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  • · Fachbeitrag · Arbeitnehmer

    Aktuelle Rechtsentwicklungen zu regelmäßiger Arbeitsstätte und Entfernungspauschale

    von RiFG Prof. Dr. Volker Kreft, Dipl.-Finw., Bielefeld

    | Die Bestimmung der regelmäßigen Arbeitsstätte bei Arbeitnehmern ist trotz des ab VZ 2014 geltenden neuen Begriffs der „ersten Tätigkeitsstätte“ weiterhin eines der streitanfälligsten Themen für Veranlagungen bis 2013 (vgl. schon Günther, GStB 13, 334 ). Der BFH hat nun einige Punkte geklärt und zudem verbliebene Streitfragen rund um die Entfernungspauschale beantwortet. Der folgende Beitrag zeigt, wer künftig davon profitiert. |

    1. Rechtsprechung zum Begriff „regelmäßige Arbeitsstätte“

     

    MERKE | Grundsätzlich ist die regelmäßige Arbeitsstätte der Betrieb, Zweigbetrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, denen der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit aufsucht (so BFH 9.2.12, VI R 44/10, BStBl II 13, 234).

     

    Eine Arbeitsstätte ist allerdings nicht jeder beliebige Tätigkeitsort, sondern der Ort, an dem der Arbeitnehmer typischerweise seine Arbeitsleistung schwerpunktmäßig zu erbringen hat. Insoweit ist entscheidend, wo sich der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers befindet. Dort liegt die eine regelmäßige Arbeitsstätte, die ein Arbeitnehmer nur haben kann.

     

    Wichtig | Dieser Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen einer wie auch immer gearteten Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat, sowie nach dem konkreten Gewicht dieser dort verrichteten Tätigkeit (BFH 26.2.14, VI R 68/12, BFH/NV 14, 1029). Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen dauerhaften betrieblichen Einrichtung tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor (so schon BFH 18.6.09, VI R 61/06, BStBl II 10, 564).

    2. Anwendung auf einzelne Berufsgruppen und Sonderfälle

    Die neue „qualitative“ Betrachtung des BFH bei der Bestimmung der regelmäßigen Arbeitsstätte hat in der Praxis bei vielen Berufsgruppen und bei besonderen Fallkonstellationen für Unsicherheiten gesorgt, die der BFH und die Finanzgerichte aktuell zu beseitigen versuchen.

     

    2.1 Fahr- oder Flugtätigkeiten

    In mehreren Entscheidungen hatte sich der BFH aktuell mit der Frage zu befassen, wo bei einer Fahr- und Flugtätigkeit die geschuldete Arbeitsleistung qualitativ schwerpunktmäßig erbracht wird:

     

    • Fahrer eines Notarztwagens, Rettungsassistent: BFH 19.1.12, VI 36/11, BStBl II 12, 503

     

    Der BFH ist in allen durchentschiedenen Fällen davon ausgegangen, dass die eigentliche Tätigkeit (das Führen eines Verkehrsflugzeuges, die Tätigkeit als Pursenette etc.) außerhalb der Einrichtungen des Arbeitgebers ausgeübt wird. Dies soll unabhängig davon gelten, ob die Einrichtungen, die regelmäßig aufgesucht werden (Flughafen, Mülldepot), tatsächlich dem Arbeitgeber zugerechnet werden können. Beim Fall des Rettungsassistenten kam es zur Zurückverweisung an das FG, da notwendige Feststellungen zur Gewichtung der einzelnen Tätigkeiten im Notarztwagen und außerhalb fehlten.

     

    Hinweis | Die Tätigkeit als Fahrer eines Notarztwagens stellt eine Fahrtätigkeit i.S.v. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 3 EStG dar (BFH 19.1.12, VI 36/11, BStBl II 12, 503).

     

    Mit den vorgenannten Entscheidungen sind aber nicht alle Unklarheiten beseitigt. Auch wenn man anhand der Fallgruppen Anhaltspunkte für eine rechtliche Beurteilung hat, bleibt die qualitative Gewichtung eine konfliktanfällige Einzelfallbetrachtung.

     

    Zudem ist zu beachten, dass der 10. Senat des FG Niedersachsen dem BFH im Urteil vom 22.5.14 (10 K 109/13 betr. Diensthundführer) die Gefolgschaft verweigert und die qualitative Betrachtung abgelehnt hat. Danach soll es für die regelmäßige Arbeitsstätte unter Berücksichtigung des objektiven Nettoprinzips allein darauf ankommen, ob der Steuerpflichtige ständig denselben Betriebsort aufsucht und sich so auf die Fahrtkosten einstellen kann.

