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  • · Fachbeitrag · Kfz-Kaskoversicherung

    So sind falsche Angaben zu einem erheblichen Vorschaden in der Fallbearbeitung zu behandeln

    von RiOLG Frank-Michael Goebel, Rhens

    • 1. Die Pflicht zur Aufklärung des Schadenereignisses beinhaltet die Offenbarung aller Umstände, die für die Höhe des Schadens von Bedeutung sind. Fragen des VR nach Vorschäden sind vom VN daher vollständig und richtig zu beantworten.
    • 2. Eine arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem VR zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der VN muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des VR einwirkt.
    • 3. Eine Bereicherungsabsicht des VN ist nicht erforderlich. Es reicht aus, dass er einen gegen die Interessen des VR gerichteten Zweck verfolgt, etwa indem er weiß, dass sein Verhalten den VR bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann.
    • 4. Der vom VR zu führende Beweis, dass der VN mit der Abgabe einer objektiv falschen Erklärung das Regulierungsverhalten bewusst beeinflussen wollte, kann durch einen Indizienbeweis geführt werden. Dabei ist anerkannt, dass für ein arglistiges Verhalten des VN indiziell spricht, wenn er in einem Fragebogen falsche Angaben zu erheblichen Vorschäden macht.
    • 5. Der Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 S. 2 VVG ist bei arglistigem Verhalten nicht anwendbar.

    (LG Bonn 12.11.13, 10 O 151/13, Abruf-Nr. 142122)

     

    Sachverhalt

    Der VN verlangt von seinem Vollkasko-VR eine Entschädigung für den Diebstahl seines PKW. Beim Kauf für 12.750 EUR hatte der Verkäufer offengelegt, dass das Fahrzeug einen Schaden an einem Kotflügel bzw. einem Seitenschweller erlitten hatte. Tatsächlich lag aber ein Unfallschaden vor, der die Erneuerung der Vorderachse, des Lenkgetriebes, des Frontstoßfängers, der A-Säule, des Fahrer- und Beifahrerairbags, der Schalttafel, der Sicherheitsgurte und des linken Vorderrads erforderte. Ein Schadensgutachten gibt die Reparaturkosten mit über 12.000 EUR brutto, den Restwert des Fahrzeugs mit 4200 EUR an.

     

    Der VN meldete dem VR den Diebstahl in einem Formularvordruck des VR. In das Feld „frühere reparierte Beschädigungen des Fahrzeuges:“ schrieb er: „Mir nicht bekannt/also nicht auszuschließen“. In das Feld „zum Diebstahlzeitpunkt am Fahrzeug vorhandene Mängel und unreparierte Schäden (auch Kleinschäden):“ setzte der Kläger einen Schrägstrich.

     

    Der VR beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung, die der klagende VN bestreitet. Weder der tatsächliche Unfallschaden noch das Schadensgutachten seien ihm bekannt gewesen.

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Das LG hat die Leistungsklage des VN abgewiesen. Die Leistungspflicht des VR sei gem. § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i.V.m Ziff. E.1.3, E.7 VVG 2011 ausgeschlossen, weil der VN wider besseren Wissens bei der Schadensmeldung angab, ihm seien keine reparierten Vorschäden bekannt. § 28 VVG regelt die Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen des VN.

     

    • Im Wortlaut: § 28 Abs. 2 VVG

    (2) Bestimmt der Vertrag, dass der VR bei Verletzung einer vom VN zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet ist, ist er leistungsfrei, wenn der VN die Obliegenheit vorsätzlich verletzt hat. Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der VR berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der VN.

     

    Vorliegend stellte sich einerseits die Frage, ob der VN überhaupt eine Obliegenheit verletzt hat, andererseits, ob die Verletzung vorsätzlich erfolgte.

     

    • Die Obliegenheitsverletzung 
    • Nach Ziffer E.1.3 der AKB 2011 ist der VN verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass er die Fragen des VR zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständig beantworten muss.
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    • Das LG hat diese Pflicht als verletzt angesehen, weil die Pflicht zur Aufklärung des Schadenereignisses die Offenbarung aller Umstände, die für die Höhe des Schadens von Bedeutung sind, beinhalte. Fragen des VR nach Vorschäden seien von dem VN daher vollständig und richtig zu beantworten (vgl. hierzu auch OLG Köln VK 10, 96).
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    • Dem LG genügt dafür, dass der VN zwar nicht den tatsächlichen Vorschaden kannte, sehr wohl aber überhaupt Kenntnis von einem, wenn auch geringen Vorschaden hatte, den er verschwieg. Es kann kaum in Zweifel gezogen werden, dass jeder Vorschaden für die Schadensbemessung des VN und seine Leistungsentscheidung von Bedeutung ist, sodass die Sichtweise nicht zu beanstanden ist. Da der VN jeden Vorschaden negiert hat, war seine Erklärung falsch.

     

    • MERKE | Die Obliegenheitsverletzung muss nach der Diktion des Gesetzes und den allgemeinen Beweislastregeln, wonach jede Partei die ihr günstigen Tatsachen zu beweisen hat, der VR darlegen und im Bestreitensfall beweisen. Der VN muss damit rechnen, dass der VR bei Zweifeln den Verkäufer ermittelt und diesen als Zeugen in Anspruch nimmt.

