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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Die neue Betriebsstättengewinnaufteilung - 5 Musterfälle zur Auslegung (Teil 1)

    von StB Prof. Dr. Dieter Endres, PwC Frankfurt, StB Prof. Dr. Andreas Oestreicher, Georg-August-Universität Göttingen und StB Susann van der Ham, PwC Düsseldorf

    | Mit dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz wurde der „Authorized OECD Approach“ in nationales Recht umgesetzt. Detailfragen zur Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung sollen in einer Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) geregelt werden, die seit August 2013 im Entwurf vorliegt. Am 28.8.14 hat die Bundesregierung die finale Fassung der BsGaV an den Bundesrat weitergeleitet, mit dessen Zustimmung am 10.10.14 zu rechnen ist. Der Beitrag befasst sich mit der praktischen Umsetzung der Regelungen und diskutiert unklare Bereiche anhand einiger Musterfälle. |

    1. Grundlagen der Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten

    Stammhaus und Betriebsstätte bilden ein einheitliches Unternehmen. Daher kann der Gewinn einer Betriebsstätte rechtlich nur einheitlich mit dem Gewinn des Unternehmens entstehen. Dennoch bedarf es insbesondere für steuerliche Zwecke einer Betriebsstättengewinnermittlung. Deren weitere zunehmende Bedeutung wird auch im Rahmen der BEPS-Diskussion deutlich, wo Betriebsstättenfragen eine wichtige Rolle spielen.

     

    Zur Beseitigung internationaler Auslegungsunterschiede bei der Betriebsstättenbesteuerung hat die OECD in jüngerer Zeit die Grundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung überarbeitet. Dabei wurde mit der Neufassung des Art. 7 OECD-MA 2010 und der Veröffentlichung des „Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments“ vom 22.7.10 (OECD-Betriebsstättenbericht 2010) der „Authorised OECD Approach (AOA)“ für die Betriebsstättengewinnaufteilung vorgegeben. Die OECD hat sich bei der Frage der Aufteilung des Einkommens eines Einheitsunternehmens auf Stammhaus und Betriebsstätte in dem AOA zum Grundsatz der funktional selbstständigen Einheit (functionally separate entity approach) bekannt (grundlegend zur Betriebsstättengewinnabgrenzung vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl., 667 ff.).

     

    Dieser Paradigmenwechsel in den OECD-Empfehlungen zu Art. 7 Abs. 2 OECD-MA weg von jeglicher indirekter Methodik hat Anpassungen des innerstaatlichen Rechts erfordert, um den Fremdvergleichsgrundsatz auch im deutschen Betriebsstättenregime umfassend abzubilden. Die Verankerung des AOA im deutschen Recht erfolgte durch eine Änderung des § 1 AStG im Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz (vgl. Art. 6 des AmtshilfeRLUmsG 26.6.13, BGBl I 13, 1809) mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.12 beginnen. Der durch das AmtshilfeRLUmsG neu gefasste § 1 Abs. 5 AStG ist dabei das Herzstück der Umsetzung des AOA in nationales Recht. Er sieht nicht nur vor, dass die Regelungen zum Erfordernis der Fremdüblichkeit von Verrechnungspreisen auf Betriebsstättenfälle (und ständige Vertreter) anwendbar sind, sondern schreibt auch das Prozedere zur Gewinnabgrenzung vor.

     

    Für Zwecke der Gewinnaufteilung ist die Betriebsstätte demnach wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln (§ 1 Abs. 5 S. 2 AStG). Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sind entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz abzurechnen. Dabei hat die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in zwei Schritten zu erfolgen (vgl. hierzu u.a. Wilmanns, in: Bernhardt (Hrsg.), Verrechnungspreise, Stuttgart 2014, 538 ff; Hanken/Kleinhietpaß, Verrechnungspreise im Spannungsfeld von Controlling und Steuern, Freiburg 2014; Renz/Wilmanns, Internationale Verrechnungspreise, Weinheim 2013, 123 ff.; Schnitger, IStR 12, 633).

