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13.04.2018 · IWW-Abrufnummer 200656

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 09.08.2017 – 4 Sa 12/17


In dem Rechtsstreit
A., A-Straße, A-Stadt
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte/r: Rechtsanwälte B., B-Straße, M.
gegen
Firma C., C-Straße, C-Stadt
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte/r: Rechtsanwälte D., D-Straße, D-Stadt
hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz auf die mündliche Verhandlung vom 9. August 2017 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bernardi als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter Schweinhardt und die ehrenamtliche Richterin Bös als Beisitzer für Recht erkannt:

Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 24.11.2016, Az.: 3 Ca 434/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.


II. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.



Der Kläger war seit dem 01.03.2005 bei der Beklagten, die eine Systemgastronomiekette betreibt und in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, seit dem 01.03.2005 als Betriebsleiter für das Restaurant der Beklagten in Mainz beschäftigt. Als Betriebsleiter war der Kläger verantwortlich für die Umsetzung der Betriebsabläufe, die Einhaltung rechtlicher Vorgaben (z.B. Hygienevorschriften, ordnungsgemäße Anmeldung der Mitarbeiter) für das Bestellwesen, die Durchführung von Inventuren, die Erstellung von Abrechnungen, das Führen des Kassenbuches sowie für sonstige kaufmännische Angelegenheiten des Betriebs. Zudem oblag ihm die disziplinarische Verantwortung für das Personal des betreffenden Betriebs.



Mit Schreiben vom 29.02.2016, welches dem Kläger noch am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.06.2016.



Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 14.03.2016 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage.



Die Beklagte hat erstinstanzlich die Kündigung u. a. auf den Vorwurf gestützt, der Kläger habe in den monatlichen Stundenlisten für sich selbst Arbeitszeiten eingetragen, zu denen er nachweislich nicht gearbeitet habe. So habe er etwa für den 31.12.2015 / 01.01.2016 eine Arbeitszeit von 16.00 Uhr bis 7.00 Uhr morgens eingetragen, obwohl er tatsächlich nur bis 5.00 Uhr morgens gearbeitet habe.



Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 24.11.2016 (Bl. 301 - 305 d. A.).



Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.02.2016 zum 30.06.2016 aufgelöst wird, 2. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird mit Wirkung zum 30.06.2016 aufgelöst. Die Beklagte wird verurteilt, eine angemessene Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 25.000,00 € nicht unterschreiten sollte, an den Kläger zu zahlen.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen N., H., E. und K.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24.11.2016 (Bl. 285 ff d. A.) verwiesen.



Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.11.2016 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 - 11 dieses Urteils (= Bl. 306 - 310 d. A.) verwiesen.



Gegen das ihm am 05.01.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.01.2017 Berufung eingelegt und diese am Montag, dem 06.03.2017 begründet.



Der Kläger rügt in erster Linie die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts im erstinstanzlichen Urteil und macht darüber hinaus im Wesentlichen geltend, er habe zwar erstinstanzlich vorgetragen, dass er davon überzeugt sei, die von ihm abgeleisteten Arbeitszeiten korrekt erfasst zu haben, jedoch auch klargestellt, dass sowohl über den PC des Betriebes in Mainz als auch über das EDV-System der Beklagten in München Veränderungen in den Aufzeichnungen vorgenommen werden könnten. Das Arbeitsgericht habe auch nicht die Möglichkeit eines bloßen Eingabefehlers durch ihn - den Kläger - berücksichtigt. Seine handschriftlichen Aufzeichnungen, die Grundlage seiner Eintragungen in das EDV-System gewesen seien, seien im Betrieb der Beklagten verblieben. Es sei möglich, dass ihm bei der Übertragung dieser handschriftlichen Aufzeichnungen in das EDV-System ein Schreibfehler unterlaufen sei. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Beklagten durch die Eintragungen, selbst wenn diese fehlerhaft erfolgt seien, kein nennenswerter Vermögensnachteil habe entstehen können, wie sich aus dem Ausdruck der Zeiterfassung und den dort angegebenen zuschlagspflichtigen Arbeitsstunden ergebe. Eine Vergütung von Überstunden für den Monat Dezember 2015 habe er weder gefordert noch erhalten. Es sei vor diesem Hintergrund in jeder Hinsicht ungerechtfertigt, von einem "Arbeitszeitbetrug" zu sprechen. Im Hinblick auf die Geringfügigkeit seines Pflichtenverstoßes sei die Beklagte jedenfalls gehalten gewesen, ihm vor Kündigungsausspruch zunächst eine Abmahnung zu erteilen.



Letztlich sei auch die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung fehlerhaft, in deren Rahmen insbesondere zu berücksichtigen sei, dass das Arbeitsverhältnis über einen Zeitraum von elf Jahren beanstandungsfrei verlaufen sei.



Wegen aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 06.03.2017 (Bl. 336 - 343 d. A.) Bezug genommen.



Der Kläger beantragt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 24.11.2016, Az. 3 Ca 434/16 abgeändert. a) Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.02.2016 zum 30.06.2016 aufgelöst wurde, b) Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird mit Wirkung zum 30.06.2016 aufgelöst. Die Beklagte wird verurteilt, eine angemessene Abfindung, deren Höhe In das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 25.000,00 € nicht unterschreiten sollte, an den Kläger zu zahlen.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 15.05.2017 (Bl. 370 - 376 d. A.), auf die Bezug genommen wird.



