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  • · Fachbeitrag · Praxisangebote

    Reha-Sport - Fluch oder Segen?

    von Dipl.-Volkswirt / Sportwissenschaftler (M.A.) Uwe Schiessel, Uwe Schiessel Consulting (www.USConline.de)

    | Da sich viele Erkrankungen - und damit auch spätere Bewegungseinschränkungen (Behinderungen) - auf Bewegungsmangel zurückführen lassen, ist es ein großes Anliegen, die Menschen wieder in die Bewegung zu bringen. Mit dem Rehabilitationssport (§44 SGB IX) wurde ein Sportangebot geschaffen, das von den Krankenkassen komplett bezahlt wird. Als Dienstleister im Gesundheitssektor fragen sich immer mehr Physiotherapeuten, wie sinnvoll es ist, Rehabilitationssport (kurz: Reha-Sport) bei sich ins Angebot aufzunehmen. In diesem Beitrag werden die Rahmenbedingungen angerissen und das Für und Wider des Reha-Sports erläutert. |

    Was ist Reha-Sport?

    Zunächst stellt sich die Frage, was Reha-Sport eigentlich ist bzw., was ihn ausmacht. Reha-Sport

    • ist ein von den Krankenkassen bezahltes Sportangebot, das sich an behinderte und von einer Behinderung bedrohte Menschen richtet.
    • wird bis auf wenige Ausnahmen von Sportvereinen angeboten, die Mitglied in einem Behinderten- oder Versehrtensportverband sind.
    • ist ein Gruppenangebot (zum Beispiel Gymnastik, Leichtathletik, Schwimmen und Bewegungsspiele). Die Gruppengröße beträgt in der Regel maximal 15 Personen.
    • kann nicht im Kampfsportbereich oder für Selbstverteidigungsgruppen angeboten werden.
    • darf keine Übungen an technischen Geräten beinhalten, die zum Muskelaufbau oder zur Ausdauersteigerung dienen (zum Beispiel Arm-/Beinpresse, Laufband, Sequenztrainingsgeräte, Geräte mit Seilzugtechnik). Ergometertraining ist in Herzsportgruppen dagegen erlaubt.
    • wird in 45 Minuten Einheiten abgehalten
    • wird in der Regel pro Einheit und Patient mit 5 Euro vergütet. Je nach Bundesland und Kostenträger gibt es hier abweichende Vereinbarungen.

    Grundvoraussetzungen für Rehasportanbieter

    Wem in Anbetracht der Vergütung von 5 Euro/Teilnehmer noch nicht die Lust am Reha-Sport vergangen ist, der sollte folgende Bedingungen erfüllen:

    • Sie benötigen Räumlichkeiten, zum Beispiel einen Gymnastikraum, der in der Regel pro Teilnehmer 5 qm Platz bieten und mindestens 60 qm groß sein muss.
    • Als Übungsleiter benötigen Sie eine gültige Übungsleiterlizenz für Reha-Sport mit begrenzter Gültigkeit, die regelmäßig erneuert werden muss.
    • Sie benötigen als Reha-Sport-Anbieter einen betreuenden Arzt, der bei Fragen der Teilnehmer oder der Übungsleiter Ansprechpartner ist.
    • In Herzsportgruppen muss ein Arzt anwesend sein.

     

    In der Regel haben Physiotherapeuten nur einen Gymnastikraum für die Zulassung der Praxis mit einer Mindestgröße von 20 qm. Hier kann es nötig sein, für den Reha-Sport andere Räume (eventuell stundenweise) anzumieten.