     

    • Gewinnabgrenzung in zwei Stufen

    Stufe 1: Bestimmung der Betriebsstättentätigkeit 

    • Identifikation der Personalfunktionen einer Betriebsstätte einschließlich Zuordnung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern, Chancen und Risiken, Geschäftsvorfällen, Dotationskapital und übrigen Passiva zur Betriebsstätte
    • Ableitung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen („dealings“) zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

     

    Stufe 2: Bestimmung des Betriebsstättenergebnisses 

    • Analoge Anwendung der Verrechnungspreisgrundsätze für verbundene Unternehmen
    • Ansatz fremdüblicher Verrechnungspreise auf die in Stufe 1 identifizierten „dealings“
     

    Für die Berechnung des steuerlichen Ergebnisses der Betriebsstätte ist ein bisher im deutschen Steuerrecht völlig neues Instrument vorgesehen, die sogenannte Hilfs- und Nebenrechnung. Diese enthält neben den zugeordneten Bestandteilen (Vermögenswerte, Dotationskapital und Passivposten) auch die damit verbundenen tatsächlichen und fiktiven Betriebseinnahmen sowie Betriebsausgaben (§ 3 BsGaV).

     

    Hinweis | Die grundlegenden Zuordnungsregeln, die Identifizierung und die Zuordnung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sowie die Fragestellungen im Zusammenhang mit der Hilfs- und Nebenrechnung werden in der BsGaV in einem allgemeinen Teil geregelt. Auf diesen grundlegenden Ausführungen bei der Gewinnabgrenzung soll der Schwerpunkt dieses Beitrags liegen. Daneben regelt die BsGaV mehrere (industrie-)spezifische Sonderfragen für Banken und Versicherungen, für Bau- und Montagebetriebsstätten, Förderbetriebsstätten und die Gewinnaufteilung im Verhältnis zur Vertreterbetriebsstätte. Diese Sondervorschriften sind nicht Gegenstand dieses Beitrags.

    2. Zuordnungsfragen im Hinblick auf Personalfunktionen

    In Stufe 1 der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ist eine Zuordnung von Funktionen zur Betriebsstätte erforderlich. Grundlegend ist insoweit die Identifizierung und Zuordnung von maßgeblichen Personalfunktionen. Dabei gilt die Annahme, dass eine Betriebsstätte diejenigen Risiken zu tragen hat, die aus Funktionen resultieren, die das ihr zuzuordnende Personal verantwortet. Die Personalzuordnung bildet also die Grundlage für alle weiteren Zuordnungsfragen und letztlich für die Ermittlung eines angemessenen Gewinnanteils (vgl. speziell zur Zuordnung von Personalfunktionen bei Vertriebsbetriebsstätten Oestreicher/van der Ham/Andresen, Beihefter zu Heft 4/14, IStR 14, 2 ff; zur grundlegenden Kritik an der Personalfunktion als Zurechnungskriterium und für die alternative Anerkennung von Pro-forma-Verträgen als Lösung der Zuordnungsfragen vgl. Kroppen, DB 14, 2314 f.).

     

    • Fall 1: Zuordnung der Personalfunktionen

    Die Geosystems GmbH mit Sitz in Düsseldorf entwickelt, produziert und vertreibt Präzisionsmessinstrumente für die Bauvermessung und die Geodäsie weltweit. Aufgrund der sehr gut laufenden Geschäfte in den Niederlanden entschließt sich die GmbH zur Gründung einer Betriebsstätte in Rotterdam. Hierzu werden vor Ort Geschäftsräume und ein Showroom angemietet und entsprechendes Vertriebspersonal (Außen- und Innendienst) eingestellt. Aus Düsseldorf wird der kaufmännische Leiter der Betriebsstätte für einen Zeitraum von zwei Jahren nach Rotterdam entsendet. Der für die Region Westeuropa verantwortliche Leiter Vertrieb ist weiterhin am Stammsitz in Düsseldorf tätig und besucht die Betriebsstätte in den Niederlanden regelmäßig. Hierbei wird ein Zeitraum von 30 Tagen im Wirtschaftsjahr nicht überschritten (Grundfall). In einer Abwandlung soll sich der Leiter Vertrieb an 45 Tagen im Wirtschaftsjahr vor Ort aufhalten. Welche Personalfunktionen sind der Betriebsstätte zuzuordnen?

