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  • 08.07.2015 · IWW-Abrufnummer 144835

    Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 04.09.2014 – L 2 U 242/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

    Urt. v. 04.09.2014

    Az.: L 2 U 242/12

    Tenor:

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. November 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

    Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

    Die Revision wird nicht zugelassen.
    Tatbestand

    Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Anerkennung eines Unfalls vom 15. März 2010 als Arbeitsunfall.

    Die 1983 geborene Klägerin arbeitete zum Unfallzeitpunkt als Serviceberaterin bei der Sparkasse M in der Geschäftsstelle F, F Str., F. Laut Unfallanzeige vom 18. März 2010 befand sie sich am Unfalltag auf dem Weg zur Arbeit, blinkte, um zum Tanken nach links auf eine Tankstelle abzubiegen und hielt verkehrsbedingt an. Das hinter ihr fahrende Fahrzeug fuhr auf ihr Fahrzeug auf (Unfallskizze vom 29. November). Im von der Beklagten übersandten Unfallfragebogen gab sie an, der von ihr am Unfalltag zurückgelegte Weg entspreche dem gewöhnlichen Weg.

    Sie erlitt bei diesem Unfall eine Lendenwirbelsäulenprellung (Durchgangsarztbericht des Dr. K vom 15. März 2010). Ein MRT vom 21. April 2010 ergab keinen Anhalt für Traumafolgen; es ergab sich bis auf diskrete Scheuermann´sche Residuen in Höhe des thorakolumbalen Übergangs auch sonst ein unauffälliger Befund. Arbeitsunfähigkeit bestand bis zum 29. April 2010.

    Mit Bescheid vom 9. März 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 15. März 2010 als Arbeitsunfall ab und führte zu Begründung unter anderem aus, die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Unfalls keine versicherte Tätigkeit ausgeübt. Zwar sei auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit versichert. Dies gelte jedoch nicht für Wege, die vom Ziel hinweg oder über das Ziel hinaus führen (Abwege) und für Wege die eingeschoben bzw. verlängert würden (Umwege). Der Unfall habe sich in Höhe einer Tankstelle ereignet. Die Klägerin habe angegeben, ihr Fahrzeug betanken zu wollen. Diese Tätigkeit sei dem persönlichen, eigenwirtschaftlichen Lebensbereich zuzuordnen und stehe mit der versicherten Tätigkeit in keinem inneren Zusammenhang. Die Klägerin habe zum Zweck des Tankens die Weiterfahrt zur beruflichen Tätigkeit unterbrochen, habe sich auf ihrer Fahrspur nach links abgesetzt, geblinkt und sei stehen geblieben. Anschließend sei der nachfolgende Autofahrer auf ihr Kraftfahrzeug aufgefahren. Eindeutig sei ihr Ziel zum Zeitpunkt des Unfallereignisses nicht das Aufsuchen der Arbeitsstelle, sondern das Betanken des Autos gewesen. Die Handlungstendenz sei zu diesem Zeitpunkt eindeutig auf die Ausübung der privaten Tätigkeit ausgerichtet gewesen. Ein Arbeitsunfall habe somit nicht vorgelegen.

