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· Fachbeitrag · Heimvertrag

Heim darf Haftung für Schäden bei Räumung nicht auf Heimbewohner abwälzen

Gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1, § 309 Nr. 7 BGB verstößt eine Vertragsklausel des Unternehmers, die ihm nach Vertragsende und fruchtloser Nachfrist die Räumung des überlassenen Wohnraums und die Einlagerung der persönlichen Sachen des Verbrauchers auf dessen Gefahr und Kosten gestattet (OLG Hamm 22.8.14, I-12 U 127/13, Abruf-Nr. 143413).

 

Sachverhalt

Der Heimvertrag der beklagten Heimbetreiberin enthält folgende Formularklausel:

 

  • Klausel Nr. 12.3 des Vertragsformulars

Findet nach Vertragsende und trotz Verstreichens einer angemessenen Nachfrist die Räumung und Abholung der persönlichen Sachen des Bewohners nicht statt, so kann das Heim die Räumung und Lagerung der persönlichen Sachen auf Gefahr und Rechnung des Bewohners oder seiner Erben veranlassen.

 

Der Kläger ist als Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen der Bundesländer seit dem 16.7.02 in die beim Bundesjustizamt geführte Liste gemäß § 4 UKlaG eingetragen. Er macht bezüglich der Vertragsklausel Nr. 12.3 ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1 UKlaG geltend, da die Regelungen einer Inhaltsüberprüfung anhand der §§ 307 ff. BGB nicht standhält.

 

Das LG hat die Klage bezüglich der Klausel Nr. 12.3 abgewiesen. Ein Verstoß gegen § 307 BGB liege nicht vor. Die Klausel stelle einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Bewohner bzw. ihrer Erben und den Heimbetreibern dar. Die Klausel regele selbst im verbraucherfeindlichsten Fall lediglich die Räumung von persönlichen Gegenständen, nicht hingegen den Auszug des Heimbewohners selbst. Bei den Gegenständen handele es sich zumeist um geringe Mengen persönlicher Dinge. Ließe man ein Einlagerungsrecht nicht zu, könnte der Heimbetreiber dringend benötigten Wohnraum nicht anderweitig belegen. Auch liege kein Verstoß gegen § 858 BGB vor, da der Besitz nicht entzogen werden solle. Der Betroffene könne jederzeit auf die Gegenstände zugreifen. Dass die Frist zur Räumung nicht genauer bestimmt werde, sei ebenso unschädlich wie der Umstand, dass die Einlagerung auf Gefahr des Heimbewohners erfolge.

Entscheidungsgründe/Praxishinweis

Auf die Berufung des Klägers hat das OLG Hamm die Beklagte verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgelds bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, nachfolgende oder mit dieser inhaltsgleichen Bestimmung in Pflegewohnverträge mit Verbrauchern einzubeziehen, sowie sich auf die Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge, geschlossen nach dem 1.4.77, zu berufen.

 

Verstoß gegen § 309 Nr. 7b BGB

Die Klausel verstößt zunächst gegen § 309 Nr. 7b BGB. Danach sind ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für Schäden, die auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen, unwirksam.

 

Durch die Klausel wird dem Heimträger das Recht eingeräumt, die Sachen des Bewohners auf dessen Gefahr einzulagern. Dem Heimbewohner bzw. seinem Rechtsnachfolger wird mit einer derartigen Regelung ohne Einschränkung die Gefahr für die Beschädigung oder den Untergang eingelagerter Gegenstände auferlegt, sodass sich der Heimträger dadurch von jeglicher Haftung - auch von grob fahrlässigem Eigenverschulden und demjenigen seiner Erfüllungsgehilfen - freizeichnet (KG NJW 98, 829, 831).

 

Das ist unzulässig. Aus der Formulierung „Gefahr“ kann nicht geschlossen werden, dass nur der zufällige Untergang bzw. die zufällige Beschädigung einer Sache, nicht aber ein Ausschluss der Haftung für Vorsatz oder Fahrlässigkeit gemeint sei. Der Begriff der Gefahr allein bietet hierfür keine Anhaltspunkte. Sofern das Gesetz im Rahmen des Gewährleistungsrechts, beispielsweise in § 447 BGB, den Begriff des Gefahrübergangs als Gefahr des zufälligen Untergangs oder des Verlusts und der zufälligen Verschlechterung meint (Palandt/Weidenkaff, BGB, 73. Aufl., § 447, Rn. 15), steht dies einer solchen Wertung nicht entgegen, da dieser Begriff der Gefahr in § 446 BGB gesondert definiert ist. An anderen Stellen, in denen das Gesetz den Begriff der Gefahr verwendet (z.B. § 300 Abs. 2 BGB), bezeichnet er lediglich das Risiko, eine vertragliche Primärleistung nicht mehr erhalten zu dürfen (Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 300, Rn. 3). Dem Begriff der Gefahr ist in diesem Zusammenhang nicht immanent, dass er nur Situationen umfasst, in denen den Schuldner oder seine Erfüllungsgehilfen kein Verschulden trifft.

