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  • 04.02.2022 · IWW-Abrufnummer 227332

    Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 21.12.2021 – 7 U 31/21

    1. Eine Regelung in AGB eines Autovermieters, die eine vertraglich vereinbarte Haftungsreduzierung zu Gunsten des Mieters und des berechtigten Fahrers für den Fall grober Fahrlässigkeit vollständig ausschließt, ist wegen Abweichung vom Leitbild des § 81 Abs. 2 VVG für die Vollkaskoversicherung un-wirksam (im Anschluss an BGH Urt. v. 15.7.2014 – VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 8; BGH Urt. v. 11.10.2011 – VI ZR 46/10, BGHZ 191, 150 Rn. 9-13).

    2. An die Stelle der vertraglichen Regelung tritt gemäß § 306 Abs. 2 BGB die gesetzliche Regelung des § 81 Abs. 2 VVG, auch wenn (mittlerweile) eine große Vielzahl von Vollkaskoversicherungsverträgen den Verzicht auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 81 Abs. 2 VVG vorsehen (im Anschluss an BGH Urt. v. 15.7.2014 – VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 13 f.).

    3. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 81 Abs. 2 VVG kann nicht pauschal bei Nichtbeachtung der notwendigen Durchfahrtshöhe von Mietfahrzeugen durch den Mieter oder den berechtigten Fahrer verneint werden, sondern ist einzelfallbezogen – wie hier – zu bejahen oder zu verneinen.

    4. Bei der Quotenbildung nach § 81 Abs. 2 VVG kann es zwar zu einem 100 %igen Ausschluss des Versicherungsschutzes (im Anschluss an BGH Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10, BGHZ 190, 120 Rn. 20-33; BGH Urt. v. 11.1.2012 – IV ZR 251/10, r+s 2012, 166 Ls. 1 und Rn. 9 f.) oder umgekehrt zum vollständigen Fortbestand des Versicherungsschutzes kommen, beides kommt indes nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls in Betracht (hier verneint).

    5. Sowohl bei unmittelbarer wie auch – wie hier – lückenfüllender Anwendung des § 81 Abs. 2 VVG (wie auch im Rahmen des § 28 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 VVG) ist von der zu entschädigenden Summe zunächst die Selbstbeteiligung in Abzug zu bringen und erst anschließend die Quotelung vorzunehmen.


    Rechtskraft:
    rechtskräftig
     
    Tenor:

    Auf die Berufung des Beklagten zu 2 wird das am 29.04.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Essen, Az. 2 O 96/19, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    Der Beklagte zu 2 wird verurteilt, an die Klägerin 4.541,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.04.2019 zu zahlen.

    Im Übrigen bleibt die Klage gegen den Beklagten zu 2 abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

    Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz tragen die Klägerin zu 45 % und der Beklagten zu 2 zu 55 %.

    Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
     
    1

    G r ü n d e
    2

    (abgekürzt gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)
    3

    I.
    4

    Die Berufung ist teilweise begründet.
    5

    1.              Die Klägerin, eine gewerbliche Kfz-Vermieterin, hat gegen den Beklagten zu 2 (Geschäftsführer der Mieterin) als Fahrer des gemieteten Transporters einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB in ausgeurteilter Höhe.
    6

    a)              Der Beklagte zu 2 hat den im Eigentum der Klägerin stehenden, angemieteten Transporter mit einer notwendigen Durchfahrthöhe von 3,20 m widerrechtlich beschädigt, in dem er diesen gegen die Überdachung eines Fußgängerüberweges auf dem Parkplatz eines Einkaufmarktes mit einer Durchfahrthöhe von nur 2,50 m fuhr.
    7

    b)              Diese Beschädigung hat der Beklagte zu 2 grob fahrlässig herbeigeführt.
    8

    aa)              Abweichend von § 823 Abs. 1 BGB hat der Beklagte zu 2 im vorliegenden Fall entsprechend § 81 VVG nur für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit einzustehen, da die Klägerin als Vermieterin den Beklagten zu 2 als Fahrer des Mietfahrzeugs nach Art der Vollkaskoversicherung von der gesetzlichen Haftung freizustellen hat.
    9