    Im anschließenden Widerspruchsverfahren führte die Klägerin unter anderem aus, sie fahre einen PKW Skoda Octavia, Baujahr 2004. Dieses Fahrzeug verfüge nicht über eine digitale Tankanzeige, sondern über eine Tanknadel. Die Anzeige dieser Tanknadel sei auch für geübte Fahrer nicht immer leicht interpretierbar, da diese stark abhängig vom Kraftstoffverbrauch - abhängig von Außentemperatur, Heizbedarf und Verkehrsdichte - nur etwaige Näherungswerte angebe. Sobald aber nach Vorgabe der Elektronik das Tanken notwendig werde, ertöne ein Signalgeräusch und es leuchte eine gelbe Zapfsäule im Cockpit auf. Vor Fahrtantritt habe die Tanknadel noch hinreichende Füllung angezeigt. Erst als sie am Unfalltag im dichten Berufsverkehr ca. 4-5 km auf dem direkten Weg zur Arbeit zurückgelegt habe, sei überraschend die Tankanzeige ertönt. Sie habe sich dann entschlossen zu tanken. Zu diesem Zweck habe sie abgebremst und den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Noch bevor sie den Abbiegevorgang auf eine Tankstelle habe einleiten können, sei der Unfallgegner auf das Heck des sich noch auf der Straße befindlichen Fahrzeugs aufgefahren. Für einen Arbeitsunfall spreche also, dass sie zum einen zum Kollisionszeitpunkt überraschend habe tanken müssen und zum anderen sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der ursprünglichen Straße und nicht etwa auf dem Tankstellengelände befunden habe; sie habe sich noch nicht einmal im Abbiegevorgang befunden. Damit habe zum Zeitpunkt des Unfalls noch keine wesentliche Unterbrechung des Arbeitsweges vorgelegen. Zu genau dieser Fallkonstellation habe das Bundessozialgericht mit Urteil vom 11. September 1998 (Aktenzeichen B 2 U 29/97 R) ausgeführt: "Während einer privaten Verrichtungen dienenden Unterbrechung des Weges zu und von dem Ort der Tätigkeit besteht nur dann Versicherungsschutz, wenn die Unterbrechung lediglich als nur geringfügig anzusehen ist (...). Zwar ist der Versicherte auf dem Weg von oder zu dem Ort der Tätigkeit in der Regel im gesamten Bereich des öffentlichen Verkehrsraums geschützt; diese Unterbrechung beginnt aber dann, wenn der Versicherte den öffentlichen Verkehrsraum verlassen hat (...). Die Klägerin war auf diese Weise lediglich bis zum Verlassen des öffentlichen Verkehrsraumes durch Erreichen des Tankstellengeländes unfallversichert." Hieraus folge, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie lediglich auf der ursprünglichen Straße abgebremst, sich noch auf dieser befunden habe und noch nicht einmal im Abbiegevorgang gewesen sei, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Zudem dürfe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts immer dann auf dem Weg zur Arbeit unter Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes getankt werden, wenn sich die Notwendigkeit des Tankens daraus ergebe, dass während der Fahrt der Reservetank in Anspruch genommen werde. Auch dies sei hier der Fall gewesen.

    Mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, das Zurücklegen von Wegen stelle in aller Regel nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst dar, sondern eine der versicherten Tätigkeit vor- oder nachgelagerte Tätigkeit, die zu der eigentlichen Tätigkeit, weswegen das Beschäftigungsverhältnis eingegangen worden sei, in einer mehr oder weniger engen Beziehung stehe. Die Beurteilung des Versicherungsschutzes auf Wegen bringe spezifische Probleme mit sich. Dies gelte umso mehr, als nicht das Zurücklegen des Weges von und zum Ort der Beschäftigung zur Diskussion stehe, sondern Maßnahmen, die die Zurücklegung eines solchen Weges erst ermöglichen sollen. Auch im vorliegenden Fall handle es sich bei der unfallbringenden Tätigkeit unzweifelhaft nicht um eine Verrichtung im Sinne eines Zurücklegens des Weges zum Ort der versicherten Tätigkeit, sondern um eine so genannte Vorbereitungshandlung. Als Vorbereitungshandlung oder vorbereitende Tätigkeit würden insoweit Verrichtungen bezeichnet, die der eigentlichen versicherten Tätigkeit vorangehen und/oder ihre Durchführung erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen würden. Dabei gehe die Rechtsprechung davon aus, dass Vorbereitungshandlungen trotz ihrer Betriebsdienlichkeit grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Bereich zuzurechnen seien und Versicherungsschutz nur ausnahmsweise bestehe, wenn diese Tätigkeiten einen besonders engen, sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit aufweisen würden. Insoweit sei grundsätzlich auch das Auftanken eines zur Fahrt nach und von dem Ort der Tätigkeit genutzten Kraftfahrzeuges dem unversicherten, persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen. Eine andere Beurteilung sei lediglich dann gerechtfertigt, wenn das Nachtanken während der Fahrt unvorhergesehen notwendig werde, damit der restliche Weg überhaupt zurückgelegt werden könne. In derartigen Fällen sei es nur dann gerechtfertigt, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren und das Auftanken eines Kraftfahrzeuges als eine Einheit mit dem Zurücklegen des Weges anzusehen, wenn der Treibstoff des benutzten Kraftfahrzeugs plötzlich aus Umständen, die der Versicherte nicht zu vertreten habe, für ihn vollkommen unerwartet zur Neige gehe, was etwa dann der Fall sein könne, wenn ein Leck im Tank auftrete oder wenn wegen einer Verkehrsumleitung oder wegen einer sonstigen Wegebesonderheit (Stau) der Kraftstoffverbrauch so stark ansteige, dass der Versicherte ohne ein Nachtanken die Arbeit oder seine Wohnung nicht mehr erreichen könne. Es handele sich hierbei insoweit um Fälle, die Besonderheiten aus "höherer Gewalt" beinhalten würden. Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen könne die unfallbringende Tätigkeit nicht als unter Unfallversicherungsschutz stehend beurteilt werden. Als Vorbereitungshandlung zu der gesetzlich versicherten Vorbereitungshandlung der Wegezurücklegung mangele es dieser an der zu fordernden engen Verbundenheit. Ein äußerer, nicht beeinflussbarer Umstand nahezu höherer Gewalt, der die Klägerin dazu gezwungen habe, Handlungen zur Ermöglichung der weiteren Zurücklegung des Weges zu ergreifen, sei auch unter Berücksichtigung der Angabe des dichten Berufsverkehrs nicht gegeben. Laut Angabe der Klägerin betrage die gewöhnlich zurückzulegende Strecke zwischen Wohn- und Arbeitsort 44 km. Es sei davon auszugehen, dass der Klägerin bekannt sei, welche Benzinmenge sie benötige, um mit ihrem PKW zur Arbeitsstelle und von dieser nach Hause zu gelangen. Soweit die Klägerin ausführe, dass vor Antritt der Fahrt noch ausreichend Benzin im Tank gewesen sei, jedoch dann bereits nach 4 bis 5 km - wenn auch im dichten Berufsverkehr - überraschend die Tankanzeige aufgeleuchtet habe, könne dies in Anbetracht der insgesamt zurückzulegenden Wegstrecke von 44 km nicht nachvollzogen werden. Vielmehr sei dann davon auszugehen, dass bereits zum Zeitpunkt des Antritts der Fahrt nicht ausreichend Benzin im Tank gewesen sei. Die Notwendigkeit des Nachtankens beruhe auf eigenem Organisationsverschulden der Klägerin, was eine Haftung der gesetzlichen Unfallversicherung nicht begründe.

