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· Fachbeitrag · Smart-Home-Technologie

Technische Assistenzsysteme als Pflegehilfsmittel

von RA Markus Hagge, Nürnberg

| Technische Assistenzsysteme sind Hilfsmittel zur Unterstützung Pflegebedürftiger im häuslichen Umfeld. Sie werden immer wichtiger, da die meisten älteren Menschen auch als Pflegefall selbstbestimmt zu Hause leben wollen. Auf dem Markt sind bereits zahlreiche technische Assistenzsysteme vorhanden. Als Pflegehilfsmittel werden sie jedoch bisher (von wenigen Ausnahmen abgesehen) nicht anerkannt. Das könnte sich mit der geplanten Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs ändern. |

1. Technische Assistenzsysteme, AAL, Smart Home?

Verschiedene Begriffe werden für vergleichbare Konzepte und Systeme gebraucht, die pflegebedürftige Menschen zu Hause unterstützen. Technische Assistenzsysteme für Senioren können auch mit dem Begriff ambient assisted living (AAL) beschrieben werden. Außerdem gibt es sehr große Überschneidungen zwischen technischen Assistenzsystemen und der Smart Home-Technologie. Über Smart Home-Technologie lässt sich auf Basis von Vernetzung, Sicherheit, Alltagserleichterung, Komfort und Energiemanagement eine weitgehende Automatisierung der eigenen Häuslichkeit erreichen. Eine anerkannte Definition von Smart Home gibt es noch nicht.

2. Welche Assistenzsysteme gibt es auf dem Markt?

Das Angebot an technischen Assistenzsystemen ist sehr vielseitig. Es gibt Systeme für die pflegerische Versorgung und Gesundheit, Sicherheit und Haushalt, Mobilität, Kommunikation und Soziales. Hier einige Beispiele:

 

  • Beispiele

Technisches Assistenzsystem

Beschreibung

Serviceroboter für die Hausreinigung

Intelligente Reinigungsgeräte können Staub wischen.

„Alles-aus-Schalter“: System zur Haushaltsunterstützung

Die Stromzufuhr zu Herd, Heizung, Beleuchtung und zu weiteren Geräten kann mit einem einzigen Schalter beendet werden.

Exoskelett für Gehbehinderte

Elektronisch gesteuerte Außenskelette ermöglichen es gelähmten Menschen, sich selbstständig zu bewegen.

Gegenstandsortung

Computergestützte Objektsuche, z.B. für Menschen mit Demenz. Das System hilft beim Auffinden von Gegenständen.

Ganzkörperwaschstation

Waschstation für Pflegebedürftige, die in einem wasserfesten Rollstuhl in das System hineingefahren werden.

Ernährungsberatung

Systeme beraten zu Kostversorgung.

 

 

Diese technischen Assistenzsysteme wurden nicht ins GKV-Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen. Aber was bedeutet das? Und was würde die Aufnahme der Produkte in dieses Verzeichnis für die Hersteller und für die Zielgruppe der Senioren bedeuten?

3. Das GKV-Hilfsmittelverzeichnis

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) hat ein Hilfsmittelverzeichnis erstellt. Dieses Verzeichnis steht auf der Homepage des Spitzenverbands www.gkv-spitzenverband.de zur Verfügung.

 

a) Hilfsmittel der Krankenversicherung

Im Hilfsmittelverzeichnis werden Hilfsmittel aufgelistet, auf die Versicherte unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V einen Anspruch gegen ihre gesetzliche Krankenkasse haben. Versicherte können also einen Anspruch auf Versorgung mit technischen Assistenzsystemen geltend machen. Dafür müssen die Systeme erforderlich sein, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder um eine Behinderung auszugleichen. Verschiedene technische Assistenzsysteme wurden als Hilfsmittel der Krankenversicherung anerkannt.