     

    Lösungshinweise: Für die Zuordnung einer Personalfunktion ist es maßgeblich, wo diese ausgeübt wird (§ 4 BsGaV).

     

    Im Musterfall lässt sich zunächst das vor Ort angestellte Vertriebspersonal für den Außen- und Innendienst zweifelsfrei der niederländischen Betriebsstätte zuordnen. Auch der kaufmännische Leiter ist unzweifelhaft in Rotterdam tätig. Deshalb muss eine Zuordnung der entsprechenden Personalfunktion zur Betriebsstätte erfolgen. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Dauer der vor Ort ausgeübten Tätigkeiten (§ 4 Abs. 1 BsGaV). Da ein klarer und unmittelbarer sachlicher Bezug zur Tätigkeit der Betriebsstätte in den Niederlanden gegeben ist, steht die zeitliche Befristung auf zwei Jahre seiner lokalen Tätigkeit einer entsprechenden Zuordnung nicht entgegen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Tätigkeit der Personalfunktion keinen sachlichen Bezug zur Betriebsstätte aufweist und an weniger als 30 Tagen innerhalb eines Wirtschaftsjahres in dieser Betriebsstätte ausgeübt wird (§ 4 Abs. 1 S. 2 BsGaV).

     

    Für den Leiter Vertrieb der Region Westeuropa, der im Grundfall an weniger als 30 Tagen im Wirtschaftsjahr vor Ort tätig wird, ist der Sachbezug seiner Tätigkeit für die Zuordnungsentscheidung zu prüfen. Der Verantwortungsbereich des Leiters Vertrieb umfasst die gesamte Region Westeuropa und damit neben den Niederlanden auch andere Vertriebsgebiete, sodass ein wesentlicher Anteil seiner Tätigkeiten keinen sachlichen Bezug zur niederländischen Betriebsstätte aufweist. Außerdem darf man davon ausgehen, dass der Leiter Westeuropa als maßgebliche Schnittstelle zwischen Produktion und Entwicklung auf der einen Seite und den lokalen Markterfordernissen auf der anderen Seite agiert sowie auch die Vertriebsteams der Region im Interesse des Stammhauses überwacht und steuert. Somit ist ein starker und unmittelbarer sachlicher Bezug zur Tätigkeit des übrigen Unternehmens gegeben. Allerdings bilden die Niederlande einen Teil der Vertriebsregion Westeuropa, sodass ein gewisser (mittelbarer) sachlicher Bezug zur Geschäftstätigkeit der niederländischen Betriebsstätte nicht auszuschließen ist.

     

    Der Grundfall zeigt, dass die Frage des sachlichen Bezugs nicht immer eindeutig zu entscheiden ist. Kommt man aber im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass ein engerer sachlicher Bezug zur Geschäftstätigkeit des übrigen Unternehmens vorliegt, ist die Personalfunktion des Leiters Vertrieb der Region Westeuropa dem Stammhaus zuzuordnen (§ 4 Abs. 2 BsGaV).

     

    In der Abwandlung des Falls übt der Leiter Vertrieb für Westeuropa seine Tätigkeit an 45 Tagen im Wirtschaftsjahr in der Betriebsstätte in den Niederlanden aus. Gleichzeitig ist er an den übrigen Arbeitstagen im Wirtschaftsjahr im Stammhaus tätig. Sowohl für das Stammhaus als auch für die niederländische Betriebsstätte ist damit von einer nicht nur kurzfristigen Tätigkeit auszugehen. Für solche Fälle, in denen eine eindeutige Zuordnung der Personalfunktion zum Stammhaus oder zur Betriebsstätte nicht erfolgen kann, besteht ein Beurteilungsspielraum (§ 4 Abs. 3 BsGaV). Hiernach ist eine widerspruchsfreie Zuordnung der Personalfunktionen vorzunehmen. Da eine anteilige Zuordnung der Personalfunktion nach der BsGaV nicht vorgesehen ist und ein ständiger Zuordnungswechsel zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht praktikabel erscheint, sollte eine Zuordnung zu dem Unternehmensteil vorzunehmen sein, zu dem die Tätigkeit der Personalfunktion den größeren sachlichen Bezug hat. Dies ist im vorliegenden das Stammhaus.