    Auf die anschließende Klage der Klägerin hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 13. November 2012 festgestellt, dass es sich bei dem Unfall der Klägerin vom 15. März 2010 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, vorliegend habe die Klägerin zwar den - an sich versicherten - unmittelbaren Weg zum Ort ihrer Tätigkeit unterbrochen, da insoweit allein auf die nach außen ersichtliche Handlungstendenz abzustellen sei. Das Betanken eines Fahrzeugs sei nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich als - unversicherte - eigenwirtschaftliche Tätigkeit anzusehen. Eine andere Beurteilung sei lediglich dann gerechtfertigt, wenn das Nachtanken während eines versicherten Weges unvorhergesehen notwendig werde, damit der restliche Weg zurückgelegt werden könne. Eine nähere Betrachtung der insoweit vom Bundessozialgericht entschiedenen Fälle ergebe, dass dem Merkmal "unvorhergesehen" keine inhaltliche Bedeutung beizumessen sei. Vorliegend liege ein in diesem Sinne zur Zurücklegung des weiteren (versicherten) Weges notwendiges Nachtanken vor. Das Bundessozialgericht habe abweichend von der Grundregel, dass das Betanken eines Fahrzeugs nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich als unversicherte eigenwirtschaftliche Tätigkeit anzusehen sei, eine Ausnahme zugelassen. Danach stehe ein Tankstopp dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn das Nachtanken während eines versicherten Weges unvorhergesehen notwendig werde, damit der restliche Weg zurückgelegt werden könne. Entgegen der Auffassung der Beklagten würden hierunter nicht nur solche Fallgestaltungen fallen, welche die Besonderheiten aus "höherer Gewalt" aufweisen würden. Eine nähere Betrachtung der vom Bundessozialgericht entschiedenen Fälle (BSG, Urteil vom 28. Februar 1964 - 2 RU 22/61 = BB 1964, 684; Urteil vom 30. Januar 1968 - SozR Nr. 63 zu § 543 RVO a. F.; Urteil vom 14. Dezember 1978, SozR 2200 Nr. 39 zu § 550 RVO, Urteil vom 24. Mai 1984 - 2 RU 3/83) ergebe vielmehr, dass dem Merkmal "unvorhergesehen" keine inhaltliche Bedeutung beizumessen sei. In Ansehung dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass dem vom Bundessozialgericht aufgestellten Kriterium der "Unvorhergesehenheit" des Nachtankens inhaltlich keine entscheidungskräftige Bedeutung zukomme (so auch: Krassney, in: Becker/Borchert/Krassney/Kruschinski, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 Rn. 212; Lauterbach/Schwerdtfeger, Unfallversicherung, 4. Auflage, § 8 Rn. 436). Die Kammer sehe sich vor diesem Hintergrund nicht in der Lage, der in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte vorgenommenen Auslegung zu folgen, wonach das Nachtanken "während der Fahrt überraschend, plötzlich, unvorhergesehen" notwendig werden bzw. ein "Überraschungsmoment" vorliegen müsse (vergleiche LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. August 2005 - L 17 U 74/05, Rn. 24 und Rn. 26, zitiert nach Juris) oder aber wenn "der Treibstoff für das benutzte Fahrzeug plötzlich aus Umständen, die der Versicherte nicht zu vertreten habe, für ihn vollkommen unerwartet zur Neige gehe, etwa weil wegen einer Verkehrsumleitung oder eines Staus der Kraftstoffverbrauch (stark) ansteigt" (vergleiche LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3. November 2011 - L 3 U 7/09, Rn. 31, zitiert nach Juris). Zwar stelle dieses Verständnis der "Unvorhergesehenheit" ohne Zweifel eine zulässige (und den eigentlichen Wortsinn sogar weit besser wiedergebende) Auslegung des Begriffs dar, jedoch werde bei einer solchen Auslegung übersehen, dass das Bundessozialgericht einen derartig strengen Maßstab - selbst wenn es das Merkmal der "Unvorhergesehenheit" stets fordere - bei seinen Entscheidungen nie angelegt habe, sondern im Gegenteil (wenngleich missverständlich) betont habe, an "die Voraussetzungen" dürften keine zu strengen Anforderungen gestellt werden. Im Ergebnis sei davon auszugehen, dass das Nachtanken dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe, wenn es zur Zurücklegung des weiteren (versicherten) Weges aus der Sicht des Betroffenen erforderlich gewesen sei. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes sei der gesamte Tankvorgang - einschließlich des Abbremsens des Pkws mit dem Zweck des Abbiegens auf die Tankstelle - im vorliegenden Fall als versicherte Verrichtung anzusehen, denn die Kammer habe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einlassung der Klägerin, die Tankleuchte habe während der Fahrt erstmals aufgeleuchtet, unzutreffend sei. Die Klägerin habe daher davon ausgehen dürfen, dass das Auftanken objektiv notwendig gewesen sei, da das Aufleuchten der Tankleuchte dem Umschalten in den Reservetank (vergleiche BSG, Urteil vom 14. Dezember 1978 aaO.) gleichzusetzen sei. Es seien zur Überzeugung der Kammer auch keine Umstände dafür ersichtlich, dass die Klägerin Kenntnis davon gehabt habe, dass der restliche Weg mit dem Inhalt des Reservetanks hätte zurückgelegt werden können, denn der weiter zu absolvierende Fahrtweg hätte noch über 30 km betragen, zudem war zu berücksichtigen, dass auch für unabsehbare Verkehrssituationen (Stau, weiterer zäher Verkehrsfluss) Vorsorge zu treffen gewesen sei. Dass der (Mittelklasse-)Pkw der Klägerin diese nicht unerhebliche Strecke noch sicher hätte fahren können, hätte sich ihr zur Überzeugung der Kammer auch aus allgemeiner Lebenserfahrung nicht aufdrängen müssen.

