Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 06.11.2017 · IWW-Abrufnummer 197460

    Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 09.08.2017 – 2 Sa 4/17


    In der Rechtssache
    - Beklagte/Berufungsklägerin -
    Proz.-Bev.:
    gegen
    - Kläger/Berufungsbeklagter -
    Proz.-Bev.:
    hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den
    Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Bidmon
    und den ehrenamtlichen Richter Breslauer auf die mündliche Verhandlung vom 09.08.2017
    für Recht erkannt:

    Tenor:
    1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Aalen - vom 23.02.2017 - 9 Ca 350/16 - wird zurückgewiesen.


    2. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.


    3. Die Revision wird zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gutschrift von Zeiten auf das für ihn geführte Arbeitszeitkonto und Urlaubskonto im Zusammenhang mit bezahlter Freistellung nach dem Bildungszeitgesetz des Landes Baden-Württemberg vom 17. März 2015 (im Folgenden: BzG BW).



    Der Kläger ist seit 2006 bei der Beklagten beschäftigt und zuletzt als Verfahrensmechaniker mit 35 Wochenstunden tätig. Er ist Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Die Beklagte, ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, stellt Sicherheitstechnik für die Automobilindustrie her und beschäftigt ca. 1.600 Personen.



    Unter Verwendung eines hierfür vorgesehenen Formulars beantragte der Kläger am 27. Juli 2016 seine Freistellung nach § 7 BzG BW für die Bildungsmaßnahme "Arbeitnehmer(innen) in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft" im Zeitraum vom 25. September 2016 bis 30. September 2016 nach dem BzG BW. Ausweislich des Antrags sollten ihm als Unterlagen beigefügt sein: Ein Themenplan und der Auszug aus dem Bildungsprogramm/Flyer. Das Seminar führte das Bildungszentrum der IG Metall in L. durch, eine gemäß § 9 BzG BW anerkannte Bildungseinrichtung.



    In dem unstreitig dem Antrag beigefügten Themenplan wird das Seminar folgendermaßen beschrieben (auszugsweise):

    "Wie funktioniert eigentlich Marktwirtschaft. Für die Unternehmen und für die Beschäftigten? Sind wir nur Rädchen im Betrieb? Oder haben Beschäftigte auch einen spürbaren Einfluss? Einfluss auf den Geschäftserfolg, Einfluss auf die Unternehmenskultur, auf die Ausrichtung eines Unternehmens? Wie wird die Steuerung eines Unternehmens von der Mehrheit der Beschäftigten wahrgenommen: Die da oben ordnen an und wir unten können nur ausführen? Oder als gleichberechtigte Wirtschaftsbeziehung? Für das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft gilt "Teilhabe". Der Betriebsrat - als Vertreter der Beschäftigten - nimmt Teil an wichtigen Entscheidungen des Unternehmens. Mitbestimmung - ein Stück Demokratie im Betrieb - ist einer der wichtigsten Grundsätze des sozialen Miteinanders. Mitbestimmung - dieses Prinzip wird seit Jahrzehnten in Deutschland praktiziert. Ein demokratisches Erfolgsmodell sagen viele. Der ständige Dialog zwischen den Betriebsparteien (Betriebsrat und Unternehmensleitung) vermeidet sehr viel Reibungsverlust und hilft so Unternehmen und Beschäftigten. Arbeitnehmer in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft - ein spannungsreiches Themenfeld für ein spannendes Seminar. Themen im Seminar: Erfolgsmodell Mitbestimmung, Rechte der Arbeitnehmer, Wächst die Wirtschaft - wachsende Einkommen?, Wirtschaftliche Ergebnisse - wie verteilt, Der Kompromiss als gesellschaftliche Regel?, Interessenvertreter: Wer kümmert sich um was?, Politik im Spannungsfeld wirtschaftlicher Interessen; Verhandlung, Diplomatie, Ergebnisdarstellung Zielgruppe: Das einführende Seminar wendet sich an interessierte Arbeitnehmer(innen), Vertrauensleute, Mitglieder des Betriebsrats, der Schwerbehindertenvertretung und der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Themenplan Seminartag Zeit Inhalt Pausenzeit Tag 1 9.00 - 12.30 Vorstellungsrunde mit Bezug zum Thema 30 Minuten Der soziologische und funktionelle Aufbau von Betrieben sowie deren Ziele. Die Bedeutung des Gesamtgebildes "Betrieb" in einer marktwirtschaftlichen Ordnung 14.00 - 17.30 Der Betrieb im Spannungsfeld sozialer Interessen. Welche Interessen gibt es innerhalb und außerhalb eines Betriebes und wie wirken sie auf den Betrieb und die einzelnen Beschäftigten 30 Minuten Tag 2 8.30 - 12.30 Der Betriebsrat als Träger der Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Grundsätzliche und praktische Erwägungen zum deutschen Weg der "Mitbestimmung" und der Teilhabe von Arbeitnehmervertretungen an der betrieblichen Entwicklung. 30 Minuten 14.00 - 17.30 Fortsetzung vom Vormittag 30 Minuten Tag 3 8.30 - 12.30 Situation, wirtschaftliche Lage und Stellung der Arbeitnehmer in der Gesellschaft. 30 Minuten Welche Beteiligungsformen der Bürger(innen) sieht das politische System der Bundesrepublik Deutschland vor? Welche Auswirkungen auf politische Entscheidungen haben die Besitzverhältnisse über Produktionsmittel und Vermögensverteilung in Deutschland? 14.00 - 17.30 Fortsetzung vom Vormittag 30 Minuten Tag 4 8.30 - 12.30 Die Rolle von Interessengruppen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden im System der Bundesrepublik Deutschland. Leben wir im Verbändestaat oder dominieren die politischen Parteien? Wer ist wofür zuständig? 30 Minuten 14.00 -.17.30 Führt die Mitbestimmung im Betrieb und in den Unternehmen zur Situation des "Kompromisses als gesellschaftliche Regel?" Welche Funktion haben Kompromisse bei der Findung von Problemlösungen? Taugen sie zur Lösung von Interessengegensätzen? 30 Minuten Tag 5 8.30 - 12.30 Wenn die Wirtschaft wächst - wachsen die Einkommen? Gibt es Automatismen, die dafür sorgen, dass aus einer guten wirtschaftlichen Lage der Betriebe und Unternehmen auch gute Einkommen werden? Die Rolle von Kompromissen bei Tarifverträgen/Tarifverhandlungen. 30 Minuten 14.00 - 16.00 Fortsetzung vom Vormittag 30 Minuten 16.00 - 17.30 Zusammenfassung des gesamten Seminarinhaltes Der Seminarpreis betrug insgesamt 1.475,50 €, enthalten waren hierin Seminarkosten in Höhe von 750,00 €, Übernachtungskosten (400,00 €) und Verpflegungskosten (250,00 €) zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von 75,50 €. Die Seminar- und Fahrtkosten übernimmt die IG Metall regelmäßig für ihre Mitglieder. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Bildungszeit vom 27. Juli 2016 mit Schreiben vom 03. August 2016 ab, das dem Kläger am 19. August 2016 ausgehändigt wurde. Auf dem Vordruck ist als Ablehnungsgrund von der Beklagten angekreuzt: "Die von Ihnen gewählte Bildungsmaßnahme entspricht nicht den Anforderungen des § 6 Abs. 1 BzG BW. Sie entspricht nicht den Themenbereichen des § 1 BzG BW."



