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  • 01.03.2018 · IWW-Abrufnummer 199919

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 26.04.2016 – 1 K 1191/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Köln

    1 K 1191/12

    Tenor:

    Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26.04.2016 wird dahingehend geändert, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um 85.000 € gemindert werden.

    Die Berechnung wird dem Beklagten übertragen.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

    Die Revision wird zugelassen.

    1

    Tatbestand

    2

    Die Beteiligten streiten über die Frage, ob Einzahlungen auf einem Zeitwertkonto beim Geschäftsführer einer GmbH zu einem Zufluss von Arbeitslohn führen.

    3

    Der Kläger ist seit 1992 Geschäftsführer der G ... GmbH (GmbH). Anteile an der Gesellschaft hält er nicht.

    4

    Auf Grundlage eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom 15.01.2007 erweiterte die GmbH den mit dem Kläger geschlossenen Dienstvertrag um eine „Vereinbarung zur Ansammlung von Wertguthaben zur Finanzierung eines vorzeitigen Ruhestandes“ und richtete in diesem Zusammenhang ein so genanntes Zeitwertkonto für den Kläger ein. Im August 2007 schloss die GmbH zur Finanzierung der Entgelte für die spätere Freistellung eine Rückdeckungsversicherung über monatliche Zahlungen von 6.000 €, eine jährliche Zahlung von 13.000 € und eine Einmalzahlung von 36.000 € ab. Lohnbestandteile, auf deren Auszahlung der Kläger im Rahmen der Vereinbarung mit der GmbH verzichtet hatte, wurden erstmals ab August 2007 vom Lohnkonto auf das Konto der Rückdeckungsversicherung gezahlt. Versicherungsnehmer und Bezugsberechtigter aus der Rückdeckungsversicherung ist die GmbH. In 2007 wurden Verpfändungsvereinbarungen für die jeweiligen Beträge abgeschlossen.

    5

    Auf die Kopien des Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom 15.01.2007, der Versicherungsscheine der Rückdeckungsversicherung und die Verpfändungsvereinbarungen mit dem Kläger in der Lohnsteueraußenprüfungsakte wird Bezug genommen.

    6

    Die Einzahlungen auf das Wertguthaben behandelten alle Beteiligten bis Januar 2009 steuerfrei.

    7

    Anlässlich einer im Jahr 2010 durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH kam der Prüfer zu der Auffassung, dass bei Geschäftsführern einer GmbH Zeitwertkonten steuerlich ab dem 01.01.2009 nicht mehr anerkannt werden könnten, da die Freistellung von der Arbeitsleistung bei fortbestehender Organstellung dem Aufgabenbild des Organs einer Kapitalgesellschaft widerspreche. Auf den Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung vom 30.06.2010 wird Bezug genommen (Lohnsteueraußenprüfungsakte).

    8

    Infolgedessen setzte der Beklagte mit Nachforderungsbescheid vom 03.11.2010 gegen den Kläger Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag für 2010 i.H.v. 4.367,70 € fest.

    9

    Mit weiterem Nachforderungsbescheid vom 03.01.2012 wurde bislang nicht berücksichtigte evangelische Kirchensteuer i.H.v. 810 € festgesetzt.

    10

    Gegen die Bescheide legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein.

    11

    Im Einspruchsverfahren wurden – nach Erteilung eines Verböserungshinweises – Fehler bei der Berechnung der Nachforderung korrigiert. Mit der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012 wurde die Lohnsteuer 2010 auf 9.000 €, die Kirchensteuer auf 810 € und der Solidaritätszuschlag auf 495 € festgesetzt und der Einspruch zurückgewiesen.

    12

    Nach den allgemeinen Grundsätzen zum Zufluss von Arbeitslohn führe eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über eine zeitlich verzögerte Auszahlung von Arbeitslohn nicht zu einer Verschiebung des steuerlichen Zuflusszeitpunktes. Hiervon abweichend vertrete die Finanzverwaltung jedoch die Auffassung, dass bei Zeitwertkonten unter bestimmten Voraussetzungen noch nicht die Wertgutschrift auf dem Konto, sondern erst die Auszahlung des Guthabens während der Freistellung zu Zufluss von Arbeitslohn führe. Dies gelte jedoch nicht für die Einrichtung von Zeitwertkonten bei Arbeitnehmern, die zugleich als Organ einer Körperschaft bestellt seien. Dies sei mit dem Aufgabenfeld des Organs einer Körperschaft nicht vereinbar. Hier führe bereits die Gutschrift des künftig fällig werdenden Arbeitslohns auf dem Zeitwertkonto zum Zufluss von Arbeitslohn. Der Beklagte beruft sich insoweit auf das BMF-Schreiben vom 17.06.2009, BStBl I 2009,1286.