    Gegen das ihr am 30. November 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21. Dezember 2012 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung führt sie unter anderem aus, es könne für die Klägerin nicht unvorhergesehen gewesen sein, dass sie am Unfalltag auf dem Weg zur Arbeitsstätte hätte nachtanken müssen, da sie zum Zeitpunkt, zu dem die Reservetankanzeige aufgeleuchtet habe, gerade einmal 5 km zurückgelegt habe. Bei noch vor ihr liegenden 35 km Wegstrecke hätte es für die Klägerin bereits am Vorabend ersichtlich sein müssen, dass der noch im Kraftstoffbehälter befindliche Treibstoff am nächsten Tag nicht mehr für den Weg zur Arbeit ausreichen würde. Sie hätte demnach bereits am Vortag dieser "Vorbereitungshandlung" nachkommen müssen. Andererseits sei nicht ersichtlich, warum die Klägerin nicht darauf hätte vertrauen können, dass der im Reservetank vorhandene Kraftstoff, der gemeinhin für ca. 50 km ausreiche, noch für die restlichen zurückzulegenden 35 km würde ausreichen können.

    Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. November 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt nunmehr - mit Schreiben vom 6. Dezember 2013 - erstmals vor, es habe sich beim Tanken am 15. März 2010 schon deshalb nicht um eine rein privatwirtschaftliche Verrichtung gehandelt, da sie ihr Kraftfahrzeug nicht nur privat, sondern auch als Dienstwagen benutzt habe. Ergänzend hat die Klägerin Abrechnungen über durchgeführte Dienstfahrten im Zeitraum 19. Juli 2010 bis 29. Juli 2010 und 2. August 2010 bis 31. August 2010 übersandt.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstreits sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen ist.
    Entscheidungsgründe

    Der Senat konnte gemäß § 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben sich mit dieser Verfahrensweise schriftlich einverstanden erklärt.

    Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht. Das Ereignis vom 15. März 2010 war kein Arbeitsunfall.

    Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Wegs nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; vgl. BSG vom 15. Mai 2012, B 2 U 16/11 R, vom 24. Juli 2012, B 2 U 9/11 R, vom 13. November 2012, B 2 U 19/11 R, zuletzt BSG vom 18. Juni 2013, B 2 U 10/12 R, zitiert nach Juris).

    Die Klägerin befand sich am 15. März 2010 auf dem direkten Weg von ihrem Wohnort zur Arbeitsstätte. Die durch den Auffahrunfall verursachten gesundheitlichen Einwirkungen auf den Körper der Klägerin begründeten jedoch keinen Arbeitsunfall, weil sie nicht im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII "infolge" des Zurücklegens des versicherten Wegs auftraten und damit nach dem Schutzzweck der Norm nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen waren. Die Klägerin selbst hat, indem sie ihr Fahrzeug zum Stehen brachte, die maßgebliche und unmittelbare Wirkursache für den Unfall - das Auffahren des nachfolgenden Wagens auf ihr Fahrzeug - gesetzt. Sie handelte dabei ausschließlich aus dem privatwirtschaftlichen Beweggrund, die Fahrt in anderer Richtung fortzusetzen, um dort zu tanken. Diese subjektive Handlungstendenz schlug sich unmittelbar in dem objektiv beobachtbaren Verhalten - dem vollständigen Abbremsen des Fahrzeugs - nieder. Es handelte sich dabei auch nicht um eine geringfügige, zu vernachlässigende Unterbrechung.

    Die konkrete Verrichtung der Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls - das vollständige Abbremsen des Pkw - stand nicht unter Versicherungsschutz. Wie das Bundessozialgericht seit seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2003 B 2 U 23/03 R, zitiert nach Juris) in ständiger Rechtsprechung betont hat, ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin (hier Arbeitsstätte der Klägerin) dient, die Handlungstendenz des Versicherten. Diesen Grundsatz hatte das BSG bis zu der Entscheidung vom 9.12.2003 (aaO.) freilich mit der - von der Klägerin in Bezug genommenen - Einschränkung versehen, dass der Versicherungsschutz trotz der vorübergehenden Lösung vom betrieblichen Zweck des Wegs solange erhalten bleibt, wie sich der Versicherte noch innerhalb des öffentlichen Verkehrsraums der für den Weg zu oder von der Arbeitsstätte benutzten Straße aufhält. Die nicht mehr versicherte Unterbrechung des Wegs begann nach dieser überholten Rechtsprechung danach erst, wenn der öffentliche Verkehrsraum, beispielsweise durch Betreten eines Geschäfts oder durch Einbiegen in eine Seitenstraße, verlassen wurde. Sie endete, sobald der Versicherte nach Erledigung der eigenwirtschaftlichen Verrichtung zur Fortsetzung des Wegs in den Bereich der Straße zurückkehrte. An dieser einschränkenden Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht nicht festgehalten. Wird der Weg zu oder von der Arbeitsstätte durch eine private Besorgung mehr als nur geringfügig unterbrochen, besteht während der Unterbrechung kein Versicherungsschutz. Dieser setzt erst wieder ein, wenn die eigenwirtschaftliche Tätigkeit beendet ist und die Handlungstendenz auch nach außen erkennbar wieder darauf gerichtet ist, den ursprünglichen, versicherten Weg wieder aufzunehmen vgl. zum Ganzen die Urteile des Bundessozialgerichts vom 4. Juli 2013, B 2 U 12/12 R und B 2 U 3/13, zitiert nach Juris).

