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  • · Fachbeitrag · Strafrecht

    Die Fixierung von Patienten im Krankenhaus -nicht nur in Psychiatrie und Pflege ein Thema

    von Rechtsanwältin und Fachanwältin für MedR Anna Stenger, LL.M., Wienke & Becker - Köln, www.kanzlei-wbk.de 

    | Nicht nur in der Psychiatrie, sondern auch in jedem Allgemeinkrankenhaus passiert es immer wieder: Patienten werden fixiert, weil sie verwirrt sind, sich selbst gefährden oder aufgrund ihres Alters eine akute Sturzgefahr besteht. Doch Vorsicht: Jede Fixierung ist zunächst eine Freiheitsentziehung! Sie ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zu rechtfertigen. Dieser Beitrag zeigt anhand der aktuellen Rechtsprechung, welche Maßnahmen zur Fixierung erlaubt sind - und was der Arzt besser unterlassen sollte, will er nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. |

    Welche Arten der Fixierung werden unterschieden?

    Nicht erst das Festhalten durch Pfleger, die Fünfpunktfixierung mittels Fixiergurten oder das Einsperren im Zimmer fallen unter den Begriff der Fixierung: Bereits das Anbringen eines Bettgitters oder eines Stecktisches stellen eine Fixierung dar und erfüllen damit den Straftatbestand der Freiheitsberaubung. Man unterscheidet zwischen der direkten Fixierung zum Beispiel durch Festhalten oder das Anbringen von Bettgittern bzw. Fixiergurten, der räumlichen Fixierung etwa durch das Einsperren im Zimmer sowie der chemischen Fixierung durch die Gabe sedierender Medikamente.

     

    • (1)Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
    • (2)Der Versuch ist strafbar.
    • (3)Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
    • 1. das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
    • 2. durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.
    • (4)...
    • (5)...
     

    Jede Fixierung stellt eine Freiheitsberaubung dar

    Grundsätzlich gilt: Jede Fixierung ist eine unterbringungsähnliche freiheitsentziehende Maßnahme, die im Gegensatz zu der im Grundgesetz verankerten Freiheitsgarantie steht. Sie erfüllt den objektiven Straftatbestand der Freiheitsberaubung nach § 239 StGB. Die Fixierung ist daher grundsätzlich strafbar und löst zivilrechtliche Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche aus, wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt.

    Wann liegt keine Freiheitsberaubung vor?

    Begrifflich liegt eine Freiheitsberaubung im Sinne des StGB vor, wenn der Betreute durch die getroffenen Vorkehrungen daran gehindert wird, seinen jeweiligen Aufenthaltsort zu verlassen - gegen seinen natürlichen Willen. Sicherungsmaßnahmen können nicht zu einer Freiheitsentziehung führen, wenn sich der Patient wegen seiner körperlichen Gebrechen ohnehin nicht mehr fortbewegen kann oder aufgrund geistiger Gebrechen mit Blick auf seine Fortbewegung keinen natürlichen Willen bilden kann.

     

    Hierzu hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 27. Juni 2012 (Az. XII ZB 24/12, Abruf-Nr. 122337) ausgeführt: Auch das Anbringen von Bettgittern sowie die Fixierung am Stuhl mittels eines Beckengurts können freiheitsentziehende Maßnahmen darstellen, wenn der Patient durch sie in seiner körperlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird. Dies sei der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Betroffene zu einer willensgesteuerten Aufenthaltsveränderung in der Lage wäre, an der er durch die Maßnahmen gehindert wird.

    Wann ist eine Fixierung gerechtfertigt?

    Um nicht mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt zu geraten, bedarf jegliche Fixierung eines Patienten einer wirksamen Rechtfertigung. Rechtlich zulässig ist eine Fixierung als freiheitsentziehende Maßnahme zunächst nur, wenn der Patient selbst einwilligt - vorausgesetzt, dieser hat überhaupt (noch) die Fähigkeit hierzu.

