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  • · Fachbeitrag · Steueramtshilfegesetz

    Tausend auf einen Streich: Ist die Schweiz zur Beantwortung von Gruppenanfragen verpflichtet?

    von RA Daniel Holenstein, eidg. dipl. Steuerexperte, FGS Zürich AG, Zürich

    | Unter dem Titel „Tausend auf einen Streich“ berichtete die Wirtschaftswoche über weit fortgeschrittene Vorbereitungsarbeiten im BZSt bzw. BMF zu Gruppenanfragen an die Schweiz (WiWo Nr. 20 vom 12.5.14, S. 86). Nach der vom Schweizer Parlament vorgenommenen Präzisierung des Bundesgesetzes über die internationale Amtshilfe in Steuersachen in der Fassung vom 21.3.14 (StAhiG) seien deutsche Gruppenanfragen an die Schweiz für Vorgänge ab dem 1.2.13 zulässig (WiWo Nr. 20 vom 12.5.14, S. 86, 87). Der folgende Beitrag geht der Frage nach, ob diese Aussage zutrifft. |

    1. Steueramtshilfegesetz in der ursprünglichen Fassung

    Das am 28.9.12 erlassene StAhiG sah Gruppenersuchen in seiner ursprünglichen Fassung nicht explizit vor, hatte sie jedoch auch nicht ausgeschlossen. In der Gesetzesberatung hat die erstberatende Kammer des Parlaments, der Nationalrat, beschlossen, dass Amtshilfe ausschließlich auf Ersuchen im Einzelfall geleistet wird (Amtliches Bulletin 2012 Nationalrat, S. 90 bis 95). Die zweite Kammer, der Ständerat, hat die Begrenzung auf Einzelersuchen in seiner Sitzung vom 29.5.12 gestrichen und dadurch eine Differenz zum Nationalrat geschaffen. Diese Anpassung war dem Umstand geschuldet, dass die Publikation des geänderten Kommentars zu Art. 26 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) unmittelbar bevorstand und der geänderte Kommentar auch Ausführungen zu Gruppenanfragen enthielt. Dem Ständerat war bewusst, dass spätestens nach der Publikation des geänderten Kommentars Gruppenanfragen zum OECD Standard gehören würden.

     

    Im danach fälligen Differenzbereinigungsverfahren haben sich die beiden Räte auf die Version des Ständerates verständigt, wonach Amtshilfe ausschließlich auf Ersuchen geleistet wird (Art. 4 Abs. 1 StAhiG). Da die Begrenzung auf den Einzelfall gestrichen wurde, ist davon auszugehen, dass das StAhiG in seiner Fassung vom 28.9.12 Gruppenersuchen zwar nicht explizit vorsieht, jedoch auch nicht ausschließt (Waldburger, IFF Forum für Steuerrecht 2013, S. 110, 117). Dies geht nicht zuletzt auch aus der Verordnung vom 16.1.13 über die Amtshilfe bei Gruppenersuchen nach internationalen Steuerabkommen hervor, welche Gruppenersuchen auf Sachverhalte begrenzt, die sich am oder nach dem Tag des Inkrafttretens des StAhiG, dem 1.2.13, ereignet haben. Wären Gruppenersuchen nicht zulässig, wäre diese Verordnung überflüssig.

    2. Das StAhiG ist ein Ausführungsgesetz

    Das StAhiG bezweckt den Vollzug der Steueramtshilfe gestützt auf DBA und andere internationale Abkommen (Art. 1 Abs. 1 StAhiG). Es ist also ein Ausführungsgesetz, das darüber hinaus den Vorrang des im Einzelfall anwendbaren Abkommens vor dem StAhiG ausdrücklich vorsieht (Art. 1 Abs. 2 StAhiG). Demnach sind Gruppenersuchen ohne völkerrechtliche Grundlage nicht zulässig. Diese Schlussfolgerung enthält durch die Ausführungen der Finanzministerin, Eveline Widmer-Schlumpf, in der Beratung des StAhiG im Nationalrat am 12.9.12 weitere Nahrung. Sie wurde von verschiedenen Mitgliedern des Nationalrates gefragt, welche Abkommen zu ändern seien, damit Gruppenanfragen zu erfüllen sind. Auf diese Frage hat sie wiederholt geantwortet, dass nur diejenigen Abkommen anzupassen seien, welche von Gesuchen im Einzelfall sprechen würden (Amtliches Bulletin 2012 Nationalrat, S. 1350, 1351, Voten Eveline Widmer-Schlumpf). Wäre die Amtshilfe ohne entsprechende völkerrechtliche Grundlage gestützt auf das StAhiG möglich, hätte dies die Finanzministerin in die Debatte eingebracht.

    3. DBA Schweiz und Deutschland

    Gemäß den Ausführungen der Finanzministerin im Nationalrat sind von den in jenem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen DBA nur - aber immerhin - diejenigen zu ändern, welche von Ersuchen im Einzelfall sprechen. Die Finanzministerin hat nicht dargelegt, welche Abkommen dies betrifft.

