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· Generationengerechtigkeit?

Rentenreformer geben Gas: 2021 kommt die Grundrente ‒ bezahlt mit Steuergeldern (!)

Bild: © Jürgen Fälchle - stock.adobe.com

von Raschid Bouabba, MBA, Unternehmensberatung, Berlin und Jörg Thole, Chefredakteur, IWW Institut, Nordkirchen

| Die Bundesregierung gibt bei Rentenreformen Gas ‒ als gäbe es kein Morgen. Nach drei Reformen wird seit Jahresbeginn mit dem RV-Leistungsverbesserungs- und -stabilisierungsgesetz kräftig in die Schatulle der Steuerzahler gegriffen. Generationengerechtigkeit geht anders! Und schon kommt der nächste Ausgabenbrocken: Die Grundrente ‒ finanziert natürlich mit Steuergeldern. Doch die Prognosen haben sich gedreht: Nach 2025 sieht es sehr düster aus. Das Problem: Es fehlt an Nachhaltigkeit. |

 

  • Rentenreformen im Überblick
In Kraft
Aktuell geplant
  • Online-Rentencheck des Bundesarbeitsministeriums
 

RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz

Das neue Gesetz über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und -stabilisierungsgesetz) beschert vor allem das:

 

  • Verbesserungen bei Mütter- und Erwerbsminderungsrenten
  • Entlastungen von Geringverdienern durch verringerte Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung

 

Die Leistungsbezieher freut das. Dank der Superkonjunktur seit zehn Jahren halten Arbeitgeber und auch jüngere Beitragszahler die Füße still ‒ zumal die Regierung trickreich eine „doppelte Haltelinie“ (Idee der ehemaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles, SPD) verspricht:

 

  • 1. Sicherungsniveau vor Steuern: Das Verhältnis Rente zu Durchschnittseinkommen soll bis 2025 auf heutigem Niveau von 48 Prozent gehalten werden.
  • 2. Beitragssatz zur Rentenversicherung: Der Beitragssatz soll bis dahin nicht über 20 Prozent steigen.

Nur Steuergelder ermöglichen diese Haltelinie

Doch schon jetzt ist klar: Der Staat pulvert kräftig Geld in das System: 2018 betrug der Zuschuss schon 70 Mrd. Euro ‒ aus Steuergeldern.

 

  • Die Besserstellungen im Überblick

Besserstellung bei Erwerbsminderung: Längere Zurechnungszeiten

 

Unter Zurechnungszeit ist die Zeit gemeint, die wegen der Erwerbsminderung bis zum regulären Renteneintrittsalter hinzugerechnet werden muss. Zur Berechnung der Rentenhöhe wird dabei ein fiktives Renteneintrittsalter festgelegt. Dann wird ermittelt, wie sich die Rentenansprüche bei gleichbleibender Berufstätigkeit entwickelt hätten.

 

Diese Zurechnungszeit wurde für Rentenzugänge im Jahr 2019 auf 65 Jahre und acht Monate angehoben. Anschließend wird sie in Anlehnung an die Anhebung der Regelaltersgrenze weiter auf 67 Jahre verlängert. Bis Ende 2018 lag sie bei 62 Jahren.

Besserstellung bei Anerkennung von Kindererziehungszeiten

 

Mütter oder Väter erhalten für vor 1992 geborene Kinder ein weiteres halbes Kindererziehungsjahr angerechnet. Davon profitieren schon knapp zehn Millionen Rentner.

Besserstellung von Beschäftigten mit geringem Einkommen

 

Die bisherige „Gleitzone“ wird auf Arbeitsentgelte von 450,01 bis 1.300 Euro (bisher 850 Euro) zum „Übergangsbereich“ für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeweitet. Beschäftigte in diesem Bereich werden stärker bzw. erstmalig bei den Sozialversicherungsbeiträgen entlastet. Zudem führen die verringerten Rentenbeiträge nicht mehr zu geringeren Rentenansprüchen. Davon profitieren bis zu 3,5 Millionen Beschäftigte.

 

 

Gesetz ist nur bis 2025 abgesichert

Um die Ausgaben sicherstellen zu können, wird im Bundeshaushalt ein „Demografiefonds“ von 2021 bis 2024 mit jährlich zwei Milliarden Euro aufgebaut, der die Beitragsobergrenze auch im Fall unvorhergesehener Entwicklungen absichert. Zusätzlich wird eine Beitragssatzuntergrenze von 18,6 Prozent bis zum Jahr 2025 eingeführt, um eine bessere Beitragssatzverstetigung zu erreichen.

