06.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140404
Bundesfinanzhof: Urteil vom 24.09.2013 – VI R 20/13
1.Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG ist diejenige Verbindung, die von Kraftfahrzeugen mit bauartbestimmter Höchstgeschwindigkeit von mehr als 60 km/h befahren werden kann.
2.Für die Entfernungspauschale ist die kürzeste Straßenverbindung auch dann maßgeblich, wenn diese mautpflichtig ist oder mit dem vom Arbeitnehmer tatsächlich verwendeten Verkehrsmittel straßenverkehrsrechtlich nicht benutzt werden darf.
Gründe
I.
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Streitig ist die für die Entfernungspauschale maßgebliche Straßenverbindung, wenn die kürzeste Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mautpflichtig ist und mit dem vom Arbeitnehmer tatsächlich benutzten Verkehrsmittel straßenverkehrsrechtlich nicht befahren werden darf.
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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der abhängig beschäftigte Kläger nutzte im Streitjahr 2009 für die Fahrten zu seiner Arbeitsstätte ein Moped. Die kürzeste Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beträgt 9 km und verläuft auch durch einen mautpflichtigen Tunnel. Die durch den Tunnel führende Teilstrecke ist eine Kraftfahrstraße und darf nur mit Kraftfahrzeugen benutzt werden, deren durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit mehr als 60 km/h beträgt. Das Moped des Klägers erreicht aufgrund seiner Bauart diese Geschwindigkeit nicht. Daher nutzt der Kläger eine Bundesstraße. Die Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beträgt auf diesem Weg 27 km. Hierfür benötigt der Kläger gegenüber der kürzeren Verbindung über die Kraftfahrstraße eine längere Fahrzeit.
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Für die Fahrten des Klägers zum Arbeitsplatz machten die Kläger in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 27 km als Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte dagegen nur 9 km für die kürzeste Straßenverbindung.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, für die Entfernungspauschale sei nicht auf die kürzeste für den Steuerpflichtigen individuell benutzbare Straßenverbindung abzustellen. Denn die kürzeste Straßenverbindung sei verkehrsmittelunabhängig zu bestimmen. Die von dem Kläger tatsächlich genutzte Fahrtstrecke sei mangels Zeitersparnis keine offensichtlich verkehrsgünstigere Straßenverbindung.
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Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
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Sie beantragen,
das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2011 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 14. April 2010 dahingehend abzuändern, dass zusätzliche Werbungskosten in Höhe von 1.041 € berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
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Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht die Verbindung über die Kraftfahrstraße als für die Entfernungspauschale maßgebliche Straßenverbindung zugrunde gelegt.
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1. Auf das Streitjahr 2009 ist nach § 52 Abs. 23d Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 20. April 2009 (BGBl I 2009, 774) anzuwenden. Denn § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, Abs. 4 EStG i.d.F. des Art. 1 Nr. 4 Buchst. a Doppelbuchst. aa und Buchst. d des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013 (BGBl I 2013, 285) tritt nach dessen Art. 6 Satz 1 erst am 1. Januar 2014 in Kraft.
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2. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG können Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,30 € anzusetzen.
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a) Für die Entfernungspauschale ist die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte maßgebend; eine andere als die kürzeste Straßenverbindung kann zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG). Insoweit sind die kürzeste und die vom Arbeitnehmer regelmäßig für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzte Straßenverbindung zu vergleichen (Senatsurteil vom 16. November 2011 VI R 46/10, BFHE 236, 57, BStBl II 2012, 470).
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b) Als "Straßenverbindung" i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG ist die kürzeste Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf öffentlichen Straßen i.S. des § 2 des Straßenverkehrsgesetzes, die dem allgemeinen Kraftfahrzeugverkehr dienen, zugrunde zu legen. Dies gilt auch dann, wenn diese über eine Bundesstraße führt, die gemäß § 18 der Straßenverkehrsordnung nur von Fahrzeugen befahren werden darf, deren durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit mehr als 60 km/h beträgt. Denn die "kürzeste Straßenverbindung" ist unabhängig vom tatsächlich benutzten Verkehrsmittel für alle Fahrzeuge einheitlich zu bestimmen.
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aa) Für diese Auslegung spricht zunächst der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 2 und 4 EStG, die allein auf die "Entfernung" und die "kürzeste Straßenverbindung" zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte des Arbeitnehmers abstellen, unabhängig davon, welches Verkehrsmittel benutzt wird. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass für die Bestimmung der Entfernung diejenige Straßenverbindung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte maßgebend ist, die nach dem vom Arbeitnehmer gewählten Verkehrsmittel die kürzeste ist, hätte er dies so ins Gesetz aufgenommen.
