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· Betriebliche Altersversorgung

Pensionskassen in Not: BAG fordert Neuberechnung von Altersruhegeld nach Betriebsübergang

Bild: © New Africa - stock.adobe.com

von Jörg Thole, Chefredakteur, IWW Institut

| Die Säule der betrieblichen Altersversorgung bekommt Risse: Die EZB-Null-Zins-Politik hat dazu geführt, dass Pensionszusagen für viele Arbeitgeber eine erhebliche Last geworden sind. Dennoch: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) zeigt aktuell noch Härte. Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit werden hochgehalten. Denn es geht um Versorgungsrechte. Ein Prüfschema soll das sicherstellen. Danach sind „den Besitzständen der Arbeitnehmer Eingriffsgründe der Arbeitgeber in drei Stufen gegenüberzustellen“. Die Sicherheit der Pensionskassen ist damit allerdings nicht verbrieft. |

Der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht

  • Der Kläger hatte mit seinem Arbeitgeber eine betriebliche Altersversorgung nach einer Betriebsvereinbarung abgeschlossen.
  • Dann wurde das Unternehmen 1998 verkauft (verschmolzen).
  • Beim neuen Unternehmen existierten bereits geschlossene Ruhegeldordnungen (RGO I und II) sowie ein nicht geschlossenes Versorgungswerk (BV VO) in Form von Gesamtbetriebsvereinbarungen.
  • In 2000 schloss das neue Unternehmen einen Tarifvertrag, der Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung für die ehemaligen Mitarbeiter der ursprünglichen Arbeitgeberin enthielt.
  • Danach sollten die RGO I und II einmalig geöffnet und die übernommenen Arbeitnehmer in diese Versorgungsordnungen so einbezogen werden, als hätten sie ihre gesamte Betriebszugehörigkeit beim Erwerber verbracht.
  • Der Tarifvertrag ermächtigt die Betriebsparteien zur Regelung von Einzelheiten.
  • Daraufhin schlossen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung für die übernommenen Arbeitnehmer (BV Überleitung).

 

Der Kläger erhielt auf dieser Grundlage ein Altersruhegeld. Im Juni 2014 teilte die Beklagte dem Kläger ‒ wie auch einer Vielzahl anderer ehemaliger Mitarbeiter der ursprünglichen Arbeitgeberin ‒ mit, dass sein Ruhegeld fehlerhaft berechnet worden sei. Sie zahlte ab Juli 2014 das von ihr neu ermittelte niedrigere Ruhegeld.

Die Klage: Neu berechnetes Altersruhegeld zu niedrig

Der Kläger fordert mit seiner Klage ein Altersruhegeld in der bisher gezahlten Höhe. Die Ablösung der beim Veräußerer geltenden Versorgungsordnung entfalte keine Wirkung. Die Vorinstanzen (zuletzt Landesarbeitsgericht [LAG] Niedersachsen, Urteil vom 12.06.2018, Az. 3 Sa 1272/16 B) haben die Klage abgewiesen.

 

Die Revision hatte vor dem BAG jedoch Erfolg und führte zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LAG (BAG, Urteil vom 22.10.2019, Az. 3 AZR 429/18).

 

Die beim Erwerber bestehende BV VO war ungeeignet, die beim Veräußerer geltende Versorgungsordnung abzulösen. Die damit verbundenen Eingriffe hielten einer Überprüfung anhand des dreistufigen Prüfungsschemas nicht stand. Das Prüfschema wendet das Gericht bei Betriebsübergängen nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB an ‒ wenn eine bereits geltende Betriebsvereinbarung abgelöst wird.

 

Erst die später durch den Tarifvertrag geregelten Verschlechterungen waren gerechtfertigt. Die Betriebsparteien haben in der Betriebsvereinbarung-Überleitung gegenüber dem Tarifvertrag jedoch weitere Verschlechterungen vorgenommen, die vom Tarifvertrag nicht gedeckt waren. Insoweit ist die Betriebsvereinbarung-Überleitung wegen des gesetzlich vorgesehenen Tarifvorrangs teilunwirksam.

 

Die Sache wurde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht wird das dem Kläger zustehende Ruhegeld neu ermitteln.

Pensionslücken: Ruiniert die EZB das Vorsorgemodell?

Unternehmen, die Pensionskassen betreiben, befinden sich zunehmend in Not: Der betriebliche Rentenpfeiler wackelt seit Jahren gewaltig. Denn die EZB-Niedrig-Zins-Politik steht dem Vorsorgemodell entgegen.

 

  • BaFin-Fondsaufseher in Sorge

Vor einem Jahr berichtete Frank Grund, Pensionsfondsaufseher bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin): „Ohne zusätzliches Kapital von außen werden einige Pensionskassen nicht mehr ihre vollen Leistungen erbringen können.“ Schon damals hat die Bafin ein Drittel der Pensionskassen unter Beobachtung genommen.

 

Was passiert, wenn Pensionskassen zu wenig Geld haben?

Die Antwort überrascht: Sie können die Leistungen an die Betriebsrentner tatsächlich kürzen. Ob das zwangsweise dazu führt, dass der Betriebsrentner auch weniger bekommt, ist nicht sicher. Denn eigentlich müssen die Arbeitgeber dann die Differenz übernehmen.

 

Auf dem Portal „Welt“ sagt Wilhelm-Friedrich Puschinski, Experte für die Gestaltung und Finanzierung von Pensionsplänen bei dem Beratungsunternehmen Willis Towers Watson: „Sollte eine Pensionskasse nicht mehr in der Lage sein, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, für die zugesagte Leistung einzustehen.“ Dazu könne der Arbeitgeber entweder die Pensionskasse mit zusätzlichem Vermögen versehen oder die zugesagte Leistung direkt erbringen.

Verheerende Deckungslücken + Demographie-Effekte

Die Deckungsrückstellungen sind bereits verheerend: Bei den Dax-Konzernen sei die Lücke so groß wie nie zuvor. Wie die Süddeutsche Zeitung aktuell berichtete, schieben die 30 Dax-Konzerne bereits 400 Milliarden Euro an Pensionslasten vor sich her. Gleichzeitig sind nur 250 Milliarden an Vermögenswerten vorhanden. Eine Studie der Fondsgesellschaft Flossbach von Storch zeige, dass es die Unternehmen versäumt haben, in der Vergangenheit die nötigen Mittel dafür zurückzulegen.

 

Beachten Sie | Ein Pensionsfonds wird als gefährdet eingestuft, wenn der Rentnerbezieher-Anteil bei 70 Prozent liegt. Spätestens dann ist es illusorisch, dass die Beiträge der 30 Prozent aktiven Einzahler die Ausgaben noch decken. Der Kapitalmarkt wäre aktuell die einzige Rettung. Doch Pensionskassen sollen konservativ wirtschaften. Mit Minus-Zins-Bundesanleihen und auch ansonsten fehlenden Marktzinsen gelingt es nicht mehr, nennenswerte Renditen zu erwirtschaften. Wenn nun auch noch die Babyboomer in Rente gehen, wird die Schieflage noch drastischer.

 

Bei der Konzeption von Pensionskassen wurde eine EZB-Politik, die seit einem Jahrzehnt die Zinschraube herunterdreht, nicht einkalkuliert. Daraus erwächst heute ein Risiko!

 

(mit BAG-Information PM Nr. 34/19)

Quelle: ID 46218293