Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Digitale Apotheke

E-Rezept: Der Kampf ist eröffnet

von Apotheker und Unternehmensberater Dr. Reinhard Herzog, Tübingen

| 470 Mio. GKV- und rund 90 Mio. Privatrezepte im Wert von etwa 45 Mrd. Euro netto bilden die ökonomische Arena, die künftig mehr und mehr elektronisch bespielt wird. Man braucht keine höheren mathematischen Weihen, um das Potenzial zu erkennen. Es ist daher kein Wunder, dass sich alle möglichen Player in Stellung bringen. Wirklich spannend wird jedoch der Wettbewerb der Vor-Ort-Apotheken, der teils existenzielle Verschiebungen zur Folge haben wird. |

Zeitplan zur Einführung des E-Rezepts

Wie nicht anders zu erwarten, verzögert sich der sehr ambitionierte Zeitplan zur Einführung des E-Rezepts ‒ ursprünglich sollte es noch im ersten Quartal dieses Jahres starten. Die vertraglichen Vereinbarungen der jeweiligen Spitzenorganisationen, u. a. der Apotheker, sollen bis Ende März stehen. Ende Juni soll die gematik als zentrale technisch-organisatorische Anlaufstelle die technischen Spezifikationen freigeben; dann beginnt das „Rattenrennen“ der diversen App- und EDV-Anbieter. Über die konkrete Ausgestaltung der gematik-App, bei der sich erst einmal alle elektronischen Rezepte bündeln sollen (bis hierhin ist das „Makelverbot“ beschlossene Sache), dürfte das letzte Wort ebenfalls noch nicht gesprochen sein. Nach heutigem Stand würden dann dort die Rezepte zur „digitalen Abholung“ bereitstehen, wie auch immer das konkret aussehen soll. Ein Hardware-Rollout der Telematik-Infrastruktur (TI) in den Apotheken soll bis Ende September erfolgen, so jedenfalls die Verlautbarungen diverser EDV-Häuser, die sich dafür in den vergangenen Wochen bereits entsprechende Aufträge haben unterschreiben lassen. Praktisch dürfte es viele Nachzügler geben und der ganze Installationsprozess länger dauern. Immerhin müssen dann noch die Heilberufsausweise und Institutionskarten (SMC-B-Karten, quasi Berechtigungskarten der einzelnen Apotheken) bereitgestellt werden ‒ da klaffen ebenfalls Lücken.

 

Außerdem müssen die Ärzte mitmachen, eine ebenfalls gern unterschätzte Herausforderung. So gibt es rund sechsmal so viele Arztpraxen wie Apotheken in sehr unterschiedlicher Größe und Ausstattung. Mancher Arzt wird lieber die angedrohte marginale Honorarkürzung in Kauf nehmen (wenn diese überhaupt je erfolgt), als sich von der Digitalisierungswelle verrückt machen zu lassen. Nicht zuletzt werden Verhinderungs- und Problembeschaffungs-Experten (heißer Tipp: Datenschutzbedenken!) bestimmt noch Haare in der Digitalsuppe mit Jens Spahn am Herd finden.

 

MERKE | Möglicherweise verschiebt sich also die flächendeckende Einführung bis weit in das Jahr 2021, womöglich gar 2022, hinein. Nicht zuletzt die Coronavirus-Pandemie könnte manches durcheinander wirbeln und dabei Prioritäten verschieben.

 

Neue alte Konkurrenz

Im Zusammenhang mit dem E-Rezept wird vor allem der Versandhandel als gefährlichste Konkurrenz genannt. Sicherlich sinken künftig die Hemmschwellen, ein Rezept per „wisch und weg“ auf dem Smartphone gen Holland zu schicken, wo heute noch der Briefumschlag, wenn auch gern portofrei, bemüht werden muss. Tatsächlich aber droht ein viel härterer Wettbewerb der Apotheken vor Ort ‒ nämlich zwischen den „Digitalisierungskönigen“, die alle Kanäle ansprechen, die digital sichtbar sind und die Logistik, vom Botendienst bis zum Päckchenpacken, perfekt bespielen. Insbesondere in den Metropol- und städtischen Regionen könnten die schon heute dominierenden „local heros“ weiter Boden gutmachen. Dies wird leider allzu gern übersehen. Presse und Berufsöffentlichkeit arbeiten sich lieber am Lieblingsgegner Versand ab. Dabei werden teilweise schon von vermeintlichen „Partnern“ diverse Strippen gezogen, um hier abgreifen zu können.