    (1)               Zwar ist von den folgend wiedergegebenen Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin diejenige der Ziff. 10 Satz 1 des Mietvertrages (Anl. K1, GA I-14) wegen Abweichung von den Grundsätzen der Vollkaskoversicherung, konkret vom Leitbild des § 81 VVG, der bei grober Fahrlässigkeit in Absatz 2 nicht per se ein vollständiges Entfallen der Leistungspflicht vorsieht, gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (vgl. nur BGH Urt. v. 15.7.2014 ‒ VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 8; BGH Urt. v. 11.10.2011 ‒ VI ZR 46/10, BGHZ 191, 150 Rn. 9-13):
    10

    „9. Haftungsreduzierung
    11

    Der Mieter kann ‒ vorbehaltlich Ziff. 10 ‒ seine Haftung für Fahrzeugschäden oder Fahrzeugverlust nach Ziff. 8 gegen Zahlung einer Zusatzgebühr auf eine bestimmte Selbstbeteiligung [scil. hier auf 1.100,00 EUR] reduzieren. [...]
    12

    10.  Geltung / Wegfall der Haftungsreduzierung
    13

    Die Haftungsreduzierung nach Ziff. 9 gilt nicht für vom Mieter / Fahrer vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Schäden. [...]“
    14

    (2)              Jedoch tritt gemäß § 306 Abs. 2 BGB an Stelle der vertraglichen Regelung die gesetzliche Regelung des § 81 VVG (vgl. nur BGH Urt. v. 15.7.2014 ‒ VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 9-10; BGH Urt. v. 11.10.2011 ‒ VI ZR 46/10, BGHZ 191, 150 Rn. 15-20).
    15

    So wie der Versicherer gemäß § 81 Abs. 2 VVG berechtigt ist, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen, wenn dieser den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt, richtet sich damit auch das Maß der Haftung des Mieters und des berechtigten Fahrers eines von einem gewerblichen Vermieter angemieteten Kraftfahrzeugs im Falle grob fahrlässiger Schadensverursachung nach der Schwere des Fahrlässigkeitsvorwurfs (BGH Urt. v. 15.7.2014 ‒ VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 11).
    16

    Dies gilt auch weiterhin, obwohl eine große Vielzahl von Vollkaskoversicherungsverträgen den Verzicht auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 81 Abs. 2 VVG vorsehen, um im Hinblick auf § 103 VVG einen Gleichlauf zwischen Haftpflicht- und Kaskoversicherung herzustellen. Denn die Lückenschließung erfolgt nach § 306 Abs. 2 VVG, soweit ‒ wie hier ‒ vorhandenen, allein anhand der gesetzlichen Vorschriften, die einen angemessenen Interessenausgleich vorsehen (vgl. nur BGH Urt. v. 15.7.2014 ‒ VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 13 f.).
    17

    bb)               Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv und subjektiv schweren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt hierbei für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einhergeht. Vielmehr erscheint ein solcher Vorwurf nur dann als gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv „schlechthin unentschuldbare“ Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet. Hiernach ist es in aller Regel erforderlich, nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtwidrigkeit, sondern auch zur subjektiven (personalen) Seite konkrete Feststellungen zu treffen (vgl. nur BGH Urt. v. 10.5.2011 ‒ VI ZR 196/10, r+s 2011, 290 Rn. 10, 6; BGH Urt. v. 21.7.2020 ‒ VI ZR 369/19, VersR 2020, 1476 Rn. 8).
    18

    Das Vorliegen grober Fahrlässigkeit ist eine Frage des Einzelfalls. Sie kann nicht pauschal bei Nichtbeachtung der notwendigen Durchfahrtshöhe von Mietfahrzeugen durch den Mieter oder den berechtigten Fahrer verneint werden (vgl. entsprechend OLG Düsseldorf Beschl. v. 17.9.2012 ‒ 24 U 54/12, r+s 2012, 586 = juris Rn. 11 f.; LG Köln Urt. v. 11.4.2012 ‒ 26 O 174/10, r+s 2012, 586 = juris Rn. 26 f.).
    19

