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  • · Fachbeitrag · Geschäftsmodell Steuerberatung

    Wie wird sich KI auf die Steuerberatung auswirken? Versuch einer ersten Einschätzung

    von Ulf Hausmann, MBA, Kanzleiberater, Berlin, www.ulfhausmann.de

    | Die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz (KI) auf die Steuerberatung haben das Potenzial, die Branche grundlegend zu verändern. Einerseits können KI-Technologien z. B. bei der Datenanalyse helfen oder bei der Simulation komplexer Steuerszenarien unterstützen. Indem sie aber auch wiederkehrende Aufgaben automatisieren, erhöhen sie den Wettbewerbsdruck. In diesem Beitrag soll versucht werden, das disruptive Potenzial auszuloten, das die Integration von KI-Technologien in der Steuerberatung hat. |

    Was ist da am 30.11.22 eigentlich passiert?

    Am 30.11.22 stellte OpenAI ChatGPT 3.5 der Öffentlichkeit vor. ChatGPT wurde „vom Fleck weg“ als Textgenerierungstool von sehr vielen Menschen ausprobiert und erreichte innerhalb zweier Monate eine weltweite Nutzerzahl von 100 Millionen. Es wurde damit das am schnellsten wachsende Softwaretool. Nach einem ersten Schrecken kam dann auch die Konkurrenz mit Upgrades und Verbesserungen an ihren Modellen auf den Markt (z. B. Google mit Bard, Anthropic mit Claude oder Meta [ehemals: Facebook] mit LLaMA). Seither gründeten und gründen sich immer mehr Unternehmen in diesem Bereich.

     

    Technisch markiert ChatGPT 3.5 einen Meilenstein in der Entwicklung generativer Sprachmodelle, die auf neuronalen Netzen, in der Regel in Transformer-Architektur, basieren und viele Milliarden Parameter besitzen. Diese Modelle können natürliche Sprache verarbeiten und generieren. Generative Sprachmodelle finden Anwendung in verschiedenen Bereichen, darunter Textgenerierung, Übersetzung, Chatbots und mehr. Modelle mit dieser Technologie können auch neue Inhalte, Bilder, Videos, Musik und Computer-Code erstellen. Die Technologie der generativen KI hat sich aus einfachen Modellen, die seit Jahrzehnten in der Statistik verwendet wurden, weiterentwickelt. Neuronale Netzwerke und Deep Learning waren die jüngsten Vorläufer moderner generativer KI, die insbesondere durch viel leistungsfähigere Hardware und die Nutzung unwahrscheinlich großer Datenbestände erst in den letzten Jahren entstehen konnten.

     

    Neben den großen Tech-Playern Microsoft, Google, OpenAI, Meta, Amazon, Tesla sowie in Europa aufstrebenden Startups wie Mistral AI (Frankreich), DeepL und Aleph Alpha (Deutschland), die aus der Perspektive eigener wirtschaftlicher Interesse Milliardenprojekte voranbringen, gibt es eine weltweite große und wachsende Open Source Gemeinschaft von Forschenden und privaten Anwendenden, die ebenfalls KI-Technologie im Bereich der Large Language Models voranbringen. Meta unterstützt strategisch den Open Source Gedanken mit der eigenen KI-Arbeit. Das heißt, die Entwicklung von Innovationen wird nicht nur durch die wirtschaftlichen Interessen von großen Unternehmen befördert, sondern auch von Entwicklungsmöglichkeiten, die die Open Source Community sieht. Beide Aspekte befruchten sich wiederum gegenseitig und beschleunigen die Entwicklung insgesamt.

     

    Insgesamt hat die Bereitstellung leistungsstarker generativer KI-Tools wie ChatGPT und Google Bard für die Öffentlichkeit dazu beigetragen, die Beliebtheit und den Einsatz von generativen Sprachmodellen zu steigern. Gleichzeitig wurde aber auch eine Diskussion darüber angestoßen, wie viel KI bereits in den täglich genutzten Produkten steckt und ob es nicht an der Zeit ist, regulatorische Leitplanken einzuziehen. Am 20.10.23 wurde dann die europäische Regulierung von KI, auch bekannt als „AI Act“, beschlossen, die darauf abzielt, den Einsatz von KI-Systemen in der EU sicher, transparent, nachvollziehbar, nicht diskriminierend und umweltfreundlich zu gestalten sowie einen Rahmen für die Förderung des KI-Standorts EU zu schaffen.

    Wie ist die technische Entwicklung einzuschätzen?