    3. Weitere Zuordnungsfragen: Vermögenswerte, Chancen und Risiken, Geschäftsvorfälle

    Sind die Personalfunktionen zugeordnet, erfolgt die Zuordnung von Vermögenswerten, Chancen, Risiken und Geschäftsvorfällen, die mit diesen Personalfunktionen im Zusammenhang stehen. Dabei enthält die BsGaV - analog zu den Empfehlungen des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 - keine einheitliche Festlegung, welche Zuordnungsgegenstände mit den zugeordneten Personalfunktionen im Zusammenhang stehen, sondern unterscheidet nach Art des Zuordnungsgegenstands. Materielle Wirtschaftsgüter werden im Regelfall auf Basis ihrer Nutzung zugeordnet, während für die Zuordnung der immateriellen Vermögenswerte grundsätzlich die Schaffung oder der Erwerb dieser Vermögenswerte maßgebend ist. Eine Einzelfallbetrachtung ist daher unumgänglich.

     

    • Fall 2: Zuordnung von Vermögenswerten

    Die Aufgaben der niederländischen Betriebsstätte der Geosystems GmbH umfassen insbesondere die Bearbeitung des niederländischen Marktes durch Kundenakquise und Kundenmanagement, den kaufmännischen und technischen Vertrieb sowie den Besuch von lokalen Messen und die Planung und Durchführung lokaler Marketing-Maßnahmen. Hierbei sind Vertriebsmitarbeiter der Betriebsstätte weitgehend unabhängig von der Vertriebsorganisation des Stammhauses tätig. Die lokalen Mitarbeiter der Betriebsstätte sind für die Unterhaltung des Showrooms verantwortlich und entscheiden diesbezüglich über die Anzahl, die Art und die technische Ausstattung der hier gezeigten Ausstellungsstücke (insbesondere Messinstrumente) und Maschinen. Daneben wird der Vertriebsinnendienst, die Organisation der Auslieferung, die Rechnungsstellung und das lokale Forderungsmanagement durch niederländische Mitarbeiter übernommen. Neben den Ausstellungsstücken, die für den späteren Verkauf vorgesehen sind, wird kein Vertriebslager unterhalten, da die Maschinen speziell für jeden Kunden gefertigt werden. Wie erfolgt die Zuordnung der Vermögenswerte, Chancen und Risiken und der Geschäftsvorfälle?

     

    Lösungshinweise: Im Musterfall einer Vertriebsbetriebsstätte ist die Zuordnung der Betriebs- und Geschäftsausstattung, des Warenbestands, der Kundenbeziehungen und möglicher Kundenforderungen zu prüfen.

     

    In einem ersten Teilschritt sind die materiellen Wirtschaftsgüter im Einklang mit den maßgebenden Personalfunktionen entweder dem Stammhaus oder der Betriebsstätte zuzuordnen. Zur Betriebsstätte gehört danach zweifellos ihre Vertriebsausstattung einschließlich der Ausstattung des Showrooms. Fraglich könnte allerdings sein, ob auch Messinstrumente, die im Showroom ausgestellt werden, der niederländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Dies könnte beispielsweise dann zu verneinen sein, wenn neben der Nutzung der Ausstellungsmodelle durch niederländische Vertriebsmitarbeiter deren Herstellung, Verwaltung und Veräußerung im Rahmen von Personalfunktionen des Stammhauses erfolgt und dies insgesamt von größerer Bedeutung für den hier diskutierten Zuordnungsgegenstand wäre (§ 5 Abs. 2 BsGaV). Im vorliegenden Fall spricht die Nutzung der Ausstellungsstücke für eine Zuordnung zu der Betriebsstätte, da die lokalen Vertriebsmitarbeiter eigenverantwortlich über die technische Ausstattung des Showrooms entscheiden.

     

    Eine Zuordnung von Warenbeständen zur Betriebsstätte ist nach der Funktionsbeschreibung des Musterfalls nicht erforderlich, da die Produkte individuell für jeden Kunden gefertigt werden und die Vertriebsbetriebsstätte ausdrücklich kein Warenlager unterhält.