    Soweit dies in älterer, von dem Beklagten zu 2 in Bezug genommener Rechtsprechung den Anschein macht (vgl. OLG Köln Urt. v. 13.1.1982 ‒ 2 U 77/81, VersR 1982, 1151; OLG München Urt. v. 16.6.1999 ‒ 15 U 5773/98, DAR 1999, 506; siehe darüber hinaus auch OLG Celle Urt. v. 17.11.1983 ‒ 5 U 36/83, DAR 1984, 123; OLG Rostock Urt. v. 2.6.2003 ‒ 3 U 166/02, VersR 2004, 475; anders jedoch schon OLG Oldenburg Beschl. v. 27.1.2006 ‒ 3 U 107/05, VersR 2006, 920; OLG Karlsruhe Urt. v. 11.3.2004 ‒ 3 U 38/03, DAR 2004, 394), dürfte dies noch auf dem vor Inkrafttreten des neuen VVG geltenden Alles-oder-Nichts-Prinzips (§ 61 VVG a. F.) beruht haben, so dass diese Rechtsprechung allein deshalb schon nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar ist.
    20

    cc)              Gemessen daran handelte der Beklagte zu 2 im vorliegenden Einzelfall grob fahrlässig (vgl. zu einem nahezu identischen Einzelfall OLG Düsseldorf Beschl. v. 17.9.2012 ‒ 24 U 54/12, r+s 2012, 586 = juris Rn. 11 ff.).
    21

    (1)              Das Fahrverhalten des Beklagten zu 2 war objektiv grob sorgfaltswidrig, indem er mit dem streitgegenständlichen, deutlich Pkw-Maße überschreitenden Fahrzeug den nur für „normalen“ Pkw-Verkehr bestimmten Parkplatz befuhr, ohne auf nur für gewöhnliche Pkw gefahrlos passierbare „Hindernisse“ zu achten.
    22

    Der Beklagte zu 2 holte den Transporter persönlich bei der Klägerin ab und nahm dabei den größeren, bis zu 3,20 m Höhe erreichenden Aufbau hinter dem Führerhaus unstreitig wahr (vgl. Protokoll vom 13.08.2019 Seite 1, GA 70 „nicht mehr daran gedacht“). Zudem wurde er im Führerhaus durch einen gesonderten Aufkleber in der linken oberen Hälfte der Windschutzscheibe (Anl. K5, GA I-26) auf die Maße des Transporters hingewiesen, den jeder Fahrer dieses Fahrzeug beim (ersten) Fahren trotz seiner Transparenz zwangsläufig zur Kenntnis nehmen und im Folgenden beachten musste. Weiter nahm der Beklagte zu 2 entgegen seinem Berufungsvorbringen ausweislich der zur Akte gereichten Lichtbilder (Anl. zum Schadensgutachten vom 15.01.2019 Anl. K6, GA I-40) nicht in Sitzhöhe eines üblichen Pkw, wenn auch nicht schon in der Sitzhöhe eines üblichen Lkw Platz. Er war daher gehalten, im besonderen Maße auf die Höhe des Transporters zu achten. Stattdessen fuhr er nur eine kurze Strecke Richtung des ihm bestens bekannten Parkplatzes des Einkaufmarktes mit einer zweispurigen Zufahrt, an dessen Beginn eine der Spuren ‒ wenn auch nur einmalig ‒ ausdrücklich mit dem Begriff „Lkw“ beschriftet war (Anl. K4, GA I-25). Dies forderte objektiv betrachtet, auch wenn es sich bei dem Transporter technisch nicht um einen Lkw handeln mag, aufgrund der vorbeschriebenen Umstände eine ganz besondere Aufmerksamkeit heraus. Diese wurde zusätzlich dadurch gesteigert, dass der Beklagte zu 2 nach dem Nichtnutzen der Lkw-Spur in die eigentlichen Parkplatzfläche einfuhr, die mit privaten Schildern des Marktbetreibers mit der Aufschrift „Der komplette Parkplatz ist für LKW´s gesperrt“ und dem Abbild von Zeichen 253 Anlage 2 zu StVO versehen war (Anl. K4, GA I-24). Darüber hinaus kam der Beklagte zu 2 zunächst unmittelbar vor der später beschädigten Überdachung eines Fußgängerüberweges zum Stehen, an deren hinterem Stützpfeiler das Zeichen 265 Anlage 2 zu StVO mit der Aufschrift 2,5 m angebracht war (Anl. K4, GA I-24), ließ Fußgänger passieren und fuhr dann ‒ die Gefahr unmittelbar vor Augen ‒ grob sorglos an und in die Überdachung hinein.
    23