     

    Fixierung zur Abwendung akuter Gefahren

    Fehlt es an der Einwilligungsfähigkeit des Patienten, so ist eine Fixierung erlaubt, wenn sie zur Abwendung akuter Gefahren (Notwehr oder Notstand) und mit schriftlicher Anordnung des Arztes erfolgt, sofern die Freiheit nicht über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig entzogen werden soll.

     

    Fixierung mit Beschluss des Gerichts

    Soll die Fixierung regelmäßig erfolgen oder länger andauern, dann ist ein Beschluss des Betreuungsgerichts nach § 1906 BGB erforderlich, sofern der Patient nicht selbst einwilligungsfähig ist.

     

    Allgemein gilt: Fixierungen sind nur zulässig, wenn weniger einschränkende Maßnahmen keinen Erfolg hatten oder eine akute Gefährdung vorliegt, bei der Alternativen ebenfalls nicht erfolgversprechend erscheinen.

     

    PRAXISHINWEIS |  Im Krankenhaus kommen Fixierungen also vor allem dann in Betracht, wenn beispielsweise nach einem operativen Eingriff oder bei aggressiven Erregungszuständen eine Gefahr für den Patienten selbst besteht (Eigengefährdung) oder aber der Patient andere gefährdet (Fremdgefährdung). Die Fixierung dürfte in der Regel das legitime Ziel verfolgen, den Patienten zum Beispiel bei akuter Sturzgefahr vor (weiteren) Verletzungen bzw. ihn in anderen Fällen generell in seiner Gesundheit zu schützen.

     

    Lange oder regelmäßige Fixierung

    Die Fixierung muss als freiheitsentziehende Maßnahme grundsätzlich durch einen Betreuungsrichter genehmigt werden. Hierdurch soll die Freiheitsentziehung der gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden. Die Genehmigungspflicht besteht jedoch nur dann, wenn durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

     

    • Was unter einem „längeren Zeitraum“ zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber offengelassen. Jedoch sollte spätestens am Tag nach Beginn der Fixierungsmaßnahme die Genehmigung des Betreuungsgerichts eingeholt werden. Der Zeitraum lässt sich aber nicht absolut bestimmen, sondern richtet sich nach der Schwere des Eingriffs.

     

    • „Regelmäßig“ wird eine freiheitsentziehende Maßnahme vorgenommen, wenn sie immer zur gleichen Zeit (zum Beispiel nachts) oder aus regelmäßig wiederkehrenden Anlässen erfolgt (Beispiel: Der Patient wird immer dann fixiert, wenn er unruhig ist).

    Kurzfristige Fixierung bei akuter Gefahr

    Eine einmalige oder kurze Fixierung - zum Beispiel bei Desorientierung aufgrund von hohem Fieber oder wegen eines akuten Durchgangssyndroms - fällt in der Regel nicht unter die Genehmigungspflicht. Allerdings stellt auch die kurzfristige Fixierung eine Freiheitsberaubung des Patienten dar, die der Rechtfertigung bedarf. Daher muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden, ob die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Patient ohne Fixierung selbst schädigen wird.

     

    Diese Einschätzung muss von einem Arzt vorgenommen werden. Kommt dieser nach der Untersuchung des Patienten zu dem Ergebnis, dass eine konkrete Gefahrensituation vorliegt, muss er die erforderlichen Fixierungsmaßnahmen schriftlich anordnen. Nur dann ist der Eingriff gerechtfertigt und stellt keine strafbare Freiheitsberaubung dar.

    Unterlassen einer gebotenen Fixierung

    Nicht nur eine zu Unrecht vorgenommene Fixierung eines Patienten kann zivilrechtliche Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche zur Folge haben - auch das Unterlassen einer gebotenen Fixierung kann solche Ansprüche nach sich ziehen, da sie nach der ständigen Rechtsprechung eine Verletzung der Obhutspflicht darstellt. Hierzu hat beispielsweise das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 11. September 2003 (Az. I-8 U 17/03, 8 U 17/03) ausgeführt, dass ein Krankenhaus mit der stationären Aufnahme eines Patienten auch Obhuts- und Schutzpflichten übernehme, um ihn im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren vor Schäden und Gefahren zu schützen, wenn sein körperlicher oder geistiger Zustand dies gebiete. Maßgebend sei, ob damit gerechnet werden müsse, dass er sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte.

