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  • · Fachbeitrag · Verlustverrechnung

    Vorliegen eines Steuerstundungsmodells i. S. d. § 15b EStG bei einer Einzelinvestition

    von VRiFG Prof. Dr. Volker Kreft, Dipl. Finanzwirt, Bielefeld

    | Im Zusammenhang mit der Verrechenbarkeit von Verlusten im Rahmen von Steuerstundungsmodellen hat der BFH (16.3.23, VIII R 10/19) entschieden, dass im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung ein Steuerstundungsmodell i. S. d. § 15b EStG dann nicht vorliegt, wenn aufgrund individueller Anpassungen der Gestaltungsidee des Erwerbs fremdfinanzierter Schuldverschreibungen kein passives Verhalten der Kapitalanleger gegeben war, sodass die Erzielung der negativen Einkünfte nicht (mehr) auf einem vorgefertigten Konzept beruhte. |

    1. Hintergrund der Entscheidung

    Nach § 15b EStG sind Verluste im Zusammenhang mit einem Steuerstundungsmodell nicht ausgleichsfähig, sondern nur verrechenbar. Ein Steuerstundungsmodell wird in Abs. 2 der Vorschrift als modellhafte Gestaltung, mittels derer steuerliche Vorteile in Form negativer Einkünfte erzielt werden sollen, beschrieben. Modellhaft ist eine Gestaltung, wenn sie nicht von dem Steuerpflichtigen selbst ausgearbeitet worden ist, sondern von einem Dritten für eine Vielzahl von Fällen bereitgehalten wird und der Steuerpflichtige das Konzept lediglich passiv annimmt. Dreh- und Angelpunkt von Entscheidungen über das Vorliegen eines Steuerstundungsmodells ist häufig die Frage, ob das zugrunde liegende Konzept vorgefertigt war oder nicht. Dafür kommt es darauf an, ob es aktiv von dem Steuerpflichtigen entwickelt oder passiv von ihm übernommen worden ist. Maßgeblich für die Beurteilung ist dabei nach gefestigter BFH-Rechtsprechung eine wertende Gesamtbetrachtung.

     

    In einer Entscheidung aus 2017 fasst der BFH (17.1.17, VIII R 7/13, BStBl II 17, 700) entsprechend zusammen: Erzielt ein Steuerpflichtiger negative Einkünfte aus Kapitalvermögen durch die Beteiligung an einer Gesellschaft im Weg einer Einzelinvestition, erfordert das Ausnutzen einer modellhaften Gestaltung zur Verlusterzielung aufgrund eines vorgefertigten Konzepts nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH, dass er sich bei der Entwicklung der Geschäftsidee, der Vertragsgestaltung und der Vertragsumsetzung wie ein passiver Kapitalanleger verhält.

    2. Sachverhalt

    Im Streitjahr 2006 hatte ein Rechtsanwalt eine Anlagestruktur zur Schaffung steuerlichen Verlustverrechnungspotenzials entwickelt. Ziel des Investments sollte die Schaffung von steuerlichem Verlustverrechnungspotenzial im Jahr 2006 für in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige private Investoren sein. Die Privatinvestoren sollten sich (zunächst) über eine Treuhandkommanditistin an einer in Deutschland ansässigen GmbH & Co. KG beteiligen, die weder gewerblich tätig noch geprägt ist. Hierzu wurde schließlich die Klägerin (GmbH & Co. KG) als vermögensverwaltende und nicht gewerblich geprägte KG gegründet. Gesellschaftszweck ist u. a. der Erwerb und die Verwaltung von Wertpapieren, Schuldverschreibungen sowie Schuldscheindarlehen. Die Klägerin erwarb in der Folge luxemburgische Schuldverschreibungen mit einer zehnjährigen Laufzeit (bis 2016). Gemäß den Anleihebedingungen sollten die Schuldverschreibungen von der Emittentin jährlich mit einem festen Zinssatz i. H. v. 4 % bezogen auf den gesamten Nennbetrag verzinst werden. Die Zinsen an die Klägerin waren jährlich nachschüssig zu zahlen. Zum Endfälligkeitstermin im Jahr 2016 sollte die Klägerin u. a. die jährliche Zinszahlung i. H. v. … EUR erhalten. Zusätzlich wurde die Zahlung eines garantierten und eines variablen Bonuszinses am Endfälligkeitstermin vereinbart. Der Erwerb erfolgte mittels Bankdarlehen. Die Bank zahlte das Darlehen im Streitjahr abzüglich des Disagios an die Klägerin aus. Die Klägerin leistete an die Bank die vorschüssig zu zahlenden Darlehenszinsen. Wegen der an sie nachschüssig zu zahlenden Zinsen erzielte die Klägerin im Streitjahr noch keine Zinseinnahmen.