    Nach der Ablehnung des klägerischen Antrags wandte sich die zuständige Betriebsbetreuerin der IG Metall am 29. August 2016 telefonisch an einen Mitgeschäftsführer der Beklagten. Dieser bestätigte die Ablehnung des Antrags und betonte, dass es gerichtlich zu klären sei, ob die beantragte Bildungsmaßnahme dem BzG BW unterfalle. Auf den Einwand, dass mit einer gerichtlichen Entscheidung vor dem Beginn des Seminars nicht gerechnet werden könne und deshalb eine Absprache bezüglich der Freistellung erforderlich sei, willigte der Geschäftsführer daraufhin mit den Worten ein, der Kläger könne zum Seminar gehen, falls sein Vorgesetzter ihm für den fraglichen Zeitraum Urlaub oder Freizeitausgleich gewähre. Weiter wurde vereinbart, die aufgewandten Urlaubstage bzw. der in Anspruch genommene Zeitausgleich dem Kläger wieder gutzuschreiben, sofern das Seminar als politische Weiterbildungsmaßnahme im Sinne des BzG BW gerichtlich anerkannt werde. Hierauf beantragte der Kläger bei seinem Vorgesetzten für Montag, Dienstag, Mittwoch und Freitag (26. - 28. und 30. September 2016) Freizeitausgleich sowie für Donnerstag den 29. September 2016 Urlaub und erhielt diese bewilligt. Der Kläger nahm sodann am beschriebenen Seminar teil. Für den Zeitraum 26. September bis 30. September wurden das Arbeitszeitkonto des Klägers mit 28 Stunden Gleitzeit belastet und von seinem Urlaubsguthaben ein Urlaubstag abgezogen.



    Mit seiner am 31. August 2016 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger zuletzt das Ziel, 28 Stunden Arbeitszeit auf seinem Arbeitszeitkonto sowie einen Urlaubstag auf seinem Urlaubskonto gutgeschrieben zu erhalten.



    Der Kläger trägt vor, dass er einen den Anforderungen des BzG BW entsprechenden Antrag gestellt habe. Mit seinem Antrag habe er (nur) für 5 Arbeitstage Freistellung beansprucht, zumal am Sonntag, den 25. September 2016 für ihn keine Arbeitspflicht bestanden habe. Im Übrigen sei seinem Antrag unstreitig der Themenplan beigefügt gewesen, aus dem die Tagungsdauer von 5 Tagen zu ersehen sei. Weiter habe sein Antrag auch einen Flyer enthalten, aus dem die Tagungsdauer vom 26. bis zum 30. September 2016 hervorgegangen sei. Der Kläger ist weiter der Ansicht, dass die Bildungsmaßnahme nicht von einer Gewerkschaftszugehörigkeit abhängig gemacht worden und damit allgemein zugänglich gewesen sei. Die Höhe der Seminarkosten sei angemessen und habe Teilnehmer, die nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, nicht abgeschreckt. Die Behauptung der Beklagten, dass die Kosten des Bildungsträgers durch Nichtmitglieder subventioniert würden und dies gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoße, sei abwegig.



