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· Fachbeitrag · Fahreignung von Senioren

Die Eignungsbeurteilung: So beurteilt die Führerscheinbehörde die Fahrtauglichkeit

von Regierungsrat Dr. Adolf Rebler, Regierung der Oberpfalz, Regensburg

| Hat die Führerscheinbehörde aufgrund eines Anfangsverdachts Nachforschungsmaßnahmen eingeleitet, muss sie nach Vorliegen der Ergebnisse diese beurteilen und entscheiden, ob der Betroffene die Fahrerlaubnis behalten darf oder sie ihm zu entziehen ist. Dieser Beitrag zeigt, nach welchen Maßstäben dies geschieht und wie Betroffene sich wehren können. |

1. Verkehrspsychologische Zusatzuntersuchung

Neben (fach-)ärztlichen Gutachten, die die Beurteilung ermöglichen sollen, ob eine Erkrankung vorliegt, kann zur Klärung, ob ein sonstiger „Mangel“ in Form verminderter bzw. ungenügender psycho-physischer Leistungsfähigkeit ein medizinisch-psychologisches Gutachten verlangt werden. Ein (nur) ärztliches Gutachten ist dafür nicht geeignet, muss aber der Anordnung des medizinisch-psychologischen Gutachtens vorgehen (VGH Baden-Württemberg 11.8.15, 10 S 444/14, VRS 129, 95; VG Würzburg 13.2.14, W 6 S 14.62).

 

Beachten Sie | Wird nur die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet, macht dieser Fehler die gesamte Gutachtensanordnung rechtswidrig (VG Würzburg 27.7.16, W 6 S 16.680 ‒ juris).

 

Bei einer Demenz mittleren Grades kann zur Klärung der Fahreignung die psycho-physische Leistungsfähigkeit durch eine neuropsychologische Zusatzuntersuchung überprüft werden. Sie erfolgt wegen ihrer Durchführungs- und Auswertungsobjektivität an einem computergesteuerten Testgerät (BayVGH NZV 17, 245). Mit dem Testverfahren können die Belastbarkeit, die Orientierungs-, konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung sowie die Reaktionsfähigkeit einer Person untersucht werden (VG Mainz 14.6.17, 3 K 638/16.MZ).

 

PRAXISHINWEISE |

Bei der Auswahl der wegen ihrer überwiegend eingesetzten Computer-Testsysteme ist besonders darauf zu achten, dass bei der Altersgruppe des zu Testenden

  • die Normvergleiche anwendbar sind und
  • das Testverfahren für die untersuchte Altersgruppe ausreichend normiert ist.

 

Der Testanwender muss den Teilnehmer vor Testbeginn über Zweck und Ablauf unterrichten, seine momentane Verfassung abzuklären und ihn nach der Testung zu Besonderheiten der Prüfsituation befragen (BayVGH NZV 17, 245).

 

Nach Nr. 8.2.3 der Beurteilungskriterien dürfen nur Testgeräte und -systeme genutzt werden, deren Eignung für die Beantwortung der Frage nach der Leistungsfähigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeugs nachgewiesen ist. In den Begutachtungsstellen für Fahreignung kommen danach ganz überwiegend die computergestützten Testsysteme Act and React Testsystem 2020 (ART 2020), das Wiener Testsystem, das Testsystem Corporal A sowie in geringem Umfang auch andere Testbatterien zum Einsatz.

2. Computergestützte Tests unentbehrlich

Zwar hat i. d. R. eine Überprüfung isolierter Leistungsfunktionen mittels computergestützter Testsysteme nur Hinweischarakter für die Fahreignung (VG München 5.5.06, M 6b S 06.1075). Eine Entziehung der Fahrerlaubnis kann deshalb nicht allein darauf gestützt werden (VG München 11.2.11, M 6a K 10.1384). Verzichtbar ‒ wegen einer folgenden Fahrprobe ‒ sind die Tests deshalb jedoch nicht (BayVGH NZV 17, 245; a. A. wohl VG München 28.9.17, M 26 S 17.1401).

 

Beachten Sie | Auch wer bislang noch nie mit Computern zu tun hatte, kann nicht verlangen, dass im Rahmen der medizinisch-psychologischen Untersuchung auf nicht-computerbasierte Testverfahren zurückgegriffen wird.