    Die Klägerin hat hier ihr Fahrzeug bis zum Stand abgebremst, um über die Gegenfahrbahn auf ein privates Gelände - die Tankstelle - zu fahren.

    Das beabsichtigte Tanken stand als rein privatwirtschaftliche Handlung nicht mehr unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung. Das Bundessozialgericht hat dazu mit Urteil vom 04. September 2007 (B 2 U 24/06 R, zitiert nach juris Rn. 17 ff.) u. a. ausgeführt: Allgemeine Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit eines Pkw sind als Vorbereitungshandlungen unversichert, also z.B. Tanken, Inspektionen, Reparaturen usw., auch wenn sie letztlich mit einer auf die grundsätzlich versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz unternommen werden. Bei Maßnahmen zur Behebung einer während eines versicherten Weges auftretenden Störung ist ein Fortbestehen des Versicherungsschutzes zu bejahen, wenn kein Zurücklegen des restlichen Weges ohne Behebung der Störung in angemessener Zeit auf andere Weise (z.B. zu Fuß) möglich ist, die Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit nach Art und Zeitaufwand nicht in einem Missverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen steht und der Versicherte sich auf Maßnahmen beschränkt, die zur Fortsetzung des Weges notwendig sind. Die angeführten Kriterien, Unvorhergesehenheit sowie Relation des noch zurückzulegenden Weges zu den ergriffenen Maßnahmen, sind geeignet, der Entscheidung über die Handlungstendenz des Versicherten zugrunde gelegt zu werden, zumal die aus Erklärungen des Versicherten abgeleitete Handlungstendenz durch derartige objektive Umstände bestätigt bzw. widerlegt werden kann. Auch aus der Länge des restlichen Weges und der Möglichkeit, ihn auf andere Weise zurückzulegen, sind Rückschlüsse auf die Handlungstendenz des Verletzten möglich.

    Hiervon ausgehend ist das Auftanken eines zur Fahrt nach oder von dem Ort der Tätigkeit benutzten Kraftfahrzeuges grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen. Denn es handelt sich dabei um eine Verrichtung, die zwar üblicherweise der Aufnahme der Betriebstätigkeit vorangeht, der Betriebsarbeit aber zu fern steht, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Sphäre, die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auf die Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit ausgedehnt ist, zuzurechnen wäre. Eine andere rechtliche Beurteilung ist allerdings dann gerechtfertigt, wenn das Nachtanken während der Fahrt unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg zurückgelegt werden kann.

    Anders als vom Sozialgericht angenommen, lässt sich der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch nicht entnehmen, dass es auf die Unvorhergesehenheit des Tankens (als "Sonderfall" zur Reparatur) nicht ankäme bzw. dass es sich hier um ein Tatbestandmerkmal ohne inhaltliche Bedeutung handele. Vielmehr folgt aus der Tatsache, dass das Tanken vor Beginn und nach Beendigung des Arbeitsweges sowie das nur vorsorgliche nicht unmittelbar notwendige Tanken unstreitig unversicherte privatwirtschaftliche Tätigkeiten sind, dass sich das Tanken, das versichert sein soll hiervon - durch die Unvorhergesehenheit - unterscheiden muss. Dann muss aber dieses der Unterscheidung dienende Kriterium auch mit Inhalt gefüllt werden. Unter Berücksichtigung der restriktiven Auslegung des Umfanges des Versicherungsschutzes bei Vorbereitungshandlungen ist von einem unvorhergesehenen Auftanken eines Kraftfahrzeuges nur dann zu sprechen, wenn der Treibstoff für das benutzte Fahrzeug plötzlich aus Umständen, die der Versicherte nicht zu vertreten hat, für ihn vollkommen unerwartet zur Neige geht, etwa weil wegen einer Verkehrsumleitung oder wegen eines Staus der Kraftstoffverbrauch so stark ansteigt, dass der Versicherte ohne ein Nachtanken die Arbeitsstelle bzw. seine Wohnung nicht mehr erreichen kann (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03. November 2011, L 3 U 7/09, und Urteil vom 16. Mai 2013, L 3 U 268/11, zitiert nach juris Rn. 31).