    Der Kläger ist weiter der Auffassung, bei dem Seminar handle es sich um eine Maßnahme der politischen Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs. 2 BzG BW. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 BzG BW liege eine solche immer dann vor, wenn dabei "Information(en) über politische Zusammenhänge und deren Mitwirkungsmöglichkeit im politischen Leben" vermittelt würden. Der Landesgesetzgeber habe offensichtlich davon abgesehen, den Begriff der politischen Weiterbildung auf einzelne Aspekte des Politischen, wie etwa gesellschafts-, wirtschafts- oder sozialpolitisch, zu beschränken. Dies folge auch daraus, dass das Vorblatt des BzG BW fordere, dass "die politische Weiterbildung ... der Teilhabe und Mitwirkung am gesellschaftlichen, sozialen und politischen Leben" diene. Das vom Kläger besuchte Seminar erfülle diese Anforderungen.



    Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

    die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 28 Arbeitsstunden und dem Urlaubskonto des Klägers einen Urlaubstag gutzuschreiben.



    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.



    Die Beklagte ist der Auffassung, dass bereits der Antrag des Klägers nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Ausweislich des Antrags habe der Kläger für 6 Tage Bildungszeit beantragt, so auch für Sonntag, den 25. September 2016. Sie bestreite, dass dem schriftlichen Antrag vom 27. Juli 2016 ein Flyer beigefügt gewesen sei, aus dem sich der Termin der Bildungsmaßnahme ergeben habe.



    Die Beklagte ist weiter der Ansicht, dass die Bildungsmaßnahme nicht für die Allgemeinheit zugänglich gewesen sei. Die Höhe der Kosten für Nichtgewerkschaftsmitglieder von 1.475,50 € für 5 Seminartage führten dazu, dass Nichtmitglieder das beschriebene Seminar nicht besuchen würden. Jedenfalls würden beim Besuch dieses Seminars durch Nichtmitglieder die Kosten des Bildungsträger teilweise von Nichtmitgliedern ersetzt, was gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoße.



    Schließlich ist die Beklagte der Meinung, dass es sich bei der vorliegenden Bildungsmaßnahme nicht um eine Maßnahme zur politischen Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs. 4 BzG BW handele. Der Begriff "politische Weiterbildung" sei eng auszulegen. Anders als vergleichbare Gesetze anderer Bundesländer habe der baden-württembergische Landesgesetzgeber in Kenntnis und im Gegensatz zu diesen Bildungszeitgesetzen davon abgesehen, auch einen Bezug auf gesellschafts-, wirtschafts- oder sozialpolitische Zusammenhänge herzustellen. "Politische Weiterbildung" umfasse deshalb nur staatspolitische Themen (Staatsaufbau, demokratische Institution, Verfassung).



    Selbst bei Zugrundelegung eines weiten Begriffs der "politischen Weiterbildung" unterfalle das beschriebene Seminar nicht diesem Begriff. Die streitgegenständliche Veranstaltung sei vornehmlich an Betriebsräte gerichtet. Es gehe vornehmlich um Mitbestimmung, vor allem um Demokratie im Betrieb. Im Vordergrund stehe der Dialog zwischen den Betriebsparteien und nicht die politische Willensbildung der Arbeitnehmer, jedenfalls nicht im Sinne des BzG BW. Dies gelte jedenfalls für den Themenkomplex "Der Betriebsrat als Träger der Interessenvertretung der Arbeitnehmer" am Tag 2 von 8:30 Uhr bis 12:00 Uhr und 14:00 Uhr bis 17:30 Uhr.



    Das Arbeitsgericht hat in dem Urteil vom 23. Februar 2017 der Klage stattgegeben und den Wert des Streitgegenstandes auf 920,45 € festgesetzt. Das angefochtene Urteil ist der Ansicht, dass der Kläger einen Anspruch auf Gutschrift von Urlaub und Freizeitguthaben für den Zeitraum 25. bis 30. September 2016 habe. Die vorliegende Vereinbarung zwischen den Parteien über Gewährung von Bildungszeit unter Vorbehalt der gerichtlichen Klärung sei zulässig. Sie erhalte den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit, den Streit über die Qualität einer Bildungsveranstaltung nachträglich zu führen.



    Auch die formellen Voraussetzungen des Anspruchs auf Freistellung seien vorliegend gegeben. Es sei unbeachtlich, dass der Kläger bereits für Sonntag, den 25. September 2016 Bildungszeit beantragt habe. Dieser Sonntag sei für den Kläger kein Arbeitstag gewesen. Für einen verständigen Empfänger des Antrags sei klar gewesen, dass der Kläger keine Freistellung für einen ohnehin arbeitsfreien Sonntag beansprucht habe.



    Das angefochtene Urteil ist weiter der Auffassung, dass die Bildungsmaßnahme für die Allgemeinheit zugänglich gewesen sei. Das Seminar habe sich nicht nur an Gewerkschaftsmitglieder gerichtet. Auch die Gesamtkosten für das Seminar stünden einer Jedermannzugänglichkeit nicht entgegen. Die Seminarkosten seien nicht unzumutbar hoch.



    Schließlich handele es sich bei dem beschriebenen Seminar auch um politische Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs. 4 BzG BW. Aus der Gesetzesbegründung des BzG BW werde deutlich, dass der Landesgesetzgeber von einem weiten Politikverständnis ausgegangen sei. Hierunter fielen nicht nur staatspolitische, sondern auch sozial-, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitische Themen. Unter Zugrundelegung eines weiten Politikbegriffs habe das Seminar entsprechend der Seminarbeschreibung politische Weiterbildung zum Inhalt gehabt. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Veranstaltung zugleich als Schulungsveranstaltung für Betriebsräte ausgeschrieben gewesen sei. Es habe sich nicht um eine Spezialschulung für Betriebsräte gehandelt. Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.