     

    Für die Zuordnung von immateriellen Werten ist im Regelfall die Personalfunktion maßgeblich, durch deren Ausübung der Wert geschaffen oder erworben wurde (§ 6 Abs. 1 BsGaV). Da die Geosystems GmbH schon vor der Begründung der Betriebsstätte im niederländischen Markt tätig war, ist der niederländische Kundenstamm zunächst dem Stammhaus zuzuordnen. Eine hiervon abweichende Zuordnung zur niederländischen Betriebsstätte käme nur dann in Betracht, wenn die Personalfunktionen der Betriebsstätte im Zusammenhang mit der Nutzung, Verwaltung und Weiterentwicklung des niederländischen Kundenstamms im Vergleich zu den Personalfunktionen, die im Stammhaus ausgeübt werden, in ihrer Bedeutung überwiegen (§ 6 Abs. 2 BsGaV). Da im Musterfall eine weitgehend eigenverantwortliche Bearbeitung niederländischer Kunden erfolgt und keine enge Anbindung an die Vertriebsorganisation des Stammhauses gegeben ist, sollten die lokalen Personalfunktionen größere Bedeutung haben. Folglich ist der niederländische Kundenstamm der Betriebsstätte zuzuordnen.

     

    Sonstige Vermögenswerte wie beispielsweise Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind im Regelfall dem Unternehmensteil zuzuordnen, der für die Schaffung oder den Erwerb des entsprechenden Anspruchs verantwortlich ist (§ 8 Abs. 1 BsGaV). Da eine Kundenforderung regelmäßig durch den Verkauf von Produkten entsteht, ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Forderungen gegenüber niederländischen Kunden der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Hierfür spricht insbesondere die Tatsache, dass nicht nur die Bestellannahme und -eingabe ins System, sondern auch die Auslieferung, die Rechnungsstellung und das Forderungsmanagement durch niederländische Mitarbeiter erfolgen.

     

    Die Zuordnung der Chancen und Risiken auf die Betriebsstätte und das übrige Unternehmen folgt grundsätzlich der Zuordnung der zu Grunde liegenden Vermögenswerte und Geschäftsvorfälle (§ 10 Abs. 1 BsGaV). Ergibt sich für den Musterfall eine Zuordnung der niederländischen Kundenforderungen zur lokalen Betriebsstätte, sind dieser Betriebsstätte auch entsprechende Ausfallrisiken zuzuordnen.

     

    Im Musterfall bleibt abschließend zu klären, wem die Anmietung der Geschäftsräume der Betriebsstätte zuzuordnen ist. Insoweit ist grundsätzlich die Personalfunktion maßgeblich, die für das Zustandekommen des Mietvertrages verantwortlich ist (§ 9 Abs. 1 BsGaV). Anderes gilt, wenn die Personalfunktionen, die für die Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Geschäftsvorfall oder für dessen Verwaltung oder Risikosteuerung verantwortlich sind, gegenüber der Personalfunktion, die für das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls verantwortlich ist, in ihrer Bedeutung überwiegen. Dies dürfte für den Mietvertrag der örtlichen Geschäftsräume regelmäßig zu bejahen sein. Auch vor dem Hintergrund des Fremdvergleichsgrundsatzes erscheint die Zuordnung des Mietvertrags für lokale Geschäftsräume zur Betriebsstätte zwingend zu sein.

    4. Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen

    Innerhalb des Einheitsunternehmens existieren keine schuldrechtlichen Geschäftsvorfälle. Für Zwecke der Gewinnabgrenzung treten an ihre Stelle aber anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen, die vorliegen würden, wäre die Betriebsstätte ein rechtlich selbstständiges Unternehmen.

     

    Zu diesen „dealings“ zählen zum einen Zuordnungsänderungen von Vermögenswerten zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Diese führen regelmäßig zu einer anzunehmenden Veräußerung. Zum anderen umfassen die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen alle wirtschaftlichen Vorgänge, die voneinander unabhängige Unternehmen durch schuldrechtliche Vereinbarungen regeln würden. Das betrifft insbesondere Dienstleistungen, Nutzungsüberlassungen und sonstige laufende Veräußerungen und Übertragungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte.