 

Bereits zum 01.07.2019 erfolgt die nächste Rentenerhöhung: 3,18 Prozent im Westen, 3,91 Prozent im Osten.

 

Würde der Staat nicht massiv Steuergelder für diverse Besserstellungsmaßnahmen an Berechtigte auszahlen, wäre die reale Entwicklung wesentlich fataler. Während im Jahr 2000 das Rentenniveau bei 52,9 Prozent des Bruttoverdienstes lag, waren es 2016 noch ‒ staatlich gestützt 48,1 Prozent (Haltelinie I) ‒ bis heute. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer-Jahrgänge gerät die Deutsche Rentenversicherung weiter unter Druck.

 

Die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen wird bis zum Jahr 2040 von heute 81,5 Millionen auf 76 Millionen sinken (Drücken Sie die Play-Taste in der Grafik des Statistischen Bundesamts).

 

Die Studie „Rentenperspektiven 2040“ der Prognos AG aus dem Jahr 2016 im Auftrag der Versicherungswirtschaft zeigt den Ernst der Lage. Obwohl der Beitragssatz bis 2040 auf 24 Prozent steigen müsste, würde das Rentenniveau dennoch auf unter 40 Prozent absinken. Bedingt durch die Schrumpfung der Bevölkerung wächst das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf langfristig mit knapp 1,3 Prozent pro Jahr. Dabei hat Prognos noch optimistische Annahmen getroffen (Bevölkerung: 78,9 Mio. im Jahr 2040 und BIP-Zuwachs: 1,2 Prozent jährlich).

 

  • Prognose: Wirtschaft, Demografie und Alterssicherung (in Euro)
2015
2040
2015 - 2040
(Veränderung p.a.)

Bruttoinlandsprodukt (Mrd. Euro)

2.770

3.770

1,2%

Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (Euro)

34.300

47.700

1,3%

Bevölkerung (Mio.)

81.3

78.9

-0,1%

Erwerbstätige (Mio.)

42.4

38.9

-0,3%

Erwerbslosenquote (Prozent)

5,1

3,5

Rentenbeitragssatz (Prozent)

18,7

24,0

Bruttorentenniveau (Prozent)

44,2

38,7

  

Quelle: Prognos 2016 in Rentenperspektiven 2040

 

Bild: Prognos

 

In der Studie heißt es: „Trotz einer angenommenen Steigerung der Erwerbsquoten wird die Zahl der Erwerbstätigen bis 2040 sinken (-8,0 Prozent). Noch stärker fällt der Rückgang der Personen im erwerbsfähigen Alter mit 13,7 Prozent aus. Insbesondere zwischen 2025 und 2035 beschleunigt sich der Rückgang des Arbeitskräftepotenzials durch das Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Erwerbsleben.“

 

Neue Grundrente ab 2021 geplant

Noch nicht genug der sozialen Wohltaten: Geplant ist bereits ab 2021 mit der Grundrente die Aufstockung auf 10 Prozent oberhalb des Grundsicherungsniveaus (Sozialhilfe). Strittig ist, ob dies mit oder ohne Bedürftigkeitsprüfung erfolgen soll.

 

  • Die SPD sieht einen gesetzlichen Anspruch (Rente) „ohne Bedürftigkeitsprüfung“ ‒ wie bei Arbeitslosen- oder Krankengeld.
  • Die CDU sieht darin immerhin eine Fürsorgeleistung ‒ Gewährung ist an den Nachweis der Bedürftigkeit geknüpft.

 

Beachten Sie | Grundlage der neuen Stillhalte-Taktik ist der Koalitionsvertrag. Dort ist die Einführung einer „Grundrente“ verankert (Zeilen 487 ff. und Zeilen 4264 ff.).

 

Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung (Versicherung)

Würde sich die SPD durchsetzen, wäre die Umsetzung leicht: Die Deutsche Rentenversicherung verfügt über alle Personaldaten ‒ und könnte leicht nach den Vorgaben des Rentenrechts die Fragen nach der Grundrente ermitteln (§ 36 Satz 1 Nr. 2, § 236 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) l‒ z.B. Mindestversicherungszeiten (z.Zt. 35 Jahre), Beitragszeiten für Arbeitnehmer oder pflichtversicherte Selbstständige etc., beitragsfreie Zeiten (Arbeitsunfähigkeit, Mutterschutz etc.) und Berücksichtigungszeiten (Kindererziehung, Pflege etc.).