     

    2.2 Besondere Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse

     

    2.2.1 Bauausführungen und Montagen

    Der BFH hat kürzlich entschieden, dass eine auswärtige (Groß-)Baustelle auch dann keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG ist, wenn sie der Arbeitnehmer fortdauernd und immer wieder aufsucht (BFH 20.3.14, VI R 74/13, DB 14, 1468). Bei Bauausführungen oder Montagen handelt es sich vielmehr um vorübergehende und nicht um dauerhafte Tätigkeitsstätten, auch wenn dort nach § 12 S. 2 AO eine Betriebsstätte oder Geschäftseinrichtung des Arbeitgebers belegen sein sollte (so bereits BFH 11.7.13, VI R 62/12, BFH/NV 14, 147, m.w.N.).

     

    Ohne Bedeutung ist ferner, welche infrastrukturellen Gegebenheiten der Arbeitgeber dort vorhält.

     

    Beachten Sie | Eine auswärtige Tätigkeitsstätte - wie eine Baustelle - wird nicht durch bloßen Zeitablauf zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte. Daher ist ohne Bedeutung, ob der Arbeitnehmer die Baustelle fortdauernd und immer wieder - u.U. für die gesamte Dauer seines (befristeten) Beschäftigungsverhältnisses - aufsucht (BFH 8.8.13, VI R 72/12, BStBl II 14, 68; BFH 24.9.13, VI R 51/12, BFH/NV 14, 220).

     

    2.2.2 Wiederholte befristete Zuweisung an einen anderen Betriebsteil

    In einem weiteren Urteil hatte sich der BFH damit zu befassen, ob ein Arbeitnehmer lediglich - unter Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen Arbeitsstätte - „vorübergehend“ in einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig wird oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort entsandt wurde und dort eine (neue) regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat (BFH 24.9.13, VI R 51/12, BStBl II 14, 342) .

     

    Hinweis | Grundsätzlich ist anhand der der Auswärtstätigkeit zugrunde liegenden Vereinbarung - ex ante - zu beurteilen, ob der Arbeitnehmer voraussichtlich an seine regelmäßige Arbeitsstätte zurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen wird. Denn das Gesetz gibt derzeit noch (anders als künftig § 9 Abs. 4 EStG i.d.F. ab VZ 2014) keine zeitliche Obergrenze für die Annahme einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit vor.

     

    Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls hat der BFH hier keine regelmäßige Arbeitsstätte angenommen. Ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber wiederholt für ein Jahr befristet an einem anderen Betriebsteil des Arbeitgebers eingesetzt wird, begründet danach dort keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG.

     

    2.2.3 Ausbildungsbetrieb

    Ist ein Auszubildender im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses, aus dem er Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt, dem Ausbildungsbetrieb zugeordnet und sucht er diesen fortdauernd auf, um dort seine für den Ausbildungszweck zentralen Tätigkeiten zu erbringen, so ist der Ausbildungsbetrieb regelmäßige Arbeitsstätte (BFH 27.2.14, III R 60/13, BFH/NV 14, 1140).

     

    Allein der Umstand, dass ein Ausbildungsdienstverhältnis regelmäßig zeitlich befristet ist, reicht nicht aus, um dem Ausbildungsbetrieb die Qualifikation als regelmäßige Arbeitsstätte zu versagen (zur Abgrenzung siehe aber BFH 16.1.13, VI R 14/12 betr. Fahrtaufwendungen eines Studenten zur FH und BFH 9.2.12, VI R 44/10 betr. Fahrtkosten im Rahmen eines Vollzeitstudiums).

     

    Beachten Sie | Ab VZ 2014 gilt qua Gesetz auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke des Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird, als erste Tätigkeitsstätte (§ 9 Abs. 4 S. 8 EStG).