     

    In ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr erklärte die Klägerin Einnahmen aus inländischen Zinsen und Werbungskosten zu ausländischen Zinsen (Disagio, vorschüssig gezahlte Darlehenszinsen, Rechts- und Beratungskosten sowie Sonderwerbungskosten eines Beigeladenen). Das FA sah die Beteiligungen der Beigeladenen an der Klägerin jeweils als Steuerstundungsmodell i. S. d. § 15b EStG an. Es stellte einen nicht ausgleichsfähigen Verlust i. S. d. § 15b Abs. 4 S. 1 EStG zum 31.12.06 und dessen Verteilung auf die Beigeladenen gesondert und einheitlich fest. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

    3. Entscheidung der Vorinstanz

    Das Klageverfahren war ebenfalls erfolglos. Das FG Hessen (6.3.19, 7 K 739/15) folgte der Argumentation der Klägerin, sie sei eigens für das hier zu beurteilende Engagement gegründet worden und eine Vielzahl von Parametern seien individuell gestaltet worden, nicht und ging von einem vorgefertigten Konzept i. S. d. § 15b EStG aus. Nach den Feststellungen des FG waren die Investitionssumme, die Laufzeit, die Bank und das für die Berechnung des Bonuszinses gewählte Referenzaktivum im Einzelfall zwar verhandelbar. Letztlich, so das FG, lief es aber darauf hinaus, dass allein die an die beteiligte Bank zu zahlende Vergütung Gegenstand der Verhandlungen sein konnte. Bei der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung ging das FG davon aus, dass die wesentlichen Eckpunkte des Konzepts gerade nicht gestaltbar, sondern festgelegt gewesen seien.

    4. Entscheidung des BFH

    Erst der BFH gab der Klägerin Recht. Im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung des Streitfalls zum (Nicht-)Vorliegen eines Steuerstundungsmodells i. S. d. § 15b EStG war aus Sicht des BFH aufgrund individueller Anpassungen der Gestaltungsidee des Erwerbs fremdfinanzierter Schuldverschreibungen kein passives Verhalten der Kapitalanleger gegeben, sodass die Erzielung der negativen Einkünfte nicht (mehr) auf einem vorgefertigten Konzept beruhte. Charakteristisch für das Vorliegen eines vorgefertigten Konzepts sei die Passivität des Investors/Anlegers bei der Entwicklung der Geschäftsidee, der Vertragsgestaltung und der Umsetzung. Gebe der Investor/Anleger die einzelnen Leistungen und Zusatzleistungen sowie deren Ausgestaltung ‒ sei es von Anfang an oder in Abwandlung des zunächst vorgefertigten Konzepts ‒ selbst vor und bestimme er damit das Konzept nicht nur unwesentlich mit, so handele es sich nicht (mehr) um ein vorgefertigtes Konzept. Dies gelte allerdings nicht, wenn der tatsächliche Einfluss des Investors/Anlegers auf die Gestaltung nicht ins Gewicht falle oder nur rein formal sei. Ist Teil des vorgefertigten Konzepts die Gründung einer Gesellschaft, müssen danach der Geschäftsgegenstand der Gesellschaft und ihre Gründung und Ausgestaltung vor der eigentlichen Investitionsentscheidung durch den oder die Initiatoren festgelegt worden sein.

     

    Demnach werden aus Sicht des BFH negative Einkünfte auf der Grundlage einer modellhaften Gestaltung und eines vorgefertigten Konzepts i. S. d. § 15b Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG erzielt, wenn eine von einem Anbieter/Initiator abstrakt entwickelte Investitionskonzeption für Interessierte am Markt zur Verfügung steht, auf die der Investor/Anleger „nur“ noch zugreifen muss, nicht hingegen, wenn der Investor/Anleger eine von ihm selbst oder dem in seinem Auftrag ‒ nicht aber im Auftrag eines Anbieters/Initiators ‒ tätigen Berater entwickelte oder modifizierte und individuell angepasste Investition umsetzt (so bereits BFH 17.1.17, VIII R 7/13, BStBl II 17, 700).

     

    Der BFH weist darauf hin, dass diese Maßstäbe gleichermaßen gelten, wenn die negativen Einkünfte vom Steuerpflichtigen nicht durch die Beteiligung an einem geschlossenen Fonds i. S. d. § 52 Abs. 33a S. 1 bis 3 EStG, sondern im Wege einer Einzelinvestition durch die Beteiligung an einer Gesellschaft erzielt werden. Auch bei Gesellschaftsbeteiligungen, die Einzelinvestitionen seien, verlangten § 15b Abs. 2 S. 1 und 2 EStG, dass der Steuerpflichtige sich bei der Entwicklung der Geschäftsidee, der Vertragsgestaltung und der Vertragsumsetzung wie ein passiver Kapitalanleger verhalte.