 

  • Beispiele für anerkannte technische Assistenzsysteme
  • Insulinpumpen
  • Beatmungsgeräte
  • Messgeräte zur Lungenfunktionsmessung
 

b) Pflegehilfsmittel der Pflegeversicherung

Dem Hilfsmittelverzeichnis ist aber ein weiteres Verzeichnis beigeordnet, in dem Pflegehilfsmittel aufgelistet werden. Zwischen Hilfsmitteln der Krankenversicherung und Pflegehilfsmitteln der Pflegeversicherung muss unterschieden werden.

 

Beachten Sie | Die Erstellung eines systematisch strukturierten Hilfsmittelverzeichnisses für die Krankenversicherung durch den GKV-Spitzenverband war durch § 139 Abs. 1 S. 1 SGB V vorgegeben. Beim Pflegehilfsmittelverzeichnis handelt es sich gemäß § 78 Abs. 2 S. 1 SGB XI um eine Anlage zum Hilfsmittelverzeichnis der Krankenversicherung. Auch das Pflegehilfsmittelverzeichnis wurde vom GKV-Spitzenverband erstellt, da dieser zugleich Spitzenverband der Krankenkassen und der Pflegekassen ist. Allgemein wird nur von einem Hilfsmittelverzeichnis der GKV gesprochen.

 

Eine Bewertung als Pflegehilfsmittel ist für viele technische Assistenzsysteme sachgerechter, da sie gerade das dauerhafte Leben in der eigenen Häuslichkeit ermöglichen sollen, während die Bekämpfung von Krankheiten oder der Ausgleich von Behinderungen zurückstehen. Für die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln ist nicht das Vorliegen von Krankheiten oder Behinderungen relevant, sondern die Pflegebedürftigkeit der Versicherten. Entscheidend ist dabei die Zuordnung zu einer Pflegestufe (Pflegestufe I, II oder III), und/oder ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung (sogenannte „Pflegestufe 0“). Nach § 40 Abs. 1 S. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen. Ein Pflegehilfsmittel darf nicht schon ein Hilfsmittel der Krankenversicherung sein.

4. Bedeutung des GKV-Hilfsmittelverzeichnisses

Aus Sicht der Rechtsprechung stellt das GKV-Hilfsmittelverzeichnis nur eine unverbindliche Auslegungshilfe dar (ständige Rechtsprechung BSG 24.1.13, B 3 KR 22/11 R). Die Leistung eines begehrten (Pflege-)Hilfsmittels kann demnach nicht deshalb versagt werden, weil es nicht im Hilfsmittelverzeichnis steht. Umgekehrt verpflichtet die Aufnahme ins Verzeichnis noch nicht zur Leistung an die Versicherten. Es zählt also der konkrete Einzelfall, zumindest aus der Sicht der Rechtsprechung. In der Praxis der Kranken- und Pflegeversicherungen aber kommt dem GKV-Hilfsmittelverzeichnis eine ganz erhebliche Bedeutung zu. Außerdem gilt: Wer ein nicht im GKV-Hilfsmittelverzeichnis enthaltenes (Pflege-)Hilfsmittel beantragt, trägt die Beweislast dafür, dass das Verzeichnis unvollständig ist und dadurch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entspricht.

 

Die Aufnahme eines jeden neuen Pflegehilfsmittels führt daher bei über 2,5 Mio. Pflegebedürftigen in Deutschland zu Veränderungen im Pflegesystem, die nicht zu unterschätzen sind.

5. Im GKV-Hilfsmittelverzeichnis enthalten?

Aktuell sind die technischen Assistenzsysteme im GKV-Pflegehilfsmittelverzeichnis sehr überschaubar. Es handelt sich dabei einerseits um klassische Hausnotrufsysteme und andererseits um motorisch verstellbare Pflegebetten, Rückenstützen und bestimmte Rollstühle. Anders ausgedrückt: Mit diesen wenigen Pflegehilfsmitteln im Leistungskatalog des GKV-Spitzenverbandes lässt sich der Einzug ins Pflegeheim kaum verzögern.

