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  • · Fachbeitrag · Grundbuchrecht

    Grundbuchamt kann Wirksamkeit eines privatschriftlichen Testaments klären müssen

    von RA Dr. Gudrun Möller, FA Familienrecht, Münster

    | Das Grundbuchrecht ist formales Recht. Doch die Entscheidung des OLG München zeigt, in manchen Fällen muss das Grundbuchamt auch materiell-rechtlich prüfen. |

     

    Sachverhalt

    Der Erblasser E hatte seiner zweiten Frau F Grundbesitz übertragen, den sie zu seinen Gunsten mit einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit belastet hat. Ferner wurde eine Vormerkung eingetragen, um einen Rückübertragungsanspruch zu sichern. F hat erfolglos beantragt, die Dienstbarkeit und die Rückauflassungsvormerkung zu löschen. Sie hat als Alleinerbin des E die Löschung der Dienstbarkeit notariell bewilligt und erneut beantragt, die Vormerkung und die Dienstbarkeit zu löschen.

     

    In den Nachlassakten ist ein gemeinschaftliches Testament von E und seiner vorverstorbenen ersten Frau. Darin haben sich diese gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Sofern der Überlebende keine weiteren testamentarischen Anordnungen treffe, sei nach dessen Tod die gesetzliche Erbfolge ausgeschlossen. Vielmehr gelte dann und auch für den Fall, dass sie gemeinsam versterben sollten, die testamentarische Bestimmung: ... (Erben zu gleichen Teilen). Ferner gibt es einen Erbvertrag zwischen dem E und der F, in dem (u. a.) der E die F zur Alleinerbin einsetzt und diese die vertragliche Einsetzung annimmt.

     

    Das GBA hält es zum Nachweis der Erbfolge für erforderlich, dass ein Erbschein vorgelegt wird. Grundsätzlich genüge zwar die Vorlage eines Erbvertrags samt Eröffnungsniederschrift. Vorliegend ergäben sich aber im Hinblick auf die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments Zweifel daran, ob der Erbvertrag wirksam sei. Die Bindungswirkung bestünde nicht, wenn die Schlusserbeneinsetzung im Testament nur für den Fall gelte, dass der überlebende Ehegatte nicht anderweitig testiert. Zur Prüfung des Erbrechts müsste daher der tatsächliche Willen des E weiter ermittelt werden. Gegen die Zwischenverfügung richtet sich erfolgreich die Beschwerde der F.

     

    Hat der Erblasser neben einer öffentlichen Verfügung auch eine eigenhändige Verfügung von Todes wegen getroffen, muss das Grundbuchamt, wenn sich aus dem Vorhandensein der privatschriftlichen Verfügung Bedenken gegen die Wirksamkeit der öffentlichen Verfügung ergeben, die Wirksamkeit des privatschriftlichen Testaments klären und seinen Inhalt würdigen, um festzustellen, ob die Bedenken begründet sind. Dem Grundbuchamt obliegt auch die Auslegung eines früheren gemeinschaftlichen eigenhändigen Testaments zu der Frage, ob die Wirksamkeit einer späteren in öffentlicher Form vorgenommenen Erbeinsetzung von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments berührt wird (Abruf-Nr. 190996).

     

    Entscheidungsgründe

    Die Dienstbarkeit ist löschungsfähig (§ 23 GBO), weil neben der Bewilligung der F ein ausreichender Nachweis dafür vorliegt, dass sie Erbin und damit Rechtsnachfolgerin des Berechtigten ist.

     

    Nach der Grundregel des § 35 Abs. 1 S. 1 GBO kann der Nachweis der Erbfolge zwar grundsätzlich nur durch einen Erbschein geführt werden. Beruht jedoch die Erbfolge auf einer in einer öffentlichen - notariellen - Urkunde enthaltenen Verfügung von Todes wegen, genügt es, wenn anstelle des Erbscheins die Verfügung und die Niederschrift über ihre Eröffnung vorgelegt werden, § 35 Abs. 1 S. 2 GBO. Hat der Erblasser, wie hier, daneben auch eine eigenhändige Verfügung von Todes wegen getroffen, gilt Folgendes: Das GBA muss, wenn sich aus der privatschriftlichen Verfügung Bedenken gegen die Wirksamkeit der öffentlichen Verfügung von Todes wegen ergeben, die Wirksamkeit des privatschriftlichen Testaments klären und seinen Inhalt würdigen, um festzustellen, ob die Bedenken begründet sind. Es muss dabei in gleicher Weise verfahren wie bei der Würdigung einer öffentlichen Verfügung von Todes wegen, sodass die Pflicht zur eigenen Auslegung nur entfällt, wenn für diese erst noch zu ermittelnde Umstände maßgebend sind (KG JFG 18, 332).

     

    Damit obliegt dem GBA auch, das gemeinschaftliche eigenhändige Testament zu der Frage auszulegen, ob die Wirksamkeit einer späteren in öffentlicher Form vorgenommenen Erbeinsetzung von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments berührt wird (BayObLG ZEV 00, 233). Weiter kann das GBA nicht schon einen Erbschein verlangen, wenn es nur abstrakte Möglichkeiten gibt, die das aus der öffentlichen Verfügung hervorgehende Erbrecht infrage stellen könnten (KG JFG 20, 217, 219). Für die Testierfähigkeit als Regelfall spricht zudem eine tatsächliche Vermutung; ein Erbschein kann nur verlangt werden, wenn ernsthafte, auf Tatsachen begründete Zweifel bestehen (Demharter, GBO, 30. Aufl. § 35 Rn. 39).

