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· Fachbeitrag · Team

„Flurfunk“ - auch bei Ihnen ein Problem? Hintergründe und Lösungsansätze

von Anna Schmiedel, Dortmund, www.coaching-schmiedel.de

| „Flurfunk ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für den informellen Informationsfluss innerhalb eines Unternehmens“ - so definiert Wikipedia „Flurfunk“. Der Begriff bezeichnet eine spezielle Form des formlosen Informationsflusses: Auf einem Flur verbreiten sich Informationen durch dort geführte Gespräche. Manche dieser Informationen sind unverfänglich, manche stimmungsfördernd, manche aber auch ganz das Gegenteil. Das kann sich auch in Zahnarztpraxen zu einem echten Problem auswachsen. Aber zu einem lösbaren, wie dieser Beitrag aufzeigt. |

Was macht Flurfunk aus?

Beim Flurfunk erfolgt die Weitergabe der Informationen nicht nur zwischen den Gesprächspartnern, sondern auch ungeplant über zufällig Anwesende und Mithörende in nahe gelegenen Büros mit geöffneten Türen. Dabei geht es oft um Informationen, Absprachen oder Abläufe. Informationen werden weitergegeben oder Erfahrungen kurzfristig ausgetauscht. Der Flurfunk selbst hat viele Facetten, die nachfolgend erläutert werden.

Klatsch und Tratsch

Überall wo Menschen zusammen lernen, arbeiten oder ihre Freizeit verbringen, wird auch über andere - meist in dem Moment nicht anwesende - Personen geredet. Erfahren die Menschen, über die geredet wurde, davon - indem sie z. B. unerwartet den Raum betreten -, so führt dies oft zu unangenehmen Situationen.

 

Wissenschaftler untersuchen seit Längerem die Macht der Gerüchte. Eine wichtige Funktion von Gerüchten - so ist mittlerweile klar - ist es, die Gruppen stärker zusammenzuhalten. Tratsch ermöglicht es, die Werte einer Gemeinschaft durch den Vergleich mit anderen Gruppen immer wieder klar zu definieren. So lästern Mitarbeiter einer Praxis nicht selten gemeinsam über eine andere Praxis oder über einen ehemaligen Arbeitgeber.

 

Regelmäßiger Flurfunk kann sogar die Produktivität erhöhen, fand etwa die Arbeitspsychologin Kathryn Waddington von der Universität London bei einer Umfrage unter rund 100 Krankenschwestern und -pflegern heraus: Der Plausch zwischendurch half den Betroffenen, Dampf abzulassen sowie negative Gefühle und Stress schneller abzubauen. Zudem erfüllt das Gerede wichtige soziale Funktionen. Zum einen stärkt es den Zusammenhalt der Gruppe, zum anderen transportiert es unterschwellig deren Werte. Eine solche wohlmeinende, eher auf Solidarität ausgerichtete Form des Flurfunks in einem Team nutzt also allen Beteiligten - auch den Arbeitgebern!

Wirkung von Gerüchten

Es wird jedoch im Team häufig auch übereinander getratscht. Das Erstaunliche, das Forscher in ihren Untersuchungen feststellten: Auch wenn die Probanden alle neutralen und wichtigen Informationen über eine Person haben, lassen sie sich in ihren Entscheidungen maßgeblich von Gerüchten beeinflussen. Das zeigt, wie stark Gerüchte die Handlung der Menschen manipulieren.

 

  • Beispiel

Tanja: „Sabrina bevorzugt den Dr. Müller bei der Terminvergabe. Er bekommt immer die besten Patienten und die anderen Zahnärzte den Rest.“ Ella: „Meinst du wirklich?“ Tanja: „Ja klar! Ist dir das noch nicht aufgefallen? Letzte Woche hatte der jeden Tag zwei Privatpatienten! Ich glaub, die hat was mit dem.“

 

Ella wird ab jetzt stärker darauf achten, ob Sabrina einen Arzt bevorzugt behandelt. Ab jetzt wird sie jedes nette Wort, jedes freundliche Lächeln dahin gehend prüfen, ob sie Anzeichen dafür findet, dass die beiden tatsächlich „was miteinander haben“. Dabei passiert es leicht, dass sie ab jetzt Handlungen völlig anders bewertet als sie es noch letzte Woche getan hat.

