Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 14.06.2011 · IWW-Abrufnummer 111877

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 28.02.2011 – 5 K 5130/08

    1. Kann der Veräußerer eines Pkws weder einen Lieferschein noch eine Empfangsbestätigung oder Versicherung der den Pkw erwerbenden belgischen Firma über die Beförderung des PKW nach Belgien vorlegen, sind die Voraussetzungen einer umsatzsteuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung nicht gegeben. Allein aus dem belgischen Unternehmenssitz des den Pkw abholenden Käufers ergibt sich kein Beweis des ersten Anscheins einer Ausfuhr nach Belgien.



    2. Dem FA und dem FG obliegen in Zusammenhang mit dem Nachweis der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung keine Ermittlungspflichten; Zeugen sind nicht zu vernehmen, denn § 17a Abs. 2 UStDV erfordert für die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung einen Belegnachweis. Dieser soll eine schnelle und unkomplizierte Überprüfung der inngermeinschaftlichen Lieferung ermöglichen.


    FG Berlin-Brandenburg v. 28.02.2011

    5 K 5130/08

    Tatbestand:
    Der Kläger veräußerte im Jahre 2001 einen zu seinem Betriebsvermögen gehörenden Pkw Range Rover an die in Belgien ansässige Firma X zu einem Kaufpreis von 41.000,00 DM. In der Rechnung vom 2.8.2001, auf die verwiesen wird (Bl. 46 der beigezogenen Akte „Berichte über Umsatzsteuer-Sonderprüfungen”), wies er keine Umsatzsteuer aus und behandelte den Verkauf auch in seiner Umsatzsteuererklärung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Dies stellte das Finanzamt A anlässlich einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung fest. Im Bericht vom 14.8.2003 führte die Prüferin aus, dass der Kläger keine Nachweise über die tatsächliche Lieferung des Fahrzeugs nach Belgien habe vorlegen können. Der Umsatz sei daher als steuerpflichtig zu behandeln. Das damals zuständig gewesene Finanzamt B folgte dem und setzte die Umsatzsteuer 2001 mit Bescheid vom 8.10.2004 geändert fest. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens änderte das inzwischen zuständig gewordene Finanzamt C den Umsatzsteuerbescheid 2001 erneut am 15.2.2007. Mit der Einspruchsentscheidung vom 23.5.2008 wies der nunmehr zuständig gewordene Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

    Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, der Umsatzsteuerbescheid 2001 sei rechtswidrig. Er, der Kläger, habe das Fahrzeug im Jahr 2001 einem Autohändler zum Zwecke des Verkaufs übergeben. Dieser habe das Fahrzeug nach Belgien verkauft und nach Abzug der Provision den Restkaufpreis an ihn, den Kläger, ausgekehrt. Die Käuferin habe das Fahrzeug selbst nach Belgien überführt, so dass er den Nachweis des Exports nicht führen könne. Die Anforderungen des Beklagten seien nicht gerechtfertigt. Der Verkauf an eine in Belgien ansässige Firma müsse als Nachweis des Exports ausreichen. Dies folge auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs – EuGH – vom 8.5.2008 (C-95/07 und C-96/07, Ecotrade, Sammlung der Entscheidungen des EuGH – Slg. – 2008, I-3457). Der Beklagte hätte durch eine Nachfrage beim Straßenverkehrsamt feststellen können, dass das Fahrzeug in Deutschland nicht mehr zugelassen worden sei. Zum Nachweis seines Vortrags beruft sich der Kläger auf ein Schreiben der Firma X vom 1.8.2001, auf das verwiesen wird (Bl. 20 der Verfahrensakte), und auf die Vernehmung eines Herrn D als Zeugen.

    Der Kläger beantragt,

    den Umsatzsteuerbescheid 2001 vom 15.2.2007 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 23.5.2008 dahingehend zu ändern, dass der Verkauf des PKW Range Rover an die Firma X als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er beruft sich darauf, dass der Kläger die Ausfuhr des PKW nicht nachgewiesen habe.