    (2)              Das Fahrverhalten des Beklagten zu 2 war auch subjektiv grob sorgfaltswidrig. Die objektiven Umstände indizieren hier seine subjektive Sorgfaltswidrigkeit.
    24

    (a)              Der Beklagte zu 2 kann sich dabei aufgrund der aufgezeigten wiederholenden Hinweise insbesondere nicht damit entlasten, er habe auf einer Strecke, die er routinemäßig befährt, die Höhe des Fahrzeugs vergessen.
    25

    Gerade weil er angesichts der bekannten Örtlichkeit in Routine zu verfallen drohte, war er angesichts des ungewohnt „großen“ Fahrzeugs zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet. Dass der Beklagte zu 2 „schlicht wie immer“ gefahren sein will, kann ihn daher nicht entlasten, sondern belastet ihn. Er konnte und durfte nicht „vergessen“, mit einem anderen, deutlich Pkw-Maße sprengenden Fahrzeug unterwegs zu sein. Soweit er diesem Umstand sorglos keine Rechnung trug, ist dies subjektiv schlechthin unentschuldbar.
    26

    (b)              Der Vorwurf der subjektiven Sorgfaltspflichtverletzung entfällt auch nicht ‒ nun vor allem das Wiederanfahren nach dem Halten vor der Überdachung betrachtend ‒ unter dem Gesichtspunkt eines sogenannten Augenblickversagens.
    27

    (aa)              Der Ausdruck Augenblickversagen beschreibt den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dieser Umstand allein reicht jedoch nicht aus, um grobe Fahrlässigkeit zu verneinen. Vielmehr müssen weitere subjektive Umstände hinzukommen, die es im konkreten Einzelfall gerechtfertigt erscheinen lassen, unter Abwägung aller Umstände den Schuldvorwurf geringer als grob fahrlässig zu bewerten (vgl. BGH Urt. v. 10.5.2011 ‒ VI ZR 196/10, r+s 2011, 290 Rn. 12 f. m. w. N.; BGH Urt. v. 8.7.1992 ‒ IV ZR 223/91, r+s 1992, 292 = juris Rn. 11 ff.; OLG Hamm Beschl. v. 15.1.2016 ‒ 20 U 219/15, r+s 2016, 186 = juris Rn. 29; Armbrüster in Prölss/Martin, § 81 Rn. 40; Veith in Veith/Gräfe/Gebert, § 1 Rn. 293 ff., 415).
    28

    Dies kann insbesondere bei reinen Routinehandlungen der Fall sein, bei denen schlicht ein Handgriff vergessen wird (vgl. BGH Urt. v. 8.2.1989 ‒ IVa ZR 57/88, r+s 1989, 209 = juris Rn. 18; BGH Urt. v. 14.7.1986 ‒ IVa ZR 22/85, r+s 1987, 63 = juris Rn. 13;  Armbrüster in Prölss/Martin, § 81 Rn. 46 m. w. N.; siehe als Negativbeispiel das einmalige Ablegen von Gegenständen auf einem Saunaofen OLG Hamm Beschl. v. 15.1.2016 ‒ 20 U 219/15, r+s 2016, 186 = juris Rn. 30).
    29

    Von einem Augenblicksversagen kann auch vor dem Hintergrund einer momentanen Ablenkung ausgegangen werden (vgl. BGH Urt. v. 10.05.2011 ‒ VI ZR 196/10, r+s 2011, 290 Rn. 12 ff.; OLG Hamm Beschl. v. 15.1.2016 ‒ 20 U 219/15 r+s 2016, 186 = juris Rn. 31; Armbrüster in Prölss/Martin, § 81 Rn. 44 m. w. N.).
    30

