· Fachbeitrag · Arbeitsrecht
Musterfall: Wann darf der Chefarzt Pflegekräfte und nachgeordnete Ärzte abmahnen?
von RA und FA für Medizin- und Arbeitsrecht Dr. Tilman Clausen,Kanzlei Schroeder-Printzen, Kaufmann & Kollegen, www.spkt.de
| Da ist der schönste Urlaub schnell vergessen: Chefarzt M, Leiter einer Klinik für psychosomatische Medizin in einem kommunalen Krankenhaus, kehrt aus seinen Ferien zurück und wird von seinem Vertreter sogleich zu einem Gespräch gebeten. Dieser berichtet von zwei unerfreulichen Vorfällen während der Abwesenheit des Chefs. M, dem die Führung und fachliche Leitung sowie der geordnete Dienstbetrieb in der Klinik übertragen wurde, wird das nachfolgende Geschehen berichtet. Wie soll M reagieren? |
Unachtsamkeit der Schwester - Beleidigung durch den Arzt
- Stationsschwester S habe es mehrfach versäumt, die fehlende Teilnahme des Patienten P beim Mittagessen zu dokumentieren, obwohl sie laut Arbeitsanweisung hierzu verpflichtet gewesen wäre.
- Oberarzt O habe die Assistenzärztin A mehrfach mit anzüglichen Bemerkungen und Flüchen sexuell belästigt.
Nach diesem Gespräch setzt sich Chefarzt M sofort mit dem Klinikchef in Verbindung. Beide beschließen das folgende weitere Vorgehen: Sie wollen dem Oberarzt O fristlos und der Krankenschwester S fristgerecht kündigen. Einen hinzugezogenen Anwalt fragen sie, ob dies möglich ist?
Anwalt rät von Kündigungen ab
Der Anwalt rät jedoch von den avisierten Kündigungen ab: Zweck einer Kündigung sei nicht die Bestrafung für begangene Vertragspflichtverletzungen, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Erst wenn nicht mehr zu erwarten sei, dass der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten künftig erfülle, sei eine Kündigung gerechtfertigt.
Kündigung nicht gerechtfertigt bei steuerbarem Verhalten
Vor jeder Kündigung sei daher zu prüfen, ob diese wegen eines steuerbaren Verhaltens des Arbeitnehmers erklärt wird. Liege ein solches vor, habe der Arbeitnehmer die Möglichkeit, sein Verhalten zu ändern. Eine Abmahnung reicht in diesem Fall aus, um das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen wieder herzustellen (Urteil des Bundesarbeitsgerichts [BAG] vom 4. Juni 1997, Az. 2 AZR 526/96, Abruf-Nr. 130290).
Abmahnung von O und S reicht aus
Sowohl bei Oberarzt O als auch bei Stationsschwester S handele es sich um ein steuerbares Verhalten; eine Abmahnung führe somit wahrscheinlich zu einer Verhaltensänderung. Kündigungen seien deshalb nicht durchsetzbar.
Die richtige Formulierung einer Abmahnung
Der Chefarzt M - er kann eine Abmahnung in der Regel nicht selbstständig vornehmen - und der Klinikleiter fragen daraufhin den Rechtsanwalt, wie sie die Abmahnungen in beiden Fällen formulieren sollen? Dieser erklärt, dass jede Abmahnung eines Mitarbeiters drei Funktionen hat:
- Dokumentationsfunktion: Die Abmahnung macht den Mitarbeiter auf eine Pflichtverletzung aufmerksam. Zugleich wird der Vorfall festgehalten.
- Rügefunktion: Die Abmahnung erhält die Aufforderung, ein derartiges pflichtwidriges Verhalten künftig zu unterlassen.
- Warnfunktion: Die Abmahnung soll androhen, dass das Arbeitsverhältnis bei einer erneuten Pflichtverletzung gefährdet ist.
Die Abmahnung der Stationsschwester S
Der Anwalt rät: In der Abmahnung ist das zu rügende Verhalten des Arbeitnehmers möglichst genau zu beschreiben. Bei der Stationsschwester S ist auf die Arbeitsanweisung des Chefarztes M Bezug zu nehmen, wonach die Schwester verpflichtet war, die Teilnahme der Patienten am Mittagessen zu dokumentieren. Zudem sollte in der Abmahnung genau beschrieben werden, an welchen Tagen und für welche Patienten die Stationsschwester S ihrer Dokumentationspflicht nicht nachgekommen ist.
Die Abmahnung des Oberarztes O
Für die Abmahnung des O rät der Anwalt, darin genau zu beschreiben, an welchem Tag, an welchem Ort und in welchem Zusammenhang die Äußerung gegenüber der Assistenzärztin gefallen ist. Beide Abmahnungen müssten zudem deutlich machen, dass genau das zuvor beschriebene Verhalten mit ihr gerügt und als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung angesehen wird und im Wiederholungsfall mit der Kündigung gerechnet werden muss.
Pauschale Ausführungen vermeiden
Pauschale Ausführungen in den Abmahnungen etwa dahingehend, dass Schwester S schon vor einigen Monaten nicht ordentlich dokumentiert habe und Oberarzt O sich zukünftig gegenüber sämtlichen Mitarbeiterinnen der Klinik, insbesondere Assistenzärztinnen, rücksichtsvoller verhalten müsse, reichten nicht aus, so der Anwalt. Eine solch pauschale Abmahnung sei mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam.
Eine Abmahnung, die mehrere Vorwürfe enthält, muss nämlich auf Verlangen des Mitarbeiters insgesamt aus der Personalakte entfernt werden, wenn sich auch nur einer der Vorwürfe als nicht berechtigt erweist (BAG-Urteil vom 13. September 1991, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 1991, S. 249). Wenn O und S auch wegen anderer Vorfälle abgemahnt werden sollen, sei es besser, mehrere separate Abmahnungen zu erteilen, so der Rechtsanwalt.
Weiterführender Hinweis:
- „Wann droht dem Chefarzt die Kündigung?“, siehe Ausgabe CB 11/2012, S. 4-7.