Firm auf allen Kanälen der Ansprache und Logistik

Eine Grundvoraussetzung, um im Verteilungskampf mit neuen Regeln um das E-Rezept bestehen zu können, ist die Abdeckung aller Ansprache-, Zustell- und Logistikvarianten.

 

Kommunikationskanäle

Kommunikation beginnt mit den Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit Ihrer Apotheke. Neben dem immer noch dominierenden Ladenbesuch werden mehr und mehr andere Varianten hinzukommen, und seien sie nur vorbereitend bzw. anbahnend für das persönliche Erscheinen:

 

  • Der Klassiker Telefon wird, insbesondere bei Älteren, bleiben. Selbst das Faxgerät wird man vorerst noch nicht abschalten können, nicht zuletzt aufgrund der Kommunikation mit den Praxen.

 

  • Die E-Mail wird eine relevante Bedeutung behalten. Sie gehört als Kommunikationskanal auf alle Medien der Apotheke ‒ und regelmäßig auch bei Ihren Kunden abgefragt.

 

  • Die eigene Homepage samt der dort angebotenen Kontaktvarianten zur Apotheke wird erfahrungsgemäß nach wie vor selten genutzt, was aber hochgradig von ihrer Aktualität und Attraktivität abhängt. Ein Webshop sowie sonstiges „Leben“ bis hin zu (Gewinn-)Spielen, Rätseln etc. kann hier für mehr Traffic sorgen, bedeutet aber gehörigen Aufwand.

 

  • Es bleiben die diversen Apps, an erster Stelle jene aus dem Alltagsleben (WhatsApp), aber eben auch Apotheken-Apps, die als die wohl bedeutsamsten künftigen Schnittstellen dienen werden. Niemand weiß im Moment, welche sich hier durchsetzen werden, und das ist ein Problem. Deshalb heißt es, sich lieber in eine App mehr einzuklinken, als irgendwann den Anschluss zu verlieren. Kündigen kann man später immer noch. Mutmaßlich werden allenfalls drei Anbieter über 90 Prozent des Marktes abdecken.

 

  • Zu guter Letzt stellt sich die Gretchenfrage, wie nun die Rezepte digital in die Apotheke kommen. Im ersten Jahr (irgendwann ab 2021) erwartet man etwa ein Drittel elektronische Verschreibungen. Die spannende Frage ist: Kommen diese überwiegend auf zwei Beinen in Form des hineingetragenen Smartphones oder gar als QR-Code ausgedruckt in die Apotheke (was der Idealfall wäre)? Oder nehmen die Kunden digital Kontakt auf ‒ zu wem und wie funktioniert dann die Auswahl für die Kunden? Hier kommen wieder die erwähnten Apps ‒ erweiterte heutige wie komplett neue ‒ ins Spiel.

 

Diese systematische Bespielung aller modernen Kanäle der Kontaktaufnahme gilt es zunächst auf die Beine zu stellen. Für viele Apotheken bedeutet das einen Paradigmenwechsel, lief die elektronische Kommunikation bisher doch nebenher und war auf wenige Kundenkontakte pro Tag begrenzt. Das wird sich ändern. Damit stellt sich die Frage nach dem Antwortkanal: Nutzen Sie lediglich die Optionen, die E-Mail und Apps vorgeben, oder erweitern Sie das z. B. auf eine Online-Videokommunikation bis hin zu Online-Sprech- und Fragestunden?