    Gegen das der Beklagten am 16. März 2017 zugestellte Urteil richtet sich die am 23. März 2017 eingelegte und am 12. Mai 2017 ausgeführte Berufung der Beklagten. Die Beklagte vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und ist insbesondere weiter der Ansicht, dass der Kläger keinen ordnungsgemäßen Antrag nach dem BzG BW gestellt habe, die Bildungsmaßnahme nicht allgemein zugänglich gewesen sei und keine politische Weiterbildung im Sinne von § 1 Abs. 4 BzG BW zum Gegenstand gehabt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Beklagten wird auf deren Schriftsatz vom 12. Mai 2017 verwiesen.



    Die Beklagte beantragt sinngemäß,

    das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.



    Der Kläger beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.



    Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ebenfalls sein erstinstanzliches Vorbringen. Bezüglich des zweitinstanzlichen Vorbringens des Klägers wird auf dessen Schriftsatz vom 16. Juni 2017 Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe



    I.



    Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 lit. b ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.



    II.



    In der Sache hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der zulässigen Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat einen vertraglichen Anspruch auf die Gutschrift von 28 Arbeitsstunden auf seinem Arbeitszeitkonto und einem Tag Urlaub auf seinem Urlaubskonto.



    1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.



    Eine Leistungsklage, einem Arbeitszeitkonto Stunden "gutzuschreiben", ist hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gutgeschrieben werden können (BAG 22. Februar 2012 - 4 AZR 527/10 - Rn. 20 [...]).



    Auch die Klage, dem Urlaubskonto eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen gutzuschreiben, ist zulässig (BAG 15. Oktober 2013 - 9 AZR 374/12 - Rn. 11 [...]).



    Diesen Anforderungen wird die vorliegende Leistungsklage gerecht.



    2. Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen vertraglichen Anspruch auf die Gutschrift von 28 Arbeitsstunden auf seinem Arbeitszeitkonto und einem Tag Urlaub auf seinem Urlaubskonto.



    a. Die Vereinbarung der Parteien, in Anspruch genommene Gleitzeit und in Anspruch genommener Erholungsurlaub gegebenenfalls später nach Klärung der Rechtslage durch die Gerichte unter Verrechnung des gesetzlichen Freistellungsanspruchs zu vergüten, ist rechtlich zulässig. Eine solche Vereinbarung erhält den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit, den Streit über die Qualität einer Bildungsveranstaltung nachträglich zu führen. Der Arbeitgeber wird nicht gezwungen, die Freistellung abzulehnen. Der Arbeitnehmer muss sie nicht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erreichen suchen (BAG 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90 - Rn. 17 [...]).



    b. Die formellen Voraussetzungen für die Bewilligung von Bildungszeit gemäß dem BzG BW liegen vor. Insbesondere hat der Kläger einen ordnungsgemäßen Antrag auf Bildungszeit von 5 Arbeitstagen, das Maximum innerhalb eines Kalenderjahres (§ 3 Abs. 1 BzG BW), gestellt.



    Zwar hat der Kläger in seinem schriftlichen Antrag vom 27. Juli 2016 Bildungszeit für den Zeitraum vom 25. September bis zum 30. September 2016 und somit für 6 Kalendertage beantragt. Dieser Antrag ist als empfangsbedürftige Willenserklärung jedoch auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (allgemeine Meinung, z.B. Palandt-Ellenberger 76. Aufl. 2017 § 133 Rn. 9). Danach hat die Auslegung zwar vom Wortlaut der Erklärung auszugehen. Es sind jedoch auch die außerhalb der Erklärung liegenden Begleitumstände und insbesondere der Sinn und Zweck der Willenserklärung in die Auslegung einzubeziehen.



    Der Kläger hat in seinem Antrag das Seminar, für das er Bildungszeit beansprucht hat, genau bezeichnet (Arbeitnehmer/innen in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft). Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt, dass diesem schriftlichen Antrag der ebenfalls angegebene Flyer nicht beigelegen hat, so ist zwischen den Parteien jedoch unstreitig, dass zumindest der Themenplan des Seminars beigefügt gewesen ist. Aus diesem Themenplan für das bezeichnete Seminar wird ersichtlich, dass es sich bei der Bildungsveranstaltung (nur) um ein 5-tägiges Seminar handelt. Die Beklagte musste auch wissen, dass für den Kläger am Sonntag, den 25. September 2016 keine Arbeitspflicht bestanden hat. Ein verständiger und redlicher Adressat dieses Antrags durfte die Erklärung nur so verstehen, dass der Antragende keine (unzulässige) Bildungszeit für einen freien Wochenendtag beanspruchen will. Im Übrigen wird aus der Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 3. August 2016 auch ersichtlich, dass die Beklagte den Antrag des Klägers so verstanden hat. Sie hat das vorformulierte Formular lediglich in dem Punkt angekreuzt, dass die gewählte Bildungsmaßnahme nicht den Themenbereichen des BzG BW entspricht.



    c. Die bezeichnete Bildungsmaßnahme war auch für die Allgemeinheit zugänglich (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 BzG BW).



    aa. Die vom Kläger besuchte Veranstaltung stand dem in § 2 Abs. 1 BzG BW als anspruchsberechtigt bezeichneten Personenkreis offen. Weder unmittelbar noch mittelbar hat der Veranstalter die Teilnahme von der Gewerkschaftszugehörigkeit abhängig gemacht.