     

    • Das Verschulden 
    • Im Hinblick auf das Verschulden macht § 28 Abs. 2 VVG präzise Feststellungen erforderlich, da Vorsatz zur gänzlichen Leistungsfreiheit, grobe Fahrlässigkeit dagegen nur zur Leistungskürzung führt. Auch hier ist die gesplittete Beweislast zu beachten.
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    • MERKE | Nach § 28 Abs. 2 S. 1 VVG trägt, was sich aus der Formulierung des Abs. 2 S. 1 und im Umkehrschluss aus der Vermutung grober Fahrlässigkeit in Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ergibt, der VR für den Vorsatz des VN die Beweislast (BGH 2.4.14, IV ZR 58/13, Abruf-Nr. 142495). Der VN muss dagegen die Vermutung der groben Fahrlässigkeit widerlegen.
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    • Das LG nimmt im konkreten Fall an, dass der VN vorsätzlich und arglistig gehandelt hat, auch wenn er von einem ordnungsgemäß reparierten Vorschaden ausging. Dabei geben die Leitsätze 2 und 3 die Voraussetzungen der Arglist wieder. Sie entsprechen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NJW-RR 09, 1036).
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    • Danach lag ein vorsätzliches und arglistiges Verhalten durchaus nicht auf der Hand. Das LG stellt deshalb auf die Möglichkeit des Indizienbeweises ab, um zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisen, dass der VN mit der Abgabe einer objektiv falschen Erklärung das Regulierungsverhalten bewusst beeinflussen wollte.
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    • MERKE | Die Überzeugung des Gerichts muss § 286 ZPO genügen, d.h. das Gericht muss einen Grad der Wahrscheinlichkeit annehmen können, der vernünftigen Zweifeln Einhalt gebietet.
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    • Unter Bezugnahme auf das OLG Naumburg (VK 13, 86) postuliert das LG, dass für ein arglistiges Verhalten des VN indiziell spricht, wenn er in einem Fragebogen falsche Angaben zu erheblichen Vorschäden macht. Das kann als Obersatz durchaus in Zweifel gezogen werden. Der BGH (NJW-RR 09, 1036) hat entschieden, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts gibt, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer vom VR gestellten Frage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des VR einzuwirken.
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    • Das LG Bonn sieht die Unterschiede in den Fallkonstellationen nicht. Im Fall des OLG Naumburg hatte der dortige VN Unfälle in der eigenen Besitzzeit unmittelbar vor dem behaupteten Diebstahl verschwiegen und kannte auch die Schadensgutachten mit erheblichen Reparaturkosten. Entscheidend stellt das LG darauf ab, dass der VN ausdrücklich auch nach reparierten Vorschäden gefragt worden sei und sich eine Hintertür offengehalten habe, wonach er Schäden nicht ausschließen könne.

     

    • MERKE | Für die Bevollmächtigten kommt es hier darauf an, die jeweiligen Umstände des Einzelfalls darzulegen, die für oder gegen ein vorsätzliches Handeln sprechen. Dem Bevollmächtigten des VN genügt es angesichts der Beweislast des VR dabei, wenn er vernünftige Zweifel begründen kann.

     

    • Kein Kausalitätsgegenbeweis 
    • Die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises nach § 28 Abs. 3 VVG war dem VN nach der Annahme vorsätzlichen Handelns abgeschnitten. Der VR bleibt danach zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich ist.

     

    • Vorliegen einer ordnungsgemäßen Belehrung
    • Um den Leistungsanspruch zu erhalten muss der Bevollmächtigte des VN letztlich prüfen, ob eine hinreichende Belehrung i.S.d. § 28 Abs. 4 VVG vorlag. Die vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit des VR bei Verletzung einer nach Eintritt des Versicherungsfalls bestehenden Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der VR den VN durch gesonderte Mitteilung in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat.
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    • MERKE | Ist durch Gesetz Textform vorgeschrieben, muss nach § 126b BGB eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Ein dauerhafter Datenträger ist jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben.
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    • Diese Belehrung hatte der VR mit dem Formular zur Schadensmitteilung verbunden. Das wird als zulässig angesehen (Prölss/Martin, § 28 VVG, Rn. 154), jedenfalls wenn die Belehrung drucktechnisch von dem übrigen Formulartext abgesetzt und hervorgehoben wird (OLG Köln VersR 09, 251).

     

    • Einwand des treuwidrigen Verhaltens 
    • Die Rechtsprechung nimmt an, dass das Berufen auf vollständige Leistungsfreiheit durch den VR treuwidrig i.S.d. § 242 BGB sein kann, wenn der täuschungsbehaftete Teil der Leistung unverhältnismäßig gering sei. Die Grenze der Geringfügigkeit sei dabei jedenfalls bei 10 Prozent am Gesamtschaden überschritten (OLG Hamm VersR 86, 1177; OLG Köln MDR 01, 692).
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    • Da der tatsächlich bekannte Vorschaden nur geringfügig war, stand dieser Einwand sehr wohl im Raum. Das LG will hier ebenso diskussionswürdig nicht nur auf die dem VN bekannten Vorschäden abstellen, sondern auf die objektiv gegebenen Vorschäden. Das Argument: Wären überhaupt Vorschäden offenbart worden, hätte der VR ggf. weitergehende Ermittlungen angestellt und alle Vorschäden ermitteln können. Dass das im konkreten Fall wirklich so gewesen wäre, d.h. der ständigen Praxis des VR entsprochen hätte, wäre nach der hier vertretenen Auffassung vom VR darzulegen und zu beweisen gewesen. Eine hypothetische Behauptung sollte dafür nicht genügen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Zur Leistungsfreiheit des VR beim Verschweigen von Vorschäden: OLG Köln VK 10, 96.
    • Verschweigen von Vorschäden: Keine Leistungsfreiheit bei Kenntnis des VR: BGH VK 07, 155.
    • Keine Anfechtungsmöglichkeit des VR ohne Arglistnachweis trotz Falschangaben des VN (zur Krankenversicherung): LG Dortmund VK 13, 207
    Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 155 | ID 42901211