     

    2.2.4 Leiharbeitnehmer

    Laut BFH ist ein Arbeitnehmer grundsätzlich auch dann auswärts tätig, wenn er außerhalb einer dem Arbeitgeber zuzuordnenden Tätigkeitsstätte tätig wird, wie dies insbesondere bei Leiharbeitnehmern der Fall ist (BFH 15.5.13, VI R 43/12, BFH/NV 13, 1773). Das FG Sachsen hat dies kürzlich bekräftigt. Danach kann bei einer beruflichen Tätigkeit in einer betrieblichen Einrichtung des Entleihers selbst dann nicht von einer regelmäßigen Arbeitsstätte ausgegangen werden, wenn das Arbeitsverhältnis auf die Dauer des Einsatzes bei dem konkreten Entleiher befristet ist (FG Sachsen 22.1.14, 8 K 1006/10, SteuK 14, 210). Der Arbeitnehmer könne sich in dem Fall nicht dauerhaft auf eine Arbeitsstätte beim Entleiher einstellen, wenn er keinen Einfluss auf die Geschäftsbeziehung seines Arbeitgebers zum Entleiher habe.

     

    2.2.5 Probearbeitsverhältnisse

    Eine restriktive Auffassung zur Annahme einer Auswärtstätigkeit bei zeitlich befristeter Tätigkeit hat aktuell das FG Köln (19.2.14, 9 K 2957/12, EFG 14, 902; Rev. BFH: VI R 21/14) vertreten. Danach kann es bei der Beurteilung der Frage, ob eine Auswärtstätigkeit vorliegt, nicht abstrakt auf das Vorliegen eines Probearbeitsverhältnisses oder einer zeitlichen Befristung ankommen. Hat der Arbeitnehmer - wie das bei einem Probearbeitsverhältnis in der Regel der Fall ist - nur eine einzige Arbeitsstätte, können die Voraussetzungen für eine Auswärtstätigkeit (vorübergehende berufliche Tätigkeit außerhalb der Wohnung und der regelmäßigen Arbeitsstätte) nicht erfüllt sein.

     

    Wichtig | Bis zur höchstrichterlichen Klärung der Problematik sind gleichwohl in entsprechenden Fällen Einspruch und ggf. Klage geboten.

    3. Aktuelles zur Entfernungspauschale

    3.1 Maßgebliche Straßenverbindung

    In einer weiteren Entscheidung hat der BFH klargestellt, dass die „kürzeste Straßenverbindung“ unabhängig vom tatsächlich genutzten Verkehrsmittel für alle Fahrzeuge einheitlich zu bestimmen ist (BFH 24.9.13, VI R 20/13, BStBl II 14,259). Die kürzeste Straßenverbindung ist auch dann maßgeblich, wenn sie mautpflichtig ist oder mit dem vom Arbeitnehmer tatsächlich verwendeten Verkehrsmittel straßenverkehrsrechtlich nicht benutzt werden darf.

     

    Hinweis | § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 4 Hs. 2 EStG stellt auf die Verkehrsgünstigkeit als solche ab; dies umfasst lediglich die Prüfung der Vorteilhaftigkeit einer Strecke mit Blick auf den Ablauf des Straßenverkehrs. Finanzielle Aspekte bleiben dabei unberücksichtigt.

     

    3.2 Reichweite der Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale

    Des Weiteren hat der BFH Reparaturaufwendungen infolge der Falschbetankung eines PKW auf der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen (BFH 20.3.14, VI R 29/13, DB 14, 1466). Er beruft sich dabei auf den Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 1 EStG. Der mit der Vorschrift verfolgte Vereinfachungszweck werde nur erreicht, wenn tatsächlich „sämtliche Aufwendungen“ mit der Entfernungspauschale abgegolten sind. Eine Einschränkung der Abgeltungswirkung auf besondere Kosten wie Mehrfach-, Umweg-, Dreiecks- oder Abholfahrten entspräche dem Vereinfachungsgedanken hingegen nicht.

     

    Hinweis | Damit dürfte der Abzug aller außergewöhnlichen Aufwendungen, die auf dem Weg zur Arbeitsstätte/ersten Tätigkeitsstätte anfallen können (Unfall, Diebstahl, Motorschäden, Beschädigungen), neben der Entfernungspauschale ausgeschlossen sein. Die Entscheidung des BFH steht in krassem Widerspruch zu der Handhabung von Unfallkosten durch die Finanzverwaltung (BMF 3.1.13, IV C 5 - S 2351/09/10002, FR 13, 190 Tz. 4). Man darf gespannt sein, wie die Finanzverwaltung auf dieses Urteil reagiert. Solange kein gegenteiliges BMF-Schreiben in der Welt ist, sollte man als Steuerpflichtiger aber weiterhin Unfallkosten neben der Entfernungspauschale geltend machen.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 326 | ID 42799668