    Wendet sich der Veranstalter nur an Gewerkschaftsmitglieder, ist sie nicht für jedermann zugänglich. Zur Begründung der Jedermannzugänglichkeit genügt nicht der Hinweis im Bildungsprogramm des Trägers, dass die Veranstaltung auch anderen Personen als Gewerkschaftsmitgliedern offensteht. Er muss außerdem so verlautbart sein, dass auch nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer davon Kenntnis nehmen können (BAG 21. Juli 2015 - 9 AZR 418/14 - Rn. 29 [...]).



    Diese Voraussetzungen sind beim bezeichneten Seminar erfüllt. Das allgemein, auch im Internet (www.igmetall.de/bildung), zugängliche Bildungsprogramm des Bildungsträgers benennt als Zielgruppe des Seminars ausdrücklich alle interessierten Arbeitnehmer(innen). Die Information über das Internet ist anerkannt, gebräuchlich und gewährleistet eine allgemeine Zugänglichkeit (BAG 21. Juli 2015 - 9 AZR 418/14 - Rn. 31 [...]).



    bb. Der Zugänglichkeit für jedermann steht nicht entgegen, dass das Seminar auch als geeignet iSv. § 37 Abs. 7 BetrVG gekennzeichnet gewesen ist.



    Die Veranstaltung war weder als Spezialschulung für Betriebsräte ausgeschrieben, noch wurden betriebsverfassungsrechtliche Fragen im engeren Sinne behandelt. Im Übrigen sind grundsätzlich alle Themen, die sich mit der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb befassen, geeignet, Gegenstand der Arbeitnehmerweiterbildung zu sein. Diese bezweckt nicht nur die Information über gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge, sondern soll insbesondere auch den Einzelnen befähigen, sein soziales Umfeld mitzugestalten. Hierzu gehört auch die Mitwirkung in Arbeitnehmervertretungen. Eine gesellschaftspolitische Weiterbildung kann deshalb auch Kenntnisse vermitteln, die gleichzeitig Inhalt von Betriebsräteschulungen nach § 37 Abs. 6 oder Abs. 7 BetrVG sind (BAG Urteil vom 21. Juli 2015 - 9 AZR 418/14 - Rn. 34 [...]).



    cc. Auch die Gesamtkosten für das Seminar stehen einer Jedermannzugänglichkeit nicht entgegen. Die Kosten für die hotelmäßige Unterbringung und Verpflegung für 5 Tage iHv. 725,50 € (inklusive Mehrwertsteuer) und die Seminarkosten iHv. 750,00 € sind entgegen der Ansicht der Beklagten keine für Arbeitnehmer mit Durchschnittsverdienst unzumutbaren Kosten. Grundsätzlich hat jeder Arbeitnehmer die Kosten einer Bildungsveranstaltung selbst zu tragen. Die Bildungseinrichtungen sind nicht verpflichtet, die Kosten für die Lernmaterialien und Referenten sowie für die Unterbringung und Verpflegung der Teilnehmer selbst aufzubringen. Ob ein Arbeitnehmer das Weiterbildungsangebot eines Veranstalters annimmt, unterliegt seiner freien Entscheidung. Dazu hat jeder Arbeitnehmer die Möglichkeit, aus den vielfältigen, preislich höher oder niedriger gestalteten Angeboten auszuwählen. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, diese Wahlfreiheit zu beschränken. Der Träger einer Weiterbildungsveranstaltung ist nicht verpflichtet, diese kostenfrei anzubieten (BAG 21. Juli 2015 - 9 AZR 418/14 - Rn. 35 [...]).



    Die Kosten für das bezeichnete Seminar liegen im Rahmen vergleichbarer Seminare und sind nicht unangemessen. Dies zeigt auch ein Vergleich mit vom Bundesarbeitsgericht zu anderen Bildungszeitgesetzen getroffenen Entscheidungen, in denen das BAG die Seminarkosten als nicht unzumutbar hoch bewertet hat. So hat das BAG in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2015 (9 AZR 418/14, aaO Rn. 35) Seminarkosten iHv. 2.741,40 € für eine 14-tägiges Seminar im Jahre 2012 (gemäß § 3 Abs. 1 AWbG Nordrhein-Westfalen kann der Anspruch auf Bildungszeit für 2 Kalenderjahre zusammengefasst werden) als nicht unzumutbare Kostenhürde bezeichnet. Auch die anderen Entscheidungen des BAG zur Höhe der Seminarkosten (z.B. BAG 9. Juni 1998 - 9 AZR 466/97, 2. Dezember 1997 - 9 AZR 584/96, 21. Oktober 1997 - 9 AZR 253/96, alle [...]) verdeutlichen unter Berücksichtigung der Kaufkraftentwicklung, dass das vorliegende Seminar nicht unangemessen teuer gewesen ist.



    dd. Die Rechtsansicht der Beklagten, dass das bezeichnete Seminar des Bildungsträgers durch Nicht-IG-Metall-Mitglieder subventioniert werde und dies gegen die negative Koalitionsfreiheit des Art. 9 GG verstoße, ist nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht richtig. Zum einen setzt sich die Beklagte mit dieser Behauptung schon in Widerspruch zum eigenen Tatsachenvortrag, wonach kein Nicht-IG Metall-Mitglied das vorliegende Seminar aufgrund der hohen Kosten besuchen werde. Zum anderen werden allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer solchen Bildungsveranstaltung die anfallenden Kosten vom Bildungsträger in Rechnung gestellt. Bei Gewerkschaftsmitgliedern werden allerdings die Seminarkosten von der jeweiligen Gewerkschaft übernommen. Was dieser Sachverhalt mit der von Art. 9 GG umfassten negativen Koalitionsfreiheit zu tun hat, also dem Recht, aus einer Koalition auszutreten oder einer Koalition fernzubleiben, erschließt sich der Kammer nicht.



    d. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelte es sich bei dem Seminar "Arbeitnehmer(innen) in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft" um eine Bildungsmaßnahme gemäß § 6 Abs. 1 BzG BW. Das Seminar entsprach den Themenbereichen des § 1 BzG BW (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BzG BW), weil es politische Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs. 4 BzG BW zum Inhalt hatte.



    Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "politische Weiterbildung" ergibt, dass der Landesgesetzgeber bei diesem unbestimmten Rechtsbegriff das durch die Rechtsprechung zu den Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzen anderer Bundesländer geprägte und vom ILO Übereinkommen Nr. 140 normierte weite Begriffsverständnis zugrundegelegt hat.



    aa. Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (BVerfG 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 - Rn. 66 [...]).



    bb. Zwar hat der Landesgesetzgeber Baden-Württemberg den Begriff der politischen Weiterbildung im BzG BW nicht definiert. Aber schon aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 BzG BW, "Politische Weiterbildung dient der Information über politische Zusammenhänge und der Mitwirkungsmöglichkeit im politischen Leben" lässt sich eine Einschränkung auf einen engen Politikbegriff im Sinne staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gerade nicht erkennen.



    cc. Aus den Gesetzesmaterialien zum BzG BW ergibt sich für die erkennende Kammer jedoch eindeutig, dass der Landesgesetzgeber von einem weiten Politikbegriff ausgegangen ist.



    (1) Im Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 27. Januar 2015 (Drucksache 15/6403, A. Allgemeiner Teil, 1. Zielsetzung, Seite 10) steht, dass die Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt hat, dass sie "angelehnt an die Gesetzgebung der meisten anderen Bundesländer" auch in Baden-Württemberg eine bezahlte Bildungsfreistellung von 5 Arbeitstagen pro Jahr einführen will. Wenn sich der Landesgesetzgeber in Kenntnis des weiten Politikbegriffs der Bildungsurlaubsgesetze der anderen Bundesländer (z.B. § 1 Abs. 4 AWbG Nordrhein-Westfalen vom 6. November 1984, § 1 Abs. 3 BiUrlG Hessen vom 28. Juli 1998, § 1 Abs. 3 BFG Rheinland-Pfalz am 30. März 1993) an diese Gesetze anlehnt und bewusst im Gegensatz zu diesen Gesetzen kein Bezug auf gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge herstellt, lässt dies nach Auffassung des Berufungsgerichts erkennen, dass der Landesgesetzgeber Baden-Württemberg unter "politischer Weiterbildung" ebenfalls einen weiten Politikbegriff normiert hat, der in § 1 Abs. 4 BzG bW auch Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik umfasst (aA: Merkel/Dodt, Das Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg im Überblick, BB 2016, 693, 695). Dieser weite Politikbegriff ergibt sich auch aus dem Gesetzesentwurf der Landesregierung (aaO) unter D. I.(Seite 2) wo es heißt: "Die politische Weiterbildung dient der Teilhabe und Mitwirkung am gesellschaftlichen, sozialen und politischen Leben."



    Weiter ist beim Verständnis des Landesgesetzgebers zum Begriff "der politischen Weiterbildung" zu berücksichtigen, dass er auch die zu den Bildungsurlaubsgesetzen (insbesondere der der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Hessen) ergangene vielfältige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts gekannt hat. So judiziert das BAG unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Begriff der politischen Weiterbildung in § 1 Abs. 4 AWbG Nordrhein-Westfalen: politische Weiterbildung bezweckt "das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern" (BAG 16. März 1999 - 9 AZR 166/98 - Rn. 55 [...]).



    (2) Der weite Politikbegriff folgt auch aus dem Verweis auf das ILO Übereinkommen Nr. 140 und dessen völkerrechtskonformer Auslegung.