     

    Vor diesem Hintergrund hat das OLG Bamberg am 1. August 2011 (Az. 4 U 197/09, Abruf-Nr. 120148) einen Anspruch auf Schadenersatz gegen eine Klinikbejaht, weil bei einem sturzgefährdeten Patienten keine ausreichenden Sicherungsmaßnahmen getroffen wurden. Dabei war ein Patient wegen eines Schlaganfalls multimorbide und akut sturzgefährdet. Sicherungsmaßnahmen wie Sedierung, Fixierung oder ständige Überwachung seien bei einer konkreten Gefährdung des Patienten kurzfristig erlaubt oder sogar geboten, um ihn zu schützen.

     

    In einem anderen Fall hat das OLG Jena mit Urteil vom 5. Juni 2012 (Az. 4 U 488/11, Abruf-Nr. 131609) hingegen einen Schadenersatzanspruch verneint. Hierbei hatte es vor dem Sturz keine konkreten Hinweise auf eine akute Sturzgefahr gegeben. Ob eine solche Gefahr bestanden hat, werde nachträglich anhand des Gesundheitszustandes sowie der körperlichen, seelischen und geistigen Verfassung vor dem Sturz beurteilt. Eine lediglich latent vorhandene Sturzneigung rechtfertige eine allgemeine Fixierung und beständige Überwachung eines Patienten nicht. Entscheidend sei, ob es vor dem Sturz konkrete Hinweise auf eine Sturzgefährdung gegeben habe.

     

    PRAXISHINWEIS |  Im Jenaer Fall hatte es nach Ansicht der Richter keine Anzeichen für eine erhöhte Gefahrenlage gegeben - etwa wegen nächtlicher Unruhe oder einer willentlichen Bettflucht des Patienten. Das rein vorsorgliche nächtliche Aufziehen eines Bettgitters wäre daher nicht gerechtfertigt gewesen, sondern hätte eine rechtswidrige freiheitsentziehende Maßnahme dargestellt.

     

    Das OLG Jena hat in dieser Entscheidung allerdings auch klargestellt: Eine Gefahrenlage muss nicht plötzlich entstehen - ein Zustand kann durchaus zunächst pflegerisch beherrschbar sein, bevor er sich zuspitzt und die latente Sturzgefahr sich damit zu einer konkreten Gefahrenlage wendet. Auch aus dieser „allmählich“ entstandenen konkreten Gefahrenlage erwachse eine gesteigerte Obhutspflicht, die vorbeugende und sichernde Maßnahmen des ärztlichen und pflegerischen Personals erforderlich mache.

     

    FAZIT |  Vor der Fixierung des Patienten ist stets eine genaue Einzelfallprüfung notwendig - sowohl eine nicht erforderliche Fixierung als auch eine unterlassene gebotene Fixierung kann Schadenersatz- oder Schmerzensgeldansprüche auslösen. Diese Ansprüche richten sich primär gegen den Krankenhausträger, allerdings kann gleichermaßen eine Haftung des Chefarztes aufgrund von Organisationsverschulden in Betracht kommen. Daher ist in jedem Einzelfall anhand einer ärztlichen Untersuchung festzustellen, ob eine konkrete Gefahrensituation für den Patienten besteht, die sich nur durch eine Fixierung beherrschen lässt. Diese muss vom Arzt schriftlich angeordnet werden.

     

    Zudem muss sichergestellt sein, dass auch im Anschluss an die Fixierung eine kontinuierliche Überwachung und Überprüfung stattfindet: Nur so kann festgestellt werden, ob der Patient auch weiterhin der Fixierung bedarf bzw. ob sich eine zuvor nur latente Gefahrenlage zugespitzt hat. Soll die Fixierung regelmäßig erfolgen oder länger andauern, ist über den Betreuer eine Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen. Der Chefarzt sollte nachgeordneten Ärzten eine entsprechende Handlungsanweisung als Orientierungshilfe vorgeben.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2013 | Seite 7 | ID 39284880