· Fachbeitrag · Arbeitnehmerüberlassung/Leiharbeit
Das sagt das BAG zu Equal Pay Ausnahmen bei der Arbeitnehmerüberlassung
von Rechtsanwältin Dr. Viktoria Winstel, Osborne Clarke, Köln
| Das BAG hat Mitte 2023 ein wichtiges Urteil zum Equal Pay Grundsatz in § 8 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) gefällt. Anlass genug, Grundsätze und Ausnahmen des Entgeltgleichstellungsgrundsatzes in der Zeitarbeit darzustellen und die BAG-Entscheidung in diesen Kontext einzuordnen. |
Das versteht man unter dem Equal Pay Grundsatz
In § 8 Abs. 1 AÜG ist der Gleichstellungsgrundsatz für Leiharbeitnehmer geregelt. Er besagt, dass der verleihende Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Leiharbeitnehmer die wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren, die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers gelten. Der Gleichstellungsgrundsatz umfasst daher einen Anspruch auf Equal Treatment und Equal Pay.
Maßstab für die Gleichstellung sind die Arbeitsbedingungen eines vergleichbaren Arbeitnehmers beim Entleiher. Denn Ziel des Gleichstellungsgrundsatzes ist es, dem Leiharbeitnehmer mindestens diejenigen Arbeitsbedingungen und das Gehalt zu gewähren, das er bekommen hätte, wenn er beim Entleiher für die Überlassungszeit als Stammarbeitnehmer eingestellt worden wäre. Eine höhere Vergütung und bessere Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer sind erlaubt; bei § 8 Abs. 1 AÜG handelt es sich um ein Verbot der Schlechterstellung.
Maßstab ist vergleichbarer Stammarbeitnehmer
Um das Arbeitsentgelt zu ermitteln, sind als Vergleichsmaßstab die Bedingungen des zuletzt eingestellten Stammarbeitnehmers mit gleicher oder ähnlicher Tätigkeit heranzuziehen, der keine zusätzlichen entgeltrelevanten Kriterien, wie z. B. eine besondere Fachkenntnis, erfüllt. Gibt es keinen solchen vergleichbaren Stammarbeitnehmer, ist ein hypothetisches Einstellungsgehalt zu ermitteln. Um ein vergleichbares Entgelt zu ermitteln, sind sämtliche Vergütungsbestandteile der vergleichbaren Stammarbeitnehmer einzubeziehen. Dazu zählen neben dem Grundgehalt z. B. auch Zuschläge, Zulagen, Prämien, Provisionen, Gratifikationen oder Sachleistungen, wobei für letztere ein wertgleicher Ersatz in Geld möglich ist.
Vermutungsregel will Erleichterung in der Praxis schaffen
Das vergleichbare Arbeitsentgelt für jede zeitlich begrenzte Überlassung zu ermitteln, ist aufwendig. Daher wurde zur Erleichterung in § 8 Abs. 1 S. 2 AÜG eine Vermutungsregel eingeführt. Erhält der Leiharbeitnehmer das für einen vergleichbaren Stammarbeitnehmer des Entleihers geschuldete tarifvertragliche Arbeitsentgelt, wird vermutet, dass der Leiharbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsentgelts gleichgestellt ist. Diese Vermutung kann vom Leiharbeitnehmer widerlegt werden, jedoch ist dieser dann in der Pflicht, die fehlende Gleichstellung darzulegen und zu beweisen.
Die Ausnahmen vom Grundsatz des Equal Pay
Vom Gleichstellungsgrundsatz kann grundsätzlich nach § 8 Abs. 2 AÜG durch Tarifvertrag abgewichen werden, was dem Regelfall in der Praxis entspricht. Tarifverträge können kraft Tarifgebundenheit der Parteien oder aufgrund arbeitsvertraglicher Inbezugnahme des Tarifvertrags, in dessen Geltungsbereich die Parteien fallen, Anwendung finden. Hierbei stellt das Gesetz jedoch einige inhaltliche, sowie zeitliche Grenzen auf.
Lohnuntergrenzen beachten
Erste inhaltliche Grenze für Tarifverträge ist eine durch Rechtsverordnung vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales festgesetzte Lohnuntergrenze für das Stundenentgelt. Mit der fünften Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung gilt ein derzeitiges Mindeststundenentgelt von 13 Euro. Es wird ab Januar 2024 auf 13,50 Euro angehoben.
Drehtürklausel setzt Grenzen
Tarifliche Regelungen, die vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen, finden auch dann bei solchen Leiharbeitnehmern keine Anwendung, die in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung an den Entleiher aus einem Arbeitsverhältnis mit diesem oder mit einem Unternehmen, das mit dem Entleiher einen Konzern bildet, ausgeschieden sind (§ 8 Abs. 3 AÜG). Diese Regelung soll Missbrauch verhindern, indem Stammarbeitnehmern gekündigt wird, um sie anschließend über externe Verleiher als Leiharbeitnehmer zu schlechteren Arbeitsbedingungen wieder einzustellen.