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bb) Auch die Gesetzesmaterialien zeigen, dass der Gesetzgeber die "kürzeste Straßenverbindung" für alle Verkehrsmittel einheitlich bestimmen wollte. Denn danach soll es unerheblich sein, ob die tatsächliche Kilometerentfernung bei Benutzung eines Fahrrads oder eines öffentlichen Verkehrsmittels geringer oder größer als die kürzeste Straßenverbindung ist. Die einmal festgestellte Entfernung für die Verbindung zwischen einer bestimmten Wohnung und Arbeitsstätte sei damit grundsätzlich unabhängig von einem Wechsel des Verkehrsmittels (BTDrucks 14/4242, S. 6; BTDrucks 14/4435, S. 9). Ist aber die konkret mit einem Fahrrad oder einem öffentlichen Verkehrsmittel zurückgelegte Entfernung ohne Bedeutung und hat der Wechsel des Verkehrsmittels keinen Einfluss auf die festgestellte Entfernung i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG, kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Steuerpflichtige wegen des von ihm benutzten Verkehrsmittels nicht die kürzeste Straßenverbindung zu seiner Arbeitsstätte fahren kann, sondern einen Umweg nehmen muss. Andernfalls würde das gesetzgeberische Ziel verfehlt, eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale zu schaffen.
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cc) Diese Auslegung entspricht schließlich auch dem Vereinfachungsgedanken, der jeglicher Pauschalierung --so auch derjenigen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (vgl. Gesetzentwurf vom 10. Oktober 2000, BTDrucks 14/4242, S. 6 "Zu Buchstabe b"; vgl. Senatsurteil in BFHE 236, 57, BStBl II 2012, 470; Senatsbeschluss vom 11. September 2003 VI B 101/03, BFHE 203, 166, BStBl II 2003, 893)-- innewohnt. Würde man den Begriff der "Straßenverbindung" zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von dem im Einzelnen vom Steuerpflichtigen benutzten Verkehrsmittel abhängig machen, so hätte dies umfangreiche Ermittlungen der Finanzbehörde und ggf. der Finanzgerichte zur Folge, und zwar nicht nur betreffend die "kürzeste Straßenverbindung", sondern auch hinsichtlich der nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 2. Halbsatz EStG im Einzelfall zu berücksichtigenden "offensichtlich verkehrsgünstigeren" Straßenverbindung. Legt man demgegenüber verkehrsmittelunabhängig die kürzeste Straßenverbindung zugrunde, so bleibt der Vereinfachungsgedanke der Norm erhalten.
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3. Eine andere als die kürzeste Straßenverbindung ist auch nicht allein deshalb "offensichtlich verkehrsgünstiger", weil die kürzeste Straßenverbindung nicht mit dem vom Steuerpflichtigen gewählten Verkehrsmittel befahren werden darf. Vielmehr müssen die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sein, unter denen eine Straßenverbindung als "offensichtlich verkehrsgünstiger" anzusehen ist.
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a) Die von dem Arbeitnehmer tatsächlich benutzte Straßenverbindung ist dann verkehrsgünstiger als die kürzeste Straßenverbindung, wenn mit ihrer Benutzung eine Zeitersparnis oder sonstige Vorteile aufgrund von Streckenführung, Schaltung von Ampeln o.Ä. verbunden sind (z.B. Senatsurteil vom 16. November 2011 VI R 19/11, BFHE 236, 65, BStBl II 2012, 520).
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b) Für die Beurteilung der Verkehrsgünstigkeit der anderen Straßenverbindung ist insbesondere unerheblich, dass bei der Benutzung der kürzesten Strecke Straßenbenutzungsgebühren anfallen.
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Denn ausweislich des Wortlauts der hier streitbefangenen Norm ist nur auf die Verkehrsgünstigkeit als solche abzustellen. Dies umfasst lediglich die Prüfung der Vorteilhaftigkeit einer Strecke mit Blick auf den Ablauf des Straßenverkehrs, ohne dass hierbei finanzielle Aspekte zu berücksichtigen sind. Hinzu kommt, dass die Entfernungspauschale unabhängig von den tatsächlich entstandenen Kosten gelten soll (vgl. Senatsurteil vom 18. April 2003 VI R 29/12, BFHE 240, 570, BStBl II 2013, 735, m.w.N.), weshalb deren Höhe nicht mittelbar durch die Wahl gebührenfreier Straßenverbindungen beeinflusst werden kann.
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4. Nach diesen Grundsätzen ist für die im Streitfall anzusetzende Entfernungspauschale eine Entfernung von 9 km maßgeblich. Nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ist dies die kürzeste Straßenverbindung zwischen der Wohnung des Klägers und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte. Die von dem Kläger tatsächlich befahrene Strecke ist im Vergleich dazu nicht verkehrsgünstiger. Denn sie ist zeitaufwendiger; sonstige im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 2. Halbsatz EStG relevanten Vorteile sind nicht ersichtlich.