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01.04.2009 | Betriebsvereinbarung

Wie werden Betriebsvereinbarungen bei Betriebsübergang Arbeitsvertragsinhalt?

von RA und VRiLAG a.D. Dr. Lothar Beseler, Meerbusch

Nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB werden Rechte und Pflichten, die durch Betriebsvereinbarung geregelt sind, bei einem Betriebsübergang Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem ArbN. Die Bestimmung greift aber nur, wenn nicht trotz Betriebsübergangs die Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich und damit normativ weitergelten.  

 

Beispiel

Ein Betrieb, in dem ein Betriebsrat gebildet ist, geht auf einen anderen Rechtsträger über und wird wie bisher weitergeführt. Der Betriebsrat bleibt beim Erwerber im Amt; die Betriebsvereinbarungen bestehen kollektivrechtlich weiter. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB findet keine Anwendung.  

 

Wie wird der erworbene Betriebs(-teil) weitergeführt?

Gleiches gilt, wenn nur ein Betriebsteil auf einen anderen Rechtsträger übergeht und von diesem als selbstständiger Betrieb fortgeführt wird. Unabhängig davon, dass der Betriebsrat des abgebenden Betriebs noch für sechs Monate ein Übergangsmandat hat, bestehen die Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich weiter (BAG AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung = NZA 03, 670). Selbst wenn nach sechs Monaten noch kein Betriebsrat im Erwerberbetrieb gewählt wurde, bestehen die Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich fort. Der Erwerber kann die fortgeltenden Betriebsvereinbarungen mangels Betriebsrat nur gegenüber allen ArbN, die von ihnen erfasst werden, kündigen (BAG a.a.O.). Auch in diesem Fall gilt die Auffangnorm § 613a Abs. 1 S. 2 BGB nicht.  

 

Wird ein Betrieb oder Betriebsteil mit einem anderen Betrieb bei einem Betriebserwerber zusammengeschlossen und wird deshalb ein neuer Betrieb gebildet, hat der Betriebsrat des nach der Zahl der wahlberechtigten ArbN größeren Betriebs oder Betriebsteils ein Übergangsmandat, § 21a BetrVG. Ist dieses der aufgenommene Betrieb oder Betriebsteil, bestehen dessen Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich weiter.  

 

Anders ist die Rechtslage, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil in einen Betrieb beim Erwerber eingegliedert wird. Der bisherige Betrieb oder Betriebsteil muss aber als wirtschaftliche Einheit fortgeführt werden. Dann werden die Betriebsvereinbarungen in die Arbeitsverträge der von dem Betriebsübergang betroffenen ArbN transformiert und damit Vertragsrecht.  

 

Wird dagegen die Organisationsstruktur des Betriebs oder Betriebsteils beim Betriebserwerber zerschlagen, fehlte es nach der bisherigen BAG-Rechtsprechung (AP Nr. 303 zu § 613a BGB = NZA 06, 1039, Abruf-Nr. 062284) an einem Betriebsübergang. Eine Transformation der Betriebsvereinbarungen in den Arbeitsvertrag findet in diesem Fall nicht statt.  

 

Beispiel

Ein Speditionsunternehmen übernimmt von einem anderen Unternehmen dessen Speditionsabteilung mit Fuhrpark, Mitarbeitern und Kundenbeziehungen und gliedert sie in sein Unternehmen ein. Ein Betriebsübergang und die Transformation der Betriebsvereinbarungen liegt nur vor, wenn die bisherige Speditionsabteilung beim neuen ArbG weiter als Betriebsteil mit ihrer früheren Organisationsstruktur weitergeführt wird. Geht der frühere Betriebsteil voll in den neuen Betrieb auf, sodass es keine Abteilung mit dem bisherigen Mitarbeiterkreis, Fahrzeugpark und Kundenstamm mehr gibt, fehlt es an einem Betriebsübergang.  

 

Diese Rechtslage hat sich durch die aktuelle EuGH-Rechtsprechung geändert (12.2.09, C-466/07 (Klarenberg), Abruf-Nr. 091023). Nach Auffassung des EuGH reicht es für die Wahrung der wirtschaftlichen Identität des übergegangenen Betriebs oder Betriebsteils aus, wenn zwar der übertragene Unternehmens- oder Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit nicht bewahrt, die funktionelle Verknüpfung aber zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten wird und sie es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen.  

 

Beispiel

Im Fall des Speditionsunternehmens reicht es nach dem EuGH aus, dass der Betriebserwerber den bisherigen Kundenstamm und die Fahrzeuge übernimmt und die übernommenen Mitarbeiter weiterhin als Kraftfahrer eingesetzt werden. Es ist nicht mehr notwendig, dass die Organisationsstruktur erhalten bleibt. Es gehen dann die Betriebsvereinbarungen in das Arbeitsverhältnis über.  

 

Freiwillige Betriebsvereinbarungen

Doch was geschieht bei einem Betriebsübergang mit freiwilligen Betriebsvereinbarungen? Nach einer Meinung erlöschen sie automatisch im Zeitpunkt des Betriebsteilübergangs. Nach anderer Ansicht können die individualrechtlich fortgeltenden Rechte nur mit den üblichen arbeitsvertraglichen Instrumentarien (Änderungskündigung, Aufhebungsvertrag) abgeändert werden. Nach einer dritten Meinung (vgl. Bauer/v. Steinau-Steinbrück NZA 00, 505) kann der Erwerber die transformierten Normen freiwilliger Betriebsvereinbarungen in gleicher Weise kündigen, wie die Betriebsvereinbarung selbst. Es werden das Kündigungsrecht, geregelte Kündigungsfristen oder die in § 77 Abs. 5 BetrVG bestimmte Kündigungsfrist in das Arbeitsverhältnis transformiert. Der Erwerber muss gegenüber allen ArbN die Kündigung der transformierten Betriebsvereinbarung erklären.  