     

    Die Schweiz hat mit den einzelnen Vertragsstaaten jeweils Schlussprotokolle zu den DBA bzw. Revisionsprotokollen geschlossen, welche auch die Anforderungen an ein Amtshilfeersuchen enthalten. Das zwischen der Schweiz und Deutschland am 27.10.10 geschlossene Schlussprotokoll (Amtliche Sammlung des Bundesrechts 2012, 825, 829) sieht Folgendes vor: „Es besteht Einvernehmen darüber, dass die zuständige Behörde eines Vertragsstaates bei der Stellung eines Amtshilfeersuchens nach Art. 27 der zuständigen Behörde des ersuchten Staates die nachstehenden Angaben zu übermitteln hat, hinreichende Angaben zur Identifizierung der in eine Überprüfung oder Untersuchung einbezogenen Person (typischerweise der Name und, soweit bekannt, Geburtsdatum, Adresse, Kontonummer oder ähnlich identifizierende Informationen)“. Dieses Protokoll spricht also von Gesuchen im Einzelfall, gehört demnach zu denjenigen Abkommen, die anzupassen sind.

     

    Ein weiteres Indiz für die Schlussfolgerung sind die Ausführungen des Bundesrates in seiner Botschaft an das Parlament zur Genehmigung des mit Deutschland am 27.10.10 vereinbarten Revisionsprotokolls zum DBA. Die deutschen Unterhändler hätten die Ansicht vertreten, die Identifikation der von der Amtshilfe betroffenen Person im Ersuchen sei nicht erforderlich, solange die Identifikation durch den im ersuchten Staat domizilierten Informationsinhaber möglich sei. Sie hätten daher mit Hinweis auf das vom Schweizer Bundesverwaltungsgericht am 5.3.09 gesprochene Urteil in der Rechtssache UBS/USA die Zulassung von Gruppenersuchen gegen eine unbestimmte Anzahl von Personen verlangt, die durch dasselbe Verhaltensmuster verbunden sind. Die schweizerische Delegation konnte diese Forderung erfolgreich zurückweisen, da Gruppenersuchen damals noch nicht zum OECD-Standard gehörten. Nach intensiven Verhandlungen akzeptierte Deutschland die Identifikation der von der Amtshilfe betroffenen Personen durch den ersuchenden Staat als Element des Ersuchens vorzusehen (Botschaft zur Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des DBA auf dem Gebiete der Steuern vor Einkommen und vom Vermögen vom 3.12.10, Bundesblatt 2011, 485, 495). Dieses Verhandlungsergebnis fand dann Eingang in das Schlussprotokoll.

    4. StAhiG keine Rechtsgrundlage für „freiwillige“ Amtshilfe

    Das revidierte StAhiG in seiner Fassung vom 21.3.14 enthält nun zwar Bestimmungen über Gruppenersuchen, ist jedoch noch immer keine Grundlage für die „freiwillige“ Amtshilfe bei Gruppenersuchen, wenn eine völkerrechtliche Grundlage fehlt. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung, welche die „freiwillige“ Amtshilfe beim Fehlen einer völkerrechtlichen Verpflichtung regelt, sondern auch aus der Gesetzesberatung. Eine Minderheit der Kommission des Nationalrates hatte den Antrag eingebracht, Steueramtshilfe auch an Staaten zu leisten, mit denen keine völkerrechtlichen Vereinbarungen über den Austausch von Steuerinformationen bestehen, sofern diese Staaten der Schweiz Gegenrecht gewähren und rechtsstaatlich organisiert sind (Amtliches Bulletin 2013 Nationalrat S. 2184, Votum Louis Schelbert). Der Nationalrat hat diesen Antrag in seiner Sitzung vom 12.12.13 deutlich verworfen. Er folgte dabei den Argumenten des Sprechers der Kommission, der ausführte, dass die Schweiz heute Amtshilfeverfahren immer auf einen Vertrag stütze, in dem klar aufgezeigt werde, unter welcher Bedingung welcher Staat was tue (Amtliches Bulletin 2013 Nationalrat S. 2185, Votum Thomas Maier). Indem der Nationalrat die freiwillige Amtshilfe an Staaten verworfen hat, mit denen überhaupt kein völkerrechtlicher Vertrag über Steuerinformationen besteht, hat er auch die „freiwillige“, über die im Abkommen enthaltenen Verpflichtungen hinausgehende Amtshilfe abgelehnt. Nach seiner Auffassung muss sich die Steueramtshilfe nämlich immer auf einen völkerrechtlichen Vertrag stützen können.

    5. Die ESTV ist womöglich anderer Meinung

    Für die Beurteilung von ausländischen Amtshilfeersuchen ist die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) zuständig (Art. 2 S. 1 StAhiG). Gelangt diese nach Vorprüfung des Gruppenersuchens zum Ergebnis, dieses sei zulässig und genüge den Anforderungen an Gruppenersuchen, fordert sie den im Ersuchen bezeichneten Informationsinhaber auf,

    • die vom im Gruppenersuchen umschriebenen Verhaltensmuster betroffenen Personen zu identifizieren (Art. 14a Abs. 1 StAhiG),
    • ihr die vom ersuchenden Staat über diese Personen gewünschten Informationen herauszugeben sowie
    • die von der Amtshilfe betroffenen Personen mit Wohnsitz im Ausland über das Ersuchen zu informieren und sie gleichzeitig aufzufordern, innert 20 Tagen einen Zustellbevollmächtigten zu bezeichnen (Art. 14a Abs. 3 StAhiG).