    13

    Darin liege auch keine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern und Organträgern eines Unternehmens. Es solle nicht übersehen werden, dass die Möglichkeit der Arbeitszeitflexibilisierung bei dem Personenkreis, zu dem der Kläger gehöre, nicht das primäre Ziel einer solchen Vereinbarung sei. Vielmehr gehe es um ein steuer- und ertragsoptimiertes Modell zur Anlage von bestimmten Vergütungsbestandteilen, also im Grunde um ein Vermögensanlage-Modell zur wirtschaftlichen Absicherung für den Zeitraum nach dem Ende der Organstellung. Die Bestellung des Organs einer Körperschaft unterliege nicht dem Kündigungsschutz, sondern werde frei ausgehandelt. Es bestehe bei diesem Personenkreis und somit für den Kläger keine planbare Freistellungsphase. Die Freistellung von der Organtätigkeit sei im Grunde gleichbedeutend mit der Beendigung der Organstellung. Da für den auf ein Zeitwertkonto gutgeschriebenen Lohn der Zeitpunkt der Besteuerung bis zur Inanspruchnahme des Guthabens hinausgeschoben werde, könne die ersparte Lohnsteuer (und ggf. die ersparten Sozialversicherungsbeiträge) als Bestandteil des Lohnzeitwertkonto-Guthabens zu Vermögensanlagezwecken mitbenutzt werden und es komme zu einem Progressions- und Zinseszinseffekt. Aus steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Sicht führe dies zu einer Privilegierung und Bezuschussung einer Vermögensanlage für Organe des Betriebs, für die unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks von Zeitwertkonten keine Rechtfertigung erkennbar sei. Vielmehr hätte eine unterlassene Änderung der Regelungen für Zeitwertkonten für den Personenkreis Organträger zu einer fortgesetzten Ungleichbehandlung gegenüber den übrigen Arbeitnehmern, bei denen ein Zeitwertkonto bestehe, geführt.

    14

    Der Kläger hat hiergegen am 17.04.2012 Klage erhoben und dies wie folgt begründet:

    15

    Die Zeitwertkontenvereinbarung zwischen ihm und der GmbH sei bis zum 31.01.2009 vom Beklagten weder aus formellen noch aus materiellen Gründen beanstandet worden. Erst aufgrund des BMF-Schreibens vom 17.06.2009 sei die Änderung erfolgt. Dieses Schreiben sei zwar für den Beklagten bindend, stelle jedoch keine Rechtsvorschrift dar und könne deshalb die Rechtsgrundlagen, die bei der Bewertung der Einzahlungen in das Zeitwertkonto anzuwenden seien, nicht ändern.

    16

    Gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) entstehe die Lohnsteuer in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließe. Nach ständiger Rechtsprechung liege ein Zufluss erst bei Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über ein Wirtschaftsgut vor (BFH-Urteil vom 14.05.1982, VI R 124/77). Ob die wirtschaftliche Verfügungsmacht übergegangen sei, richte sich nach den Umständen des Einzelfalls. Im Streitfall seien Zahlungen in eine Versicherung geleistet worden, die auf den Namen der GmbH abgeschlossen worden sei. Der Kläger sei bezüglich der Werte in der Versicherung weder verfügungs- noch bezugsberechtigt gewesen. Die Versicherung sei lediglich an den Kläger verpfändet worden. Der Kläger habe also ohne Mitwirkung der GmbH nicht über das Wertguthaben verfügen können. Eine tatsächliche Verfügungsmacht und damit der Zufluss von Arbeitslohn bei der Gutschrift auf dem Zeitwertkonto liege damit nicht vor.

    17

    Im Klageverfahren hatte der Beklagte zunächst am 9.7.2013 einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid 2010, in dem er die streitigen Zahlungen nicht als Arbeitslohn ansetzte, und einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31.12.2010 erlassen. Beide Bescheide sind unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen.

    18

    Danach hat der Beklagte für die Einkommensteuer 2010 einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid mit Datum vom 26.04.2016 sowie einen ‑ ebenfalls nach § 164 Abs. 2 AO - geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31.12.2010 vom selben Tage erlassen und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausgehändigt. Gegen den letztgenannten Bescheid hat dieser zu Protokoll Einspruch eingelegt. Im Einkommensteuerbescheid ist die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt, unter Ansatz eines Bruttoarbeitslohnes, der den hier streitigen Teilbetrag von 85.000 € umfasst, so dass der Gesamtbetrag der Einkünfte 19.977 € beträgt.

    19

    Der Kläger beantragt,

    20

    den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26.04.2016 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um
    85.000 € gekürzt werden.

    21

    Der Beklagte beantragt,

    22

    die Klage abzuweisen.

    23

    Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

    24

    Auf die Bescheide vom 26.04.2016 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2016 wird ergänzend Bezug genommen.