     

    Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sind mit fremdüblichen Verrechnungspreisen zu bewerten und führen zu (fiktiven) Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben (§ 16 Abs. 2 BsGaV).

     

    Vorgänge, die mit der Nutzung von finanziellen Mitteln im Zusammenhang stehen, sind - von wenigen Ausnahmen abgesehen (§ 16 Abs. 3 S. 2 BsGaV) - keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (§ 16 Abs. 3 S. 1 BsGaV). Die Annahme von Darlehensbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte würde zu einem (weiteren) Anpassungsbedarf bei der Zuordnung von Dotationskapital und Passivposten führen und so die Betriebsstättengewinnaufteilung erheblich verkomplizieren. Diese Sichtweise der Finanzverwaltung entspricht der durch die OECD im Betriebsstättenbericht 2010 vertretenen Argumentation des identischen Kreditratings zwischen Betriebsstätte und Gesamtunternehmen (so auch Kußmaul/Delaber/Müller, IStR 14, 466, hier 471).

     

    • Fall 3: Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen bei einer Vertriebsbetriebsstätte

    Sachverhalt wie oben. Zusätzlich überführt die Geosystems GmbH mit Sitz in Düsseldorf eine mobile Anlage zur Durchführung von Funktionstests in die niederländische Betriebsstätte. Die Anlage soll vom technischen Außendienst im Rahmen von Wartungsarbeiten genutzt werden, um Störungen an stationär installierten Präzisionsmessinstrumenten zu erkennen und zu beseitigen. Welche anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen lassen sich in dieser Konstellation identifizieren?

     

    Lösungshinweise: Ausgehend von dem Funktions- und Risikoprofil der niederländischen Betriebsstätte, das sich als Ergebnis der Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken sowie Geschäftsvorfällen ergibt, sind nun mögliche anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zu identifizieren. Im Musterfall ergeben sich mehrere Ansatzpunkte für anzunehmende Veräußerungsgeschäfte:

     

    • Sofern die im Showroom ausgestellten Präzisionsmessinstrumente der niederländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind, ist die im Errichtungszeitpunkt der Betriebsstätte erfolgende Übertragung der Modelle vom Stammhaus zur Betriebsstätte als anzunehmende schuldrechtliche Veräußerung zu beurteilen. Für die Überführung der Ausstellungsmodelle ist somit ein fremdüblicher Veräußerungspreis anzusetzen, der - sofern dieser größer ist als der Buchwert der Ausstellungsmodelle - zu einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn auf Ebene des deutschen Stammhauses und zu entsprechenden Anschaffungskosten bei der Betriebsstätte führt.

     

    • Gleiches gilt für die Überführung der Testanlage vom deutschen Stammhaus in die niederländische Betriebsstätte, sofern diese der niederländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Da es sich bei der Testanlage, im Unterschied zu den gegebenenfalls ausgestellten Präzisionsmessinstrumenten, um ein materielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens handelt, kommen für die Überführung der Testanlage die Entstrickungsregeln (§ 4g EStG) zur Anwendung. Hiernach kann ein unbeschränkt Steuerpflichtiger in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert und dem gemeinen Wert eines Wirtschaftsguts des Anlagevermögens auf Antrag einen Ausgleichsposten bilden, soweit das Wirtschaftsgut infolge seiner Zuordnung zu einer Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß § 4 Abs. 1 S. 3 EStG als entnommen gilt. Die Möglichkeit der Bildung eines Ausgleichspostens nach § 4g EStG wird nach § 1 Abs. 5 S. 6 AStG ausdrücklich nicht eingeschränkt und gilt somit auch für das Düsseldorfer Stammhaus.

     

    • Sofern der vor Gründung der Betriebsstätte im Stammhaus geschaffene niederländische Kundenstamm nach Gründung auf die Betriebsstätte übergeht, würde auch hier eine anzunehmende Veräußerung vorliegen, für die ein fremdüblicher Verrechnungspreis mit den oben beschriebenen Konsequenzen zu ermitteln wäre.

