige Bereich, der bereits heute direkt beeinflusst werden kann, ist die durchgängig digitale Kommunikation mit den Mandanten. Mit Vorbuchungssystemen, Schnittstellen, Dokumentenmanagementsystemen, Extranet und vielen weiteren Systemen ist ein medienbruchfreier Prozess abbildbar. Doch auch neben dem Austausch von Dokumenten und Informationen sollte jede Kanzlei weitere Lösungen berücksichtigen. Diese sind unter anderem:

 

  • Videokonferenzsysteme
  • Erstellung von Hilfevideos für Mandanten
  • Eigene Kanzlei Wiki für Mitarbeiter (Prozesstools)
  • Einführung von agilen Projektlösungen
  • Interne Kollaborationslösung für E-Mails
  • Lösungen für das digitale Unterzeichnen von Verträgen

 

FAZIT | Die Reihenfolge des 5-P-Digitalisierungsmixes kann von Kanzlei zu Kanzlei variieren. Es ist immer eine individuelle Bewertung vorzunehmen, in welchem Bereich sich der Engpass befindet. Durch die Anwendung des 5-P-Digitalisierungsmixes baut eine Kanzlei in allen Bereichen ein Fundament auf, um mit diesem zu wachsen, sich zu verbessern und systematisch an der Kanzlei zu arbeiten. Es wird keinen Projektabschluss geben. Es wird keinen „fertigen Zustand“ geben. Jedem Kanzleiinhaber sollte bewusst sein, dass nur durch aktives Handeln die Kanzlei zu den Gewinnern im digitalen Wandel gehören wird.

 
Quelle: Seite 241 | ID 45959564