HINWEIS:

Aktuell sind wir wegen einer technischen Störung telefonisch nicht erreichbar.

Bei Fragen zu den IWW-Webinaren schicken Sie uns bitte eine E-Mail an seminare@iww.de.

Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Der praktische Fall

Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern: strenge oder modifizierte Trennungstheorie?

von Dipl.-Finw. (FH) Julian Vortkamp, LL.M., Gronau

| Die Vorschrift des § 6 Abs. 5 S. 3 EStG ist in der steuerlichen Gestaltungspraxis eine Kernvorschrift, wenn es um den Transfer von einzelnen Wirtschaftsgütern zwischen Mitunternehmerschaft und Mitunternehmer geht. Gerade im Bereich der Nachfolgeplanung kommt ihr erhebliche Bedeutung zu, da hiermit wesentliche Voraussetzungen für die strategische Unternehmensnachfolge geschaffen werden können. Im folgenden Beitrag werden die aktuellen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Übertragung von einzelnen Wirtschaftsgütern nach § 6 Abs. 5 S. 3 EStG anhand eines Musterfalls veranschaulicht. |

1. Sachverhalt

A überträgt aus seinem Einzelunternehmen eine Maschine zum 1.1.04 auf die gewerblich tätige A-GmbH & Co. KG, an der er als Kommanditist beteiligt ist. Die KG verpflichtet sich zur Übernahme der Refinanzierungsverbindlichkeit im Zusammenhang mit der Maschine i. H. v. 300.000 EUR. Der gemeine Wert der Maschine beträgt 400.000 EUR, ihr Buchwert 200.000 EUR.

2. Lösung

Es liegt ein Anwendungsfall des § 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 EStG vor, da die Maschine aus dem Einzelunternehmen des A auf die Mitunternehmerschaft, an der er selbst als Mitunternehmer beteiligt ist, übertragen wird und die Übertragung nicht vollentgeltlich erfolgt. Aufgrund der Übernahme der Refinanzierungsverbindlichkeit ist jedoch eine Teilentgeltlichkeit gegeben. Eine teilentgeltliche Übertragung liegt vor, wenn das Entgelt des Übernehmenden nicht vollständig wertäquivalent zum Verkehrswert des Wirtschaftsguts ist, indem es diesen unterschreitet (Krumm in: Kirchhof, EStG, § 15 Rn. 376a).

 

Für die Ermittlung der Höhe der Gewinnrealisierung bei teilentgeltlichen Übertragungen im Rahmen von § 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 1 EStG ist zwischen der strengen und der modifizierten Trennungstheorie zu unterscheiden. Beide Ermittlungsansätze haben gemeinsam, dass sie das Teilentgelt in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufteilen:

 

  • Die strenge Trennungstheorie (siehe 3.) sieht vor, den Buchwert des übertragenen Wirtschaftsguts im Verhältnis zwischen dem Teilentgelt und dem Verkehrswert des Wirtschaftsguts aufzuteilen (BMF 8.12.11, IV C 6 - S-2241/10/10002, BStBl I 11, 1279, Rn. 15).

 

  • Die modifizierte Trennungstheorie (siehe 4.) ordnet den Buchwert dem entgeltlichen Teil des Entgelts einseitig zu und führt im Vergleich zur strengen Trennungstheorie zu einer geringeren Realisierung stiller Reserven (Niehus/Wilke in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Rn. 1555).

3. Strenge Trennungstheorie

Die Entgeltlichkeitsquote beträgt vorliegend 75 % (300/400). In Höhe des unentgeltlichen Teils von 25 % sind zwingend die Buchwerte der Maschine fortzuführen. Die Anwendung der strengen Trennungstheorie führt auf Ebene des Einzelunternehmens des A zu folgendem Buchgewinn:

 

  • Ermittlung Buchgewinn

Gegenleistung

300.000 EUR

abzgl. Buchwert

200.000 EUR × 75 % =

150.000 EUR

Buchgewinn

150.000 EUR

 

Der Wertansatz der Maschine bei der A-GmbH & Co. KG ermittelt sich wie folgt:

 

  • Ermittlung Wertansatz

25 % Fortführung Buchwert

200.000 EUR × 25 % =

50.000 EUR

Gegenleistung

300.000 EUR

Wertansatz

350.000 EUR

 

Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur sind Argumente für die Anwendung der strengen Trennungstheorie genannt. Die Auslegung der Vorschrift nach dem Wortlaut ergibt, dass aufgrund des Wortes „soweit“ davon auszugehen ist, dass eine einseitige Zuordnung des Buchwerts zum entgeltlichen Teil dem Wortlaut der Vorschrift nicht entspricht (Becker, DB 19, 326, 327; Wilke, FR 16, 761, 766). Ferner wird nach den „Regeln der Logik“ (Brandenberg, DStZ 02, 551, 558) argumentiert, wonach eine Teilaufdeckung stiller Reserven die Schlussfolgerung ist, wenn ein voll entgeltliches Geschäft zur vollen Aufdeckung stiller Reserven führt und ein voll unentgeltliches Geschäft eine vollständige Ertragsteuerneutralität ergibt.

