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  • · Fachbeitrag · Filmausfallversicherung

    Auch bei willentlicher Selbstverletzungist der Eintritt des Todes ein Unfall

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte

    • 1. Ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis gemäß § 178 Abs. 2 VVG liegt auch dann vor, wenn die versicherte Person willentlich die Injektion von Kokain vornimmt und anschließend an einer rauschmittelbedingten Intoxikation verstirbt.
    • 2. Falsche Angaben eines Schauspielers in einer vom VR geforderten Gesundheitsselbsterklärung sind dem VN in entsprechender Anwendung von § 156, § 179 Abs. 3, § 193 Abs. 2 VVG zuzurechnen.
     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der VN hatte eine Filmausfallversicherung abgeschlossen, die bei Ausfall eines Schauspielers den dadurch verursachten Schaden zu ersetzen hatte. Das Risiko Unfall hatte der VR sofort genommen, für die versicherten Risiken Krankheit und Tod hatte er eine Gesundheitserklärung der Schauspieler zur Voraussetzung gemacht. Dabei hatte S über ihren regelmäßigen Rauschmittelkonsum getäuscht. Der Vertrag kam vollumfänglich zustande. Nachdem S sich übermäßig viel Kokain gespritzt hatte und daran verstorben war, machte der VN die vereinbarten Leistungen geltend. Der VR hat daraufhin seine Erklärung angefochten. Er hat Leistungen verweigert, weil sich der VN die Täuschung der S als Wissenserklärungsvertreterin zurechnen lassen müsse.

     

    Damit hatte der VR in beiden Tatsacheninstanzen Erfolg. Erstmals in der Revisionsinstanz berief sich der VN u.a. darauf, dass auch der Unfallbegriff erfüllt sei. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung und Zurückverweisung:

     

    • Entgegen der Ansicht der Revision ist von einer arglistigen Täuschung durch S auszugehen. Revisionsrechtlich folgt dies bereits daraus, dass der VN die ausdrückliche Feststellung des Berufungsgerichts, wonach er mit der Berufung die landgerichtlichen Feststellungen zur Arglist nicht angegriffen habe, nicht im hierfür allein maßgeblichen Verfahren nach § 320 ZPO (BGH NJW-RR 07, 1434) hat berichtigen lassen.

     

    • S ist jedoch keine Wissenserklärungsvertreterin des VN. Durch die Rechtsfigur des Wissenserklärungsvertreters muss sich der VN falsche Angaben dritter Personen in entsprechender Anwendung des § 166 BGB zurechnen lassen, wenn er diese Personen mit der Erfüllung seiner Aufklärungsobliegenheit beauftragt hat. Dabei genügt es, dass der VN den Dritten mit der Erfüllung seiner Obliegenheiten gegenüber dem VR betraut hat und der Dritte die Erklärungen anstelle des VN abgibt (BGHZ 122, 388, 389; BGH VersR 81, 948). Die vom VR eingeforderten Gesundheitsangaben sind jedoch eine originär eigenständige Erklärung der Schauspielerin als Gefahrsperson. Ihre Beantwortung stellt daher keine Erklärung dar, mit deren Abgabe die Gefahrsperson durch den VN betraut worden ist. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten VN richtet sich die der S zur individuellen Vervollständigung überlassene Gesundheitsselbsterklärung nicht an den VN. Vor diesem Hintergrund überzeugen auch die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht, die S stehe im Lager des VN und es ergebe sich deshalb aus allgemeinen Grundsätzen, dass die S keine Dritte im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB sei.