 

Jedenfalls verbleiben bei der Formulierung Unklarheiten, die gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders gehen, da im Verbandsprozess stets von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen ist (BGH NJW 09, 2051).

 

Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB

Die Klausel verstößt auch gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, da sie mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Bei der Bestimmung der wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ist anzunehmen, dass die Klausel - zumindest auch - eine vollständige Räumung des Heimplatzes regelt. Die Klausel stellt ersichtlich nicht nur auf den Fall ab, dass der Heimvertrag durch den Tod des Bewohners endet, sondern auch auf eine Beendigung durch Kündigung. Anderenfalls machte der Passus, dass die Einlagerung der Sachen auf Gefahr „des Bewohners oder seiner Erben“ erfolge, keinen Sinn. Gerade für den Fall der Kündigung regelt die Klausel somit auch die Situation, in der eine Räumung durch den Bewohner „nicht stattgefunden hat“. Dies mag z.B. in Situationen der Fall sein, in denen betreuende oder bevollmächtigte Angehörige des Bewohners die Kündigung ausgesprochen haben. Die Klausel erfasst also nicht nur das Zurücklassen von Gegenständen durch den Bewohner nach der von diesem selbst durchgeführten Räumung, das als Eigentums- und Besitzaufgabe gedeutet werden könnte. Ausgehend von der obigen Bestimmung des Anwendungsbereichs der Klausel sind die Grundgedanken der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung wie folgt zu ermitteln:

 

Wesentliche Wertung des Besitzrechts ist die in § 858 BGB sanktionierte grundsätzliche Unrechtmäßigkeit der Besitzentziehung oder -störung (KG NJW 98, 829, 831). Eine Ersatzvornahme kennt das Besitzrecht ebenso wenig wie ein Selbsthilferecht zur Besitzentziehung, da der Gesetzgeber diesen Fall nicht geregelt, sondern im Gegenteil ein gesondertes Selbsthilferecht des Besitzers in § 859 BGB normiert hat. Die Versagung der Selbsthilfe gegen den Besitzer unabhängig vom Bestehen eines Anspruchs auf Besitzeinräumung und Verweisung des Berechtigten zur (Wieder-) Erlangung des Besitzes auf die Inanspruchnahme der Gerichte zeigt den Stellenwert, den das Gesetz dem Erhalt des Besitzes einräumt (MüKo/Joost, BGB, 6. Aufl., § 858, Rn. 1).

 

Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Regelungen ist es nicht zulässig, dass sich der Heimträger die Befugnis einräumen lässt, Wohnräume ohne Weiteres (wieder) in Besitz zu nehmen - und zwar auch nicht bei Setzung einer Frist zur Räumung und Abholung (Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Heimvertrag, Rn. 33).

 

Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB

Die Klausel verstößt darüber hinaus gegen § 307 Abs. 1 BGB, da sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Klausel hinsichtlich der Kostentragung nicht klar und verständlich ist. Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verpflichtet den Verwender, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners in den AGB möglichst klar, einfach und präzise darzustellen. Das Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein und verlangt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Klausel so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.

 

Aus Transparenzgesichtspunkten ist es jedoch unzulässig, dass die Klausel dem Bewohner oder seinen Erben die Kosten der Einlagerung auferlegt, ohne dass der anfallende Kostenaufwand für den Bewohner/Erben abschätzbar oder eingegrenzt ist. Eine Begrenzung auf die objektiv erforderlichen oder üblichen Kosten (§§ 304, 693 BGB, § 354 HGB) enthält die Klausel nicht. Die tatsächliche Höhe ist damit in das Belieben der Beklagten gestellt und eröffnet ungerechtfertigte Beurteilungsspielräume (zu einer hinreichend formulierten Lagerkostenklausel BGH NJW 07, 1198).

 

Weiterführender Hinweis

  • Zum Verbraucherschutz bei Verträgen in Seniorenheimen nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, Steffens, SR 14, 78
Quelle: Ausgabe 12 / 2014 | Seite 206 | ID 43101177