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  • 31.08.2010 | Fristlose Kündigung

    Verkennung einer Notsituation: Keine Kündigung trotz pflichtwidrigen Unterlassens von Hilfe

    Einem langjährig beschäftigen ArbN, der mit der Betreuung und Beaufsichtigung von Internatsgästen betraut ist, kann im Einzelfall nicht wirksam fristlos gekündigt werden, wenn er zwar einer Internats- bewohnerin Hilfe hätte leisten müssen, jedoch guten Glaubens einen Sachverhalt unterschätzt und deshalb nichts bzw. zu wenig unternommen hat (LAG Schleswig-Holstein 16.6.10, 3 Sa 144/10, Abruf-Nr. 102486).

     

    Sachverhalt

    Der nicht pädagogisch ausgebildete ArbN war seit 1981 in dem vom ArbG betriebenen Bildungszentrum mit angeschlossenem Internat beschäftigt und mit der Beaufsichtigung sowie Betreuung der Internatsgäste betraut. Wegen seiner langen Betriebszugehörigkeit war er ordentlich unkündbar. Er arbeitete stets unbeanstandet. Im Oktober 2009 hatte er zusammen mit einer weiblichen Kollegin Nachtdienst. In dieser Nacht kam es zu einem sexuellen Übergriff auf eine damals knapp 17-jährige Internatsbewohnerin durch einen betrunkenen Schüler einer benachbarten Schule. Der Schülerin gelang es, in ihr Zimmer zu flüchten und den sie verfolgenden Mann mit Hilfe ihrer Zimmermitbewohnerinnen auszusperren. Auf den ersten Notruf, dessen Inhalt unklar geblieben ist, erschien der ArbN nicht. Nach einem weiteren suchte er das Zimmer auf, empfahl nur, sich schlafen zu legen, das Zimmer von innen zu verriegeln und am nächsten Morgen alles Weitere zu klären. Dann ließ er die drei Bewohnerinnen allein. Für sich klärte er noch die Identität des Schülers. Weiteres veranlasste er in dieser Nacht nicht. Wie weit der sexuelle Übergriff ging, war nicht Gegenstand des arbeitsgerichtlichen Verfahrens. Der ArbG kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos.  

     

    Entscheidungsgründe

    Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Berufung des ArbG hatte keinen Erfolg. Der ArbN habe zwar durch sein zögerliches Handeln verschiedene Vertragspflichten verletzt. Die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei aber keine angemessene Reaktion. Bei der Interessenabwägung seien das Lebensalter (55 Jahre) und auch die lange, unbeanstandete Betriebszugehörigkeit, durch die der ArbN ein hohes Maß von Vertrauen aufgebaut habe, von Bedeutung. Es müsse aber auch berücksichtigt werden, dass er die Schwere des Vorfalls nicht richtig erkannt und den Sachverhalt unterschätzt habe. Die Kette der Pflichtverletzungen sei als einheitliches Geschehen auch einheitlich zu gewichten. Eine Abmahnung sei in diesem Fall als milderes Mittel ausreichend gewesen.  

     

    Weiterführender Hinweis

    • Informationen zu verhaltensbedingten Kündigungsgründen:
    • Rechtsprechungsübersicht: Private Internetnutzung in AA 10, 114
    • Bedrohung von Kollegen in AA 10, 26