    Die fortschreitende Evolution der künstlichen Intelligenz KI hat im Laufe der Jahre 2022 und 2023 bemerkenswerte technologische Durchbrüche und Anwendungen in verschiedenen Branchen hervorgebracht. Zunächst waren die kreativen Branchen mit Bilderstellung und Generierung von marketingorientierten Texten an der Vorderfront der praktischen KI-Nutzung im Geschäftsalltag. Insbesondere große Unternehmen nutzen jetzt schon KI-Technologie, um ihre Prozesse z. B. in den Bereichen Neukunden-Onboarding, Erstellung von Social-Media-Content oder Kundenbetreuung effizienter zu gestalten, um Ressourcen zu sparen und die Automatisierung im Unternehmen insgesamt voranzutreiben.

     

    In Bereichen wie Finanzdienstleistungen, Gesundheitswesen und Einzelhandel hat sich diese Technologie als wesentlicher Faktor für betriebliche Effizienz, datengesteuerte Entscheidungsfindung und kundenorientierte Innovation etabliert. Insbesondere im Jahr 2023 beobachten wir eine signifikante Steigerung in der Verarbeitungsgeschwindigkeit und Datenanalysefähigkeit der KI-Systeme, insbesondere im Bereich der sogenannten Large-Language-Models. Das macht sie zu einem unverzichtbaren Werkzeug für die Handhabung großer und komplexer Datensätze. Softwareunternehmen nutzen die Fähigkeiten dieser Technologie, um fast automatisiert Programmieraufgaben umsetzen zu können. Es wurde berichtet, dass Programmierer KI unterstützt bis zu 300 % ihres bisherigen Outputs an Programm-Code erstellen. Laien können mit ChatGPT oder anderen Large-Language-Models jetzt selbst Software ohne eigene Programmierkenntnisse erstellen, Websites können durch Prompteingabe generiert werden.

     

    KI-Experten beschreiben, dass wir uns in einer doppelt exponentiellen Entwicklung befinden, die nicht nur durch die Software-Entwicklung von KI befördert wird, sondern auch von der immer stärkeren Hardware beschleunigt wird. Das aktuelle ChatGPT4 Modell wurde beispielsweise noch auf Hardware entwickelt, die für die Berechnung mehrere Monate Zeit brauchte. Aktuell werden Rechenzentren gebaut und sind schon im Einsatz, deren Leistung es ermöglichen würde, ein Modell vergleichbar mit ChatGPT 4 innerhalb einiger Tage zu berechnen. Umgekehrt werden jetzt schon generative KI-Technologien eingesetzt, um neue Mikrochips zu entwickeln, mit denen wiederum KI-Technologien softwareseitig effizienter weiterentwickelt werden.

     

    Neben diesen technologischen Faktoren spielen auch wirtschaftliche eine Rolle: So hat sich im letzten Jahr beispielsweise die Investition in KI-Technologie weltweit verdoppelt. Und wo investiert wird, werden auch Technologien und insbesondere in der Praxis einsetzbare Lösungen und Tools schneller hervorgebracht, wie die folgenden Beispiele zeigen.

     

    • Beispiele
    • Hochleistungsrechner: Vor einigen Jahren gab es die ersten Supercomputer mit einer Rechenleistung von mehr als einem Exaflop. Diese wurden damals noch als große nationale Projekte von einzelnen Ländern entwickelt. Heute gibt es mehrere Rechenzentren, die z. B. von Microsoft, Google oder anderen privaten Unternehmen betrieben werden, die diese und größere Rechenleistungen erbringen. In Deutschland gibt es beispielsweise das Forschungszentrum Jülich, das Forschenden und Unternehmen Zugriff auf ein Rechenzentrum in dieser Größenordnung ermöglicht, um eigene KI-Forschung voranzutreiben.

     

    • KI-Ökosysteme: OpenAI als Entwickler von ChatGPT hat sich als eines der aktuell führenden Unternehmen in der Welt im KI-Bereich entwickelt. 2023 gab es bereits 2 Millionen Softwareentwickler, die Datenschnittstellen (API) und Tools von OpenAI für die eigene Software-Entwicklung nutzen. Entsprechend dieser weltweiten Kapazität werden sich die im Privaten wie im Unternehmensalltag nutzbaren KI-Anwendungen innovativ weiterentwickeln. Mitte 2023 gab es bereits mehr als 6.000 Softwareanwendungen, die die API von OpenAI verwenden.

