· Fachbeitrag · Klinikmanagement
UKE-Zentrumspflegeleiterin Spahl: Ärzte und Pflege sollten sich auf Augenhöhe begegnen
| Senkt ein höherer Anteil studierter Pflegekräfte die Mortalität im Krankenhaus? Dies behauptet zumindest der österreichische Pflegewissenschaftler Prof. Jürgen Osterbrink. Nicht nur über die Ausbildung der Pflegekräfte, sondern auch zu ihrer Bezahlung oder der Zusammenarbeit mit Ärzten lässt der „Chefärzte Brief“ die Diplom-Pflegewirtin (FH) Sonja Spahl, Pflegeleiterin des Zentrums für Geburtshilfe, Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), in einer Außensicht zu Wort kommen. Das Interview führte unser Redakteur Dr. Lars Schäfer. |
Redaktion: Frau Spahl, der „Chefärzte Brief“ wird von Chefärzten gelesen. Was glauben Sie, weshalb wir mit Ihnen als Pflegeleiterin sprechen möchten?
Sonja Spahl: Weil Chefärzte ärztliche Führungskräfte sind und eng mit pflegerischen Führungskräften zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit der beiden Berufsgruppen, also Ärzte und Pflege, ist die größte Ressource.
Redaktion: Sie waren an verschiedenen Häusern tätig, zunächst auch als Krankenschwester: Was macht nach Ihrer Erfahrung eine gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegern aus?
Spahl: Probleme entstehen oft wegen persönlicher Differenzen der Führungskräfte. Diese sollten aber versuchen, ein gutes Miteinander im Sinne der Patientenversorgung zu gestalten. Weder Ärzte noch Pflegekräfte können für sich allein auskommen - eine gute Zusammenarbeit ist entscheidend für den Patienten.
Redaktion: Doch auch bei einem guten „persönlichen Draht“ der Führungskräfte gibt es Berührungsängste zwischen Ärzteschaft und Pflege. Warum?
Spahl: Das kann auch am Hierarchiegefälle liegen, das zwischen Ärzten und Pflegekräften gelebt wird: Ärzte empfinden sich dabei als höhergestellt, das sind sie aber nicht. Hier entstehen Reibungsverluste. Besser wäre es, wenn sich Ärzte und Pflege auf Augenhöhe begegnen würden. Ich würde mir daher eine gelebte Gleichberechtigung wünschen - im Sinne der Patienten.
Redaktion: Für eine unterschiedliche Selbstwahrnehmung könnte auch die Bezahlung verantwortlich sein. Verdient eine Krankenschwester zu wenig?
Spahl: Das Problem ist, dass Pflegekräfte ganz unterschiedliche Kompetenzen haben, da sie unterschiedlich gut ausgebildet sind. Wir haben am UKE hervorragend ausgebildete Pflegekräfte, die weit mehr Aufgaben übernehmen könnten als sie es tun. Und warum tun sie es nicht? Es lohnt sich finanziell einfach nicht! Das Tarifgefüge ist bei Pflegekräften nicht ausdifferenziert genug und stellt solche Ausbildungsunterschiede nicht dar.
Redaktion: Warum fordern Pflegekräfte dann nicht lautstark eine bessere Bezahlung? In den Medien sind Vertreter der Ärzteschaft beim Thema Bezahlung sehr präsent - von demonstrierenden Pflegern liest man hingegen kaum ...
Spahl: Das stimmt. Die Pflege ist weniger gut organisiert als die Ärzteschaft und hat keine einheitliche Lobby. Berufspolitisch sind zudem nur wenige Pflegekräfte organisiert. Ein anderes Problem ist, dass unzufriedene Gesundheits- und Krankenpfleger eher aus dem Beruf ausscheiden und andere Wege gehen, statt zu protestieren. Gerade die qualifiziertesten Mitarbeiter verlieren wir oft auf halber Wegstrecke.
Redaktion: Woran liegt das?
Spahl: Der Schichtdienst und die insgesamt hohen Belastungen führen bei manchen dazu, sich nach einigen Berufsjahren anderweitig zu orientieren. Am UKE haben wir zwar keine Nachwuchsprobleme in der Pflege. Doch ärgerlich ist es schon, wenn wir gerade die top-ausgebildeten Pflegekräfte mit Fachweiterbildung Mitte 20 verlieren, weil sie sich beruflich umorientieren oder ein Studium beginnen und somit als hochkompetente Pflegekraft ausscheiden.
Redaktion: Apropos Studium: Würde es die Attraktivität der Pflege heben, wenn angehende Krankenpfleger an einer Hochschule studieren müssten, wie es der Wissenschaftsrat für 10 bis 20 Prozent der Pflegekräfte fordert?