6. Aufnahme ins GKV-Hilfsmittelverzeichnis

Der Antrag zur Aufnahme eines Pflegehilfsmittels ins Pflegehilfsmittelverzeichnis erfolgt gemäß § 78 Abs. 4 S. 1 SGB XI in Verbindung mit § 139 Abs. 3 S. 1 SGB V auf Antrag des Herstellers. Für die Aufnahme des Pflegehilfsmittels in das Verzeichnis ist es erforderlich, dass der Hersteller die Funktionstauglichkeit und die Sicherheit, die Einhaltung gesetzlicher Qualitätsanforderungen und ggf. den medizinischen bzw. pflegerischen Nutzen seines Produktes nachweist, siehe § 78 Abs. 4 S. 1 SGB XI in Verbindung mit § 139 Abs. 4 SGB V.

7. Welche aktuellen Entwicklungen gibt es?

Das Bundesministerium für Gesundheit hat eine Studie mit dem Titel „Unterstützung Pflegebedürftiger durch technische Assistenzsysteme“ herausgegeben. Im November 2013 wurde der Abschlussbericht zu dieser Studie veröffentlicht. Der Abschlussbericht wurde im Januar 2014 auf dem 7. Deutschen AAL-Kongress in Berlin vorgestellt.

 

Die Studie befasst sich intensiv mit der möglichen Aufnahme von weiteren technischen Assistenzsystemen als Pflegehilfsmittel ins GKV-Hilfsmittelverzeichnis. Dabei wurden verschiedenste Pflegehilfsmittel auf maßgebliche Kriterien wie Funktionstauglichkeit, Sicherheit, Qualitätsanforderungen und medizinischer/pflegerischer Nutzen hin überprüft. Im Ergebnis genügten (nur) sechs technische Assistenzsysteme den Anforderungen der Autoren. Dabei handelt es sich um:

 

  • ...

Technisches Assistenzsystem

Beschreibung

Toilette mit Intimpflege

Ein Dusch-WC, das über ein System mit Dusch- und Trockenfunktion verfügt.

Intelligenter Fußboden (Sensormatte)

Eine Sensormatte, die zwischen dem normalen Begehen durch Personen und Stürzen unterscheiden kann. Bei Stürzen wird ein Alarm abgegeben. Die Verbindung mit einem bestehenden Hausnotrufsystem ist möglich.

Elektronische Medikamentenbox

Eine Medikamentenbox mit elektronischer Erinnerungsfunktion. Werden Medikamente nicht eingenommen, wird ein telemedizinisches Zentrum alarmiert.

Automatische Herdabschaltung

Ein Herd mit Zeitschalter, der sich automatisch abschalten kann.

Mobile Aufstehhilfe

Ein Katapultsitz dient als elektrische Aufstehhilfe.

Quartiersvernetzung

Eine Plattform, die Dienstleistungen und Betreuungsservices umfasst, um akute Bedürfnisse von Menschen in ihrem Wohnumfeld zu bedienen.

 

 

Diese sechs Systeme wurden zwar noch nicht ins GKV-Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen. Allerdings sind sie durch die Erkenntnisse der oben genannten Studie ihrer Aufnahme einen wichtigen Schritt näher gekommen. Entscheidend für die Aufnahme ist die Einführung eines neuen Begriffs der Pflegebedürftigkeit. Dazu müsste der bisherige Begriff der Pflegebedürftigkeit in § 14 SGB XI durch einen differenzierteren Begriff ersetzt werden, der auch am Grad der Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen orientiert ist. Damit könnten gerade auch psychische Problemlagen wie Demenz besser erfasst werden. Politische Planungen dazu bestehen bereits seit dem Jahr 2006.

 

Weiterführende Hinweise

  • Bundesministerium für Gesundheit (Herausgeber): Unterstützung Pflegebedürftiger durch technische Assistenzsysteme, Abschlussbericht zur Studie, Berlin 2013
Quelle: Ausgabe 07 / 2014 | Seite 118 | ID 42747787