    Verordnung von Reha-Sport

    Reha-Sport wird von Ärzten auf Grundlage einer ärztlichen Diagnose mit dem Muster 56 verordnet. Neben der Indikation und der Diagnose müssen ein Rehabilitationsgrund und die Rehabilitationsziele aufgeführt sein. Zudem legt der Arzt den Leistungsumfang fest. Im Regelfall verordnet der Arzt 50 Einheiten, die innerhalb von 18 Monaten absolviert werden müssen. Aber auch Verordnungen mit 120 Einheiten in 36 Monaten sind bei bestimmten Indikationen möglich. Eine Besonderheit der Reha-Sport Verordnung ist die Tatsache, dass die Verordnung das ärztliche Budget nicht belastet. Somit ist es eine sehr interessante Verordnungsart für Ärzte, die ihr Budget schonen wollen. Nachdem der Patient die Verordnung für Reha-Sport bekommen hat, muss er diese von seiner Krankenkasse genehmigen lassen. Mit dieser genehmigten Verordnung kann er sich einen geeigneten Reha-Sport-Anbieter suchen.

    Abrechnung von Reha-Sport

    Die Abrechnung von Reha-Sport ist in den allermeisten Fällen nur über einen Verein möglich. Am einfachsten ist es, wenn sich Therapeuten einem bestehenden Verein anschließen, zum Beispiel einem ortsansässigen Sportverein, und dessen Angebot erweitern. Es gibt auch Vereine, die speziell als Dienstleistungsangebot für Reha-Sport-Anbieter gegründet wurden, damit diese eine eigene Vereinsgründung umgehen können. Eine weitere Alternative ist es, selbst einen Verein zu gründen um Reha-Sport abrechnen zu können. Dies ist allerdings sehr aufwendig, wie das folgende Schaubild zeigt.

     

     

    PRAXISHINWEIS | Ein weiterer Vorteil eines Vereins ist die Tatsache, dass die Übungsleiter in einem Verein bis zu 2.400 Euro im Jahr steuerfrei verdienen dürfen. Das kann für die Therapeuten, die als Übungsleiter Reha-Sportgruppen im Verein anbieten, sehr interessant sein. Lesen Sie hierzu ausführlich den Beitrag „Steuersparmodell „Übungsleiter“ in PP 09/2009, Seite 3 (Achtung! Der im Beitrag genannte Betrag von 2.100 Euro wurde 2013 auf 2.400 Euro erhöht, ansonsten sind alle Angaben aber nach wie vor aktuell).

     

    Wie wird Reha-Sport rentabel für die Praxis?

    Die Erstattung für eine Reha-Sport Gruppe wird im Folgenden an zwei Beispielen exemplarisch dargestellt.

     

    • Abrechnungsbeispiele

    Beispiel 1: 10 Personen pro Gruppe (davon fehlen im Schnitt 2 Personen) = Durchschnittlich 8 Personen, 5 Euro pro Person, Raummiete stundenweise 20 Euro, Übungsleiter 20 Euro/45 Min.

     

    • 8 Personen à 5 Euro = 40 Euro
    • abzgl. Raumkosten und Übungsleiterkosten
    • Ertrag = 0 Euro/Reha-Sportgruppe

     

    Beispiel 2: 17 Personen pro Gruppe (davon fehlen im Schnitt 2 Personen) = Durchschnittlich 15 Personen, 5 Euro pro Person, Raummiete stundeweise 20 Euro, Übungsleiter 20 Euro/45 Min.

     

    • 13 Personen à 5 Euro = 75 Euro
    • abzgl. Raumkosten und Übungsleiterkosten
    • Ertrag = 35 Euro/Reha-Sportgruppe

     

    Wenn man nun noch die Verwaltungskosten und Entwicklungskosten (Vereinsgründung, Mitgliederversammlungen, Abrechnung usw.) mit einrechnet, dann kann Reha-Sport sehr schnell uninteressant werden. Ziehen wir allerdings Beispiel 2 im großen Stil auf, kann Reha-Sport durchaus lukrativ sein:

     

    • Ertrag = 35 Euro/Reha-Sportgruppe (siehe Beispiel 2)
    • 5 Tage/Woche vormittags 4 und nachmittags 6 Gruppen = 10 Gruppen pro Tag
    • Bei durchschnittlich 20 Tagen im Monat = 200 Gruppen à 45 Min. pro Monat
    • 200 x 35 Euro = 7.000 Euro/Monat (abzgl. der Verwaltungskosten)
     

    An den Beispielen kann man sehen, dass man durch die hohen Anlaufkosten für das Reha-Sport-Angebot erst dann gewinnorientiert arbeiten kann, wenn man viele Gruppen anbietet, die alle mit der Maximalzahl an Mitgliedern belegt sind.