     

    • Wahrnehmung in der Politik: Arbeitsminister Hubertus Heil äußerte sich 2023 dahin gehend, dass es „2035 keinen Job mehr ohne KI-Beteiligung“ geben würde. Für einen Minister eines Landes, das noch 2013 mit dem Internet „Neuland“ betrat, ist das eine deutliche Aussage.
     

    Was kommt da noch auf uns zu?

    Die Auswirkungen der KI-Technologie auf die Menschheit ist nicht zu unterschätzen. Einerseits hat sie das Potenzial, große Menschheitsprobleme, wie bisher unheilbare Krankheiten, den Klimawandel und andere Probleme, wesentlich in eine positive Richtung zu lenken. Andererseits birgt die Technologie konkrete Gefahren wie das Ansteigen von Cyberkriminalität, die Gefährdung von demokratischen Diskussionsprozessen, die Unterstützung von Autokratien oder auch eine kurzfristige Erhöhung des CO2-Ausstoßes. KI-Technologie wird die Menschheit auf allen gesellschaftlichen Ebenen in den kommenden Jahrzehnten massiv beeinflussen.

     

    Forscher und Entwickler von KI-Technologie gehen davon aus, dass voraussichtlich innerhalb von zehn Jahren (mit 50%iger Wahrscheinlichkeit und konservativ betrachtet) allgemeine künstliche Intelligenz (AGI) entwickelt wird. Das heißt, dass KI-Technologie das Niveau von menschlicher Intelligenz erreicht. KI-Forscher nennen diesen Entwicklungspunkt auch „Singularität“, da ab diesem Punkt auch innerhalb kürzester Zeit künstliche Intelligenz entsteht, die menschliche Intelligenz übertrifft.

     

    Die Konsequenzen sind nicht zu unterschätzen, insbesondere wenn wir auf den relativ kurzen Zeitraum von zehn Jahren blicken. Volkswirtschaftlich stellt sich also schon heute die Frage: Soll man noch in künftig immer weniger effiziente menschliche Kopfarbeit investieren oder abwarten, bis die Wissensarbeit von der AGI erledigt werden kann? Die Antwort hat das Potenzial für weitreichende gesellschaftliche Verwerfungen. Zwar könnten sich ‒ positiv gesehen ‒ „Überflussgesellschaften“ entwickeln, in der die volkswirtschaftliche Wertschöpfung überwiegend automatisch durch KI- und Robotertechnologie erfolgt und menschliche Arbeit nicht vordergründig für die wirtschaftliche Sicherung des Lebensunterhalts erfolgen muss (Stichwort bedingungsloses Grundeinkommen). Das würde aber voraussetzen, dass sich parallel dazu auch der Wille zu einer aktiven Verteilungspolitik entwickelt.

    Was geht das Thema KI die Steuerbranche an?

    Eine Menge. Denn die großen Player sind bereits am Thema dran. Vor allem die Big Four haben in den vergangenen zwei Jahren wesentliche Summen in die Entwicklung von Digitalisierungs- und KI-Technologie gesteckt. PWC hat allein im Jahr 2023 über 1 Mrd. EUR investiert. Aber auch die Finanzverwaltung in Deutschland wird künstliche Intelligenz zur weitreichenden automatischen Steuererhebung einsetzen. Aufgrund des bereits länger anhaltenden Fachkräftemangels auch in der Finanzverwaltung ist die Entwicklung einer automatischen Steuererhebung klar absehbar. Es ist auch davon auszugehen, dass insbesondere Privatsteuern und einfache Bereiche wie Gewinnermittlungen mit Einnahme-Überschussrechnungen seitens der Finanzverwaltung als erstes automatisiert werden. Damit fallen dann bestimmte Einnahmebereiche, die heutzutage noch die Grundlage für die Steuerberatungsbranche sind, weg beziehungsweise ihr Wertschöpfungspotenzial verringert oder verändert sich substanziell. Zwar hat die Anwendung der aktuellen generativen Sprachmodelle noch mit dem Problem der „Halluzinationen“ zu kämpfen. Halluzinationen in generativen Sprachmodellen bezeichnen Fälle, in denen das Modell falsche oder irreführende Informationen generiert, die dennoch plausibel klingen. Für die Besteuerung braucht man aber Lösungen, die nahezu 100%ige Fehlerfreiheit erreichen. Allerdings machen auch Menschen Fehler und so wird es dazu kommen, dass eine bestimmte Fehlerrate als tolerierbar hingenommen werden wird.