     

    • Zutreffend hat das Berufungsgericht jedoch die § 156, § 179 Abs. 3, § 193 Abs. 2 VVG analog angewandt. Nach diesen Bestimmungen wird in der Lebens-, Unfall- und Krankenversicherung bei der Versicherung auf die Person eines anderen auch deren Kenntnis und Verhalten berücksichtigt, soweit die Kenntnis und das Verhalten des VN von rechtlicher Bedeutung sind. Die Voraussetzungen für eine Analogie (hierzu Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., Einl. vor § 1 Rn. 48 m.w.N.) liegen vor. Die Interessenlage ist vergleichbar. Die Frage, inwiefern ein Verhalten der Gefahrsperson beim VN zu berücksichtigen ist, ist bei der Filmausfallversicherung und den Regelungen in der Lebens-, Unfall- und Krankenversicherung gleich zu beurteilen. Eine Analogie scheitert auch nicht an dem Grundsatz, dass bei einer Eigen- und Fremdversicherung die Obliegenheitsverletzungen des Mitversicherten diesem nur selbst entgegengehalten werden und somit nicht auf den Versicherungsschutz des VN durchschlagen, wenn der Mitversicherte nicht Repräsentant des VN ist (BGH VersR 03, 445; Prölss/Klimke in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 47 Rn. 11). Diese Situation liegt nicht vor. Bei der Filmausfallversicherung gibt es keine Kombination aus Eigen- und Fremdversicherung. Vielmehr liegt allein eine Eigenversicherung des Produzenten hinsichtlich seines Vermögensschadens durch eine ausfallbedingte Beeinträchtigung seiner Produktion vor.

     

    • Allerdings kommt eine Deckung wegen Unfalls in Betracht. Dies ist zu prüfen, obwohl der VN erstmals im Revisionsverfahren einen Unfall als Versicherungsfall geltend macht. Nach allgemeinen Grundsätzen reicht es aus, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in seiner Person entstanden erscheinen zu lassen (BGH NJW 91, 2707). Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt verstarb S an einer Kokainintoxikation. Dieses tatsächliche Geschehen erfasst alle vom VN vorzutragenden Tatsachen eines Unfalls. Der Anspruch hätte daher schon von den Instanzgerichten auch unter dem Blickwinkel eines Ausfallschadens wegen Unfalls rechtlich gewürdigt werden müssen. Dass der VN nicht ausdrücklich einen Unfall geltend macht, schadet nicht. Die zutreffende rechtliche Einordnung unter die versicherten Gefahrenbereiche (Unfall/Krankheit/Tod) ist nicht Sache des VN, sondern Aufgabe des Gerichts.

     

    • Die willentliche Injektion von Kokain ist ein plötzliches von außen auf den Körper wirkendes Ereignis. Die Plötzlichkeit ergibt sich bereits daraus, dass sich die Injektion des Kokains objektiv innerhalb eines kurz bemessenen Zeitraums vollzogen hat. Hat sich das Geschehen innerhalb dieses kurzen Zeitraums verwirklicht, ist es nach der Rechtsprechung des Senats stets plötzlich. Lediglich in den Fällen, in denen sich das Geschehen nicht innerhalb eines kurzen Zeitraums ereignet, werden auch weitere Ereignisse vom Versicherungsschutz umfasst, die für den Betroffenen unerwartet, überraschend und unentrinnbar sind. Ist dagegen - wie hier - die zeitliche Komponente des Unfallbegriffs erfüllt, liegt bereits damit ein plötzliches Ereignis vor. Daher kann die Plötzlichkeit des Geschehens nicht unter Hinweis auf das willensgesteuerte Verhalten bei einer Rauschmittelinjektion verneint werden (so aber OLG Karlsruhe VersR 05, 678).

     

    • Die Unfreiwilligkeit bezieht sich nicht auf die Einwirkung von außen, sondern auf die durch das Unfallereignis bewirkte Gesundheitsschädigung (BGH VersR 85, 177). Dabei gibt es keine Einschränkung dahingehend, dass damit allein die erste, unter Umständen nur geringfügige Gesundheitsschädigung - wie etwa die Hautverletzung nach einem Spritzeneinstich - gemeint ist (so aber Knappmann in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 178 Rn. 20). Hat die versicherte Person bei einer risikoreichen Handlung zwar mit Verletzungen gerechnet, infolge einer Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf aber nicht mit deren konkretem, die Leistungspflicht des VR auslösendem Ausmaß, so ist die Gesundheitsschädigung unfreiwillig.