    Dem Gericht haben bei der Entscheidung neben der Gerichtsakte und der Akte zum Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (5 V 5228/08) folgende Akten des Beklagten vorgelegen: Akte mit Berichten über Umsatzsteuer-Sonderprüfungen (blattiert bis Blatt 56), Bilanzakte Bd. II (unblattiert),Umsatzsteuerakte Bd. II (blattiert bis Blatt 155).



    Entscheidungsgründe:
    Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte hat die Veräußerung des PKW zutreffend nicht als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung angesehen.

    Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz in der im Streitjahr geltenden Fassung – UStG – unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen sind gemäß § 4 Nr. 1 Buchstabe b UStG die innergmeinschaftlichen Lieferungen steuerfrei. Eine innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG unter anderem vor, wenn der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat, der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, und der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt. Diese Voraussetzungen muss der Unternehmer nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG nachweisen. Das Bundesministerium der Finanzen kann nach § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat. Derartige Regelungen enthält § 17a UStG. In den Fällen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert, soll der Unternehmer den Nachweis gemäß § 17a Abs. 2 Umsatzsteuerdurchführungsverordnung – UStDV – führen durch das Doppel der Rechnung (Nr. 1), einen handelsüblichen Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt, insbesondere einen Lieferschein (Nr. 2), eine Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten (Nr. 3) sowie in den Fällen der Beförderung des Gegenstandes durch den Abnehmer durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern (Nr. 4). Dieser von § 17a Abs. 2 UStDV vorgesehene Belegnachweis entspricht den Vorgaben des Art. 131 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 – MwStSystRL – (vormals Art. 28c Teil A der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388 EWG), der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, die Gewährung der Steuerbefreiung an Bedingungen zu knüpfen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen (so auch Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 6a Rz. 14).

    Der Kläger hat den von § 17a Abs. 2 UStDV geforderten Belegnachweis nicht erbracht, weil weder ein Lieferschein noch eine Empfangsbestätigung oder Versicherung des Abnehmers über die Beförderung des PKW in das übrige Gemeinschaftsgebiet vorliegen. Das von dem Kläger vorgelegte Schreiben der Firma X vom 1.8.2001 ist insoweit unergiebig. Hieraus ergibt sich nicht, dass das Fahrzeug tatsächlich nach Belgien ausgeführt worden ist.

    Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs – EuGH – vom 8.5.2008 (C-95/07 und C-96/07, Ecotrade, Sammlung der Entscheidungen des EuGH – Slg. – 2008, I-3457). Der EuGH hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten zwar die Förmlichkeiten für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts im Fall des Reverse-Charge-Verfahrens vorschreiben könnten, der Steuerpflichtige durch die Nichtbefolgung dieser Förmlichkeiten sein Recht auf Vorsteuerabzug aber wegen des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer dann nicht verlieren dürfe, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt seien. Verfüge die Steuerverwaltung über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich seien, dass der Steuerpflichtige als Empfänger der fraglichen Dienstleistung die Mehrwertsteuer schulde, so dürfe sie hinsichtlich seines Rechts auf Abzug dieser Steuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts vereiteln könnten (EuGH am angegebenen Ort – aaO – Rz. 62 ff.). Bereits mit Urteil vom 27.9.2007 (C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861, Rz. 29 ff.) hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Maßnahme, die das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne die materiellen Anforderungen zu berücksichtigen und insbesondere ohne in Betracht zu ziehen, ob diese erfüllt sind, über das hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen.

