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  • · Fachbeitrag · Prozessvergleich

    Rücktritt vom Beendigungsvergleich wegen Insolvenz des ArbG?

    Eine arglistige Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB kann auch im Verschweigen von Tatsachen bestehen, zu deren Offenbarung der Erklärende verpflichtet ist. Die Beweislast für das Vorliegen der Arglist trägt der Anfechtende, ohne Rücksicht darauf, dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt. Der Streit über die Wirksamkeit der Anfechtung eines Prozessvergleichs ingesamt ist zumindest dann im Ausgangsverfahren auszutragen, wenn nicht ausschließlich Gründe geltend gemacht werden, die erst nach Vergleichsschluss entstanden sind (BAG 11.7.12, 2 AZR 42/11, Abruf-Nr. 131278).

     

    Sachverhalt

    Der ArbG kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20.5.09 zum 31.12.09. Hiergegen erhob der ArbN form- und fristgerecht Kündigungsschutzklage. Unter dem 8.6.09 schlossen die Parteien im Gütetermin einen Vergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Am 9.6.09 stellte der ArbG einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, das am 1.9.09 eröffnet wurde. Mit Schreiben vom 23.10.09 erklärte der ArbN gegenüber dem Insolvenzverwalter die Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung. Aufgrund des Insolvenzplans hätte er lediglich eine Quote in Höhe von drei Prozent der Vergleichsforderung erhalten.

     

    Der ArbN ist der Auffassung, der ArbG habe bei Abschluss des Vergleichs gewusst, dass er die Abfindungssumme nicht würde zahlen können. Das Anfechtungsschreiben vom 23.10.09 sei zugleich als Rücktritt vom Vergleich zu verstehen. Die auf Fortsetzung des Rechtsstreits gerichtete Klage war vor dem Arbeitsgericht und dem LAG Niedersachsen (2 Sa 742/10) erfolglos. Auch die Revision des ArbN blieb ohne Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe

    Der 2. Senat des BAG stellt klar, dass ein Streit über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs zumindest dann im Ausgangsverfahren auszutragen ist, wenn der Widerruf oder die Anfechtung des Vergleichs nicht ausschließlich auf Gründe gestützt sind, die erst nach Vergleichsabschluss entstanden sind. Hier sei dies nicht der Fall, da gerade vom ArbN behauptet werde, der ArbG habe bei Vergleichsschluss seine Zahlungsunfähigkeit gekannt, was der einen Tag nach Vergleichsschluss gestellte Insolvenzvertrag zeige.

     

    Eine Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB könne zwar auch im Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet gewesen sei. Das Merkmal der „Arglist“ nach § 123 Abs. 1 BGB liege vor, wenn der Täuschende wisse, oder billigend in Kauf nehme, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprächen, oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen falsche Vorstellungen beim Erklärungsempfänger entständen oder aufrechterhalten würden. Insofern genüge hingegen Fahrlässigkeit oder grobe Fahrlässigkeit nicht.

     

    Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trage der Anfechtende - also im vorliegenden Fall der ArbN - auch wenn es sich bei der Arglist um eine innere Tatsache handele. Es liege hingegen weder eine Täuschung noch eine unvorhergesehene, schwerwiegende nachträgliche Veränderung der Umstände nach § 313 Abs. 1 BGB vor, wenn sich in der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das beiden Parteien bereits bei Vergleichsabschluss bekannte Risiko einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des ArbG verwirkliche. Bei einer solchen Kenntnis beider Parteien, von der hier auszugehen sei, sei ein Prozessvergleich, in dem sich der ArbG zur Zahlung einer erst später fällig werdenden Abfindung verpflichte, weder anfechtbar, noch sei dessen Geschäftsgrundlage entfallen.

     

    Auch der Umstand, dass der Abfindungsanspruch durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur einfachen Insolvenzforderung werde, begründe kein Rücktrittsrecht des ArbN nach § 323 Abs. 1, 1. Alt. BGB. Voraussetzung für das gesetzliche Rücktrittsrecht sei nämlich die Durchsetzbarkeit der ursprünglichen Forderung. Ein vor Insolvenzeröffnung durch Prozessvergleich begründeter Abfindungsanspruch sei hingegen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr durchsetzbar, da der ArbN nicht mehr auf Leistung der Abfindung, sondern nur noch nach §§ 174 ff. InsO auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle klagen könne. Eine Unmöglichkeit der Zahlung der Abfindung, die nach §§ 326 Abs. 5 BGB, 275 BGB einen Rücktrittsgrund darstellen könne, liege nicht vor. Die Zahlung der Abfindung sei zwar nicht mehr durchsetzbar. Sie werde aber durch die Insolvenzeröffnung dem ArbG nicht im Sinne des § 275 BGB unmöglich.

     

    Praxishinweis

    Der ArbN, der sich im Wege des Vergleichsschlusses dahingehend vergleicht, sein Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden, muss sich an diesem Vergleich auch nach Insolvenzeröffnung festhalten lassen. Dies gilt zumindest, wenn die marode finanzielle Situation des ArbG dem ArbN zumindest in Grundzügen bekannt ist. Davon dürfte in der Regel auszugehen sein. Eine Vergleichsanfechtung oder ein Rücktritt vom Vergleich, der zur Fortsetzung des „alten Kündigungsrechtsstreits“ führen würde, ist richtigerweise gegenüber dem Insolvenzverwalter als neuer Partei kraft Amts zu erklären.

     

    Hier ist allerdings zu beachten, dass auch im Falle des Erfolgs eines Rücktritts oder einer Anfechtung der Ursprungsrechtsstreit mit dem Insolvenzverwalter fortzusetzen ist und im Erfolgsfall das Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Insolvenzverwalter festgestellt wird. Eine solche Feststellung ist hingegen - gerade in Insolvenzverfahren, die masseunzulänglich oder mit einer sehr geringen Quote versehen sind - rein faktisch sinnlos. Darüber hinaus wird der vorsichtige Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis - vorsorglich hilfsweise - durch Kündigung beenden.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Falschangabe der Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber Insolvenzverwalter: BAG in AA 12, 115
    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 74 | ID 39090230