     

    Die ESTV publiziert zudem den Eingang und Inhalt des Ersuchens im Bundesblatt (Art. 14a Abs. 4a StAhiG). Die von der Amtshilfe betroffene Person bzw. der von ihr bezeichnete Vertreter kann sich am Verfahren beteiligen, Einsicht in die Akten nehmen und Stellungnahmen einreichen. Stimmt die betroffene Person der Herausgabe der Informationen nicht zu, erlässt die ESTV eine beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbare Schlussverfügung, in welcher sie die an den ersuchenden Staat herausgegebenen Informationen und Beweismittel umschreibt (Art. 17 Abs. 1 StAhiG). Wurde kein Zustellbevollmächtigter in der Schweiz benannt, veröffentlicht die ESTV die gegen die betroffene Person erlassene Schlussverfügung ohne Namensnennung im Bundesblatt (Art. 14a Abs. 6 StAhiG). Die Beschwerdefrist beginnt am Tag der Publikation zu laufen.

     

    Eine gegen die Schlussverfügung erhobene Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. Die Informationen und Beweismittel dürfen erst nach Rechtskraft der die Amtshilfe bewilligenden Entscheidung an den ausländischen Staat herausgegeben werden (Art. 20 StAhiG).

     

    Es ist nicht auszuschließen, dass sich die ESTV der hier vertretenen Auffassung nicht anschließt und von der Zulässigkeit von deutschen Gruppenersuchen ausgeht. Sollte dies zutreffen, wird sie die Informationen über diejenigen Personen herausgeben, die der Herausgabe zugestimmt oder die gegen sie erlassene Schlussverfügung nicht erfolgreich angefochten haben.

     

    Sollte das Bundesverwaltungsgericht zu einem späteren Zeitpunkt Beschwerde von einem anderen Betroffenen gutheißen, weil gestützt auf die aktuelle Rechtsgrundlagen die Erfüllung deutscher Gruppenersuchen unzulässig ist, würde sich dies nicht auf die bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren auswirken. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass die deutschen Behörden mit einer Gruppenanfrage selbst dann (teilweise) erfolgreich sein und Informationen erhalten werden, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Zulässigkeit deutscher Gruppenersuchen zu einem späteren Zeitpunkt verneinen sollte.

    6. Schlussfolgerungen

    Nach der Gesetzesänderung vom 21.3.14 enthält das StAhiG auch Bestimmungen über Gruppenersuchen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit eine Rechtsgrundlage für Gruppenersuchen Deutschlands an die Schweiz geschaffen wurde. Da das StAhiG ein Ausführungsgesetz ist und im Parlament der Vorstoß gescheitert ist, Steueramtshilfe auch ohne völkerrechtliche Grundlage zu leisten, erfordert die Erfüllung von Gruppenersuchen eine Grundlage im entsprechenden Abkommen. Eine solche fehlt in Abkommen, die nur Ersuchen im Einzelfall vorsehen. Das zwischen der Schweiz und Deutschland bestehende DBA in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 27.10.10 ist ein solches Abkommen, das keine völkerrechtliche Grundlage für Gruppenersuchen enthält. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich die ESTV dieser Auffassung nicht anschließt und von der Zulässigkeit deutscher Gruppenersuchen ausgeht. Dies könnte dazu führen, dass die deutschen Behörden selbst dann Informationen über einzelne von der Gruppenanfrage betroffene Personen erhalten werden, wenn das Bundesverwaltungsgericht nach rechtskräftigem Abschluss der diese Personen betreffenden Verfahren die Beschwerden anderer Steuerpflichtiger gutheißen und die Amtshilfe gestützt auf deutsche Gruppenersuchen stoppen würde.

     

    Bejaht die ESTV in ihrer Schlussverfügung die Zulässigkeit der Gruppenanfrage, kommt es zusätzlich auf das Verhalten des Betroffenen an. Ficht er die Schlussverfügung nicht an, weil er diese akzeptieren möchte oder von dieser nicht rechtzeitig, innerhalb der Beschwerdefrist von 30 Tagen, Kenntnis erlangt hat, erwächst die Schlussverfügung in Rechtskraft. Daran würde auch ein zu einem späteren Zeitpunkt gefälltes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in von anderen Personen erhobenen Beschwerdeverfahren nichts ändern. Damit sich die Betroffenen gegen die Herausgabe ihrer Daten wehren können, müssen sie also wissen, dass sie vom Amtshilfeersuchen betroffen sind. Sie sind darauf angewiesen, dass sie vom Informationsinhaber informiert werden oder aufgrund der Publikation des Ersuchens im Bundesblatt davon erfahren.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 232 | ID 42727747