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  • · Fachbeitrag · Klagefrist

    Klagefrist und Fiktionswirkung der §§ 4, 7 KSchG gelten nicht bei einer Eigenkündigung des ArbN

    | Die Klagefrist gemäß § 4 S. 1 KSchG und die Fiktionswirkung des § 7 KSchG finden auf die Eigenkündigung eines ArbN keine Anwendung. |

     

    Sachverhalt

    Die ArbN war seit 1992 beim ArbG beschäftigt. Wegen einer paranoiden Schizophrenie wurde sie 2013 stationär behandelt. Danach war sie wieder arbeitsfähig. Mit Schreiben vom 6.3.15 kündigte sie das Arbeitsverhältnis. Der ArbG bestätigte drei Tage später die „fristgemäße Kündigung“ zum 30.9.15 und stellte die ArbN frei. Der ArbG informierte die Betreuerin im August über die Kündigung der ArbN. Im September 2015 übersandte die Betreuerin dem ArbG eine ärztliche Stellungnahme der Klinik. Darin hieß es, anhand des Krankheitsbilds und des Verlaufs gehe man „fest davon aus, dass zum Zeitpunkt der Kündigung krankheitsbedingt keine Geschäftsfähigkeit“ vorgelegen habe. Der Zustand der Patientin habe sich zwischenzeitlich gebessert, sodass sie wieder geschäftsfähig und in absehbarer Zeit arbeitsfähig sei. Die ArbN begehrte mit der Klage den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

     

    Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das LAG Berlin-Brandenburg gab ihr statt.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Revision des ArbG vor dem 2. Senat des BAG (21.9.17, 2 AZR 57/17, Abruf-Nr. 198362) war erfolgreich. Der Feststellungsantrag sei zulässig. Ob er auch begründet sei, stehe noch nicht fest.

     

    Eine Kündigungsschutzklage nach § 4 S. 1 KSchG könne keine Eigenkündigung des ArbN zum Gegenstand haben. Nach ihrem Wortlaut sei ein Verständnis nicht zwingend ausgeschlossen, wonach der ArbN die Klagefrist auch dann einhalten müsse, wenn er die Rechtsunwirksamkeit einer von ihm selbst erklärten Kündigung geltend machen will. Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck von § 4 S. 1 in Verbindung mit § 7 KSchG sprächen gegen eine Geltung der Klagefrist für Eigenkündigungen von ArbN.

     

    Der allgemeine Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1 KSchG beziehe sich ausschließlich auf Kündigungen „gegenüber einem Arbeitnehmer“ und damit auf arbeitgeberseitige Kündigungen. Nach § 7 KSchG gelte eine Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, wenn ihre Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig gemäß § 4 S. 1, §§ 5 und 6 KSchG geltend gemacht werde. Diese Rechtsfolge entspreche nur dann dem mit ihr verfolgten Sinn und Zweck, wenn die Wirksamkeit einer dem ArbG zurechenbaren Kündigung bei nicht rechtzeitiger Klageerhebung fingiert werde. Das Interesse des ArbG an einer schnellen Klärung auch der Wirksamkeit einer Eigenkündigung des ArbN erlaube kein anderes Verständnis der §§ 4, 7 KSchG. Eine analoge Anwendung von § 4 S. 1 KSchG auf Arbeitnehmereigenkündigungen scheide aus.

     

    Die ArbN habe das Recht, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem ArbG klageweise geltend zu machen, nicht nach den für eine Prozessverwirkung geltenden Grundsätzen verwirkt. Durch die Annahme einer prozessualen Verwirkung dürfe der Weg zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dafür seien im Streitfall weder tragfähige Umstände festgestellt worden, noch ergäben sie sich aus dem Parteivorbringen.

     

    Ob der Feststellungsantrag auch begründet sei, stehe noch nicht fest. Die ArbN habe das Recht nicht materiell verwirkt, sich auf die Nichtigkeit ihrer Eigenkündigung gemäß § 105 BGB zu berufen. Mit der angegebenen Begründung durfte das LAG nicht annehmen, die Kündigung der ArbN sei gemäߧ 105 Abs. 2 BGB wegen einer vorübergehenden Störung ihrer Geistestätigkeit nichtig. Seine darauf bezogene tatrichterliche Würdigung erweise sich als rechtsfehlerhaft. Hinzu komme, dass nach der Bescheinigung nicht ausgeschlossen sei, dass sich die Klinikärzte über die zutreffende Bedeutung des Rechtsbegriffs der Geschäftsunfähigkeit nicht hinreichend im Klaren waren. Ob tatsächlich eine dauerhafte Störung bescheinigt werden sollte und nicht „lediglich“ eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 105 Abs. 2 BGB, sei nach der Stellungnahme zumindest unsicher.

     

    Das LAG durfte den Ausschluss des freien Willens durch eine vorübergehende Geistesstörung nicht allein aufgrund der ärztlichen Stellungnahme als erwiesen ansehen. Die Stellungnahme bescheinige keinen medizinischen Befund. Anders als bei der gemäß § 5 Abs. 1 EFZG vorgesehenen ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kenne das Gesetz keine „ärztliche Geschäftsunfähigkeitsbescheinigung“. Welche medizinischen Umstände im Hinblick auf den Geisteszustand der ArbN im März gegeben waren, ergebe sich aus der ärztlichen Stellungnahme jedoch nicht. Nach dieser sei zudem unklar, ob mit der Angabe, man gehe „fest davon aus“, bei der ArbN sei am 6.3.15 krankheitsbedingt keine Geschäftsfähigkeit gegeben gewesen, tatsächliche, medizinische Erkenntnisse bestätigt werden sollten oder nur eine nach ärztlichem Dafürhalten möglicherweise hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein entsprechender medizinischer Sachverhalt zu diesem Zeitpunkt tatsächlich vorgelegen habe.

     

    Quelle: Ausgabe 01 / 2018 | Seite 4 | ID 45055750