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  • 03.11.2020 · IWW-Abrufnummer 218710

    Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 27.02.2020 – 18 Sa 1513/19

    Führt der Mitarbeiter eines Unternehmens des Kfz-Gewerbes schuldhaft einen Unfall mit dem Kfz eines Kunden herbei und leistet die Haftpflichtversicherung des Kunden Schadensersatz an den Unfallgegner, so steht der Haftpflichtversicherung ein Auskunftsanspruch über das Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk gegen das Unternehmen zu.


    Tenor:

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 26.08.2019 - 8 Ca 578/19 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über das Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk Auskunft zu erteilen.



    Das Unternehmen der Beklagten befasst sich mit Kraftfahrzeugservice und Lackierung. Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer eines Fahrzeuges, das auf Herrn I zugelassen war. Dieser wandte sich im Sommer 2017 an die Beklagte, da das Fahrzeug eine Störung im Bereich der Elektronik aufwies. Das Fahrzeug wurde sodann zu einem anderen Unternehmen verbracht, das die Störung beseitigte. Der damalige Auszubildende der Beklagten, Herr T, holte den Wagen bei dem anderen Unternehmen ab, um ihn zum Betrieb der Beklagten zu verbringen. Im Rahmen der Überführungsfahrt verursachte Herr T schuldhaft einen Unfall. Bei Unfallgegner entstand ein Personen- und Sachschaden, den die Klägerin regulierte. Die Klägerin wandte sich in der Folge sowohl an die Beklagte als auch an Herrn T mit der Aufforderung, den Handel- und Handwerkversicherer der Beklagten bekannt zu geben. Herr T erklärte, ihm sei der Versicherer nicht bekannt; er trat seine aus dem Ausbildungsvertrag bestehenden Auskunftsansprüche gegenüber der Beklagten an die Klägerin ab.



    Mit der Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Auskunftserteilung in Anspruch genommen. Sie hat vorgetragen, es bestehe eine Mehrversicherung im Sinne des § 77 Abs. 1 VVG. Der Deckungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung und der Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk überschnitten sich, es sei zum Teil dasselbe Interesse versichert. Im Rahmen einer Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk könne unter anderem für fremde Fahrzeuge in Werkstattobhut Versicherungsschutz genommen werden. Die Kfz-Haftpflichtversicherung gewähre dann Versicherungsschutz für Schäden, die Dritten durch den Gebrauch dieser Fahrzeuge zugefügt werden, insbesondere auch bei Überführungsfahrten. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe aus abgetretenem Recht des Herrn T ein Anspruch auf Auskunft mit dem Inhalt entsprechend § 77 Abs. 1 VVG zu. Ein Auskunftsanspruch ergebe sich aber auch aus Treu und Glauben, da zwischen den Parteien aufgrund des Unfallereignisses eine Sonderverbindung in Gestalt eines gesetzlichen Schuldverhältnisses bestehe.



    Die Klägerin hat beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen über das Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk unter Bekanntgabe des Versicherers, der Versicherungssumme und Angabe, dass und in welchem Umfang sich die versicherten Interessen und Gefahren überschneiden.



    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.



    Sie hat die Auffassung vertreten, ein Auskunftsanspruch nach § 77 Abs. 1 VVG komme nicht in Betracht, da die Vorschrift voraussetze, dass ein und dieselbe Person mehrere Versicherungen abgeschlossen habe. Die Klägerin könne die Beklagte nicht aus abgetretenem Recht in Anspruch nehmen. Für Herrn T sei kein Auskunftsanspruch entstanden, da er gar nicht in Anspruch genommen worden sei. Zudem handele es sich bei der "erhofften Versicherung" der Beklagten nicht um eine Pflichtversicherung, sondern um eine freiwillige Versicherung, die nicht selbst in Anspruch genommen werden könne. Die Beklagte hat behauptet, sie habe Herrn T nicht mit der Überführung des Fahrzeugs beauftragt; vielmehr habe Herr I Herrn T gebeten, das Fahrzeug gefälligkeitshalber zu überführen.