Equal Pay tritt nach Wartezeit ein
Durch § 8 Abs. 4 AÜG werden der Beschränkung von Equal Pay durch Tarifvertrag zeitliche Grenzen auferlegt. Tarifverträge dürfen hinsichtlich des Arbeitsentgelts nur für eine bestimmte Zeit von der gesetzlichen Regelung abweichen. Danach greift die Entgeltgleichstellung. Bei der Berechnung der Wartezeit ist zu beachten, dass eine vorherige Überlassung an denselben Entleiher vollständig anzurechnen ist, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen (§ 8 Abs. 4 S. 4 AÜG).
Diese Einschränkungen betreffen lediglich die Schlechterstellung hinsichtlich des Arbeitsentgelts. Von sonstigen wesentlichen Arbeitsbedingungen ist eine dauerhafte Abweichung durch Tarifvertrag erlaubt.
Hinsichtlich der tarifvertraglichen Abweichung vom Equal Pay Grundsatz kann zwischen zwei Tarifmodellen unterschieden werden:
- Eine Abweichung vom Equal Pay Grundsatz ist innerhalb der ersten neun Monate der Überlassung ohne weitere Voraussetzungen möglich, wenn es sich um einen Tarifvertrag ohne Branchenzuschläge handelt (§ 8 Abs. 4 S. 1 AÜG). Anschließend findet für die restliche Überlassungszeit der Entgeltgleichstellungsgrundsatz Anwendung. Den Leiharbeitnehmern ist das Entgelt zu zahlen, das vergleichbaren Stammarbeitnehmern im Betrieb des Entleihers gezahlt wird.
- Durch § 8 Abs. 4 S. 2 AÜG ist die Abweichungsmöglichkeit durch Tarifvertrag mit Branchenzuschlägen geregelt. Die Besonderheit ist, dass keine exakte Gleichbehandlung nach § 8 Abs. 1 AÜG mit den Stammarbeitnehmern im Entleihbetrieb geschaffen werden soll. Maßstab für die Gleichbehandlung ist vielmehr das ungefähre Tarifniveau der Einsatzbranche. Dafür muss ‒ nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen ‒ das Gehalt stetig ansteigen, sodass nach spätestens 15 Monaten mindestens ein Arbeitsentgelt erreicht wird, das in dem Tarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist. Während der weiteren Überlassungszeit bildet der Tarifvertrag mit dem geregelten Tarifniveau die Grundlage für das Arbeitsentgelt. Streng genommen gilt Equal Pay damit nicht mehr verglichen mit den Stammarbeitnehmern des Entleihers, sondern Equal Pay am Maßstab des Tarifniveaus der Einsatzbranche.
Darum ging es in der BAG-Entscheidung
In der neuen BAG-Entscheidung ging es darum, ob die Abweichungsmöglichkeit vom Grundsatz des Equal Pay nach § 8 Abs. 2 AÜG mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Dabei hatte das BAG dem EuGH die Frage vorgelegt, welche Voraussetzungen und Kriterien erfüllt sein müssen, damit bei einer Abweichung vom Equal Pay Grundsatz die von Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL geforderte „Achtung des Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ gewahrt ist.
Nach dem EuGH ist die durch Tarifvertrag niedrigere Vergütung von Leiharbeitnehmern zulässig, wenn zur „Achtung des Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ Ausgleichsvorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährt werden, die geeignet sind, die Ungleichbehandlung zu neutralisieren (EuGH, Urteil vom 15.12.2022, Rs. C-311/21).
Diese Voraussetzungen sind bei der gesetzlichen Abweichungsmöglichkeit vom Gleichstellungsgebot laut BAG durch das Zusammenspiel der gesetzlichen Schutzbestimmungen für Leiharbeitnehmer und einem Tarifvertrag gewahrt, der die Fortzahlung des Arbeitsentgelts auch in verleihfreien Zeiten gewährleistet (BAG, Urteil vom 31.05.2023, Az. 5 AZR 143/19, Abruf-Nr. 235791).
Wichtig | Das BAG bestätigt damit die Wirksamkeit von Abweichungen vom Grundsatz des Equal Pay durch Tarifvertrag unter bestimmten Voraussetzungen. An dieser Einordnung können sich die übrigen Tarifwerke der Leiharbeitsbranche orientieren und so die Anwendbarkeit der Tarifverträge sichern.
Weiterführender Hinweis
- Einen ausführlichen Beitrag zum Thema „Equal Pay und Gleichstellung von Männern und Frauen“ finden Sie in einer der nächsten Ausgaben von lgp.iww.de