 

Der letzten Auffassung ist zuzustimmen. Denn könnte der Erwerber erst nach Ablauf der Jahresfrist des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB bei Vorliegen von Gründen i.S. des § 1 Abs. 2, § 2 KSchG eine Änderungskündigung aussprechen, wären die von einem Betriebsübergang erfassten Mitarbeiter besser geschützt als die bei dem Betriebsveräußerer weiterhin tätigen ArbN. Denn im Veräußererbetrieb kann der ArbG freiwillige Betriebsvereinbarungen jederzeit unter Einhaltung der vereinbarten bzw. der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG kündigen, wenn nicht ein Kündigungsrecht ausgeschlossen oder eine Nachwirkung vereinbart wurde. Dieses Recht muss dem Betriebserwerber in gleicher Weise zustehen (BAG AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung = NZA 03, 670).  

 

Fortgeltung auch der Gesamtbetriebsvereinbarungen

Gesamtbetriebsvereinbarungen bestehen bei einem Betriebsübergang als Gesamtbetriebsvereinbarungen beim Erwerber fort, wenn alle oder mehrere Betriebe übernommen und vom Erwerber fortgeführt werden. Bei dem Übergang nur eines Betriebs besteht eine Gesamtbetriebsvereinbarung kollektivrechtlich beim Erwerber als Betriebsvereinbarung fort, wenn der Betrieb in seiner Gesamtheit unter Wahrung seiner Identität übertragen wird (BAG a.a.O.). Denn auch der Gesamtbetriebsrat kann nur Betriebsvereinbarungen abschließen.  

 

Eine Gesamtbetriebsvereinbarung gilt auch kollektivrechtlich im Erwerberbetrieb fort, wenn ein betriebsratsloser Betrieb übertragen wurde und für diesen Betrieb eine Gesamtbetriebsvereinbarung gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz BetrVG getroffen wurde. Wird also nur ein Betrieb übernommen, bleiben die bis dahin für ihn geltenden Gesamtbetriebsvereinbarungen als Einzelbetriebsvereinbarungen bestehen.  

 

Checkliste: Kollektivrechtliches Weiterbestehen einer Betriebsvereinbarung
  • Wird der Betrieb unverändert vom Betriebserwerber fortgeführt?
Wenn ja: Betriebsvereinbarungen bestehen kollektivrechtlich fort.
  • Wird der Betriebsteil als selbstständiger Betrieb vom Betriebserwerber fortgesetzt?
Wenn ja: Betriebsvereinbarungen bestehen kollektivrechtlich fort.
  • Wird der Betrieb oder Betriebsteil mit einem Erwerberbetrieb zusammengeschlossen?
Entscheidend ist, wer das Übergangsmandat hat. Liegt es beim Betriebsrat im Erwerberbetrieb, werden die Betriebsvereinbarungen in den Arbeitsvertrag transformiert und werden Vertragsrecht. Liegt es beim veräußerten Betrieb, bestehen die Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich weiter.
  • Wird ein Betrieb oder Betriebsteil in einen bestehenden Betriebsteil eingegliedert?

 

  • Wird die bisherige wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortgeführt?
Betriebsvereinbarungen werden in den Arbeitsvertrag transformiert und werden Vertragsrecht. Freiwillige Betriebsvereinbarungen können gegenüber allen ArbN, die von den Betriebsvereinbarungen erfasst werden, sofort ohne Einhaltung der Jahresfrist des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB unter Beachtung der Kündigungsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG gekündigt werden.
  • Wird die Organisationsstruktur des alten Betriebs oder Betriebsteils zerschlagen und bleiben die übertragenen Produktionsfaktoren auch nicht funktional verknüpft?
Wenn ja: Ein Betriebsübergang liegt nicht vor.

 

  • Gesamtbetriebsvereinbarungen gelten kollektivrechtlich weiter, wenn
  • mehrere oder alle Betriebe übernommen und vom Erwerber fortgeführt werden,
  • ein Betrieb übernommen und fortgeführt wird,
  • ein Betriebsteil übernommen und als selbstständiger Betrieb weiterhin besteht oder
  • ein Betrieb oder Betriebsteil mit einem Erwerberbetrieb zusammengeschlossen wird und ein neuer Betrieb entsteht, wenn die Anzahl der auf den Betriebserwerber übergegangenen wahlberechtigten ArbN höher ist als die im bisherigen Betrieb des Erwerbers beschäftigten Mitarbeiter.

 

  • Gesamtbetriebsvereinbarungen werden in das Arbeitsverhältnis transformiert und werden Vertragsrecht, wenn

 

  • der Betrieb oder Betriebsteil in einen beim Erwerber vorhandenen Betrieb eingegliedert wird,
  • ohne dass seine Organisationsstruktur zerschlagen wird oder jedenfalls die übergegangenen Produktionsfaktoren verknüpft bleiben.
 

Quelle: Seite 59 | ID 125759