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· Bundesarbeitsgericht korrigiert Vorinstanz

Arbeitsplatz-Überwachung: Diebstahl-Video ist ein Beweis ‒ auch bei Datenschutzverstoß

Bild: © jayzynism - stock.adobe.com

von Jörg Thole, Chefredakteur, IWW Insitut

| Bekannt gemachte Videoüberwachungen von Arbeitsplätzen und Geschäftsräumen sind in der Regel erlaubt. Doch Juristen streiten immer wieder, ob und wann die Aufnahmen als Beweis vor Gericht ausgewertet werden dürfen. Mit einem mutigen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine vom Arbeitgeber spät entdeckte Straftat geahndet (BAG, Urteil vom 23.08.2018, Az. 2 AZR 133/18) ‒ obwohl damit gegen die Löschfrist (Datenschutz) verstoßen wurde. |

 

Lange war unter Juristen umstritten, ob Datendokumentationen gerichtlich verwertbar sind, um eine vermutete Straftat zu beweisen. In einem früheren Fall, in dem Keyloggerdaten (also Mitschnitte von Tastatureingaben) als Beweis herangezogen werden sollten, erteilte das BAG ein Verwertungsverbot (BAG, Urteil vom 27.07.2017, Az. 2 AZR 681/16). Es räumte aber ein, dass selbst bei Verstoß gegen den Datenschutz die Beweisverwertung nicht immer ausgeschlossen ist ‒ eine Abwägung der Rechtsgüter sei immer erforderlich. Im Klartext: Die Gerichte müssen sich von Fall zu Fall positionieren, welches Vergehen wie gewichtig zu bewerten ist. Eine schwammige Auslegungsdiskussion war die Folge.

Der aktuelle Fall

Im 3. Quartal 2016 hatte eine Zeitschriften- und Tabakhändlerin festgestellt, das Geld in der Kasse fehlte bzw. ein Warenschwund beim Tabak festzustellen war. Daraufhin wertete sie im August 2016 die Kameraaufzeichnungen des Ladens rückwirkend über Monate aus. Es stellte sich heraus: Eine Angestellte hat beim Tabakverkauf am 03.02. und 04.02.2016 die Einnahmen nicht in die Kasse gelegt, sondern selbst eingesteckt. Die Arbeitgeberin kündigte in Folge dieser Erkenntnis fristlos und forderte Schadenersatz für fehlenden Kassenbestand und Lohnkosten für die Sichtung und Auswertung der Daten.

 

Kündigungsschutzklage der Verkäuferin ‒ zunächst mit Erfolg!

Die Verkäuferin reagierte mit einer Kündigungsschutzklage ‒ und hatte sogar zunächst Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Hamm verwehrte es dem Arbeitgeber, sich auf die Videoaufzeichnungen zu berufen und erteilte ein Beweisverwertungsverbot. Ergebnis: Die Straftat galt als „nicht bewiesen“ ‒ und Schadensersatz gab es auch nicht (LAG Hamm, Urteil vom 20.12.2017, Az. 2 Sa 192/17).

 

Argumentation des Gerichts: Die Auswertung sei erst nach einem halben Jahr erfolgt. Damit habe der Arbeitgeber auffällig gegen die Löschfrist § 6b Abs. 5 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) verstoßen. Daraus folgte dann auch der Vorwurf des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht der Diebin. Die Zulässigkeit der Video-Aufnahme als solche wurde nicht bewertet.

 

BAG dreht den Spieß um: Die Aufnahmen sind verwertbar!

Die LAG-Entscheidung wurde aufgehoben ‒ und zurückverwiesen. Das BAG schafft mit dem Urteil neue Fakten:

  • Die Speicherung der Aufnahmen einer offenen Videoüberwachung ist grundsätzlich rechtens.
  • Die dokumentierte Straftat wird nicht abgemildert, weil bis zur Analyse einige Monate Zeit verstrichen ist.
  • Solange der Arbeitgeber der Straftat arbeitsrechtlich entgegentreten kann, darf er die Aufnahmen auch verwerten.
  • Der Arbeitgeber muss die Daten nicht sofort auswerten. Er darf warten, bis es dafür einen Anlass gibt.
  • Der späteren Verwertbarkeit steht auch die DSGVO nicht entgegen.

 

Das BAG erteilte dem LAG nun die Hausaufgabe, zu prüfen, ob die Videoüberwachung erlaubt war. Das war vom LAG wegen der zunächst ausschlaggebenden Einschätzung zur verspäteten Datenanalyse nicht bewertet worden.

Würdigung DSGVO und BDSG

Der Fall erging vor Inkraftsetzung der DSGVO (seit Mai 2018). Doch die Gesetzeslage bleibt nahezu unverändert: Der alte § 6b BDSG findet sich nun in §4 BDSG wieder. Dort ist auch die unverzügliche Löschung niedergeschrieben. Allerdings: Die Aufklärungspflichten und auch die Pflichten zur Auskunft über gespeicherte Daten haben sich mit der DSGVO erheblich verschärft. Schon heute sieht man bei öffentlichen Veranstaltungen auf Plätzen oder in Kaufhäusern regelmäßig Hinweise auf Schildern, dass dort Videoüberwachungen vorgenommen werden.

 

FAZIT | Trotz zunehmender Aufmerksamkeit für das Thema Datenschutz, können auch bei offensichtlichem Verstoß gegen BDSG / DSGVO solche Daten im Falle von Straftaten beweiskräftig sein. Unbenommen bleibt, inwieweit sich Bußgelder und Konsequenzen aus dem Datenschutzverstoß ergeben.

 

Für Sie als Arbeitgeber bleibt es eine Gewissensentscheidung, was für Ihre Unternehmung Vorrang haben soll: Datenschutz oder Diebstahlschutz. Beachten Sie vor allem, dass Sie Auskunftsersuchen nach gespeicherten Daten sowohl Ihren Mitarbeitern aber auch Ihren Kunden gegenüber stets nachkommen müssen.

 

Im Arbeitsrecht müssen Überwachungsmaßnahmen wie E-Mail-Analyse, Website-Zugriffsanalysen oder eben Videoaufzeichnungen transparent und nachvollziehbar sein. Achten Sie auf eine entsprechende Dokumentation aller Datenflüsse in den Unternehmensprozessen und beachten Sie Löschfristen (Stichwort: Datenminimierung).

 

Was bei Kamerainstallationen auf Gewerbegrundstücken noch zu beachten ist, sehen Sie in diesem Video von Christian Solmecke, Partner der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke:

 
Quelle: ID 45513395