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  • · Fachbeitrag · Beweisführung

    Sachverständiger muss auf Antrag in fast allen Fällen angehört werden

    | Zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs steht jeder Prozesspartei gem. §§ 397, 402 ZPO das Recht zu, einen Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten zu befragen. Dass selbst ein OLG dieses (Grund-)Recht verletzen kann, zeigt ein Beschluss des BGH. |

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der Ehemann der aus abgetretenem Recht vorgehenden Klägerin hatte sich über einen Hund erschreckt und sich dabei das Bein verdreht. Er führt die folgende Knieoperation auf diesen Vorfall zurück. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat ein schriftliches Gutachten eingeholt. Von der rechtzeitig beantragten Anhörung des Sachverständigen hat es abgesehen. Begründung: Die angekündigten Fragen der Klägerin seien reine Rechtsfragen.

     

    Der BGH hat das OLG-Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (21.2.17, VI ZR 314/15, Abruf-Nr. 193631). Es sei verfahrensfehlerhaft, den Sachverständigen nicht vorzuladen (Gehörsverletzung, nach Art. 103 Abs. 1 GG). Der Antrag der Klägerin sei weder verspätet noch rechtsmissbräuchlich. Die Anhörung sei auch nicht entbehrlich gewesen. Bei den Fragen der Klägerin habe es sich nicht um Rechtsfragen gehandelt. Vielmehr sei die Frage, ob der Geschädigte bis zu dem Vorfall mit dem Hund im Wesentlichen beschwerdefrei gewesen und erst die erlittene Distorsion die Knieoperation erforderlich gemacht habe, eine tatsächliche Frage. Die könne mangels eigener Sachkunde des Gerichts nur vom Sachverständigen beantwortet werden.

     

    Relevanz für die Praxis

    Alles, was der BGH ausführt, ist nicht neu. Und doch wird beklagenswert oft dagegen verstoßen. Manche Richter verlangen die Vorlage eines Fragenkatalogs. Zu Unrecht (vgl. BGH VersR 15, 257). Um sich unnötige Schwierigkeiten zu ersparen, sollte der Anwalt in seinem Antrag die zu erörternde Thematik zumindest in groben Zügen umreißen. Eine Bezugnahme auf frühere Schriftsätze kann als vorweggenommene Gutachtenkritik hilfreich sein (vgl. BGH NZV 97, 72). Um klarzustellen, dass es der Partei um ihr verbrieftes Recht auf eigene Befragung des Sachverständigen nach den §§ 397, 402 ZPO geht, sollten diese Vorschriften ausdrücklich genannt werden. Damit vermeidet man eine Fehldeutung des Antrags in Richtung auf eine - einseitige - Befragung durch das Gericht. Beschränkungen des Antragsrechts ergeben sich nur unter zwei Gesichtspunkten: Verspätung (Prozessverschleppung) und Rechtsmissbrauch mit den Unterfällen „Ankündigung reiner Rechtsfragen“ und „offenkundige Beweisunerheblichkeit“. Dass das Gericht keinen Erläuterungsbedarf sieht, ist bekanntlich unerheblich.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zum Erlöschen des Anhörungsrechts und zum Verzicht darauf, etwa nach ergänzender schriftlicher Befragung des Sachverständigen durch das Gericht, siehe BGH VersR 15, 257 und aktuell OLG Hamm 19.12.16, 6 U 82/15
    Quelle: Ausgabe 06 / 2017 | Seite 93 | ID 44700510