     

    Praxishinweis

    Das Urteil des BGH ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung.

     

    • Wichtig ist der Hinweis, dass Fehler im Tatbestand nach § 320 ZPO korrigiert werden müssen. Wegen der dafür zur Verfügung stehenden sehr kurzen (Not-)Frist von nur zwei Wochen ist stets sofortiges Handeln erforderlich. Anderenfalls sind auch sonst Erfolg versprechende Rügen ausgeschlossen.

     

    • Von besonderem Interesse sind auch die Ausführungen zum Wissenserklärungsvertreter. Eine Zurechnung kommt nur in Betracht, wenn der VN eine eigene Erklärung abgeben muss, das aber einem Dritten überlässt. Es ist, wenn der VR sich darauf beruft, deshalb stets zu prüfen, ob der VR wirklich dem VN eine Erklärung abverlangt hat, oder ob nicht der Dritte, hier die Gefahrsperson, das machen soll. Letzteres ist auch der Fall, wenn der Vordruck an den VN mit der Bitte um Weiterleitung übersandt wird.

     

    • Der BGH hat gleichwohl das Verhalten der S dem VN in analoger Anwendung der § 156, § 179 Abs. 3, § 193 Abs. 2 VVG zugerechnet. Dies war zulässig, weil der Gesetzgeber nur für die genannten Sparten Bestimmungen über die Zurechnung von Verhalten der Gefahrsperson gemacht hat, die Interessenlage aber auch in der Vermögensschadenversicherung, in der eine solche Konstellation selten vorkommt, vergleichbar ist. Der VN verliert also, nicht anders als wenn der Dritte Repräsentant ist, seinen Versicherungsschutz in vollem Umfang. In Fällen der Fremd- und Eigenversicherung (z.B. bei Sachversicherungsschutz eigener und fremder Sachen) behält der VN bei Fehlern des Versicherten dagegen diesen Schutz jedenfalls in Höhe der Eigenversicherung.

     

    • Von Interesse ist weiter, dass der BGH den Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt eines Unfalls der S, worauf in den Tatsacheninstanzen niemand gekommen war, prüft. Dies muss auch für die Berufungsinstanz gelten, ohne dass dem Verspätungsvorschriften entgegenstehen können.

     

    • Von besonderer Bedeutung ist das Urteil für die Unfallversicherung. Der BGH bestätigt, dass auch vorsätzliche Eingriffe am eigenen Körper den Unfallbegriff erfüllen können, und dass sich die Unfreiwilligkeit nicht auf den Eingriff, sondern nur auf dessen Folgen bezieht. Versichert bleiben deshalb alle Folgen, bei denen der VN darauf vertraut hat, dass sie nicht eintreten werden. Das gilt nach der Formulierung des BGH auch, wenn der VN zwar Folgen erwartet hat, nicht aber die eingetretenen, die Eintrittspflicht des VR auslösenden schweren Folgen. Versichert dürfte danach der Tod bei in Kauf genommener Invalidität sein. Ob der BGH bei einer solchen Konstellation auch Abstufungen innerhalb der Invalidität für versichert hält, ist nicht sicher. Für die Praxis wichtiger ist aber auch die Feststellung, dass vom vorgestellten Kausalverlauf abweichende Folgen nicht zum Nachteil des VN berücksichtigt werden können. Da auch bei gefährlichem Tun in aller Regel nicht mit Dauerfolgen gerechnet wird, oder der VR - er ist beweispflichtig, § 178 Abs. 2 S. 2 VVG - bei dem deshalb besonders wichtigen bestreitenden Sachvortrag dies zumindest nicht nachweisen kann, kann die Rechtslage durch das Urteil des BGH für praktisch alle Fälle als geklärt angesehen werden.
    Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 23 | ID 42486658