    Dies führt im vorliegenden Fall nicht zu einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung des PKW. Denn es steht gerade nicht fest, dass die materiellen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind; die Steuerverwaltung – und auch das Gericht – verfügt insoweit nicht über die erforderlichen materiellen Angaben. Für die Ausfuhr nach Belgien ergibt sich insbesondere kein Beweis des ersten Anscheins aus dem Umstand, dass die Käuferin in Belgien ansässig war. Die Käuferin hätte das Fahrzeug nämlich gleichwohl in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar weiterveräußern können, was – wie das Gericht aus zahlreichen anderen Verfahren weiß – nicht selten vorkommt. In diesem Fall läge keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vor. Der Beklagte war auch nicht verpflichtet, festzustellen, ob das Fahrzeug in der Bundesrepublik Deutschland erneut zugelassen worden ist. Selbst wenn das Fahrzeug in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr zugelassen worden ist, so belegt dies nicht, dass das Fahrzeug nach Belgien ausgeführt worden ist. Denn das Fahrzeug wäre auch dann nicht mehr im Inland zugelassen worden, wenn die Firma X dieses unmittelbar nach dem Ankauf von dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland an einen Erwerber verkauft hätte und dieser Erwerber das Fahrzeug dann zB in ein Drittland ausgeführt hätte. Aus diesem Grunde wäre es zum Beleg der innergemeinschaftlichen Lieferung auf den konkreten Belegnachweis durch den Kläger angekommen, und zwar so, wie § 17a Abs. 2 UStDV ihn vorschreibt.

    Das Gericht war nicht gehalten, den von dem Kläger benannten Herrn D als Zeugen zu vernehmen. Abgesehen davon, dass der Kläger weder den Vornamen noch die ladungsfähige Anschrift des Herrn D mitgeteilt hat, erfordert § 17a Abs. 2 UStDV für die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung einen Belegnachweis. Dieser soll eine schnelle und unkomplizierte Überprüfung der inngermeinschaftlichen Lieferung ermöglichen (Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 6a Rz. 61). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Der Bundesfinanzhof hat zwar bereits mehrfach entschieden, dass die Steuerbefreiung des § 6a Abs. 1 UStG auch dann zu gewähren ist, wenn der Unternehmer zwar die erforderlichen Nachweise nicht entsprechend §§ 17a, 17c UStDV erbringt, aufgrund der objektiven Beweislage aber feststeht, dass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit vorliegen (s. zB BFH, Urteil vom 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl 2009 II S. 57; Urteil vom 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511). Das bedeutet aber nicht, dass die Finanzverwaltung und die Finanzgerichte nun eigene Ermittlungen anstellen und – wie im vorliegenden Fall – Zeugen vernehmen müssen (vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 6a Rz. 54: keine Ermittlungspflicht von Finanzamt und Finanzgericht). Denn dies liefe sowohl dem von § 17a Abs. 2 UStDV geforderten Belegnachweis als auch dem Zweck, eine schnelle und unkomplizierte Überprüfung der inngermeinschaftlichen Lieferung zu gewährleisten, zuwider (s. auch Finanzgericht – FG – Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.8.2010 – 6 K 1130/09, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2011, 275, Rz. 22: mündliche Versicherung reicht nicht aus). Das bedeutet, dass bei Verletzung der von §§ 17a, 17c UStDV vorgesehenen Nachweispflichten die Steuerfreiheit nur dann zu gewähren ist, wenn ohne weitere Ermittlungen feststeht, dass die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen für die Steuerfreiheit vorliegen. Dies meint der vom Bundesfinanzhof verwendete Begriff „objektive Beweislage”. Das steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der – wie oben ausgeführt – ebenfalls darauf abstellt, ob die Finanzverwaltung über die erforderlichen Angaben, die zur Steuerfreiheit führen, „verfügt” ( EuGH vom 8.5.2008 – C-95/07 und C-96/07, Ecotrade, Sammlung der Entscheidungen des EuGH – Slg. – 2008, I-3457, Rz. 62 ff. und Urteil vom 27.9.2007 – C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861, Rz. 29 ff.). Ermittlungen hat die Finanzverwaltung danach nicht anzustellen. Für die Finanzgerichte kann nichts anderes gelten.

    Das Gericht ist nach den ihm bekannten Tatsachen nicht davon überzeugt, dass das Fahrzeug nach Belgien ausgeführt worden ist. Insoweit kann auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden. Da keine Ermittlungspflicht besteht, kommt es nicht darauf an, ob die Vernehmung des Herrn D zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –.

    RechtsgebieteUStG 1999, UStDVVorschriftenUStG 1999 § 6a Abs. 3 UStG 1999 § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG 1999 § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStDV 1999 § 17a Abs. 2