Zeitvertreib

Manche Menschen reden aus Langeweile über andere. Es hat etwas Leichtes und lenkt von eigenen Themen, über die man gerade nicht reden mag, ab. Manchmal fühlt es sich kurzzeitig selbstwerterhöhend an, über jemanden - z. B. eine Kollegin - zu reden, die ganz offensichtlich etwas schlechter macht als man selbst.

 

  • Beispiel

Anja und Britta arbeiten gemeinsam im Sterilisationsraum und unterhalten sich.

„Hast du mitbekommen, wie Claudia heute schon wieder drauf ist?“ „Nee, wie denn?“ Anja macht einen Gesichtsausdruck und beide fangen an zu lachen.

 

Wer kein wirklich erfüllendes Aufgabengebiet hat und irgendwie die Zeit totschlagen will, „textet“ andere Leute zu. Wie wäre es mit einer neuen Herausforderung oder einer spannenden Weiterbildung?

Suche nach Verbündeten bei Konflikten

In Konflikten suchen sich die Streitenden Verbündete, indem sie den Konflikt aus ihrer Sicht erzählen. Damit wollen sie sich möglichst Bestätigung und emotionale Unterstützung abholen. Dieser Mechanismus läuft sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld ab und fühlt sich für viele Menschen „normal“ an. Mitunter werden auch mutwillig falsche Informationen, die rufschädigend sind, verbreitet, weil man sich beispielsweise Hoffnung auf die Stelle des Kollegen oder der Kollegin macht.

 

Die Resultate sind alles andere als „normal“. Solche Gespräche schwächen die Vertrauensbasis in Ihrem Team und lenken die Energie auf Nebenschauplätze. Auf einmal wird zwischen jeder Behandlung, in der Pause und nach Feierabend weiter - z. B. auch per WhatsApp oder Facebook - über diese Inhalte kommuniziert. Damit wird das Problem in der Wahrnehmung der Beteiligten - und oft am Anfang Unbeteiligten - immer größer. Wer wundert sich dann noch, dass in der Praxis das Arbeitsaufkommen nicht mehr geschafft wird? Die geistigen Ressourcen, die Aufmerksamkeit und Leidenschaft gehen hier in eine Richtung, die den Patienten und der Praxis schadet.

Schlechte Konfliktlösungskultur: Gift für das Teamklima

Es gibt viele Gründe, die den „Flurfunk“ in einer Praxis begünstigen. Praxen, die keine oder eine schlechte Konfliktlösungskultur haben, fördern die Tatsache, dass Mitarbeiter ihren Ärger mit unbeteiligten Dritten teilen.

 

Fühlen sich Menschen ungerecht behandelt, sind sie gekränkt oder fühlen sich in Strukturen gefangen, die starr sind und trotz mehrfachen Ansprechens nicht geändert werden? Dann müssen die Gefühle raus.

 

PRAXISHINWEIS | Hier sind vor allem Praxischefs und -chefinnen gefordert. Sie müssen eine Kultur schaffen, in der alles offen angesprochen werden kann. Die Gefühle, die gerade da sind, sind nun mal da und werden ihren Weg „nach draußen“ finden. Wenn Sie den offenen Weg schließen, fördern Sie das Reden übereinander.

 

Persönlicher Nutzen durch Tratsch

Wer möchte nicht mal gerne im Mittelpunkt stehen, anstatt immer nur das graue Mäuschen zu sein? Um sich selbst für andere interessant zu machen, hilft oft eine interessante Information. Wer selbst Schwierigkeiten an der einen oder anderen Stelle hat, kann hervorragend ablenken, indem er auf die viel schlimmeren Probleme eines Dritten verweist, um somit die eigenen Defizite zu verbergen. Außerdem neigen Menschen dazu, sich zu vergleichen: Ist diese Mitarbeiterin besser?

