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  • 22.10.2010 | Selbstanzeigenberatung

    Vorzeitiger Abschied von der Teilselbstanzeige?

    von Prof. jun. Dr. Karsten Gaede, Bucerius Law School, Hamburg

    Während das Parlament noch über die Zukunft der Selbstanzeige beriet, hatte der 1. Strafsenat den § 371 AO mit seinem Beschluss vom 20.5.10 (1 StR 577/09, Abruf-Nr. 101811) diese schon - im Sinne der heute allgemeinen Überzeugung von der besonderen Verwerflichkeit der Steuerhinterziehung - umgestaltet. So diskutabel die Erörterungen des Senats zur Begrenzung der Selbstanzeige de lege ferenda sein mögen. Das Beispiel der Teilselbstanzeige zeigt pars pro toto, dass der Beschluss des Senats die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung zu gering schätzt.  

    1. Verbotene belastende teleologische Reduktion

    Wenn kein Sperrgrund besteht, gesteht § 371 Abs. 1 AO jedem Steuerpflichtigen eine Befreiung von der Bestrafung wegen Steuerhinterziehung „insoweit“ zu, als er „in den Fällen des § 370 unrichtige oder unvollständige Angaben ... berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt“. Bislang war es infolge dieses Wortlauts und im Hinblick auf den primär fiskalischen Normzweck der Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 AO allgemeine Meinung, dass auch eine Teilselbstanzeige wirksam ist (BGH 12.8.87, wistra 87, 342; BGH 13.10.98, wistra 99, 27 f.; Kohler, MüKo-StGB, 2010, § 371 Rn. 57 ff.). Immerhin erlangt der Staat auch hier Steuereinnahmen, die ihm bislang unzugänglich waren.  

     

    1.1 Die Umkehr des 1. Strafsenats

    Diese Auslegung will der Senat nun aufgeben, weil sie mit dem von ihm neu interpretierten Zweck der Selbstanzeige nicht harmoniert: Da in der Selbstanzeige eine Privilegierung des Steuerstraftäters liege, bedarf sie für den 1. Strafsenat „einer doppelten Rechtfertigung“. Zum einen sollen verborgene Steuerquellen erschlossen werden; zum anderen soll dem Täter ein Anreiz gegeben werden, zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Der fiskalische Zweck sei allein zur Rechtfertigung „schwerlich“ geeignet und überdies wegen der heute bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten und der verbesserten internationalen Zusammenarbeit nicht mehr von gleichem Gewicht. Deshalb greife § 371 AO nur ein, wenn der Täter vollumfänglich zur Steuerehrlichkeit zurückkehrt. Da diese Rückkehr zur vollständigen Steuerehrlichkeit bei der Teilselbstanzeige fehle, versagt ihr der Senat die bislang eintretende teilweise Strafbefreiung. Dies gilt besonders für die „dolose Selbstanzeige“. Das „insoweit“ des § 371 Abs. 1 AO soll lediglich klarstellen, dass nur die Strafbarkeit gemäß § 370 AO entfalle.  

     

    1.2 Vernachlässigung der strengen Gesetzesbindung des Art. 103 Abs. 2 GG

    Der Senat gibt damit ein Musterbeispiel für eine in sich schlüssige zweckrationale Interpretation. Allein: Der oft nur schwer zu bestimmende Zweck des Gesetzes darf im Strafrecht nicht das einzig leitende Auslegungskriterium sein. Vielmehr zieht der Wortlaut zweckrationalen Argumenten Grenzen (BVerfG 10.1.95, BVerfGE 92, 1, 12 ff.; BVerfG 20.3.02, BVerfGE 105, 135, 157). Die Rechtsprechung muss den Gesetzgeber im Strafrecht „beim Wort nehmen“ (BVerfG 23.10.85, BVerfGE 71, 108, 115 f.). Übersteigen zweckrationale Argumentationen den Wortlaut, betreibt die Rechtsprechung eine unzulässige Rechtsfortbildung zulasten des Täters, die gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (Gaede, AnwaltKomm-StGB, 2010, § 1 Rn. 27 ff., m.w.N.). Verfassungsrechtlich untersagt ist nicht nur die Überdehnung eines auf Strafe gerichteten Wortlauts. Verfassungswidrig ist ebenso - wie auch der Senat im Ansatz anerkennt - die teleologische Reduktion einer strafbefreienden Norm. Konkret untersagt das Verbot der teleologischen Reduktion dem Rechtsanwender, den möglichen Wortsinn strafbefreiend wirkender Normen zugunsten von Zweckerwägungen zu unterschreiten (BGH 14.5.96, BGHSt 42, 158, 161 f.; BGH 9.9.97, BGHSt 43, 237; LK-Dannecker, StGB, 12. Aufl., § 1 Rn. 252, 261).  

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