     

    Hinzu kommt, dass sich eine komplette Digitalisierung und Automatisierung in der Steuerberatung bereits durch andere Technologien ‒ wie komplette digitale Datenvernetzung und RPA (Robotic Process Automation) erreichen lässt. Die Einführung der flächendeckenden E-Rechnung wird einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. Die Technologie generativer Sprachmodelle kann zusätzlich beispielsweise zur Berichtsgenerierung, zur Beurteilung von Verträgen hinsichtlich rechtlicher und steuerlicher Konsequenzen oder auch zur Erstellung von Vertrags-, Anschreiben- und E-Mailentwürfen genutzt werden. Diese Entwicklung ist allerdings noch in den Kinderschuhen, und bedarf weiterer branchenspezifischer Forschung und Entwicklung.

     

    Unbefriedigenderweise ist der Status quo der KI aus Sicht einer kleinen oder mittleren Steuerkanzlei heute ‒ Anfang 2024 ‒ aus zwei Gründen noch nicht überzeugend:

    • Es gibt noch keine hundertprozentig funktionierende Plug-and-play-Lösung, die Prozesse in der Steuerkanzlei automatisiert. Demgegenüber sind www.taxy.io und www.mein-paul.com Ansätze, die deutlich in diese Richtung gehen und in Teilbereichen schon jetzt effektiv eingesetzt werden können.
    • Es sind erhebliche Investitionen (Zeit, Manpower, Geld) nötig, um mit KI-Technologie die eigenen Kanzleiprozesse effizienter und automatischer zu gestalten. Insbesondere ist nicht zu unterschätzen, wie viel Zeit jeder Einzelne in der Kanzlei investieren muss, um sich auf verschiedenen Ebenen mit neuer Technologie und darauf aufbauend neuen eigenen Arbeitsweisen vertraut zu machen.

     

    Außerdem setzt der künftige Einsatz von KI-Technologie voraus, dass die Kanzlei ein Qualitätsmanagement- bzw. Prozessmanagementsystem eingeführt hat, d. h., dass die wesentlichen Arbeitsprozesse gemeinsam definiert und standardisiert sind, alle in der Kanzlei nach diesen Prozessen arbeiten und sie kontinuierlich gemeinsam weiterentwickeln. Denn erst darauf aufbauend kann eine effektive Digitalisierung dieser Prozesse erfolgen. Die möglichst vollständige Digitalisierung der Prozesse und Standards ist Voraussetzung dafür, dass KI-Technologie sinnvoll eingesetzt werden kann.

     

    Aufgrund dieser Annahmen lässt sich absehen, dass die Steuerberatungsbranche in Deutschland in der nahen Zukunft von disruptiven Veränderungen betroffen sein wird. Die Veränderungen sind nicht mehr nur prozessseitig spürbar, sondern treffen jetzt unmittelbar den Kern des Geschäftsmodells: die Erfüllung der steuerlichen und handelsrechtlichen Pflichten für die Mandanten (Compliance). Steuerkanzleien generieren heute immer noch über 90 % ihrer Umsätze damit, dem Mandanten diese lästigen Compliance-Pflichten abzunehmen. Viele Kerntätigkeiten aus diesem Bereich sind bei entsprechender Datenaufbereitung schon heute automatisierbar (v. a. FiBu, Deklaration) und benötigen den Menschen eigentlich nur noch zur Kontrolle. Mit dem sich verändernden Wertschöpfungspotenzial schwinden aber auch die Rechtfertigungsgründe für die gegenwärtigen Preise. Trotzdem muss jede Kanzlei die technische Infrastruktur bereithalten und bezahlen. In der Konsequenz bedeutet das, dass Compliance-Steuerdienstleistungen unter Preisdruck geraten werden und Anbieter auf den Markt kommen, die versuchen, „Kasse über Masse“ zu machen. Die entsprechende Skalierung ist möglich, denn ob die elektronischen Daten des Mandanten aus München in Flensburg verarbeitet werden oder vom Berater vor Ort, ist heute irrelevant. Die Daten der meisten Mandanten werden ja ohnehin schon in Nürnberg verarbeitet.

     

    PRAXISTIPP | Egal wie die eigene Einschätzung bezüglich der Entwicklung von KI-Technologie ist, diese neue Beobachtungsdimension sollte in die eigene Strategieentwicklung einfließen. Und unabhängig von denkbaren und möglichen Einschätzungen setzen innovative Kanzleien schon jetzt auf den kontinuierlichen Aufbau von prozessualer und persönlicher KI-Kompetenz in der Kanzlei. Dieser KI-Bot kann Ihnen dabei vielleicht helfen: www.iww.de/s10250.

     
    Quelle: Ausgabe 03 / 2024 | Seite 48 | ID 49861347

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