 

Das Lebensalter spielt keine Rolle. Zwar sind die Aufgaben für den Betroffenen durchaus neu, sie sind jedoch so allgemein verständlich und nachvollziehbar, dass bei einer normalen kognitiven Fähigkeiten die Einstellung auf diese neue Situation gelingen sollte. Es werden keine speziellen Computerkenntnisse vorausgesetzt und nicht mehr an motorischem Geschick und sensorischen Fähigkeiten gefordert, wie sie bei der Bedienung eines Autos ohnehin verlangt wird (VG Mainz 14.6.17, 3 K 638/16.MZ ‒ juris und VG Neustadt/W. 6.6.05, 3 K 63/05 ‒ juris). Einer fehlenden Vertrautheit mit technischen Geräten ist deshalb (nur) durch eine spezielle Einweisung Rechnung zu tragen.

 

Auch ein Hinweis darauf, dass ein Betroffener deshalb beim Test versagt hat, weil er sich in einer Stresssituation befunden hat, geht fehl, da der Test ja gerade das Verhalten in einer solchen Situation, die im Straßenverkehr häufig auftreten kann, testen soll (VG München 27.7.11, M 6a K 10.4921).

3. Fahrprobe und Fahrverhaltensbeobachtung

Gerade bei älteren Fahrerlaubnisinhabern wird aber die Leistungsbeurteilung an einem Testgerät oft nur unzureichende Aussagen über die tatsächliche Fahreignung geben können. Denn: altersbedingt eingeschränkte sensorische Fähigkeiten können sehr wohl durch langjähriger Fahrpraxis ausgeglichen werden. Um dies festzustellen, ist die praktische Fahrprobe ein geeignetes Mittel (VG München 28.9.17, M 26 S 17.1401).

 

a) Fahrprobe

Als Fahrprobe bezeichnet man ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftverkehr (aaSoP) nach § 11 Abs. 4 Nr. 1 FeV. Eine solche ist aber nur sinnvoll ist, wenn sich aus einem vorher eingeholten Gutachten ergibt, dass überhaupt noch eine bestimmte „Mindestleistung“ vorhanden ist. Dazu gehört auch die Einsicht des Betroffenen, dass die (weitere) Teilnahme am Straßenverkehr ein „Kompensationsverhalten“ erfordert (VG Mainz 14.6.17, 3 K 638/16.MZ; VG Regensburg 22.7.15, RO 8 S 15.990). „Versagt“ nämlich jemand völlig beim Test, kann dies bedeuten, dass bei einer plötzlichen Änderung der Verkehrslage deshalb inadäquate Reaktionsschemata in Gang gesetzt werden, weil der Betroffene in der kurzen Zeit die erlernten Verhaltensweisen nicht mehr sinnvoll kombinieren kann (OVG Berlin-Brandenburg 2.5.12, OVG 1 S 25.12). Ansonsten haben praktische Fahrverhaltensbeobachtungen den Vorteil der augenscheinlichen Validität. Sie beobachten das, worum es geht, nämlich das Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr (VG München 28.9.17, M 26 S 17.1401).

 

Natürlich kann sich die mangelnde Eignung auch aus Fahrfehlern während der Fahrprobe ergeben, wenn aus ihnen geschlossen werden kann, dass der Fahrer nicht in der Lage war, altersbedingte Defizite auszugleichen (VG Stade 20.10.14, 1 B 1544/14 ‒ juris). Folge: die Fahrerlaubnis ist zu entziehen.

 

Beachten Sie | Dabei kommt es nach Vorlage des Gutachtens über das Ergebnis der praktischen Fahrprobe auch nicht mehr darauf an, ob die Untersuchung der Kraftfahreignung rechtmäßig angeordnet worden ist (VG Düsseldorf 4.3.15, 14 L 484/15, Blutalkohol 52 15, 292).

 

Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerwG (NJW 88, 825) stellt der BayVGH (23.11.11, 11 CS 11.2067- juris ) fest, dass allgemein anerkannt ist, dass ältere Fahrerlaubnisinhaber mit langer Fahrpraxis psychophysische Leistungsminderungen bis zu einem gewissen Grad durch Erfahrung und gewohnheitsmäßig geprägte Bedienungshandlungen ausgleichen könnten. Zur Feststellung einer solchen Kompensation würde sich etwa zusätzlich zu funktionspsychologischen Leistungstests häufig auch eine praktische Fahrprobe anbieten. Insbesondere eine zusätzlichen Fahrprobe sei auch weniger einschneidend als die zusätzliche Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit einer in diesem Verfahren gegebenenfalls erforderlich werdenden Fahrverhaltensprobe durch den psychologischen Gutachter.