 

Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung (Fürsorge)

Leistungen der Grundsicherung im Alter setzen das Erreichen der Regelaltersgrenze voraus (2019: 65 Jahre und acht Monate, ab 2031: 67 Jahre für Geburtsjahrgänge ab 1964 ‒ perspektivisch 67 Jahre). Würde die Grundrenten-Berechtigung nicht an das Erreichen der Regelaltersgrenze gebunden, wäre eine entsprechende Freibetragsregelung für die „Hilfe zum Lebensunterhalt“ (nach SGB XII und SGB II) erforderlich.

 

  • Niedrige gesetzliche Renten: Ursachen

Wer im Leben wenig arbeitet, ist schnell betroffen ‒ der Aufbau an Rentenpunkten ist dann mangelhaft ‒ durch

1. Fehlende Versicherungsjahre

2. Arbeitslosigkeit, Niedriglohnsektor, Teilzeitarbeit

 

Das Bundesarbeitsministerium entwickelt mit dem Bundesfinanzministerium zurzeit einen Online-Renten-Check, der die Versorgungsleistungen aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Rente erfassen und auswerten soll. Bis dahin können Sie die Online-Rechner der Deutschen Rentenversicherung oder zum Beispiel den Rentenrechner des Magazins Focus nutzen, der Ihnen pauschale (z.T. erschreckende) Prognoseergebnisse liefert.

 

Kritik: Heils Grundrente ist zu teuer und ungerecht

In einer aktuellen Stellungnahme vom 19.02.2019 lehnt der Bundesverband der Arbeitgeber (BDA) die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) entworfene Grundrente als „ungerecht und teuer“ ab.

 

Teure Zukunftslasten

Die Grundrente soll wieder vom Steuerzahler berappt werden. „Völlig unklar ist, wo die zusätzlichen Mittel angesichts der sich eintrübenden Konjunkturaussichten und der ohnehin schon wegen des demografischen Wandels zu erwartenden Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung herkommen sollen“, so der BDA.

 

Nach Angaben des Ifo-Instituts in München wird sich das Wirtschaftswachstum in Deutschland mit 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr mehr als halbieren. „Damit befindet sich die deutsche Wirtschaft im Abschwung“, heißt es in der Frühjahrsprognose 2019.

 

Auch die Deutsche Rentenversicherung Bund ist besorgt. Sie befürchtet, dass im Ergebnis dann doch wieder die Beitragszahler und damit vor allem Arbeitgeber und Beschäftigte für die zusätzlichen Rentenleistungen einstehen müssten.

 

Hinzu kommt, dass die Grundrente laut Analysen des BDA gegen grundsätzliche Regeln der Gerechtigkeitsverteilung verstößt:

 

Ungerechtigkeiten im Modell

Von der Grundrente profitieren Teilzeitbeschäftigte überproportional.

 

  • BDA-Beispiel: Ungleichbehandlung durch 35-Jahres-Grenze

A arbeitet 34 Jahre lang Vollzeit und verdient 2.000 Euro im Monat. B arbeitet 35 Jahre halbtags und verdient 1.000 Euro im Monat. A erwirbt damit einen Rentenbeitrag von 672 Euro. B, der nur etwa halb so viel gearbeitet hat, dagegen 692 Euro. Der langjährig Vollzeitbeschäftigte A hat damit fast doppelt so viel gearbeitet und sogar mehr als doppelt so hohe Beiträge gezahlt als B und bekommt dennoch weniger Rente.

 

Wechsel in Selbstständigkeit wird bestraft

Wer in die Selbstständigkeit wechselt, kann dafür im Ergebnis bestraft werden.

 

  • BDA-Beispiel: Ungleichbehandlung bei Selbständigkeit

A arbeitet 40 Jahre und verdient 40 Prozent des Durchschnittsverdiensts. B arbeitet 30 Jahre zum gleichen Stundenlohn, verdient aber wegen höherer Wochenarbeitszeit 70 Prozent des Durchschnittsverdiensts. Danach wird B in gleichem Stundenumfang selbstständig tätig.

 

Ergebnis: A und B haben beide 40 Jahre gearbeitet. B hat jedoch 75 Prozent mehr gearbeitet und 50 Prozent höhere Rentenbeiträge gezahlt. Dennoch: A würde 961 Euro Rente bekommen; B nur 673 Euro. Wie soll B das verstehen?

 

 

 
Quelle: ID 45888889