Spahl: Auf jeden Fall. Auch in den Niederlanden und Großbritannien müssen Pfleger eine akademische Grundausbildung durchlaufen, wobei die Modelle verschieden sind. Das UKE hat hierzu eine Kooperation mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaft (HAW) Hamburg geschlossen: Unsere auszubildenden Pflegekräfte haben dadurch die Möglichkeit, neben der traditionellen Ausbildung zusätzlich einen Bachelor-Abschluss zu erwerben. Mit diesem Angebot sprechen wir auch solche jungen Menschen an, die an einen Pflegeberuf zunächst gar nicht gedacht hatten.
Redaktion: Welchen Vorteil haben die Krankenhäuser von einer solchen zusätzlichen akademischen Ausbildung?
Spahl: Der Vorteil ist, dass die so ausgebildeten Pflegekräfte befähigt werden, „um die Ecke“ zu denken und sich selbst die notwendigen Informationen zu verschaffen, um eine hervorragende Pflegequalität sicherzustellen. Zudem werden die Anforderungen an die Pflege immer größer: Der mündige Patient hat heute viel höhere Ansprüche als früher.
Redaktion: Können Sie Beispiele für die gestiegenen Ansprüche nennen?
Spahl: Die soziale Struktur der Patienten ist heute anders als früher. Dies erfordert, dass Pflegerinnen und Pfleger heutzutage die entsprechende Kompetenz besitzen, sich mit einem komplexen Patienten hinzusetzen und gemeinsam Wege zu erarbeiten, damit er wieder gesund wird. Dies kann nicht nur der Arzt leisten, der zudem nicht immer vor Ort sein kann.
Redaktion: Wenn die Ansprüche an die Pflege so steigen, muss die Ausbildungskooperation zwischen dem UKE und der HAW ja ein voller Erfolg sein?
Spahl: Das ist sie auch, obwohl wir erst vor kurzem damit begonnen haben. Allerdings sind die Perspektiven der Absolventen noch nicht völlig klar. Im UKE können wir uns vorstellen, eine größere Differenzierung in der Bezahlung der Pflegekräfte als bisher vorzunehmen, aber wie geschildert sehen die Tarife dies noch nicht vor. Da ist die Politik jetzt am Zug.
Redaktion: Die Medizin wird immer anspruchsvoller, und auch die Pflege stellt, wie Sie sagen, immer höhere Anforderungen. Wäre es - gerade in Zeiten des Ärztemangels - nicht sinnvoll, bisher dem Arzt vorbehaltene Tätigkeiten an den qualifizierten Pfleger zu delegieren?
Spahl: Ja, aber diese Tätigkeiten sollten nicht nur delegiert, sondern substituiert, also übertragen werden. Nehmen wir die Blutentnahme: Der Arzt delegiert diese oft an die Pflegekräfte, das heißt der Bereich bleibt eine ärztliche Tätigkeit, die der Pfleger unter Aufsicht verrichtet. Aber: Pflegekräfte können oft viel besser Blut abnehmen als Ärzte, da sie geübter sind. Warum sollte man diese Aufgabe dann nicht gleich ganz übertragen?
Redaktion: Was glauben Sie, warum dies nicht geschieht? Immerhin hat der Gemeinsame Bundesausschuss im März 2012 eine entsprechende Richtlinie erlassen, zudem ist das Modellprojekt AGnES bekannt, bei dem qualifizierte Praxismitarbeiter anstelle niedergelassener Ärzte Hausbesuche vornehmen.
Spahl: Zum einen sind die rechtlichen Regeln hierzulande sehr komplex. Allerdings geht es, wie die Schweiz zeigt. Ich habe dort selbst gearbeitet: Die Blutentnahme gehört dort zum Beispiel zum Kompetenzbereich der Pflege, in Deutschland wird sie nur delegiert. Das ist ein großer Unterschied!
Redaktion: Gibt es weitere Hindernisse für eine Substitution solcher einfacher ärztlichen Tätigkeiten?
Spahl: Natürlich ist es auch ein Kampf um entsprechende Stellen. Wenn Aufgaben auf die Pflege übertragen werden, heißt das, dass dort auch entsprechende Stellen geschaffen werden müssten - die dann bei den Ärzten wegfallen. Allerdings meine ich, dass neben der Blutentnahme auch Tätigkeiten auf der Intensivstation oder das Legen einer Braunüle auf qualifizierte Pflegekräfte übertragen werden könnten. Es ist misslich, wenn für solche Dinge erst der Arzt geholt werden muss. Der ist dann aber unabkömmlich, und so gibt es Verzögerungen, die den Tagesablauf des Patienten zerreißen.
Redaktion: Kommen wir zum Schluss wieder auf die Chefärzte zurück. Was wünschen Sie sich als Zentrumspflegeleiterin von ihnen?
Spahl: Ich wünsche mir, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass Ärzte und Pflege auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten.
Redaktion: Frau Spahl, vielen Dank für das Gespräch.