     

    PRAXISHINWEIS | Die Gründung einer Betriebsstätte, die erstmalige Zuordnung von Personalfunktionen und die hiermit einhergehende Übertragung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen einschließlich hiermit verbundener Chancen und Risiken können auch eine Funktionsverlagerung vom Stammhaus in die Betriebsstätte auslösen (§ 1 Abs. 3 und Abs. 5 S. 1 AStG). Im Fall einer Vertriebsbetriebsstätte wird die Transferpaketbetrachtung in der Regel vermeidbar sein, sodass die Einzelverrechnungspreise relevant sind (§ 1 Abs. 3 S. 10 AStG).

     

    Laufende anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen im Zusammenhang mit der Vertriebstätigkeit der niederländischen Betriebsstätte sind im Musterfall insbesondere denkbar im Rahmen der

     

    • Lieferung von Waren vom Stammhaus an die Betriebsstätte und
    • Erbringung von Gewährleistungsdienstleistungen des technischen Außendiensts der Betriebsstätte im Auftrag des Stammhauses.

     

    PRAXISHINWEIS | Bei der Ermittlung einer angemessenen Vergütung für Vertriebsfunktionen ist eine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen durchaus üblich, sofern die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 3 Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV) erfüllt sind. Daher dürfte im vorliegenden Fall eine Zusammenfassung beider Geschäftsvorfälle zulässig sein.

     

    Um die Betriebsstätte weitgehend mit einem rechtlich selbstständigen Unternehmen gleichzustellen, sind für die identifizierten Beziehungen (Warenlieferungen, Gewährleistungsdienstleistungen) in Abhängigkeit vom festgestellten Funktions- und Risikoprofil der Betriebsstätte Verrechnungspreise anzusetzen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen (§ 16 Abs. 2 BsGaV). Agiert die niederländische Vertriebsbetriebsstätte als reiner Vermittler, würde ihr hiernach eine fremdübliche Vermittlungsprovision zustehen. Entspricht die Tätigkeit der Vertriebsbetriebsstätte eher dem Profil eines Eigenhändlers, so ist der Vertriebsbetriebsstätte eine angemessene Vertriebsmarge zuzuordnen.

     

    Im vorliegenden Fall ist die Betriebsstätte Eigenhändler mit eingeschränktem Risikoprofil. Für den Eigenhandel sprechen die umfangreichen und weitgehend selbstständig ausgeübten Vertriebstätigkeiten. Dieses Tätigkeitsspektrum ist gleichwohl eingeschränkt. So unterhält die Betriebsstätte beispielsweise kein eigenes Warenlager, sodass ihr weder Warenbestände noch hiermit zusammenhängende Bestandsrisiken zuzuordnen sind. Dieses eingeschränkte Funktions- und Risikoprofil muss sich auch auf die Höhe der zuzuordnenden Vertriebsmarge auswirken.

     

    • Risiko- und Funktionsanalyse der niederländischen Betriebsstätte der Geosystems GmbH

    Zuordnung von Personalfunktionen zur Betriebsstätte 

    • Vertriebspersonal
    x
    • Kaufmännischer Leiter
    x
    • Leiter Vertrieb
    -
     

     

    Zuordnung von Vermögenswerten zur Betriebsstätte 

    • Vertriebsausstattung/Showroom
    x
    • Ausstellungsmodelle
    x
    • Warenbestände

    -

    • Testanlage
    x
    • Forderungen aus Lieferungen und Leistungen
    x
    • Kundenstamm
    x
     

     

    Abgeleitete und zu Verrechnungspreisen abzurechnende „dealings“ 

    • Veräußerung der Ausstellungsmodelle
    • Veräußerung der Testanlage
    • Gegebenenfalls Übertragung des Kundenstamms
    • Warenlieferungen
    • Gewährleistungsdienstleistungen

     

    Weiterführender Hinweis

    • Der zweite Teil dieses Beitrags erscheint in der nächsten Ausgabe. Er behandelt die Bestimmung des Dotationskapitals, die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen und erläutert die Hilfs- und Nebenrechnung zur Ermittlung des Betriebsstättenergebnisses am Musterfall.
    Quelle: Ausgabe 10 / 2014 | Seite 276 | ID 42961880

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