    25

    Entscheidungsgründe

    26

    1. Gegenstand des Verfahrens ist gemäß § 68 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26.04.2016 geworden. Dieser hat den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 09.07.2013 geändert, welcher wiederum den Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012 ersetzt hatte (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.08.2012, 1 K 1102/09, EFG 2013, 118 m. w. N., bestätigt durch BFH-Urteil vom 07.08.2014, VI R 57/12, BFH/NV 2015, 181).

    27

    2. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger klagebefugt i.S.d. § 40 Abs. 2 FGO. Zwar wird die Steuer im angefochtenen Bescheid mit 0 € festgesetzt, jedoch begehrt der Kläger im Streitjahr niedrigere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und damit einen höheren verbleibenden Verlustabzug. Wegen der Rechtsfolge des § 10 d Abs. 4 EStG bedarf es hierfür aber der Anfechtung des Einkommensteuerbescheides.

    28

    3. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

    29

    Die im Streitjahr auf dem Zeitwertkonto eingestellten Lohnbeträge des Klägers sind ihm im Streitjahr nicht zugeflossen.

    30

    Einnahmen sind alle Güter in Geld oder Geldeswert, die dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer Überschusseinkunftsart (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG) zufließen (§ 8 Abs. 1 EStG). Nur zugeflossener Arbeitslohn unterliegt der Einkommensteuer.

    31

    Einnahmen und damit auch Arbeitslohn sind zugeflossen, wenn und sobald der Steuerpflichtige wirtschaftlich darüber verfügen kann. Das ist regelmäßig der Fall, wenn die Einnahmen bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldbuchverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck kommt, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verfügung steht. Der Gläubiger muss allerdings in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (z.B. BFH, Urteil vom 03.02.2011, VI R 4/10, BFHE 232, 494, BStBl II 2011, 456 m.w.N.). Indiz dafür, wer über das Wirtschaftsgut verfügen kann, ist es, in wessen Interesse es liegt, den Betrag gutzuschreiben statt auszuzahlen.

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    Dem Kläger fließt in dem verwirklichten Zeitwertkontenmodell-Modell mit den Wertgutschriften grundsätzlich kein Arbeitslohn zu. Es erfolgen insoweit weder Barauszahlungen noch Gutschriften auf seinen Konten bei einem Kreditinstitut. Die Beträge werden in die Rückdeckungsversicherung eingezahlt. Versicherungsnehmer ist die GmbH. Gegenüber der Versicherung hat der Kläger zunächst keinen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme, er kann über die eingezahlten Beträge zunächst wirtschaftlich nicht verfügen. Dies ist erst in der Freistellungsphase möglich, so dass auch erst in der Freistellungsphase ein Zufluss anzunehmen ist.

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    Die Verpfändung der Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung dient lediglich der Absicherung des Klägers, ändert aber nichts an der fehlenden wirtschaftlichen Verfügungsmacht vor Eintritt der Freistellungsphase.

    34

    Soweit der Beklagte seine anderweitige Rechtsauffassung mit der Organstellung eines GmbH-Geschäftsführers begründet, kann dies nicht zu einer von § 11 Abs. 2 EStG abweichenden Zuflussfiktion führen. Der Kläger ist Fremdgeschäftsführer, also an der GmbH nicht beteiligt, so dass die Rechtsprechung des BFH zum Zufluss von Gewinnausschüttungen und anderen unbestrittenen Forderungen bei beherrschenden Gesellschaftern bzw. Gesellschafter-Geschäftsführern hier nicht greift. Selbst wenn - wie der Beklagte meint - die Errichtung von Zeitwertkonten mit der Organstellung eines GmbH-Geschäftsführers gesellschaftsrechtlich nicht vereinbar sein sollte, ändert dies nichts daran, dass der Kläger in den Streitjahren wirtschaftlich nicht über die streitigen Beträge verfügen konnte und somit kein Zufluss gegeben ist (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 19. Januar 2012, 1 K 250/11, EFG 2012, 1243; Niedersächsisches FG, Urteil vom 16. Februar 2012, 14 K 202/11, EFG 2012, 1397; FG Düsseldorf, Urteil vom 21.03.2012, 4 K 2834/11 AO, EFG 2012, 1400; FG Münster, Urteil vom 13. März 2013, 12 K 3812/10 E, EFG 2013, 1026).

    35

    Daher kann es der Senat offen lassen, ob die Vereinbarung gesellschaftsrechtlich unwirksam ist und der Kläger möglicherweise Ansprüche auf Rückzahlung der in die Versicherung einbezahlten Beträge hat. Jedenfalls sind solche Rückzahlungsansprüche im Streitjahr dem Kläger nicht zugeflossen, so dass auch in dieser Hinsicht kein Arbeitslohn anzusetzen ist.

    36

    4. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zugelassen. Die Streitfrage wurde schon von mehreren Finanzgerichten in den oben zitierten Verfahren entschieden; bislang hatte der BFH in den zu diesen Urteilen ergangenen Revisionsentscheidungen aber noch keine Gelegenheit, die streitige Rechtsfrage zu entscheiden.

    37

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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