 

MERKE | Am Ende werden wir eine deutliche Verschiebung der Standortwertigkeiten erleben. Die digitale Sichtbarkeit wird in starke Konkurrenz zu den heutigen Standorterfolgsfaktoren treten und künftig entscheidender sein als „Schaufenster und Regalmeter“. Der Weg des Kunden ist nicht mehr nur in klassischer, sondern auch in digitaler Mobilität zu denken. Die Wege der Kunden und demzufolge auch ihr Denken werden sich verändern.

 

Alles eine Frage der Logistik

Zum Zweiten bedarf der Weg der Apotheke zum Kunden, sprich der Logistikpart, einer Generalrevision. Ganz oben steht weiterhin die klassische Ladenabholung, ggf. mit neuen Anreizen, da dies stets billiger ist als die Zustellung zum Kunden. Ergänzt wird die Ladenabholung heute durch „Click & Collect“-Konzepte, also online/digital bestellen und in der Apotheke abholen. Diese Konzepte scheinen durchaus auf nennenswerte Resonanz zu stoßen, auch in anderen Branchen. Denken Sie zudem über Dinge wie Abholfächer nach. Hinzu kommt der Botendienst ‒ klug geplant nach Routenführung und Zeittaktung. Hier kommt es auf die Optimierung im Detail an, inklusive klar definierter Ausfahrradien je nach benutztem Verkehrsmittel. Ab einer gewissen Grenze ‒ i. d. R. sind das höchstens zehn Kilometer ‒ bietet sich eher eine postalische oder Zustellung per Fremd-Kurierdienst an.

 

PRAXISTIPP | Um sämtliche Zustellmöglichkeiten ausschöpfen zu können, ist eine Versandhandelserlaubnis zumindest für größere Apotheken und Filialverbünde sinnvoll. Andernfalls sind Sie auch nach der Botendienstreform noch zu sehr limitiert (u. a. Einsatz von Apothekenpersonal, kein fremder Kurierdienst, keine Päckchen etc.).

 

Apothekeninterne Prozesse

Kaum jemand hat sich wohl schon Gedanken gemacht, wie das neue digitale Handling der wertvollsten Apothekenwährung (vulgo Rezept) in der Apotheke aussehen soll. Kommt der Kunde mit seinem nunmehr „elektronischen Wertscheck“ in die Apotheke, mag man es sich noch am ehesten vorstellen. Aber auch hier stellen sich praktische Fragen: Muss das E-Rezept in Klarschrift ausgedruckt werden, um damit an die Schubladen zu gehen? Mit einem Kommissionierautomaten sieht das dann schon wieder anders aus. Was passiert mit den zunehmend elektronisch eintrudelnden (Vor-)Bestellungen? Ist hier ebenfalls ein Ausdruck nötig sowie eine Vielzahl von Boxen oder Körbchen, um die Aufträge zu ordnen? Spätestens wenn die Spezifikationen feststehen und das E-Rezept insoweit von der heute noch sehr abstrakten auf die konkrete Ebene gelangt, sollten Sie sich über dieses praktische Handling Gedanken machen. Ansonsten droht eine erhebliche Verlangsamung der Vorgänge.

Die Kunden anleiten und „abholen“

Wenn einmal das Prozedere und die technischen Aspekte geklärt sind, insbesondere welche Apps zur Anwendung kommen, wird es sehr rasch darum gehen, die Kunden an die neue Welt des digitalen Rezepts heranzuführen. Dies sollte aktiv geschehen. Sich lediglich darauf zu verlassen, dass sich die Kunden da schon selbst durchwurschteln werden, ist gefährlich. Jemand muss die Kunden „an die Hand nehmen“. Dabei stehen Ihre Topkunden im Fokus. Bedenken Sie, dass Sie typischerweise schon mit drei Prozent Ihrer Kunden (im Schnitt rund 100) gut die Hälfte des Rezeptumsatzes bestreiten. Diese Top- sowie die treuen Stammkunden ‒ oft Ältere und nicht unbedingt Digitalexperten, wenngleich oft schon digitale Nutzer ‒ gilt es zu identifizieren. Hierzu bietet sich die Auswertung von Kundenkarten sowie Rezepten an.

