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  • · Fachbeitrag · Vorsorgevollmacht

    Bei Zweifeln an einem wirksamen Widerruf einer Vorsorgevollmacht ist ein Betreuer zu bestellen

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    Ist zweifelhaft, ob eine Vorsorgevollmacht wirksam widerrufen worden ist, können die Angelegenheiten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten wegen der dadurch bedingt eingeschränkten Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr regelmäßig nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden (BGH 19.8.15, XII ZB 610/14, MDR 15, 347, Abruf-Nr. 180181).

     

    Sachverhalt

    Die Betroffene (B) erteilte ihrer Schwester (S) eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht. Diese widerrief sie in der Folgezeit. Das AG hat eine Berufsbetreuerin bestellt. Dagegen wenden sich B und S. Die Beschwerde blieb erfolglos. Der BGH hat den Beschluss aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

     

    Entscheidungsgründe

    § 1896 Abs. 2 BGB greift hier nicht. Danach darf kein Betreuer bestellt werden, wenn ein Bevollmächtigter die Angelegenheiten des Volljährigen ebenso gut besorgen kann wie ein Betreuer. Nur wenn sicher ist, dass die Vollmacht wirksam erteilt worden ist, ist kein Betreuer zu bestellen (BGH FamRZ 11, 285).

     

    Ist fraglich, ob eine Vollmacht wirksam widerrufen worden ist, kann ein Betreuer die Angelegenheiten des Betroffenen besser besorgen als ein Bevollmächtigter. Der Rechtsverkehr akzeptiert die Vollmacht weniger, wenn zweifelhaft ist, ob der Widerruf wirksam ist (OLG Schleswig BtPrax 06, 191).

     

    Das Gericht muss gem. § 26 FamFG von Amts wegen aufklären, ob die B zur Zeit des Widerrufs nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war. Ob das Gericht eine förmliche Beweisaufnahme durchführt oder im Freibeweis vorgeht, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen (OLG Schleswig BtPrax 06, 191).

     

    § 280 Abs. 1 FamFG schreibt eine förmliche Beweisaufnahme vor. Die Vorschrift betrifft aber nicht die Vorfrage, ob hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, dass Betreuungsbedarf besteht oder ggf. ein Einwilligungsvorbehalt anzuordnen ist (BGH FamRZ 15, 844). In diesem ersten Verfahrensabschnitt ist zu prüfen, ob eine Betreuung wegen einer wirksamen Vollmacht entbehrlich ist, bevor ein-bei wirksamer Vollmacht überflüssiges - Gutachten eingeholt wird. Das Gericht ermittelt bei § 26 FamFG von Amts wegen die Tatsachen und erhebt die geeignet  erscheinenden Beweise (BGH FamRZ 15, 844). Ein Gutachten bezüglich der Vorfrage wird zwar häufig erforderlich sein, ist aber nicht zwingend.

     

    Das AG hat nach mündlicher Stellungnahme des Sachverständigen die B hierzu befragt und die sich widersprechenden Äußerungen der Beteiligten gewürdigt. Wenn das Gericht auf der Grundlage dieser Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangt, dass nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann, ob der Widerruf wirksam ist oder nicht, ist dies hinzunehmen.

     

    Das Gericht hat das Gutachten dazu, ob die Betreuung notwendig war, aber fehlerhaft eingeholt. Es durfte deswegen nicht verwertet werden. Die angefochtene Entscheidung beruht auf diesem Verfahrensfehler. Unerheblich ist allerdings, dass das AG den Sachverständigen bestellt hat, obgleich dieser die B zuvor behandelt hat und dass die B ihn als ihren behandelnden Arzt nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden hat (BGH FamRZ 10, 1726).

     

    Das AG hat die Vorgaben des förmlichen Beweisverfahrens (§ 280 Abs. 1 S. 1, § 30 Abs. 1 und 2 FamFG) nicht eingehalten. Diese richten sich nach der ZPO:

     

    • Auch wenn kein förmlicher Beweisbeschluss ergeht (§ 358 ZPO), muss das Gericht dem Betroffenen zumindest formlos mitteilen, dass es einen Sachverständigen ernannt hat (vgl. BGH FamRZ 10, 1726 für das Unterbringungsverfahren), damit der Betroffene sein Ablehnungsrecht gem. § 30 Abs. 1 FamFG i.V. mit § 406 ZPO gebrauchen kann.

     

    • Der Sachverständige muss gem. § 28 Abs. 2 S. 1 FamFG den Betroffenen persönlich untersuchen oder befragen, bevor er das Gutachten erstattet. Dabei muss der Sachverständige schon vor der Untersuchung des Betroffenen bestellt worden sein. Dieser muss dem Betroffenen den Zweck der Untersuchung eröffnen, damit dieser sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, sinnvoll ausüben kann (BGH FamRZ 10, 1726).

     

    • Gem. § 37 Abs. 2 FamFG muss das Gericht den Beteiligten Gelegenheit geben, Stellung zu nehmen, bevor es das Gutachten verwerten darf. Das Gutachten ist mit seinem vollen Wortlaut auch dem Betroffenen persönlich zur Verfügung zu stellen. Dieser ist gem. § 275 FamFG unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden. Das ist z.B. der Fall, wenn das Studium des Gutachtens zu erheblichen Nachteilen für die Gesundheit des Betroffenen führt (BGH FamRZ 13, 1725).

     

    Der B war nicht bekannt, dass das Gericht einen Sachverständigen bestellt hat. Sie wusste auch nicht, dass dessen Erhebungen dazu dienen sollten, sie zu begutachten. Das Gericht hat das Sachverständigengutachten den Beteiligten vor seiner Entscheidung auch nicht bekannt gegeben. Dies folgt aus der Verfügung des AG.

     

    Praxishinweis

    Das Betreuungsgericht muss dem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, entsprechen, § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB. Dieser Vorschlag erfordert i.d.R weder Geschäfts- noch natürliche Einsichtsfähigkeit (BGH FamRZ 11, 285; FamRZ 11, 880). § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB eröffnet kein Ermessen. Ausnahme: Der Wunsch des Betreuten läuft seinem Wohl zuwider. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene den Betroffenen nicht zu dessen Wohl betreuen kann oder will (BGH FamRZ 10, 1897).

    Quelle: Ausgabe 12 / 2015 | Seite 201 | ID 43713582