    (bb)              Vorliegend unternahm der Beklagte zu 2 mit der Fahrt in dem ihm fremden Fahrzeug gerade keine Routinehandlung. Vor allem aber lag auch keine momentane Ablenkung durch die Fußgänger unter der Überdachung vor, die er hatte passieren lassen. Denn die Überdachung war ‒ auch wenn der Beklagte zu 2 nach eigenen Angaben nur 20 cm von ihr gehalten hatte (Protokoll vom 13.08.2019 Seite 2, GA I-71) ‒ derart klar ersichtlich, dass er sie nicht ausblenden durfte; genau genommen wurde das am hinterem Stützpfeiler angebrachte Zeichen 265 Anlage 2 zu StVO mit der Aufschrift 2,5 m (Anl. K4, GA I-24) erstmals ganz klar ersichtlich. Hinzu kommt, dass er ja unmittelbar zuvor auf die Überdachung zugefahren ist und schon zu diesem Zeitpunkt hätte realisieren müssen, dass er mit dem Transporter unter der Überdachung nicht durchfahren konnte. Er war mithin nicht nur augenblicklich abgelenkt, sondern in einem nicht hinnehmbaren Maße sorglos.
    31

    c)              Haftungsausfüllend kausal ist der Klägerin entsprechend den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts anhand des Gerichtsgutachtens, an denen auch sonst keine Zweifel bestehen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), ein Schaden im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB in Höhe von 7.982,06 EUR entstanden.
    32

    d)              Diesem Anspruch auf Schadensersatz kann der Beklagte zu 2 jedoch den gegenläufigen Anspruch auf Haftungsfreistellung aus Ziff. 9 des Mietvertrages, der trotz der Unwirksamkeit der Ziff.10 des Mietvertrages fortbesteht, entgegensetzen. Dieser besteht indes nach Abzug der Selbstbeteiligung nur in Höhe von 50 %.
    33

    aa)              Entgegen der Wertung des erstinstanzlich erkennenden Richters führt die zuvor festgestellte grobe Fahrlässigkeit nicht zum vollständigen Entfallen der vertraglich vorgesehenen Haftungsfreistellung und damit zur vollständigen Haftung des Beklagten zu 2. Vielmehr ist die Schwere des groben Verschuldens des Beklagten zu 2 im Sinne von § 81 Abs. 2 VVG nur im mittleren Bereich anzusiedeln und vorliegend mit 50 % zu bemessen.
    34

    (1)              Eine pauschale 100 %ige Haftung im Falle grober Fahrlässigkeit entspricht nicht dem Leitbild des § 81 Abs. 2 VVG (vgl. BGH Urt. v. 15.07.2014 ‒ VI ZR 452/13, r+s 2014, 1135 Rn. 12 a. E.), wonach eine Kürzung im Einzelfall nach der Schwere des Verschuldens im konkreten Einzelfall zu erfolgen hat (vgl. BGH Urt. v. 15.07.2014 ‒ VI ZR 452/13, r+s 2014, 1135 Rn. 17), wenn auch es in Ausnahmefällen durchaus zu einer 100 %igen Haftung (vgl. BGH Urt. v. 22.6.2011 ‒ IV ZR 225/10, BGHZ 190, 120 Rn. 20-33; BGH Urt. v. 11.1.2012 ‒ IV ZR 251/10, r+s 2012, 166 Ls. 1 und Rn. 9 f.) und umgekehrt zu gar keiner Haftung kommen kann (vgl. Felsch in HK-VVG, Rüffer/Halbach/Schimikowski, § 28 Rn. 175; Stadler in MüKo-StrVR, § 28 VVG Rn. 61 a. E.; Marlow in BeckOK-VVG, § 28 Rn. 141; Jungermann in BeckOK Straßenverkehrsrecht, Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, 13. Edition Stand: 15.10.2021, § 28 Rn. 362; a. A. Armbrüster in Prölss/Martin, § 28 Rn. 236).
    35

    (2)              Entscheidend ist bei der Quotenbildung eine Gesamtbetrachtung sämtlicher objektiven und subjektiven Umstände des konkreten Einzelfalls, wobei die Begründungsanforderungen an die Quotenbildung nicht überspannt werden dürfen (Felsch, r+s 2015, 76, 76 f.).
    36