    Hiervon ausgehend lässt sich ein unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehender Unfall im Ereignis vom 15. März 2010 nicht erkennen. Die Klägerin hat zwar vorgetragen, dass ihr bei Fahrtantritt nicht ersichtlich gewesen sei, dass sie ihren Pkw werde betanken müssen, sondern dass die Reservelampe erst nach ca. 4 bis 5 km Fahrt aufgeleuchtet habe. Die Klägerin konnte dann aber bei Antritt der Fahrt ganz offensichtlich nicht darauf vertrauen, dass sie mit der noch vorhandenen Benzinmenge ihre Arbeitsstätte - sicher und ohne Inanspruchnahme des Reservetanks - hätte erreichen können, dass sie also nicht hätte nachtanken müssen. Zwar hat die Klägerin in soweit vorgetragen, sie fahre einen PKW Skoda Octavia, Baujahr 2004, dieses Fahrzeug verfüge nicht über eine digitale Tankanzeige, sondern über eine Tanknadel, die Anzeige dieser Tanknadel sei auch für geübte Fahrer nicht immer leicht interpretierbar, da diese stark abhängig vom Kraftstoffverbrauch - abhängig von Außentemperatur, Heizbedarf und Verkehrsdichte - nur etwaige Näherungswerte angebe. Diese Aussagen zum unterschiedlichen Verbrauch in Abhängigkeit von Außentemperatur etc. können sich bei der erst geringen zurückgelegten Wegstrecke von einem Elftel der beabsichtigten Strecke noch nicht so gravierend ausgewirkt haben. Dass die Tanknadel nach 4 bis 5 Km einen wesentlich anderen Benzinstand angezeigt hat als zum Zeitpunkt, in dem die Tankanzeige ansprang, lässt sich nicht nachvollziehen. Damit muss der Klägerin schon zu Beginn der Fahrt klar gewesen sein, dass sie im Laufe der Fahrt werde tanken oder mit dem im Reservetank befindlichen Benzin werde zur Arbeit fahren müssen. Damit kann der Tankvorgang nicht als unausweichlich im Sinne der obigen Rechtsprechung angesehen werden. Hierfür sprechen auch die vom 3. Senat in seinen Urteilen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03. November 2011, L 3 U 7/09, und Urteil vom 16. Mai 2013, L 3 U 268/11, zitiert nach juris Rn. 31) herangezogenen weiteren Maßstäbe. Für einen Motorschaden oder kraftstoffintensivere überraschende Verkehrsstauungen hat die Klägerin nichts vorgetragen und ist auch sonst nichts ersichtlich. So ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin am Unfalltag vom Aufleuchten der Reservelampe völlig überrascht worden wäre. Vielmehr erscheint das Aufleuchten der Reservetankleuchte als gewöhnlicher, gerade nicht in den Risiken des Arbeitswegs angelegter und damit nicht mehr dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterfallender Tatbestand.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin, dass sie im Juli und August 2010 mit ihrem privaten Kraftfahrzeug Dienstfahrten durchgeführt hat, für die sie von ihrem Arbeitgeber eine Kostenerstattung erhalten hat. Dies beweist nicht, dass die Klägerin sich auch am Unfalltag, dem 15. März 2010, auf einer Dienstfahrt befunden hat. Entsprechende Unterlagen für den Unfalltag konnte die Klägerin nicht vorlegen.

    Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.

    RechtsgebietSGB VIIVorschriften§ 7 SGB VII; § 8 Abs. 1 SGB VII; § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII

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