     

    Wenn eine hohe Gruppenanzahl der Schlüssel zu einem erfolgreichen Reha-Sportangebot ist, treten allerdings ganz andere Herausforderungen auf. Denn bei Gruppen mit jeweils 15 Teilnehmern haben wir bei jedem Gruppenwechsel 15 Patienten, die den Gruppenraum und die Praxis verlassen und 15 neue, die die Praxis und den Gruppenraum betreten. Somit haben wir in kurzer Zeit 30 Patienten im Durchlauf, was für eine kleine oder mittlere Praxis ein Platz und Organisationsproblem darstellen, den normalen Praxisablauf enorm stören und auch eine große Unruhe in eine Praxis bringen kann. Aufgrund der Gruppenraumgröße und der Patientenmengen kommt ein Reha-Sportangebot daher vorwiegend für große Praxen infrage, oder es wird nötig, den Reha-Sportbereich aus der Praxis auszugliedern.

    Reha-Sport und Physiotherapie

    Reha-Sport ist volkswirtschaftlich gesehen ein sehr guter Ansatz, um Menschen mit Behinderung oder von einer Behinderung bedroht, wieder ins (Bewegungs-) Leben zu integrieren. Und für Physiotherapeuten kann es unter Umständen interessant sein, Reha-Sport als Angebot zu integrieren. Denn vom Grundgedanken her passen Reha-Sport und Physiotherapie sehr gut zusammen: als weiterführende Leistung nach einer Behandlungsserie, um Patienten auch langfristig weiterbetreuen zu können oder als Einstieg in ein zielorientiertes Bewegungsangebot.

     

    Reha-Sport kann auch eine sehr gute Ergänzung sein, wenn die Praxis schon einen großen Gruppenraum und eventuell ein Gerätetraining anbietet. Hier kann man den Reha-Sportpatienten als freiwillige Erweiterung die Gerätenutzung anbieten, um langfristig bessere Therapieergebnisse zu erzielen. Zudem finden viele Patienten Spaß am Gerätetraining und bleiben auch nach Ende der Reha-Sport-Verordnung beim Gerätetraining.

     

    In all diesen Bereichen sind Physiotherapeuten mit Ihrem umfangreichen Wissen die idealen Anbieter. Richtig eingesetzt kann Reha-Sport für Physiotherapeuten insofern zu einem sehr guten Kundenbindungsinstrument werden. Ebenfalls kann es interessant sein, um bestimmte (zahlungskräftige) Zielgruppen in die Praxis zu bekommen. Hierzu sind aber vielfältige Vorüberlegungen notwendig, um im Einzelfall entscheiden zu können, aus welchen Gründen Reha-Sport angeboten werden soll, in welchem Umfang und in welcher Organisationsform. Denn immer wieder wird Reha-Sport nur angeboten, weil es Mitanbieter am Markt gibt, die dies schon anbieten und nicht, weil echtes Interesse an diesem Angebot besteht.

     

    Problematisch wird es, wenn Ärzte Reha-Sport anstatt einer benötigten Einzeltherapie verordnen. Denn Reha-Sport kann - allein aufgrund der Gruppengröße - nur eine Bewegungshinführung sein und niemals ein Ersatz für eine Therapie werden. Hier ist es notwendig, das Gespräch mit den Ärzten zu suchen und sie über die Möglichkeiten und Grenzen von Reha-Sport zu informieren und gemeinsame Lösungen zu finden.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Funktionstraining und Rehasport - eigene Vereinsgründung jetzt attraktiver (PP 02/2008, Seite 6)
    • Angliederung oder eigene Vereinsgründung - eine Frage der Wirtschaftlichkeit (PP 01/2006, Seite 12)
    Quelle: Ausgabe 03 / 2015 | Seite 6 | ID 43210038