    Das Arbeitsgericht hat durch Vernehmung des Zeugen I Beweis erhoben und der Klage sodann stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Herrn T stehe gegen die Beklagte ein Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben über das Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk zu. Herr T sei zum Unfallzeitpunkt mitversicherte Person einer solchen Versicherung gewesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass Herr T den Wagen aus betrieblicher Veranlassung und nicht im Rahmen einer Gefälligkeitsfahrt überführt habe. Es liege eine Doppelversicherung im Sinne des § 77 VVG vor, da die Kfz-Haftpflichtversicherung des Herrn I und die Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk das gleiche Interesse versicherten.



    Das Urteil des ersten Rechtszuges ist der Beklagten am 02.09.2019 zugestellt worden. Sie hat mit einem Schriftsatz, der am 19.09.2019 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt. Die Beklagte hat die Berufung mit einem am 28.11.2019 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor die Frist zur Berufungsbegründung durch gerichtlichen Beschluss bis zum 02.12.2019 verlängert worden war.



    Die Beklagte meint, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nach § 78 VVG Ausgleichsansprüche geltend machen könne. Da ein Direktanspruch gegen eine etwaige Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk ausscheide, könne der Klägerin auch kein Interesse daran zustehen, Auskünfte über die Versicherung bzw. den Versicherer zu erhalten. Überdies sei die Beklagte berechtigterweise daran interessiert, den Schaden selbst zu regulieren bzw. selbst darüber zu befinden, ob sie nach Ausgleich des Schadens die eigene Versicherung in Anspruch nimmt oder den Schaden selbst bezahlt.



    Die Beklagte beantragt,

    das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund, Az.: 8 Ca 578/19, vom 26.08.2019 abzuändern und die Klage abzuweisen.



    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.



    Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend.



    Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe



    I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig.



    Die Beklagte hat die Berufung insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.



    II. Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.



    Es kann offen bleiben, ob der Klägerin, wie das Arbeitsgericht angenommen hat, ein Auskunftsanspruch aus abgetretenem Recht zusteht. Das Berufungsgericht lässt es dahinstehen, ob ein Arbeitnehmer oder ein Auszubildender, der betrieblich veranlasst das Fahrzeug ein Dritten führt und mit diesem Fahrzeug einen Unfall verursacht, vom Arbeitgeber oder Ausbilder die mit dem Klageantrag begehrten Auskünfte beanspruchen kann, oder ob der Arbeitgeber bzw. Ausbilder ihn lediglich von etwaigen Schadensersatzansprüchen freistellen muss. Die Beklagte ist jedenfalls entsprechend §§ 31 Abs. 2, 77 Abs. 1 VVG zur Erteilung der begehrten Auskunft verpflichtet.



    1. Die Gerichte für Arbeitssachen haben (auch) die Rechtsnormen des Versicherungsrechts zu beachten und anzuwenden.



    Das folgt aus § 17 Abs. 2 S. 1 GVG. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten zulässig ist, ist für die Berufungsinstanz anzunehmen, eine Prüfung des Rechtsweges erfolgt gemäß § 65 ArbGG nicht (mehr).



    2. Die erforderliche Regelungslücke für eine analoge Anwendung der §§ 31 Abs. 2, 77 Abs. 1 VVG liegt vor.



    Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, die Auskunftspflichten des Versicherers gegen Dritte in den Fällen einer Mehrfachversicherung nach § 78 Abs. 1 VVG ausdrücklich regelt. Die Auskunftspflichten nach § 31 VVG richten sich lediglich an den Versicherungsnehmer oder an Dritte, denen das Recht auf die vertragliche Leistung des Versicherers zusteht. Die Beklagte ist aber weder Versicherungsnehmerin der Klägerin noch steht ihr ein Anspruch auf die vertraglichen Leistungen der Klägerin als Haftpflichtversicherung zu. Auch § 77 Abs. 1 greift nicht zu Gunsten der Klägerin ein. Die Vorschrift setzt voraus, dass die auskunftspflichtige Person bei mehreren Versicherern ein Interesse gegen dieselbe Gefahr versichert. Die Beklagte hat aber nicht bei mehreren Versicherungen eine identische Gefahr versichert, sondern allenfalls bei einer Versicherung, nämlich bei einer etwaigen Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk.