 

„Fahrproben“ von Inhabern einer Fahrerlaubnis sind zwar formell keine praktischen Prüfungen wie bei der Fahrerlaubnisprüfung (§ 17 FeV). Beide Prüfungen dienen aber dem Nachweis, dass eine sichere Verkehrsteilnahme möglich ist. Das rechtfertigt es zumindest im Grundsatz, an eine Fahrprobe die gleichen bzw. vergleichbare Anforderungen zu stellen wie an eine praktische Prüfung i. S. v. § 17 FeV (VG Ansbach 11.8.11, AN 10 S 11.01272; VG Augsburg 27.4.16, Au 7 S 16.508; BayVGH 19.10.10, 11 ZB 10.55).

 

b) Fahrverhaltensbeobachtung

Von der Fahrprobe zu unterscheiden ist die Fahrverhaltensbeobachtung als Teil einer medizinisch-psychologischen Begutachtung, die i. d. R. im Rahmen einer „Fahrschulfahrt“ mit einem Fahrlehrer unter Beteiligung eines Verkehrspsychologen erfolgt (VG München 28.9.17, M 26 S 17.1401).

 

Zwar kann eine medizinisch-psychologische Untersuchung bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung einerseits mit dem Bezug zu alltäglichen Verkehrssituationen und andererseits mit einer psychologischen Bewertung möglicherweise noch eine bessere Beurteilungsgrundlage geben im Hinblick auf mangelnde sensorische Leistungen oder Reaktionsleistungsschwächen und eigener Leistungseinschätzung des Klägers. Es ist aber jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob eine medizinisch-psychologische Untersuchung im Hinblick auf das verfolgte Ziel notwendig ist, da die Erhebung insbesondere der psychologischen Befunde nicht unerheblich in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen eingreift (BayVGH 3.4.07, 11 C 07.331 ‒ juris).

4. Beschränkung der Fahrerlaubnis

Ein Kraftfahrer kann trotz psychischer Leistungsmängel gemäß § 11 Abs. 2 FeV zum Führen von Kraftfahrzeugen (auch bloß) bedingt geeignet sein (Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, S. 12). Die Feststellung der bedingten Eignung kommt in Betracht, wenn zwar gravierende Leistungsbeeinträchtigungen bestehen und deshalb eine uneingeschränkte Fahrtätigkeit im Rahmen der beantragten oder bereits erteilten Fahrerlaubnisklasse nicht infrage kommt, aber das Risiko durch geeignete Auflagen und Beschränkungen auf ein vertretbares Maß zu reduzieren ist.

 

Bei (noch) bedingter Eignung gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Fahrerlaubnis nicht vollständig zu entziehen, sondern sie (nur) zu beschränken. Geeignete Auflagen und Beschränkungen sind nach den Begutachtungsleitlinien, wenn die Fahrtätigkeit

 

  • wird nur unter bestimmten Auflagen (z. B. begrenzte Höchstgeschwindigkeit, Fahren nur innerhalb fester Lenkzeiten) ausgeübt,
  • nur innerhalb eines begrenzten Umkreises gestattet,
  • auf eine bestimmte Fahrzeugart oder ein bestimmtes Fahrzeug beschränkt (z. B. mit einer bauartbedingten reduzierten Höchstgeschwindigkeit).

 

PRAXISHINWEIS | Sich einer Fahrprobe oder gar ein Fahrverhaltensprobe ausgesetzt zu sehen ist keine angenehme Sache. Dem kann man vorbeugen. Viele Fahrschulen bieten sog. Fahrkompetenztest an. Speziell ausgebildete und geprüfte Fahrkompetenztester prüfen dabei die Fähigkeiten der Kunden. Selbstverständlich streng vertraulich. Jeder Teilnehmer entscheidet für sich, wie er mit dem Ergebnis umgeht. Eine Meldung an die Zulassungsbehörde erfolgt nicht. Sich wegen eines solchen Tests an eine Fahrschule zu wendet erfordert aber auch genügend Einsicht in eigene, altersbedingte Defizite im Straßenverkehr.

 

5. Fazit

Mit zunehmendem „Älterwerden“ der Bevölkerung nimmt auch der Anteil der Senioren an den Fahrerlaubnisinhabern zu. Mit dem Abnehmen der psycho-physischen Leistungsfähigkeit im Alter stellt sich die Frage, ob noch die erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegt. Einbußen an Reaktionsvermögen und sensorischen Fähigkeiten im Alter können durch Erfahrung und langjährige Fahrpraxis ausgeglichen werden; „hohes Alter“ allein ist deshalb kein Grund, an der Fahreignung zu zweifeln. Solche Zweifel ‒ mit der Konsequenz einer Aufklärungspflicht ‒ müssen sich aus Tatsachen, also etwa aus konkreten Vorkommnissen ergeben. Als Überprüfungsmethode für die Eignung bietet sich zumeist die praktische Fahrprobe an.

Quelle: Ausgabe 03 / 2018 | Seite 46 | ID 45108313