 

Vor dem Hintergrund des Veranlassungsprinzips in § 4 Abs. 4 EStG kann gemäß anderer Argumentation der Buchwert dem entgeltlichen Teil nur insoweit entgegengerechnet werden, als er durch den Erwerbsvorgang und damit durch den Betrieb veranlasst ist. Der unentgeltliche Teil wird als nicht durch den Betrieb veranlasst angesehen (Heuermann, DB 13, 1328, 1329; Kraft, NWB 16, 488, 495). Befürworter der strengen Trennungstheorie sehen in der modifizierten Trennungstheorie einen Widerspruch, da auf der einen Seite das Entgelt aufgeteilt und auf der anderen Seite dem Buchwert einseitig zugerechnet wird (Kulosa in: Schmidt, EStG, § 6 Rn. 792; Wilke, FR 16, 761, 765).

 

Unter Beachtung der Veräußerungsgeschäfte im Privatvermögen wird zudem argumentiert, dass der unbestrittene Grundsatz der Teilentgeltlichkeit im Privatvermögen auch auf die Vorschrift des § 6 Abs. 5 S. 3 EStG Anwendung finden sollte (zur Teilentgeltlichkeit im Privatvermögen: Kulosa in: Schmidt, EStG, § 6 Rn. 792; zur Anwendung der strengen Trennungstheorie: BFH 19.3.14, X R 28/12, BStBl II 14, 629, Rn. 95 ff.). Unterschiede in der Behandlung des teilentgeltlichen Übertragungsvorgangs zwischen Privat- und Betriebsvermögen sind laut dieser Begründung nicht verständlich, da der Begriff der Anschaffungskosten einheitlich für alle Einkunftsarten anzuwenden ist. Die Ermittlung des Veräußerungsgewinns und die Höhe der Anschaffungskosten stehen demzufolge untrennbar in Verbindung, wenngleich die Ermittlung der Einkünfte zwischen Privatvermögen und Betriebsvermögen voneinander abweicht (BFH 19.3.14, X R 28/12, BStBl II 14, 629, Rn. 97; Heuermann, DB 13, 1328, 1329; Kraft, NWB 16, 488, 495; Mitschke, FR 12, 1154, 1158; Strahl, FR 13, 322, 326).

 

Darüber hinaus wird für die Anwendung der strengen Trennungstheorie vertreten, dass unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Aufteilung des Buchwerts angemessen ist, da der teilentgeltliche Vorgang sowohl eine entgeltliche Veräußerung als auch eine Schenkung beinhaltet (BFH 19.3.14, X R 28/12, BStBl II 14, 629, Rn. 79; Niehus/Wilke, FR 05, 1012, 1015). Dies führe zudem zu einer zielgenaueren Besteuerung, da die Voraussetzungen für die Besteuerung grundsätzlich gegeben seien (Vees, DStR 13, 681, 683). Weber-Grellet (DB 19, 2201, 2207) sieht in der Beantwortung dieser Frage einen bilanzsteuerrechtlichen Ansatz, indem er auf den „Doppelcharakter“ eines teilentgeltlichen Geschäfts hinweist. Teilentgeltliche Vorgänge seien zugleich Veräußerung und Schenkung. Beide Teile müssen nach ihren Regeln bilanzsteuerrechtlich behandelt werden, sodass es nicht darauf ankomme, ob das Teilentgelt über oder unter dem Buchwert liegt (Weber-Grellet, DB 19, 2201, 2208). Zudem führt der X. Senat in seinem Vorlagebeschluss vom 27.10.15 vor dem Hintergrund dieses Doppelcharakters aus, dass die strenge Trennungstheorie dem wirtschaftlich Gewollten gerecht werde und eine eindeutige Zuordnung beider Teile des Geschäfts ermögliche (BFH 27.10.15, X R 28/12, BStBl II 16, 81, Rn. 65).

