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· Fachbeitrag · Schuldfähigkeit

Erstmals straffällig in hohem Alter

von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

| Der BGH hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie der Umstand zu bewerten ist, dass der wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes Angeklagte zum ersten Mal in hohem Alter straffällig geworden ist. |

 

Sachverhalt

Der Angeklagte ist wegen sexuellen Missbrauch eines Kindes verurteilt worden. Nach den Feststellungen der Strafkammer ist der zum Zeitpunkt der Taten 94-Jährige Angeklagte zuvor weder durch Sexualstraftaten noch sonst strafrechtlich in Erscheinung getreten. Hinzu kommt, dass der Angeklagte eine Vielzahl auch altersbedingter gesundheitlicher Leiden hat. So leidet er an Diabetes, Herzrhythmusstörungen, Osteochrondose und den Folgen eines Schlaganfalls; auch kann er sich aufgrund altersbedingter Mobilitätseinschränkungen nur noch mit Hilfe eines Rollators oder eines Gehstocks fortbewegen. Das LG beschreibt seinen Zustand insgesamt als „hochbetagt“.

 

Es hat den Angeklagten zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

 

Zur Frage, wann Anlass besteht, der Problematik einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit oder gar einer Schuldunfähigkeit nachzugehen (Abruf-Nr. 199257).

 

Entscheidungsgründe

Der BGH hat rechtliche Bedenken gegen den Schuldspruch. Das LG hat in seinem Urteil ohne jegliche Erörterung angenommen, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten uneingeschränkt schuldfähig gewesen. Die Möglichkeit eines Ausschlusses oder einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit i. S. d. §§ 20, 21 StGB hat es gar nicht geprüft.

 

Zwar besteht nach der Rechtsprechung nicht bei jedem Täter, der jenseits einer bestimmten Altersgrenze erstmals Sexualstraftaten begeht, Anlass, der Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit oder gar einer Schuldunfähigkeit nachzugehen (BGH NStZ 99, 297; NStZ-RR 05, 167).

 

Jedoch sind die Prüfung dieser Frage und ihre Erörterung im Urteil jedenfalls veranlasst, wenn neben der erstmaligen Sexualdelinquenz in hohem Alter weitere Besonderheiten in der Person des Täters bestehen, die geeignet sind, auf die Möglichkeit einer durch Altersabbau bedingten Enthemmtheit hinzudeuten (BGH NStZ-RR 06, 38). Dies hat der BGH aufgrund der Umstände in der Person des Angeklagten bejaht.

 

Relevanz für die Praxis

Die Entscheidung ist zutreffend. Es ist kaum nachzuvollziehen, warum das LG nicht selbst auf die Idee gekommen ist, ein Sachverständigengutachten zur Beurteilung der Frage einer erheblichen Verminderung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten einzuholen. Das muss jetzt in der neuen Hauptverhandlung durch einen Sachverständigen mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiet des Altersabbaus erstattet werden (BGH NStZ-RR 05, 167; 06, 38).

 

Und: Der BGH hat offensichtlich auch Bedenken hinsichtlich der nicht gewährten Bewährung (§ 56 StGB). Dazu teilt der Beschluss leider keine Einzelheiten mit. So kann auch nicht geprüft werden, warum das LG die Vollstreckung der Strafe als „zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten“ angesehen hat. Der BGH weist in dem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass, wenn auch das neue Tatgericht die Verhängung einer Freiheitsstrafe für erforderlich erachtet, es bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung erwägen muss, ob anstelle einer Bewährungsversagung andere geeignete Maßnahmen zur Verfügung stehen, um einer erneuten Straffälligkeit des Angeklagten entgegen zu wirken.

Quelle: Ausgabe 02 / 2018 | Seite 22 | ID 45070234