    5. Auswirkungen für die Praxis

    Als „Leitplanken“ für die Beratungspraxis bleibt nach der Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH festzuhalten: Setzt der Investor/Anleger eine von ihm selbst oder dem in seinem Auftrag tätigen Berater entwickelte oder modifizierte und individuell angepasste Investition um, liegt kein vorgefertigtes Konzept vor. Beruhen Investitionen nicht auf einem vorgefertigten Konzept, sondern auf einer individuellen Gestaltung, so sind sie weder von § 15b EStG erfasst, noch als vom Gesetz missbilligte Gestaltung i. S. d. § 42 Abs. 1 AO zur Vermeidung der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15b EStG anzusehen. Die Gestaltungsberatung sollte aber beachten, dass es sich bei der Entscheidung der Gerichte immer um eine wertende Gesamtbetrachtung des jeweiligen Einzelfalls handelt. Auf die hierin liegenden Risiken sollten Mandanten hingewiesen werden. Gegebenenfalls sollte das Mittel der verbindlichen Auskunft in Betracht gezogen werden, um Planungssicherheit zu erlangen und Steuerrisiken zu vermeiden.

     

    In Konfliktfällen ist der Hinweis auf eine Verfassungswidrigkeit des § 15b EStG nicht mehr erfolgversprechend. Der BFH hält das Tatbestandsmerkmal einer „modellhaften Gestaltung“ für hinreichend bestimmt, in § 15b Abs. 2 EStG legal definiert und einer Auslegung zugänglich.

     

    Verfahrensrechtlich ist abschließend noch auf Folgendes hinzuweisen: Ob der Verlustfeststellungsbescheid nach § 15b Abs. 4 S. 1 EStG wiederum selbst als Grundlagenbescheid (i. S. d. §§ 171 Abs. 10 S. 1, 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO) Bindungswirkung gemäß § 182 Abs. 1 AO für die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte nach §§ 179, 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO entfaltet und dementsprechend in einem Verlustentstehungsjahr die negativen Einkünfte „vor Anwendung des § 15b“ und die „nach Anwendung des § 15b“ nicht ausgleichsfähigen Verluste festzustellen sind, hat der BFH im Besprechungsfall nicht entschieden bzw. konnte diese Rechtsfrage offenlassen.

    6. Ausblick

    Derzeit sind zwei weitere, für die Beratungspraxis interessante Fragestellungen Gegenstand eines beim BFH anhängigen Verfahrens. Zum einen geht es um die Frage, ob unter die Verlustabzugsbeschränkung des § 15b EStG auch Sonderbetriebsausgaben fallen. Zum anderen wird derzeit kontrovers diskutiert, ob die Beschränkung der Verlustverrechnung gemäß § 15b EStG auch dann eingreift, wenn die Verluste „definitiv“ werden.

     

    Mit diesen Rechtsfragen hatte sich jüngst das FG Mecklenburg-Vorpommern (25.1.22, 3 K 348/17; Rev. BFH IV R 6/22) zu befassen. Das FG befand, dass die Beschränkung der Verlustverrechnung gemäß § 15b EStG auch bei Definitivverlusten eingreift. Die Vorschrift ist danach nicht verfassungskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass verrechenbare Verluste im Fall des Definitivwerdens zu abzugsfähigen Verlusten werden. Das FG war dabei der Auffassung des FG Hamburg gefolgt (20.2.20, 2 K 293/15, EFG 20, 713), das den Ausschluss des Verlustabzugs bei Definitivverlusten für gerechtfertigt hält, weil § 15b EStG eine verfassungsrechtlich legitimierte Missbrauchsverhinderungsvorschrift sei (ebenso im Ergebnis Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15b EStG Rz. 24; a. A. Seer in Kirchhof/Seer, EStG, § 15b Rz. 19).

     

    Zudem war das FG Mecklenburg-Vorpommern zu dem Ergebnis gelangt, dass unter die Verlustabzugsbeschränkung des § 15b EStG auch Sonderbetriebsausgaben fallen. Da die zugelassene Revision ‒ anders als im Verfahren des FG Hamburg ‒ auch eingelegt wurde, kann es auch diesbezüglich alsbald zu einer höchstrichterlichen Klärung dieser für die Praxis wichtigen Aspekte kommen.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2023 | Seite 236 | ID 49597891

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