4. Modifizierte Trennungstheorie

Die Anwendung der modifizierten Trennungstheorie führt auf Ebene des Einzelunternehmens des A zu folgendem Buchgewinn:

 

  • Ermittlung Buchgewinn

Gegenleistung

300.000 EUR

abzgl. Buchwert

200.000 EUR

Buchgewinn

100.000 EUR

 

Der Wertansatz der Maschine bei der A-GmbH & Co. KG ermittelt sich wie folgt:

 

  • Ermittlung Wertansatz

Anschaffungskosten

300.000 EUR

Wertansatz

300.000 EUR

 

Der BFH hat sich mit Urteil vom 19.9.12 zur teilentgeltlichen Übertragung eines Wirtschaftsguts aus dem Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters in das Gesamthandsvermögen derselben Mitunternehmerschaft für die Anwendung der modifizierten Trennungstheorie entschieden (BFH 19.9.12, IV R 11/12, BFHE 239, 76). In diesem Urteil hat der IV. Senat jedoch ohnehin keinen Fall der Entnahme angenommen, da das Wirtschaftsgut das Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft nicht verlässt. Der Vorschrift wurde daher nur eine deklaratorische Bedeutung beigemessen. Die Entscheidungsgründe zur Anwendung der modifizierten Trennungstheorie wurden in diesem Urteil ausdrücklich auf die Fälle eingeschränkt, in denen nach Ansicht des BFH kein Entnahmetatbestand gegeben ist. Die Finanzverwaltung hat dieses Urteil nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht, sondern folgt weiterhin der strengen Trennungstheorie (BMF 8.12.11, IV C 6 - S-2241/10/10002, BStBl I 11, 1279, Rn. 15; OFD Frankfurt/Main 10.4.19, S2241A ‒ 117 ‒ St213, Rn. 15).

 

In der Literatur wird nach dem Urteil des IV. Senats vom 19.9.12 zunehmend der modifizierten Trennungstheorie gefolgt (BFH 19.3.14, X R 28/12, BStBl II 14, 629, Rn. 76). Das ertragsteuerliche Ergebnis wird von dem Übertragenden im Vergleich zur Anwendung der strengen Trennungstheorie als sachgerechter empfunden, weil es zu einer geringeren Steuerbelastung führt (Kempermann, FR 12, 1154, 1155; Mitschke, FR 12, 1154, 1156; Wendt, DB 13, 834, 839).

 

MERKE | Dies gilt insbesondere bei der Übernahme von Verbindlichkeiten, da sich der Übertragende mangels Liquiditätszufluss nicht bereichert sieht (BFH 19.3.14, X R 28/12, BStBl II 14, 629, Rn. 107).

 

Darüber hinaus berufen sich die Befürworter der modifizierten Trennungstheorie auf ein praktisches Argument, indem sie die vergleichsweise leichte Ermittlung der Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem Buchwert bei Anwendung der modifizierten Trennungstheorie der vielfach komplizierteren Ermittlung des Verkehrswerts bei Anwendung der strengen Trennungstheorie gegenüberstellen (BFH 19.3.14, X R 28/12, BStBl II 14, 629, Rn. 108). Graw sieht in der Beachtung des Wortlauts der Vorschrift lediglich ein Argument für eine Aufteilung des Entgelts und nicht für eine Aufteilung des Buchwerts, wie es die strenge Trennungstheorie vorsieht (Graw, FR 15, 260, 265). Darüber hinaus führt er aus, dass der Sinn und Zweck der Vorschrift ‒ die Erleichterung von Umstrukturierungen ‒ dafür spreche, teilentgeltliche Übertragungsvorgänge gewinnneutral zu behandeln, soweit das Entgelt den Buchwert des Wirtschaftsguts nicht übersteigt (Graw, FR 15, 260, 267).

 

Wendt sieht die Sperrfristen im Rahmen der Vorschrift des § 6 Abs. 5 EStG als Argument für die modifizierte Trennungstheorie, da sie ein Hindernis bei der hierdurch eröffneten gesetzlichen Möglichkeit zu Umstrukturierungen zwecks Verlagerung stiller Reserven darstellen (Wendt, DB 13, 834, 839; siehe auch Graw, FR 15, 260, 267). Es wird zudem ausgeführt, dass das Wirtschaftsgut im Rahmen des Übertragungsvorgangs einen einheitlichen, unteilbaren Geschäftsvorfall darstellt, wodurch die Anwendung der strengen Trennungstheorie als nicht sachgerecht empfunden wird (Wendt, DB 13, 834, 838; dagegen Mitschke, FR 13, 648, 650).