 

PRAXISTIPP | Wohl im Laufe des Spätsommers bzw. Herbstes gilt es, den „Rollout“ Ihrer präferierten Apps und elektronischen Wege zur Apotheke vorzubereiten. Überlegen Sie, Ihren guten Kunden aktiv bei der Installation und den ersten Gehversuchen mit den neuen Programmen zu assistieren. Hierfür kommen auch findige Studenten oder sonstige „Digital-Nerds“ aus Ihrem Umfeld infrage.

 

Wichtig | Um es nochmals zu verdeutlichen: Während die heutige Apotheke quasi wie ein Frosch auf Mücken wartet und sich dabei auf ihren Standortvorteilen „ausruhen“ kann, da die Kunden insoweit zwangszugeführt werden, ändern sich hier die Spielregeln in einer viel offeneren, digitalen Welt diametral.

Kosten und Förderung

Die Kostenträger unterstützen im Rahmen gewisser Pauschalen die Erstausstattung mit der Telematik-Infrastruktur (siehe Tabelle). Dabei hängt es von der Zahl der abgegebenen Rx-Packungen ab, wie viele Leseterminals gefördert werden. Bei 40.000 bis 80.000 Packungen (das sind bereits überdurchschnittliche Apotheken), wären es sechs Terminals. Eine solche Apotheke kann nach heutigem Stand mit rund 5.269 Euro Förderung rechnen. Das deckt nach erster Anschauung knapp die Preise, die von den EDV-Anbietern aufgerufen werden. Gerne werden von diesen jedoch in einem Atemzug weitere Erweiterungs- und Systemaufrüstungen „nahegelegt“. Dabei lassen sich die Apotheken-IT-Firmen auch noch jedes einzelne Gerät mit monatlichen Wartungs- und Pflegegebühren „vergolden“, was für eine größere Apotheke durchaus auf Beträge von gut 100 Euro monatlich herauslaufen kann ‒ und diese werden bislang nicht erstattet. Allerdings finden zurzeit Nachverhandlungen statt. Möglicherweise verändert sich noch etwas zugunsten der Apotheken. Angemessen wäre z. B. eine Bearbeitungsgebühr je E-Rezept im Bereich einiger zehn Cent.

 

  • Förderung der Telematik-Infrastruktur in Apotheken

Erstausstattungs-Bundle für Konnektor, Institutionskarte, zwei Kartenterminals

1.362 Euro

Aufwands-, Start- und Installationspauschale

1.280 Euro

Betriebskostenpauschale (Einmalzahlung für fünf Jahre) für Heilberufsausweise und Institutionskarte SMB-C

827,15 Euro

Förderbetrag je Kartenterminal (zwei Terminals bis 20.000 Rx-Packungen bereits im Erstausstattungs-Bundle enthalten)

Grundbetrag 450 Euro

Zusätzlich über diese zwei Terminals hinaus förderfähig:

  • 20.000 bis 40.000 Rx-Packungen = 2 zusätzliche Terminals
  • 40.000 bis 80.000 Rx-Packungen = 4 zusätzliche Terminals
  • > 80.000 Rx-Packungen

 

900 Euro

1.800 Euro

per Nachweis

 

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Zukunft der Rechenzentren. Bislang werden dort um 0,2 Prozent der Taxsumme als Abrechnungsgebühr erhoben. Da die Apotheken auch künftig kaum mit den Kostenträgern direkt abrechnen, werden die E-Rezepte wohl weiter bei den Abrechnungsstellen auflaufen, die dann als digitale Clearingstellen fungieren. Spannend wird sein, wie sich das auf die Gebühren auswirkt. Übergangsweise müssen ja zwei Parallelstrukturen aufrechterhalten werden, da das Papierrezept noch eine Weile erhalten bleibt, was erst einmal kostentreibend wirken dürfte.

Fazit: Nehmen Sie den Kampf an!

Der Kampf ums E-Rezept wird demnächst eröffnet. Die Vor-Ort-Apotheken haben gute Karten, dürfen jetzt aber nicht nachlässig sein!

 

Quelle: Seite 2 | ID 46393089