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· Fachbeitrag · Agenturvertrag

Scheinanträge berechtigen den Versicherer zur fristlosen Verdachtskündigung des Vertreters

| Das Einreichen von Scheinanträgen ist kein Kavaliersdelikt. Der Versicherer kann den Agenturvertrag fristlos kündigen, sobald sich ein solcher Verdacht erhärtet. Das gilt auch dann, wenn der Vertreter die Anträge auf den Hinweis eines Tippgebers hin eingereicht haben will. Das lehrt eine Entscheidung des OLG München. |

Fingierte Geschäfte

Ein Vertreter reichte Mitte August und Mitte September 2013 online auf dem POA-Weg (Policierung ohne Antrag) insgesamt 16 Versicherungsverträge ein. Nachdem diese vollautomatisch - also ohne individuelle Prüfung - policiert wurden (Dunkelpolicierung), erhielt er Provisionsvorschüsse in Höhe von fast 60.000 Euro.

 

Das Problem: Die angegebenen Versicherungsnehmer existierten nicht. Aufgrund von zahlreichen Gesprächen zwischen Versicherer und Vertreter erhärtete sich schließlich der Verdacht, dass die Geschäfte fingiert waren. Der Vertreter gab an, die Geschäfte aufgrund eines ihm bekannten Tippgebers ungeprüft angenommen und eingereicht zu haben. Er weigerte sich jedoch, den Namen des Tippgebers zu nennen, den angeblichen E-Mail-Verkehr mit ihm vorzulegen bzw. gegen ihn Strafanzeige zu erstatten.

 

Die Folge: Der Versicherer kündigte dem Vertreter außerordentlich fristlos. Zu Recht, so das OLG München (Urteil vom 16.4.2015, Az. 23 U 3932/14, Abruf-Nr. 144878).

Verdacht eines Vertrauensbruchs reicht als wichtiger Grund

Das OLG setzt die Schwelle für eine fristlose Kündigung niedrig an: Schon der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens kann einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung eines Vertretervertrags begründen. Voraussetzung ist,

  • dass der Verdacht hinreichend erhärtet und
  • daraus resultierend das Vertrauensverhältnis zwischen Unternehmer und Vertreter zerstört ist.

 

Wichtig | Bereits der Verdacht eines Vertrauensbruchs genügt. Der Verdacht eines strafbaren Tuns ist nicht erforderlich. Deshalb ist es auch für die Verdachtskündigung ohne Belang, dass der Vertreter bislang noch nicht wegen Betrugs verurteilt worden ist. Eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigung war dem Versicherer wegen des Verdachts einer vorsätzlichen Schädigung durch den Vertreter nicht zumutbar gewesen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Vertreter aufgrund der Scheinanträge erhebliche Provisionsvorschüsse erhalten hat.

Abmahnung nicht erforderlich

Eine Abmahnung (§ 314 Abs. 2 S. 2 BGB) hält das OLG in diesem Fall für entbehrlich: Das Fehlverhalten des Vertragspartners habe die Vertrauensgrundlage in so schwerwiegender Weise erschüttert, dass diese auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könne. Dies sei angesichts der Schwere des Verdachts der Fall.

Kündigung nach angemessener Überlegungsfrist

Der Versicherer hat nach Ansicht des OLG die außerordentliche Kündigung auch rechtzeitig ausgesprochen (§§ 89a Abs. 1, 92 Abs. 2 HGB).

 

Angemessene Überlegungsfrist

Der Versicherer darf angemessen lang überlegen, bevor er kündigt. Wie lange er überlegen darf, richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Die Zwei-Wochen-Frist in § 626 Abs. 2 BGB greift hier nicht. Die Überlegungsfrist muss jedoch regelmäßig kürzer sein als zwei Monate. Ein zweimonatiges Zuwarten könne in der Regel nicht mehr

  • als angemessene Zeitspanne zur Aufklärung des Sachverhalts und
  • zur Überlegung der hieraus zu ziehenden Folgerungen angesehen werden.

 

Wichtig | Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn der Versicherer sichere Kenntnis vom Kündigungsgrund hat.

 

Keine Verfristung

Der Versicherer hatte den Vertreter unter Fristsetzung aufgefordert, Beweise vorzulegen, um dem ihm zur Last gelegten Betrugsvorwurf zu entkräften. Nachdem die Frist um mehr als einen Monat verstrichen war und der Vertreter nichts unternommen hatte, kündigte der Versicherer. Diesen Überlegenszeitraum von gut einem Monat hielt das OLG für angemessenen.

 

PRAXISHINWEIS | Kündigt der Versicherer Ihnen fristlos, lassen Sie sich in der Situation unbedingt anwaltlich beraten. Denn richtiges Taktieren ist gefragt. Es kann angezeigt sein, dass Sie die Kündigung unverzüglich als unberechtigt zurückweisen. Denn die fristlose Kündigung - und damit der Verlust des Ausgleichanspruchs - steht und fällt mit dem wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 89a HGB. Auch kann es ratsam sein, dass Sie die Kündigung des Versicherers sofort mit einer fristlosen Gegenkündigung quittieren und so den Schwebezustand beenden.

 

Weiterführende Hinweise

  • Beitrag „Versicherer muss in vielen Fällen vor fristloser Kündigung des Agenturvertrags abmahnen“, WVV 2/2013, Seite 5
  • Beitrag „So prüfen Sie die Kündigung und wehren sich erfolgreich gegen den Versicherer“, WVV 9/2010, Seite 5
  • Beitrag „Konkurrenztätigkeit ist ausnahmsweise kein fristloser Kündigungsgrund“, WVV 5/2010, Seite 8
  • Beitrag „Kein AVAD-Eintrag bei bloßem Verdacht auf Urkundenfälschung“, WVV 9/2009, Seite 5
Quelle: Ausgabe 09 / 2015 | Seite 5 | ID 43513070