 

Ferner bezieht sich Wendt auf den gesetzlich normierten Betriebsvermögensvergleich in § 4 Abs. 1 EStG und hält eine Gewinnerhöhung nur insoweit für vertretbar, als das Entgelt den Buchwert des Wirtschaftsguts übersteigt (Wendt, DB 13, 834, 838; siehe auch Graw, FR 15, 260, 265). Eine Gleichbehandlung von teilentgeltlichen Übertragungsvorgängen im Privatvermögen und im Betriebsvermögen ist nach Ansicht von Graw nicht zwingend. Dies würde bedeuten, dass die ertragsteuerliche Behandlung im Privatvermögen keine Ausstrahlungswirkung auf die ertragsteuerliche Behandlung im Betriebsvermögen hat (Graw, FR 15, 260, 266).

 

Ein wesentliches Argument der Befürworter der modifizierten Trennungstheorie ist, dass die strenge Trennungstheorie zu einer fingierten Besteuerung nicht erzielter Gewinne und damit zu einem Verstoß gegen das Realisationsprinzip führt (Demuth, EStB 14, 373, 375; Graw, FR 15, 260, 265; Prinz/Hütig, DB 12, 2597, 2599).

 

FAZIT | Für die Anwendung der modifizierten Trennungstheorie spricht zunächst das Argument, dass dem handelsrechtlichen Realisationsprinzip, das über den Maßgeblichkeitsgrundsatz auch im Steuerrecht Anwendung findet, im Vergleich zur strengen Trennungstheorie stärker Rechnung getragen wird (Krumm in: Kirchhof, 18. Aufl., EStG, § 6 Rn. 230; Prinz/Hütig, DB 12, 2597, 2599). Jedoch sind nach der hier vertretenen Ansicht andere Argumente stärker zu gewichten.

 

So ist es systematisch korrekt, aus einer nach § 6 Abs. 5 S. 3 EStG gesetzlich gebotenen Aufteilung des Übertragungsvorgangs die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Daher ist Heuermann (DB 13, 1328, 1329) zu folgen, der unter Beachtung des Veranlassungsprinzips nach § 4 Abs. 4 EStG nur diejenigen Aufwendungen dem Entgelt entgegenrechnen möchte, die auch den entgeltlichen Teil betreffen. Der X. Senat schließt in Bezug auf das Realisationsprinzip zu Recht, dass e contrario die vollständige Zuordnung des entgeltlichen Teils zum Buchwert nicht mit dem (entgeltlichen) Realisationstatbestand zusammenhänge (BFH 27.10.15, X R 28/12, BStBl II 16, 81 Rn. 52). Darüber hinaus wird mit der Anwendung der strengen Trennungstheorie dem wirtschaftlichen Lebenssachverhalt entsprochen, da sich sowohl Übertragender als auch Übernehmender der Teilentgeltlichkeit des Vorgangs grundsätzlich bewusst sind.

 

Die Einheitlichkeit des Anschaffungskostenbegriffs gemäß § 255 Abs. 1 HGB im Betriebs- und Privatvermögen ist systematisch betrachtet aus der Perspektive des Übernehmers ein weiterer Grund für die Anwendung der strengen Trennungstheorie (Kulosa, in: Schmidt, EStG, § 6 Rn. 697 [2]). Zudem ist aus Sicht des Rechtsanwenders eine einheitliche Beurteilung teilentgeltlicher Übertragungsvorgänge im Zusammenhang mit einzelnen Wirtschaftsgütern vorzugswürdig. Durch die höhere (partielle) Aufdeckung stiller Reserven wird dem Subjektsteuerprinzip umfangreicher Rechnung getragen, da in der Person des Übertragenden bereits eine Besteuerung stiller Reserven stattfindet.

 

Mit der Abhilfe der Finanzverwaltung im anhängigen Revisionsverfahren vor dem X. Senat und der damit einhergehenden Beendigung des Verfahrens vor dem Großen Senat des BFH ist in dieser Rechtsfrage auch weiterhin nicht von einer baldigen höchstrichterlichen Lösung auszugehen (BFH 30.10.18, X R 28/12, BFH/NV 19, 39). Inzwischen ist beim IV. Senat ein Verfahren anhängig: Die Vorinstanz hat sich unter Bezugnahme auf die in dem Vorlagebeschluss des X. Senats genannten Gründe der strengen Trennungstheorie angeschlossen (BFH 20.8.19, IV R 16/19; FG Berlin-Brandenburg 10.4.19, 11 K 11258/13, EFG 19, 1753).

 

Zum Autor | Herr Vortkamp ist in der steuerlichen Beratung bei der Hartmann & Partner StBG mbB, Gronau, tätig.

Quelle: Seite 60 | ID 46985202