    3. Die Interessenlage gebietet eine analoge Anwendung der Vorschriften.



    Die gesetzlich in §§ 31, 77 VVG normierten Auskunftspflichten bestehen zum Schutze des Versicherers, der ein berechtigtes Interesse daran hat, Klarheit über den Umfang seiner Leistungspflicht zu erlangen. Dies gilt insbesondere in den Fällen der Mehrfachversicherung nach § 78 VVG, da die Versicherer, bei denen ein Interesse gegen dieselbe Gefahr (mehrfach) versichert ist, im Verhältnis zueinander nur anteilig verpflichtet sind, wie sich aus § 78 Abs. 2 VVG ergibt. Im Streitfall sind die Interessen der Klägerin nach den Wertungen der §§ 31, 77, 78 VVG schutzwürdig; sie müssen zur Zuerkennung eines Auskunftsanspruchs führen.



    a) Es besteht eine Mehrfachversicherung im Sinne des § 78 Abs. 1 VVG.



    Schäden, die beim Betrieb des Fahrzeuges entstehen, das auf Herrn I zugelassen war, sind über die Klägerin als Haftpflichtversicherer versichert. Die gleichen Schäden sind aber auch über eine (etwaige) Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk versichert, wenn die Beklagte im Rahmen ihrer werkvertraglichen Pflichten ein Kundenfahrzeug im Straßenverkehr führt. Diese Versicherung besteht auch zu Gunsten von Herrn T, der im Streitfall als Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) für die Beklagte bei der Überführung des Fahrzeuges tätig wurde. Das Arbeitsgericht hat nach Beweiserhebung festgestellt, dass die Überführung des Fahrzeugs betrieblich veranlasst war und nicht auf einer privaten Gefälligkeit beruhte. Bedenken gegen die Feststelllungen oder die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts hat die Beklagte in der Berufungsinstanz nicht geäußert. Solche Bedenken sind auch sonst nicht ersichtlich.



    Es ist auch das gleiche Interesse im Sinne des § 78 Abs. 1 VVG versichert. Das Interesse besteht darin, Schäden abzudecken, die beim Betrieb des Fahrzeuges entstehen, das auf Herrn I zugelassen ist. Im Hinblick auf die Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters und die Kfz-Haftpflichtversicherung für Kfz-Handel und Handwerk ist eine Identität der Versicherungsnehmer nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 31.03.1976 - IV ZR 29/75). Die vorgenannte Entscheidung des BGH erging zu § 59 Abs. 1 VVG a. F. An der Rechtslage hat sich aber mit Inkrafttreten des inhaltsgleichen § 77 Abs. 1 VVG nicht geändert, wie das Arbeitsgericht unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zutreffend ausgeführt hat.



    b) Liegt eine Mehrfachversicherung vor, so ist die Klägerin darauf angewiesen, die begehrte Auskunft von der Beklagten zu erlangen, da anderenfalls der Innenausgleich nach § 78 Abs. 2 VVG nicht erfolgen könnte.



    Die Klägerin hat, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, wegen der eingetretenen Unfallfolgen bereits Leistungen erbracht. § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG bestimmt, dass im Falle der Mehrfachversicherung die Versicherer im Innenverhältnis nur anteilig verpflichtet sind. Der Innenausgleich wäre für die Klägerin wertlos, wenn sie gar nicht wüsste, an welchen anderen Versicherer sie sich zwecks Durchführung des Ausgleichs wenden kann. Richtigerweise wird im parallel gelagerten Fall, dass ein Mieter schuldhaft das Gebäude beschädigt, ein Auskunftsanspruch des in Anspruch genommenen Gebäudeversicherers gegen den Mieter im Hinblick auf eine etwa bestehende Haftpflichtversicherung anerkannt (vgl. Dieckmann, VersR 2013, 1227, 1231).



    c) Entgegenstehende Interessen der Beklagten sind nicht ersichtlich.



    Soweit sie vorbringt, sich die Möglichkeit einer Selbstregulierung offen halten zu wollen, ist dem entgegen zu halten, dass diese Möglichkeit durch die Erteilung der begehrten Auskunft nicht entfällt. Dies gilt insbesondere deshalb, weil - wie die Beklagte ja selbst zutreffend ausführt - ein Direktanspruch nach § 115 VVG der Klägerin gegen den anderen Versicherer nicht besteht. Andere Umstände, die darauf hindeuten könnten, die Erfüllung der Auskunftspflicht sei für die Beklagte unmöglich oder unzumutbar, sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.



    III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen.



    IV. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.

    Vorschriften