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  • 24.02.2017 · IWW-Abrufnummer 192121

    Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 16.11.2016 – 6 Ta 120/16

    § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist dahin auszulegen, dass es für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nicht ausreicht, wenn die Partei dem Gericht eine wesentliche Verbesserung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Änderung der Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Vielmehr ist auch im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der Partei in Form der Absicht oder der groben Nachlässigkeit erforderlich. Die Partei muss demnach eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt haben (Anschluss an BAG, Beschl. v. 29.10.2016 - 8 AZB 23/16; Beschl. v. 18.8.2016 - 8 AZB 16/16 )




    Gründe



    I.



    Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der ihm bewilligten Prozesskostenhilfe.



    Im Ausgangsverfahren stritten die Parteien um Zahlung, Herausgabe von Arbeitspapieren sowie Zeugniserteilung. Der Rechtsstreit endete durch einen Vergleich vom 8.7.2014.



    Mit Beschluss vom 16.7.2014 hat das Arbeitsgericht dem Kläger für einen Teil seiner Anträge sowie für den Vergleich und dessen Mehrwert ratenlose Prozesskostenhilfe bewilligt.



    Der Kläger wirkte im April 2015 an dem ersten Nachprüfungsverfahren gemäß § 124 Abs. 1 ZPO mit und gab unter Vorlage von Belegen an, Arbeitslosengeld zu beziehen. Im Rahmen einer weiteren am 21.1.2016 eingeleiteten Überprüfung stellte das Arbeitsgericht fest, dass der Kläger seit dem 2.11.2015 wieder in einem Arbeitsverhältnis steht und einen Bruttomonatslohn in Höhe von 2.046,00 EUR (= 1.510,96 EUR netto) erhält.



    Ohne den Kläger zuvor zu der beabsichtigten Aufhebung anzuhören, hob das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 29.6.2016 die Prozesskostenhilfebewilligung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO mit der Begründung auf, der Kläger habe dem Gericht entgegen § 120a Abs. 2 Sätze 1 - 3 ZPO die wesentliche Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse nicht mitgeteilt.



    Gegen diesen ihm über seine Prozessbevollmächtigten am 4.7.2016 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 28.7.2016 Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, einzusetzendes Einkommen sei nicht vorhanden.



    Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 4.11.2016) und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.



    II.



    Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet.



    Das Arbeitsgericht durfte die dem Kläger bewilligte Prozesskostenhilfe nicht gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufheben, ohne Feststellungen zum qualifizierten Verschulden des Klägers in Form der Absicht oder der groben Nachlässigkeit zu treffen.



    Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei die wesentliche Verbesserung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Voraussetzung für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung ist somit, dass der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht absichtlich oder auf grober Nachlässigkeit beruhte.



    Gemäß § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO hat die Partei dem Gericht innerhalb des vierjährigen Zeitraums nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens (§ 120 a Abs. 1 Satz 4 ZPO) jede wesentliche Änderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuteilen. Was eine wesentliche Einkommensverbesserung ist, definiert § 120 a Abs. 2 ZPO. Eine Verbesserung in diesem Sinne liegt ab einer Erhöhung des Bruttoeinkommens von monatlich 100 EUR vor, sofern diese nicht nur einmalig ist. Über diese Verpflichtung wird die antragstellende Partei mit der Antragstellung bereits im Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, dort unter Ziffer K, fettgedruckt, hingewiesen. Ein entsprechender Hinweis erfolgt zudem im Hinweisblatt zum Formular für die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe.



    Der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit Beschluss vom 19.10.2016



    (-8 AZB 23/16-) entschieden, dass § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO dahin auszulegen ist, dass es für die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nicht ausreicht, wenn die Partei dem Gericht eine wesentliche Verbesserung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Änderung der Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Vielmehr ist auch im Fall der Nichtmitteilung der geforderten Angaben ein qualifiziertes Verschulden der Partei in Form der Absicht oder der groben Nachlässigkeit erforderlich. Die Partei muss demnach eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt haben. Die Beschwerdekammer schließt sich den Ausführungen des 8. Senats zur Auslegung der Vorschrift an (BAG 29.10.2016 - 8 AZB 23/16 - Rn. 14 ff. [...]).



    Allein aus dem Umstand, dass der Kläger dem Gericht bis Januar 2016 nicht mitgeteilt hat, dass er seit November 2015 wieder in einem Arbeitsverhältnis steht, kann nicht auf grobe Nachlässigkeit geschlossen werden.



    Die Partei, die Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt und darüber hinaus auf ihre Mitteilungspflichten nach § 120 a Abs. 2 ZPO hingewiesen worden ist, handelt nicht schon dann grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenden Verpflichtungen schlicht vergisst oder ihnen nicht nachkommt (BAG aaO, Rn 26). Die Verschuldensanforderung der groben Nachlässigkeit im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO verlangt mehr als leichte Fahrlässigkeit, nämlich eine besondere Sorglosigkeit. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspricht dem der groben Fahrlässigkeit. Danach handelt grob nachlässig nur derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich daher bei einem grob nachlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Verhalten handeln, dass ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BAG aaO; siehe auch BGH 11.7.2007 - XII ZR 197/05 -). Der Grad der Fahrlässigkeit bestimmt sich unter Abwägung aller objektiven und subjektiven Umstände. Von Bedeutung kann im Hinblick auf die hier in Rede stehende Mitteilungspflicht auch sein, ob die Partei anderweitige Maßnahmen getroffen hat um sicherzustellen, dass dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse bekannt werden. Will die Partei sich auf solche Umstände berufen, muss sie diese substantiiert vortragen.



    Entgegen der Ansicht des Klägers scheidet eine Anwendung von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht bereits dann aus, wenn sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Partei nicht in einem Umfang verbessert haben, der eine Änderung des Bewilligungsbeschlusses gebietet (BAG aaO. Rn. 30). Denn § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO knüpft die Mitteilungspflicht nicht daran, dass die Verbesserung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse tatsächlich zu einer abändernden Entscheidung führt oder geführt hätte, sondern nur daran, ob sie wesentlich ist. Das ist - wie oben dargelegt - der Fall.



    Die Sache ist (ausnahmsweise) an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 572 Abs. 3 ZPO). Eine Zurückverweisung ist möglich, wenn das Ausgangsgericht einen schweren Verfahrensverstoß begangen hat. Das war hier der Fall. Denn das Arbeitsgericht hat den Kläger vor Aufhebung der Prozesskostenhilfe nicht angehört. Vielmehr hat es den Kläger mit zahlreichen Verfügungen aufgefordert, weitere Belege zu seinen Angaben im Erklärungsvordruck beizubringen. Das Arbeitsgericht hätte dem Kläger vor Aufhebung der Prozesskostenhilfe Gelegenheit geben müssen, dazu vorzutragen, warum er nicht mitgeteilt hat, dass er seit November 2015 wieder in einem Arbeitsverhältnis steht. Das Arbeitsgericht wird unter Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte im Rahmen des von ihm zu führenden Nachprüfungsverfahrens prüfen, ob Umstände vorliegen, die eine grobe Nachlässigkeit oder Absicht des Klägers bei Verletzung der Mitteilungspflicht begründen.

    Vorschriften§ 124 Abs. 1 ZPO, § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, § 120a Abs. 2 Sätze 1 - 3 ZPO, § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 120 a Abs. 1 Satz 4 ZPO, § 120 a Abs. 2 ZPO, § 572 Abs. 3 ZPO