     

    Dafür, dass der damals knapp 91-jährige E testierunfähig gewesen wäre, als er den Erbvertrag errichtete (§ 2229 Abs. 4 BGB), sprechen keine Anhaltspunkte. Die Notarin hat - ohne Bindung für das GBA (Demharter, a.a.O.) - ihre Überzeugung von der Geschäfts- und Testierfähigkeit in der Urkunde niedergelegt, vgl. § 28 BeurkG. Als Anlage dazu ist ein internistisches Attest beigefügt, das einen altersentsprechenden Allgemeinzustand bezeugt sowie besagt, dass sich kein Hinweis ergeben habe, dass die Geschäftsfähigkeit eingeschränkt ist.

     

    Die von der ursprünglichen Verfügung begünstigten Schlusserben haben keine Fakten aufgezeigt, die berechtigte Zweifel an der Testierfähigkeit des E aufkommen ließen. Die Frage, ob er angesichts seines eher besonnenen und vorsichtigen Charakters wegen der raschen Hinwendung zur F noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen sei, geht nicht über eine Vermutung hinaus.

     

    Zwar hat der E in der Vorbemerkung zum Erbvertrag erklärt, bisher keine Verfügung von Todes wegen getroffen zu haben, obwohl er ein gemeinschaftliches Testament mit seiner vorverstorbenen Frau errichtet hatte. Dies reicht aber nicht, um begründete Zweifel an der Testierfähigkeit abzuleiten, da die erste Verfügung über 20 Jahre zurücklag.

     

    Das GBA - im Rechtsmittelverfahren das Beschwerdegericht - muss prüfen, ob die Bindungswirkung des früheren, formwirksamen Ehegattentestaments (§§ 2265, 2267, 2270 BGB) der späteren notariellen Verfügung entgegensteht (BayObLG ZEV 00, 233). Denn trotz § 29 GBO ist der Inhalt des privatschriftlichen Testaments zu würdigen, ob es geeignet ist, die notarielle Verfügung von Todes wegen auszuschalten (Meikel/Krause, GBO, 11. Aufl., § 35 Rn. 149).

     

    Dem Überlebenden ist danach ein - zulässiger - Änderungsvorbehalt eingeräumt (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 75. Aufl., § 2271 Rn. 20). Neben der gegenseitigen Erbeinsetzung ist eine Schlusserbeneinsetzung angeordnet, dies aber nur für den Fall sonst eintretender gesetzlicher Erbfolge. Vorab ist klargestellt, dass der Überlebende über das Vermögen frei verfügen könne (was allein i. d. R. nur besagt, dass er zu Lebzeiten nicht gebunden ist). Er ist zudem befugt, anderweitig zu testieren. Sonst gäbe der Zusatz („Trifft der überlebende Ehepartner keine weiteren testamentarischen Anordnungen ...“) keinen Sinn. Die Schlusserbeneinsetzung ist dadurch damit verknüpft, dass sie „danni“ gilt, wenn der beschriebene Sachverhalt eintritt, mithin wenn der Überlebende nicht weiter testamentarisch verfügt hat. Die Schlusserbeneinsetzung ist also (nur) dazu bestimmt, die gesetzliche Erbfolge nach dem Tod des Längstlebenden auszuschließen.

     

    Gegen dieses sich aus dem Wortsinn und dem Aufbau des Testaments ergebende Verständnis sind keine abweichenden Gesichtspunkte erkennbar, die eine nachlassgerichtliche Aufklärung erforderlich machen würden. Auch die im Nachlassverfahren von den ursprünglich als Schlusserben bedachten Personen angeführte enge persönliche Bindung zu Onkel und Tante, die selbst kinderlos waren, lässt es nicht als ausgeschlossen erscheinen, dass die Eheleute seinerzeit ihre Nichte und ihren Neffen „nur“ für den Fall bedenken wollten, dass keiner von ihnen testamentarisch anderweitig verfügt, sie also die eigene Testierfreiheit höher gewichteten als eine Bindung des Überlebenden an eine Einsetzung von Verwandten der zweiten Ordnung als Schlusserben.

     

    Relevanz für die Praxis

    Liegt ein Erbschein oder ein Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ) vor, ist die Prüfungskompetenz des GBA eingeschränkt, weil die Richtigkeitsvermutung des § 2365 BGB gegenüber jedem, auch gegenüber dem GBA gilt (für das ENZ vgl. Art. 69 Abs. 5, Art. 63 Abs. 2c EuErbVO; BeckOK GBO/Wilsch, § 35 Rn. 102). Liegt eine öffentliche Verfügung von Todes wegen samt Eröffnungsniederschrift vor, bestehen erweitere Prüfungskompetenzen, ebenso beim privatschriftlichen Testament (BayObLG, a.a.O.). Das GBA muss die Verfügung selbstständig auslegen und dabei Folgendes beachten (BeckOK GBO/Wilsch, a.a.O., Rn. 104):

     

    Checkliste / Auslegungsregeln für das GBA

    • §§ 2066 - 2073 BGB (personenbezogene Regeln),
    • § 2087 Abs. 1, 2 BGB (Erbeinsetzung/Vermächtniszuwendung betreffende Regeln),
    • §§ 2269, 2270 BGB (das gemeinschaftliche Testament betreffende Regeln),
    • §§ 2280, 2298, 2299 BGB (den Erbvertrag betreffende Regeln)
     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2017 | Seite 21 | ID 44432688