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  • · Fachbeitrag · Betriebsbedingte Kündigung

    Kündigungsschutz nach Entlassungsverlangen des Betriebsrats

    von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA ArbR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

    | Ist einem ArbG auf Antrag des Betriebsrats in einem Verfahren nach § 104 S. 2 BetrVG rechtskräftig aufgegeben worden, einen ArbN zu entlassen, liegt für eine ordentliche Kündigung dieses ArbN ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG vor. |

     

    Sachverhalt

    Der ArbG betreibt ein Versicherungsunternehmen. Die ArbN war dort langjährig als Sachbearbeiterin beschäftigt. Ende April 2015 forderte der Betriebsrat den ArbG auf, die ArbN zu entlassen. Hilfsweise sollte sie versetzt werden.

     

    Hintergrund dieses Entlassungsverlangens waren Zerwürfnisse zwischen der ArbN und anderen Kollegen. Konkret verwies der Betriebsrat auf Vorfälle, die sich zwischen der ArbN und ihren Arbeitskollegen im Oktober 2014 und Januar 2015 ereignet haben. Der ArbG kam dem Entlassungsverlangen nicht nach. Der Betriebsrat leitete dann ein Beschlussverfahren nach § 104 S. 2 BetrVG ein. Die ArbN wurde in dem Beschlussverfahren gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG ordnungsgemäß angehört. Im Ergebnis gab das Arbeitsgericht dem ArbG daraufhin antragsgemäß auf, die ArbN „zu entlassen“. Der ArbG kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30.6.16. Dagegen wandte sich die ArbN. Sie ist der Ansicht, es läge weder ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vor, noch sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG.

     

    Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, soweit sie darauf gerichtet war, festzustellen, dass die ordentliche Kündigung unwirksam war (LAG Düsseldorf, 13.6.16, 9 Sa 233/16). Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung bestätigten die Richter dagegen.

     

    Entscheidungsgründe

    Das BAG (28.3.17, 2 AZR 551/16, Abruf-Nr. 193116) wies die von beiden Parteien eingelegten Revisionen zurück und bestätigte das Berufungsurteil.

     

    Die Entscheidung des Arbeitsgerichts entfalte sowohl zwischen den Parteien als auch zur ArbN Rechtskraft. Danach sei sie zu entlassen gewesen. Aus dem arbeitsgerichtlichen Beschluss sei ein dringendes betriebliches Erfordernis nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG für die ordentliche Kündigung erwachsen. Dagegen sei dem ArbG durch den Beschluss nicht die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgegeben worden. Daher sei die ausgesprochene fristlose Kündigung unwirksam gewesen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Nach § 104 BetrVG kann der Betriebsrat vom ArbG die Entlassung oder Versetzung verlangen, wenn ein ArbN durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört hat. Dieser Anspruch des Betriebsrats kann mittels Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld arbeitsgerichtlich durchgesetzt werden.

     

    In der Praxis fristet diese Regelung eher ein Schattendasein. Es kommt selten vor, dass ein Betriebsrat die Kündigung oder Versetzung eines ArbN fordert. ArbG und Betriebsrat sind daher gleichermaßen verpflichtet, die Wahrung des Betriebsfriedens zu überwachen. Der Betriebsrat hat durch den Kündigungsanspruch nach § 104 BetrVG ein letztes Mittel an der Hand, diesem Auftrag gerecht zu werden. Als eine solche Ultima Ratio ist § 104 BetrVG zu begreifen. Liegen dessen Voraussetzungen vor, hat der ArbG die geforderte Kündigung (oder Versetzung) auszusprechen. Im Streitfall steht dem Betriebsrat das Beschlussverfahren offen. Die dort ergangene Entscheidung des Arbeitsgerichts ist dann für alle Beteiligten bindend, da der betroffene ArbN in das Verfahren einbezogen ist. Individualrechtlich ergibt sich hieraus eine Rechtfertigung der Kündigung. Der gekündigte ArbN ist im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens hinsichtlich etwaiger Einwände gegen ein betriebliches Erfordernis präjudiziert.

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • Massenentlassung - Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat: BAG in AA 16, 188
    • Zustimmungsersetzungsverfahren wegen Äußerungen eines Betriebsratsmitglieds: LAG Düsseldorf in AA 16, 62
    Quelle: Ausgabe 06 / 2017 | Seite 100 | ID 44695593