Entscheidungsgründe



I.



Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.



II.



1.



Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet.



Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene ordentliche Kündigung vom 29.02.2016 zum 30.06.2016 aufgelöst worden. Die Kündigung ist aus verhaltensbedingten Gründen gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Das Berufungsgericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter 2. der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Das Berufungsvorbringen des Klägers bietet lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Klarstellungen:



a)



Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Hauptoder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile angemessen erscheint (BAG v. 03.11.2011 - 2 AZR 748/10 - AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung m. w. N.).



b)



Das Arbeitsgericht ist bei seiner Entscheidung aufgrund zutreffender Beweiswürdigung zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger in erheblicher Weise seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat, indem er in das EDV-System eingetragen hat, seine Arbeitszeit habe am Morgen des 01.01.2016 erst um 7.00 Uhr geendet, obwohl er bereits vor 5.30 Uhr und damit mindestens 1 1/2 Stunden vor dem von ihm eingetragenen Arbeitszeitende den Betrieb verlassen hat. Dies ergibt sich aus den glaubhaften und widerspruchsfreien Aussagen der Zeugen N. und K., die das Arbeitsgericht in jeder Hinsicht zutreffend gewürdigt hat. Insoweit ist den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen nichts hinzuzufügen.



Soweit der Kläger zur Begründung seiner Berufung geltend macht, es bestehe die Möglichkeit, dass ihm bei der Übertragung seiner handschriftlichen Aufzeichnungen in das EDV-System ein Schreibfehler unterlaufen sei, oder dass seine Eintragungen im EDV-System verändert worden seien, so steht dieses Vorbringen in krassem Widerspruch zu seinen erstinstanzlichen Behauptungen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 31.05.2016 (dort Seite 5 = Bl. 80 d. A.) ausdrücklich vorgetragen, er habe seine Arbeitszeit korrekt dokumentiert, da er das Lokal am Morgen des 01.01.2016 erst nach Beginn der Morgendämmerung und damit später als 7.00 Uhr verlassen habe. Diese Behauptung hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht zurückgenommen. Sein nunmehriger Sachvortrag, es liege möglicherweise ein Übertragungsfehler oder sogar eine nachträgliche Veränderung seiner Eintragung vor, erweist sich von daher weder als ausreichend substantiiert noch als auch nur ansatzweise glaubhaft.



c)



Das Fehlverhalten des Klägers ist zweifellos geeignet, den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung zu rechtfertigen.



Der Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist sogar grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an. Überträgt ein Arbeitgeber - wie vorliegend - den Nachweis der täglich bzw. monatlich geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst (Selbstaufzeichnung) und füllt der Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar (BAG v. 21.04.2005 - 2 AZR 255/04 - AP Nr. 4 zu § 91 SGB IX m. w. N.).



d)



Die Beklagte war nicht unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichtet, dem Kläger zunächst lediglich eine Abmahnung zu erteilen. Der Kläger konnte nicht mit vertretbaren Überlegungen davon ausgehen, dass die Beklagte eine Falschaufzeichnung von Arbeitszeiten hinnehmen werde. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, der Beklagten sei kein wirtschaftlicher Schaden entstanden, so kommt es hierauf nicht entscheidend an. Im Übrigen kann auch keinesfalls davon ausgegangen werden, dass der Beklagten kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Zwar hat der Kläger unstreitig für Dezember 2015 keine Überstundenvergütung gefordert und erhalten. Die vom Kläger vorgenommenen Arbeitszeitaufzeichnungen sind jedoch - ebenso unstreitig - für die Berechnung von Zuschlägen (Nachtzuschlag, Feiertagszuschlag) von Bedeutung.



e)



Auch das Ergebnis der durchzuführenden Interessenabwägung steht der Wirksamkeit der streitbefangenen ordentlichen Kündigung nicht entgegen.



Zwar spricht zu Gunsten des Klägers, dass das Arbeitsverhältnis bei Kündigungsausspruch bereits 11 Jahre bestanden hatte sowie der bei ihm derzeit festgestellte Behinderungsgrad von 20. Auf Seiten der Beklagten ist jedoch zu berücksichtigen, dass das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen in die Redlichkeit des Klägers zerstört ist. Insbesondere kann die Beklagte dem Kläger aufgrund seines Verhaltens nicht mehr bei der Dokumentation von Arbeitszeiten vertrauen. Sie braucht es nicht hinzunehmen, in Zukunft ihr Vermögen durch weitere ähnliche Pflichtverletzungen des Klägers zu gefährden. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass die Beklagte auf wahrheitsgemäße Angaben des Klägers angewiesen ist, weil sie dessen Arbeitszeiten wohl schwerlich selbst lückenlos kontrollieren kann.



2.



Infolge der Unbegründetheit der Kündigungsschutzklage war über den Auflösungsantrag des Klägers nicht mehr zu entscheiden.



Bei dem Auflösungsantrag des Arbeitnehmers handelt es sich seiner Rechtsnatur nach um einen uneigentlichen Eventualantrag. Denn er ist nur für den Fall der Begründetheit des Feststellungsantrages gestellt. Es handelt sich insoweit um eine bedingte Klagehäufung (vgl. KR-Spilger, 11. Auflage, § 9 KSchG Rz. 19 m. w. N.).



III.



Die Berufung des Klägers war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.



Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Bernardi
Schweinhardt
Bös

Verkündet am: 09.08.2017

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