    Im Gesetzesentwurf der Landesregierung (aaO) steht: "Grundlage einer gesetzlichen Regelung der Bildungsfreistellung bildet das Übereinkommen Nr. 140 der Internationalen Arbeitsorganisation über den bezahlten Bildungsurlaub vom 24. Juni 1974, das die Bundesrepublik Deutschland 1976 ratifiziert hat" (A. Allgemeiner Teil, 1. Zielsetzung, Seite 10) [Im folgenden: ILO Übereinkommen Nr. 140]. Nach diesem Übereinkommen sind die das Übereinkommen ratifizierten Mitgliedstaaten zur Festlegung und Durchführung einer Politik verpflichtet, die mit geeigneten Methoden und nötigenfalls schrittweise den bezahlten Bildungsurlaub fördert. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen mit Ratifizierungsgesetz vom 7. September 1976 ratifiziert. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung aus diesem Übereinkommen bisher nicht nachgekommen ist, haben fast alle Bundesländer, nunmehr auch Baden-Württemberg, von ihrer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Nr. 12 GG) Gebrauch gemacht. Nach der deutschen Fassung des Art. 2 des ILO Übereinkommens Nr. 140 hat jedes Mitglied eine Politik festzulegen und durchzuführen, die dazu bestimmt ist, mit Methoden, die den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten angepasst sind, und zwar nötigenfalls schrittweise, die Gewährung von bezahltem Bildungsurlaub zu fördern, und zwar zum Zwecke a) der Berufsbildung auf allen Stufen, b) der allgemeinen und politischen Bildung, c) der gewerkschaftlichen Bildung. Nach Art. 10 des ILO Übereinkommens Nr. 140 können die Voraussetzungen für die Gewährung von bezahltem Bildungsurlaub unterschiedlich sein, je nachdem, ob der bezahlte Bildungsurlaub einem der folgenden Zwecke dienen soll: a) der Berufsbildung auf allen Stufen, b) der allgemeinen und politischen Bildung bzw. c) der gewerkschaftlichen Bildung. Schon nach dem Wortlaut der deutschen Fassung ergibt sich kein Hinweis darauf, dass das Völkerrecht, dh. das ILO Übereinkommen Nr. 140 eine politische Bildung zu staatsbürgerlichen Fragen verlangt bzw. vor Augen hat. Nach Art. 10 Buchst. b des ILO Übereinkommens Nr. 140 wird die allgemeine und die politische Bildung gemeinsam genannt. Schon mit der deutschen Fassung des ILO Übereinkommens Nr. 140 wäre eine verengende Auslegung von "politische Weiterbildung" als Weiterbildung zu staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten nicht zu vereinbaren. Vor allem ergibt sich aus Art. 3 Buchst. b des ILO Übereinkommens, dass die nach Art. 2 festzulegende und durchzuführende Politik, falls erforderlich auf verschiedene Weise, einen Beitrag zur sachkundigen und aktiven Beteiligung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter am Geschehen im Betrieb und in der Gemeinschaft und (Buchst. c) zum persönlichen, sozialen und kulturellen Fortschritt der Arbeitnehmer zu leisten hat. Dies setzt ein weites Verständnis von "politischer Bildung" gerade voraus (Arbeitsgericht Stuttgart 7. April 2017 - 26 Ca 1506/16 - Rn. 41 [...]).



    In gleicher Weise maßgebend für die Auslegung des ILO Übereinkommens Nr. 140 sind der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens (Art. 19).



    Art. 2 der englischen Sprachfassung spricht nicht von "politischer" Bildung, sondern von "general, social and civic education" (Buchst. b). Art. 10 der englischen Sprachfassung sieht vor, dass die Voraussetzungen für den bezahlten Bildungsurlaub unterschiedlich sein können, je nachdem, ob dieser vorgesehen ist für "a) training at any level, b) general, social and civic education, c) trade union education". Aus der maßgeblichen englischen Textfassung ergibt sich aus Art. 2 und Art. 10 des ILO Übereinkommens Nr. 140 ein sehr breiter Bereich für mögliche Bildungsinhalte, insb. auch für soziale (social) und bürgerliche (civic) [Langenscheidt, Englisches Wörterbuch, übersetzt civic mit (staats)bürgerlich].



    Auch Art. 2 und 10 der französischen Sprachfassung sprechen nicht von "politischer" Bildung, sondern von "d'éducation générale, sociale ou civique" (jeweils Buchst. b), also von allgemeiner, sozialer und bürgerlicher Bildung [Langenscheidt, FranzösischesWörterbuch, übersetzt civique mit (staats)bürgerlich]. Auch aus der maßgeblichen französischen Textfassung ergibt sich deshalb, dass mit "politischer Bildung" im Sinne des Artikel 2 lit b des ILO Übereinkommens Nr. 140 soziale und bürgerliche Bildung gemeint ist und das ILO Übereinkommen Nr. 140 deshalb einen weiten Politikbegriff normiert, über das enge Verständnis eines staatsbürgerlichen Politikbegriffs hinaus.



    Wenn der Landesgesetzgeber, wie dies aus den Gesetzesmaterialen ersichtlich ist, von einem weiten Verständnis von "politischer Weiterbildung" ausgegangen ist, so deckt sich dieses weite Verständnis richtigerweise mit der völkerrechtlichen Verpflichtung, welche die Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist (so auch Arbeitsgericht Stuttgart 7. April 2017 aaO Rn. 42).



    dd. Auch aus Sinn und Zweck des BzG BW folgt, dass "politische Weiterbildung" im Sinne von § 1 Abs. 4 BzG BW weit über die Vermittlung von Inhalten zu staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten hinausgeht.