    Insoweit sind die bereits aufgezeigten objektiven und subjektiven Umstände erneut einer Gesamtwürdigung zu unterziehen. In subjektiver Hinsicht darf im vorliegenden Einzelfall dabei jedoch trotz der objektiven Schwere des Fehlverhaltens des Beklagten zu 2 nicht aus den Augen verloren werden, dass der Beklagte zu 2 den vorliegenden Schaden ganz ersichtlich nicht herbeiführen wollte oder billigte, er sich also nicht einmal in der Nähe von bedingtem Vorsatz (und damit § 81 Abs. 1 VVG) bewegte. Umgekehrt bewegte er sich aber aus den genannten Gründen auch nicht in der Nähe zum Augenblicksversagen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Felsch in HK-VVG, Rüffer/Halbach/Schimikowski, § 28 Rn. 197 f.; Heß, r+s 2013, 1, 3; Stadler in MüKo-StrVR, § 28 Rn. 55; Nugel in FAKomm VersR, § 28 Rn. 126 ff.; Veith in Veith/Gräfe/Gebert, § 1 Rn. 292 ff., 415; Jungermann in BeckOK Straßenverkehrsrecht, Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, 13. Edition Stand: 15.10.2021, § 28 Rn. 369.1; kritisch Marlow in Hdb-VersR, § 13 Rn. 114).
    37

    Diese Gesamtwürdigung führt vorliegend zu der Quote von 50 %.
    38

    bb)              Danach hat der Beklagte zu 2 gegen die Klägerin einen Anspruch auf Haftungsfreistellung in Höhe von 50 %. Dieser Anspruch auf Haftungsfreistellung bezieht sich jedoch auf die vertraglich vereinbarte „Leistung“ (§ 81 Abs. 2 VVG), also die vom Vermieter zu gewährende Haftungsfreistellung nach Abzug der hier vereinbarten Selbstbeteiligung von 1.100,00 EUR.
    39

    aa)              Versicherungsvertragsrechtlich entspricht es insoweit der herrschenden Literaturmeinung, dass von der zu entschädigenden Summe zunächst die Selbstbeteiligung in Abzug zu bringen und erst anschließend die Quotelung vorzunehmen ist, da „Leistung“ im Sinne des § 81 Abs. 2 VVG (wie auch des § 28 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 VVG) die vertraglich geschuldete Leistung meint, die sich unter Berücksichtigung der Selbstbeteiligung bestimmt (vgl. nur zu § 81 Abs. 2 VVG Rixecker in BeckOK Straßenverkehrsrecht, Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, 13. Edition Stand: 15.10.2021, § 81 Rn. 75; Klimke in BeckOK VVG, Marlow/Spuhl, 12. Edition Stand: 09.08.2021, § 81 Rn. 83 f.; Scheller VersR 2011, 856; zu § 28 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 VVG Jungermann in BeckOK Straßenverkehrsrecht, Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, 13. Edition Stand: 15.10.2021, § 28 Rn. 373; a. A. aber angelehnt an eine Bedingungs- statt der hier maßgeblichen Gesetzesauslegung Günther in FD-VersR 2010, 303577; Nugel, jurisPR-VerkR 7/2012, Anm. 3; Nugel in FAKomm VersR, § 28 Rn. 106-115).
    40

    Zum selben Ergebnis kommt die ganz herrschende Rechtsprechung (vgl. OLG Saarbrücken Urt. v. 30.10.2014 ‒ 4 U 165/13, r+s 2015, 340 = juris Rn. 103; LG Aachen, Urt. v. 14.07.2011, 2 S 61/11, SP 2011, 375 = juris Rn. 18 m. w. N.; siehe auch, ohne dies zu thematisieren OLG Saarbrücken Urt. v. 1.12.2010 ‒ 5 U 395/09, r+s 2013, 169 = juris Rn. 71; OLG Naumburg, Urt. v. 3.12.2009 ‒ 4 U 133/08, BeckRS 2010, 19857 unter II.4; anders, ohne dies zu thematisieren LG Erfurt Urt. v. 8.6.2010 ‒ 8 O 1204/09, VersR 2011, 335 = juris Rn. 30; AG Duisburg Urt. v. 24.2.2010 ‒ 50 C 2567/09, BeckRS 2010, 10925).
    41

    Da hier eine Haftungsfreistellung nach Art der Vollkaskoversicherung und eine lückenfüllende Anwendung des § 81 Abs. 2 VVG in Rede steht, ist diese ganz herrschende Meinung auf den vorliegenden Fall zu übertragen (vgl. so zuletzt ausdrücklich Jaeger, r+s 2021, 128, 130 f.).
    42

    Dem steht nicht entgegen, dass es eine abweichende tatsächliche Handhabung anderer Gerichte zu geben scheint, da sich diese gar nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt haben (vgl. etwa OLG Frankfurt Urt. v. 12.2.2020 ‒ 2 U 43/19, zfs 2020, 271 = juris Rn. 22 f.; OLG Düsseldorf Beschl. v. 17.9.2012 ‒ 24 U 54/12, r+s 2012, 586 = juris Rn. 17-28, wo es zudem so scheint, als sei der Schadensbetrag schlicht gequotelt und die Selbstbeteiligung nicht nur als selbstständiger Zahlbetrag außer Betracht gelassen, sondern zu Gunsten des Mieters als bereits gezahlt abgezogen worden; ebenso die Selbstbeteiligung außer Betracht lassend: LG Köln Urt. v. 11.4.2012 ‒ 26 O 174/10, r+s 2012, 586 = juris Rn. 6, 33 f.).
    43

    bb)              Vor diesem Hintergrund ist der Anspruch der Klägerin wie folgt zu berechnen:
    44

    Der Schaden beläuft auf 7.982,06 EUR.
    45

    Der gegenläufige Anspruch auf Haftungsfreistellung des Beklagten zu 2 beläuft sich hingegen nur auf den Schadensbetrag abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung in Höhe von 1.100,00 EUR nach Ziff. 9 des Mietvertrages, die trotz der Unwirksamkeit der Ziff.10 des Mietvertrages fortbestehend zu zahlen ist.
    46

    Die verbleibenden 6.882,06 EUR als „Leistungsbetrag“ der Klägerin sind sodann um 50 % auf 3.441,03 EUR zu kürzen.
    47

    Der Beklagte zu 2 bleibt mithin zur Zahlung von 3.441,03 EUR zuzüglich der ohnehin fälligen Selbstbeteiligung in Höhe von 1.100,00 EUR, also insgesamt 4.541,03 EUR verpflichtet.
    48

    2.              Auf den ausgeurteilten Betrag von 4.541,03 EUR hat der Beklagte zu 2 nach § 291 Satz 1 Hs. 1, Satz 2, § 288 Abs. 1 BGB Zinsen zu entrichten.
    49

    3.              Ein Anspruch auf die offene Miete in Höhe von 124,12 EUR macht die Klägerin zurecht nicht gegenüber dem Beklagten zu 2 geltend, weil der Beklagte zu 2 nicht Vertragspartner der Klägerin geworden ist und insoweit deliktische oder sonstige Ansprüche nicht in Betracht kommen.
    50

    II.
    51

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
    52

    III.
    53

    Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
    54

    Dem steht die abweichende obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Reihenfolge der Anrechnung von Selbstbeteiligung und Quote nicht entgegen, da sich diese Gericht ‒ wie ausgeführt ‒ mit der maßgeblichen Frage inhaltlich gar nicht auseinander gesetzt, jedenfalls aber die gesetzlichen versicherungsvertragsrechtlichen Vorgaben gar nicht in den Blick genommen haben. Vereinzelt gebliebene, nicht nachvollziehbar begründete Entscheidungen zwingen nicht zur Zulassung der Revision (vgl. dazu BGH Beschl. v. 6.3.2019 ‒ IV ZR 108/18, r+s 2019, 272 Rn. 14; BGH Beschl. v. 8.2.2010 ‒ II ZR 156/09, NJW-RR 2010, 978 Rn. 3; BGH Beschl. v. 27.11.2013 ‒ VII ZR 371/12, NJW 2014, 456 Rn. 9).
    55

    Ebenso wenig ist die Zulassung erforderlich, weil eine Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (vgl. BGH Beschl. v. 21.3.2018 ‒ IV ZR 201/16, r+s 2018, 363 Rn. 9).

    Vorschriften§ 81 Abs. 2 VVG