 

Geschwätzigkeit ist keinesfalls eine weibliche Domäne - von wegen Klatschweiber. Tatsächlich haben Männer wie Frauen dieselbe Freude am Flüstern und Flurfunken, wie etwa der Bielefelder Soziologe Jörg Bergmann ermittelt hat. Der Wissenschaftler fand bei seinen Studien allerdings auch heraus, dass Männer und Frauen inhaltlich anders „klatschen“:

 

  • Zwar plaudern beide gleich gerne über das jeweils andere Geschlecht.
  • Frauen werden bei ihren Erzählungen jedoch entweder deutlich gehässiger oder aber mitfühlender.
  • Männer wiederum tratschen emotionsloser und thematisieren vornehmlich das neue Auto des Nachbarn, das iPhone des Kollegen oder die Figur der Geliebten.

Verbreitung der Inhalte

Der amerikanische Buzz-Experte und Buchautor Jerry R. Wilson hat einmal branchenübergreifend untersucht, wie sich gute und schlechte Kundenerlebnisse verbreiten. Positive Erlebnisse werden bis zu dreimal weitererzählt, schlechte Erlebnisse jedoch bis zu 33-mal. Wenn man also jemanden vergrätzt, ist die Chance groß, dass er das elfmal häufiger weitertratscht als der Mensch, zu dem man gerade nett war. Was für ein Verhältnis! Das Gleiche gilt für die Inhalte, die Mitarbeiter untereinander erzählen. Es wird viel häufiger darüber geredet, was nicht geklappt hat, was nicht läuft, was frustriert, welcher Patient schwierig war etc. als über schöne, leichte Erfahrungen oder Erfolge.

 

PRAXISHINWEIS | Machen Sie diese Untersuchung mal zum Thema in einer Teambesprechung. So können Sie allen Teammitgliedern in Erinnerung rufen, dass die Stimmung in Ihrem Team sehr viel besser sein könnte, wenn die Teammitglieder stärker darauf achten, auch positive Inhalte weiterzugeben statt sich (unbewusst) auf die negativen zu fokussieren.

 

Reflexion

Manchmal brauchen wir einen anderen Menschen, der uns hilft, unsere Gedanken zu ordnen und die aufgebrachten Gefühle zu beruhigen. In diesem Fall ist es sehr sinnvoll, das Gespräch mit einer vertrauten Kollegin zu suchen. Tun Sie es jedoch nicht auf dem Flur, nicht zwischen Tür und Angel, wo Sie von anderen gehört werden können. Solche Gespräche sind so wichtig, dass Sie sich dafür nach Feierabend verabreden können. Damit wird der Unterschied zum Tratschen auch gleich deutlich

Flurfunk einfach verbieten - das geht nicht

Als Chef oder Chefin können Sie den Flurfunk nicht einfach verbieten. Tratsch wirkt sich an vielen Stellen negativ aus, jedoch bedient er - wenn auch oberflächlich - einige wichtige Bedürfnisse. Wenn Sie sich gemeinsam auf den Weg machen, die Bedürfnisse, die hinter den nachteiligen Auswirkungen des Flurfunks entstehen, zu entdecken, werden Sie in der Lage sein, bessere Strategien zur Befriedigung dieser Bedürfnisse zu finden. Bis dahin achten Sie jedoch unbedingt darauf, dass Patienten nichts von dem Tratsch mitbekommen. Das würde ein schlechtes Bild auf Ihre Praxis werfen.

 

  • Beispiel

Lachen verbindet. Auslachen verletzt. Dahinter könnte das Bedürfnis nach Verbindung und Leichtigkeit stecken. Lachen Sie lieber über sich selbst oder über die Situationskomik als über andere. Und lachen Sie, sooft Sie können, mit Kollegen, Patienten und Chefs.

 

Weiterführende Hinweise

Quelle: Ausgabe 05 / 2017 | Seite 2 | ID 44593481