    Der Landesgesetzgeber verfolgt mit dem BzG BW das Ziel, die Weiterbildungsbereitschaft von Beschäftigten in Baden-Württemberg zu erhöhen und zu fördern (Landtag von Baden-Württemberg, Drucks. 15/6403 S. 1). Vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung, des strukturellen Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft und der demographischen Veränderungen gewinnt vor allem die berufliche Weiterbildung zunehmend an Bedeutung. Daneben geht es in einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen aber auch um die gesellschaftliche Teilhabe seiner Bürgerinnen und Bürger. Deshalb sind nach dem Willen des Gesetzgebers auch die politische Bildung und die Stärkung des ehrenamtlichen Engagements Bestandteil des Gesetzes geworden (Drucks. 15/6403 S. 1, 10). Der Landesgesetzgeber verfolgt ausdrücklich das Ziel, mit der politischen Weiterbildung der Information über gesellschaftliche Zusammenhänge und der Verbesserung der Teilhabe und Mitwirkung am gesellschaftlichen und politischen Leben zu dienen. Diese elementare Grundlage für ein funktionierendes demokratisches Gemeinwesen soll explizit gestärkt werden (Drucks. 15/6403 S. 11). Nach Einschätzung des Landesgesetzgebers dient auch die politische Weiterbildung der Persönlichkeitsentwicklung des Beschäftigten, die sich positiv auf die betrieblichen Belange auswirken kann (Drucks. 15/6402 S. 11). Deshalb versteht des Landesgesetzgeber unter politischer Weiterbildung die Befähigung zur Teilhabe und Mitwirkung am politischen Leben, worunter auch die Teilnahme an Tagungen, Lehrgängen und Veranstaltungen fallen soll, die staatsbürgerlichen Zwecken dienen oder an denen ein öffentliches Interesse besteht (Drucks. 15/6403 S. 13). Damit verfolgt der Gesetzgeber - wenn er ausdrücklich auch Veranstaltungen nennt, an denen bzw. an deren Inhalten ein öffentliches Interesse besteht - ein sehr viel weitergehendes Ziel als die bloße Unterrichtung über staatsbürgerliche Rechte und Pflichten. Vielmehr soll umfassend, anknüpfend an das Gemeinwohl, die Teilhabe in der Gesellschaft gefördert werden. Mitsprache und Mitverantwortung in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen, dh. auch im Beruf soll zur Stärkung des Gemeinwesens gefördert werden (Arbeitsgericht Stuttgart 7. April 2017 aaO Rn. 38).



    ee. Mit einem weiten Verständnis von politischer Weiterbildung und der Anknüpfung am öffentlichen Interesse bzw. dem Gemeinwohl verlässt der Landesgesetzgeber auch nicht den verfassungsrechtlichen Rahmen (so auch Arbeitsgericht Stuttgart 7. April 2017 aaO Rn. 43). Wie das Bundesverfassungsgericht dazu ausführt, hilft die Weiterbildung dem Einzelnen, die Folgen des Wandels beruflich und sozial besser zu bewältigen. Wirtschaft und Gesellschaft erhält sie die erforderliche Flexibilität, sich auf veränderte Lagen einzustellen. Da bei Arbeitnehmern die Bereitschaft zur Weiterbildung schon wegen der begrenzten Verfügung über ihre Zeit und des meist engeren finanziellen Rahmens nicht durchweg vorausgesetzt werden kann, liegt es im Interesse des Allgemeinwohls, die Bildungsbereitschaft dieser Gruppe zu verbessern. Unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls begegnet es auch keinen Bedenken, dass Bildungsurlaub nicht nur für berufsbildende, sondern auch für politisch bildende Veranstaltungen vorgesehen ist. Der technische und soziale Wandel bleibt in seinen Auswirkungen nicht auf die Arbeits- und Berufssphäre beschränkt. Er ergreift vielmehr auch Familie, Gesellschaft und Politik und führt zu vielfältigen Verflechtungen zwischen diesen Bereichen. Daraus ergeben sich zwangsläufig Verbindungen zwischen beruflicher und politischer Bildung, die der Gesetzgeber bei der Verfolgung seines Ziels berücksichtigen durfte. Es liegt daher im Gemeinwohl, neben dem erforderlichen Sachwissen für die Berufsausübung auch das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern (BVerfG 15. Dezember 1987 - 1 BvR 563/85 - Rn. 92 [...]).



    e. Das Seminar "Arbeitnehmer(innen) in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft " dient der Arbeitnehmerweiterbildung im Sinne von § 1 Abs. 2 BzG BW. Mit seinen Themen zu dem Spannungsfeld sozialer Interessen innerhalb und außerhalb eines Betriebes, dem Betriebsrat als Interessenvertretung, der Lage und Stellung der Arbeitnehmer in der Gesellschaft, der Rolle von Verbänden (vergl. Themenplan des beschriebenen Seminars) ist es geeignet, das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern.



    Das Bundesarbeitsgericht hat zu Seminaren mit identischen Titeln und ähnlichen Inhalten zu den Bildungsurlaubsgesetzen Nordrhein-Westfalen und Hessen auch entschieden, dass diese Bildungsveranstaltungen den Anforderungen zur politischen Bildung entsprechen (BAG 21. Oktober 1997 - 9 AZR 253/96 - Rn. 24 [...] zum nordrhein-westfälischen AwbG ; BAG 9. Februar 1993-9 AZR 648/90 - Rn. 32 [...] zum hessischen BiUrlG).



    III.



    Da somit die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben konnte, hat sie die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.



    Die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

    Hensinger
    Bidmon
    Breslauer

    Verkündet am 09.08.2017

    Vorschriften§ 7 BzG BW, § 9 BzG BW, § 1 Abs. 2 BzG BW, § 1 Abs. 4 BzG BW, § 64 Abs. 1, 2 lit. b ArbGG, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 3 Abs. 1 BzG BW, §§ 133, 157 BGB, § 6 Abs. 2 Nr. 1 BzG BW, § 2 Abs. 1 BzG BW, § 37 Abs. 7 BetrVG, § 37 Abs. 6, Abs. 7 BetrVG, § 3 Abs. 1 AWbG Nordrhein-Westfalen, Art. 9 GG, § 6 Abs. 1 BzG BW, § 1 BzG BW, § 6 Abs. 1 Nr. 2 BzG BW, § 1 Abs. 4 AWbG Nordrhein-Westfalen, § 1 Abs. 3 BFG Rheinland-Pfalz, § 1 Abs. 4 BzG bW, Art. 74 Nr. 12 GG, § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG