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· Fachbeitrag · Haftung

Bei wissentlicher Pflichtverletzung: Vermittler von Finanzdienstleistungen ohne Versicherungsschutz

von Holger Sassenbach, Brase & Collegen AG, München

| Ist eine Beratung nicht anleger- und objektgerecht, steht der Vermittler von Finanzdienstleistungen ohne Versicherungsschutz da. Denn die Pflichtverletzung geschieht wissentlich im Sinne des Deckungsausschlusses für „wissentliche Pflichtverletzungen“ in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (VSH). Das hat das OLG Frankfurt klargestellt. Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für die Praxis. |

Streit um Versicherungsschutz aus VSH

Eine GmbH, die als selbstständige Vermittlerin von Finanzdienstleistungen tätig ist, klagte gegen ihren Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer auf Versicherungsschutz.

 

Haftungsfall für Vermittlerin von Finanzdienstleistungen

Die Vermittlerin selbst war 2010 rechtskräftig verurteilt worden, Schadenersatz in Höhe von 13.875,73 Euro nebst Zinsen an einen ihrer Kunden zu zahlen. Diesem Kunden hatte sie im Jahr 2002 als unabhängige Beraterin in Vermögens- und Anlagefragen die Beteiligung an einer Gesellschaft empfohlen, die ihrerseits in Immobilien, Investmentfonds und sonstige Anlageformen investierte.

 

Diese Beteiligungsgesellschaft hatte mit einem Verkaufsprospekt einen „Vermögensaufbauplan“ entwickelt, der mit dem Zusatz „Sicherheit von Dauer“ versehen war. Der Kunde hatte sich als Treugeber beteiligt und einen finanziellen Schaden erlitten.

 

Im Haftungsprozess gelangte das Gericht zu der Überzeugung, dass die jetzige Vermittlerin den damaligen Kunden falsch beraten habe, weil sie das Anlagerisiko unter Vorlage dieses „Vermögensaufbauplanes“ verharmlosend dargestellt habe.

 

Deckungsprozess gegen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer

Die Vermittlerin wurde daher zum Schadenersatz verurteilt. Sie verlangt nun von ihrem Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer die Erstattung

  • der Schadensumme in Höhe von 13.620,85 Euro,
  • der Kosten des Haftpflichtprozesses in Höhe von 7.794,37 Euro sowie
  • der außerprozessual entstandenen Kosten für die Geltendmachung des Versicherungsschutzes.

 

Weil der Versicherer sich weigerte zu zahlen, klagte die Vermittlerin. Das LG Wiesbaden hat die Klage in der ersten Instanz abgewiesen, weil kein Versicherungsschutz gegeben sei (LG Wiesbaden, Urteil vom 26.4.2012, Az. 9 O 289/11).

 

  • So sei zum einen die Vermittlerin wegen fehlerhafter Anlageberatung verurteilt worden, während sich der Versicherungsschutz auf die fehlerhafte Anlagevermittlung beziehe. Diese Unterscheidung sei auch wirksam und hätte von der Vermittlerin als Fachunternehmen erkannt werden können.

 

  • Darüber hinaus sei auch die Prospekthaftung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen: Einen solchen Prospekt habe die Vermittlerin aber mit ihrem „Vermögenaufbauplan“ in Umlauf gebracht. Nicht erforderlich sei, dass sie aus der Prospekthaftung in Anspruch genommen worden sei.

 

  • Des Weiteren habe die Vermittlerin eine Risikoüberprüfung unterlassen, weil sie die Beteiligungen nicht gehörig geprüft habe. Schließlich habe sie wissentlich ihre Pflichten verletzt. Denn der „Vermögensaufbauplan“ sei bewusst und gewollt an den Anleger gegeben worden, obwohl er nur als Berechnungsbeispiel und nur für den internen Gebrauch gedacht war. Zusätzlich habe die Vermittlerin damit ein Papier ausgehändigt, das Sicherheit auf Dauer suggeriere, die in Wahrheit nicht gegeben war.

 

Wichtig | Diesen letzten Vorwurf der wissentlichen Pflichtverletzung greift das OLG Frankfurt in der Berufungsinstanz auf. Es bestätigt die Entscheidung des LG Wiesbaden, weil der Sachverhalt einem der in den AVB enthaltenen Risikoausschlüssen unterfällt: die „sonstige wissentliche Pflichtverletzung“ (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.6.2013, Az. 3 U 159/12; Abruf-Nr. 133576).

 

  • Eine Pflicht habe die Vermittlerin verletzt, indem ihr Geschäftsführer den Flyer „Vermögensaufbauplan“ mit der Werbung „Sicherheit auf Dauer“ vorgelegt und den Anschein erweckt habe, die Anlage sei sicher, obwohl es sich in Wahrheit um eine Unternehmensbeteiligung handelte, die mit wirtschaftlichen Risiken verbunden war. Nicht entscheidend sei, dass der Flyer möglicherweise versehentlich zu den Unterlagen gelangt sei. Denn allein die Kenntnis, dass der Flyer in den Unterlagen vorhanden war, reiche aus, die Pflicht zur ordnungsgemäßen Beratung wissentlich verletzt zu haben.

 

  • Aus dem zugrunde liegenden Schadenersatzprozess stehe bindend fest, dass der Anleger die Beteiligung nicht gezeichnet hätte, wenn er die Unsicherheit gekannt hätte. Damit stehe fest, dass die Anlage weder anleger- noch objektgerecht war. In diesen Fällen einer Abweichung könne regelmäßig darauf geschlossen werden, dass die Pflichtverletzung wissentlich geschah.

 

  • Nicht entscheidend sei daher, ob der Versicherungsschutz möglicherweise auch deswegen zu versagen war, weil die fehlerhafte Anlageberatung gar nicht dem versicherten Risiko unterfalle oder gar andere wie die in den Bedingungen genannten Risikoausschlüsse zum Tragen kommen.

 

Die Vermittlerin hat auf diese Hinweise des OLG Frankfurt ihre Berufung gegen das Urteil des LG Wiesbaden zurückgenommen. Die Klageabweisung hat damit Bestand. Die Vermittlerin hat keinen Versicherungsschutz.

 

Wichtige Bedeutung des Urteils für die Praxis

Der Fall zeigt die typischen Facetten eines Schadensfalls aus der Vermögenschaden-Haftpflichtversicherung auf, wenn ein Versicherungsnehmer wissentlich gegen ihm auferlegte Pflichten verstößt: Es geht nicht nur um die wissentliche Pflichtverletzung als Ausschlusstatbestand, sondern auch um die Zurechnung derselben, wenn jemand anders als der Versicherungsnehmer die Pflicht verletzt.

 

Ungeachtet dessen gibt es Entwicklungen in der aktuellen Rechtspolitik, bei denen die wissentliche Pflichtverletzung mitversichert sein muss.

 

Wissentliche Pflichtverletzung

Dieser Versicherung lagen Allgemeine Versicherungsbedingungen aus dem Jahr 2001 zugrunde.

 

  • 1. Die damals - und heute nach wie vor übliche - Fassung der am Markt gängigen Versicherungsbedingungen sieht vor, dass Haftpflichtansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind.

 

  • 2. Der Tatbestand der wissentlichen Pflichtverletzung ist erfüllt, wenn der Versicherungsnehmer
    • a) die Pflicht zu einem bestimmten Handeln hat, sei es durch Gesetz oder Auftrag oder Weisung des Mandanten, und
    • b) diese Pflicht ebenso wie deren Verletzung positiv kennt und
    • c) das Bewusstsein hat, pflichtwidrig zu handeln und die Pflichtverletzung schließlich ursächlich für den Schaden war.
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  • 3. Nicht erforderlich ist, dass ein Versicherungsnehmer vorsätzlich handelt. Das wäre nach § 103 VVG ohnehin nicht versichert. Für die „wissentliche Pflichtverletzung“ reicht es vielmehr, dass er eine Pflicht wissentlich verletzt. Der Versicherungsnehmer muss den schädigenden Erfolg auch nicht als möglich vorhersehen oder gar billigend in Kauf nehmen.
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  • Wichtig | Damit ist diese Regelung enger als die des § 103 VVG und vom Versicherer leichter zu beweisen, was für den Versicherungsnehmer nachteilig sein kann. Sie wird aber gleichwohl in ständiger Rechtsprechung als wirksam angesehen.
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  • 4. Bis zum Nachweis der wissentlichen Pflichtverletzung muss der Versicherer Versicherungsschutz zur Verfügung stellen. Daher finden sich in vielen Versicherungsbedingungen heutzutage - lediglich klarstellende - Formulierungen, wonach der Versicherer Versicherungsschutz zur Verfügung stellt, bis über die wissentliche Pflichtverletzung rechtskräftig entschieden ist.

 

PRAXISHINWEISE | Ist der Versicherungsnehmer - wie im Urteilsfall - eine juristische Person, ist darauf zu achten, wer die Pflicht wissentlich verletzt hat. Daraus können sich unterschiedliche Konsequenzen für den Versicherungsschutz ergeben.

 
  • 1. Handeln Organe oder Repräsentanten und verletzen sie die Pflicht wissentlich, so ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen.
  • 2. Handeln Angestellte oder freie Mitarbeiter, so besteht in der Regel der Versicherungsschutz, zumindest dem Geschädigten gegenüber. Die Versicherer behalten sich in der Regel den Rückgriff gegen die handelnde Person vor. Dabei unterliegt der Rückgriff gegen Angestellte den Grundsätzen der Haftungsmilderung im Arbeitsverhältnis, wie sie von der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung entwickelt wurden. Denn der Rückgriff des Versicherers geht nicht weiter als der Anspruch des Arbeitgebers/Versicherungsnehmers aus dem Dienstverhältnis. Daraus folgt aber auch, dass der freie Mitarbeiter uneingeschränkt für die Folgen seiner wissentlichen Pflichtverletzung haftet, weil er sich nicht auf ein Arbeitsverhältnis berufen kann.
  • 3. Die Versicherungswirtschaft hält immer noch Konzepte vor, in denen der Rückgriff gegen freie Mitarbeiter nicht beschränkt ist auf die Fälle wissentlicher Pflichtverletzung, sondern dem Wortlaut nach bei jeder Pflichtverletzung des freien Mitarbeiters gelten kann. Dieser läuft Gefahr, für jeden eigenen Fehler haften zu müssen, und das uneingeschränkt. Das gilt es zu vermeiden, anzupassen und zu verbessern - durch sorgfältige Prüfung der Versicherungsbedingungen.
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Ist der Versicherungsnehmer dagegen eine Personengesellschaft oder eine natürliche Person, so bleibt der Versicherungsschutz bestehen, solange nicht Gesellschafter/Mitinhaber eine Pflicht wissentlich verletzen. Bei einem Handeln sonstiger Personen gilt das oben Gesagte entsprechend, das heißt der Rückgriff gegen Angestellte und/oder freie Mitarbeiter bleibt in der Regel möglich, so dass die Versicherungsbedingungen auch dann sorgfältig geprüft werden sollten.

 

Neue Regeln seit dem 19. Juli 2013 für Rechtsanwälte

Seit dem 19. Juli 2013 muss die wissentliche Pflichtverletzung mitversichert sein und kann nicht mehr zum Ausschluss des Versicherungsschutzes führen. Dies gilt allerdings nur im Bereich der Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte und dort auch nur bei der Berufsausübung in Form einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB) und der Rechtsanwaltsgesellschaft (RA-GmbH). Begründet wurde dies vom Gesetzgeber mit der Notwendigkeit des Verbraucherschutzes, denn der Verbraucher erleide Nachteile als Geschädigter, wenn der Versicherer wegen einer wissentlichen Pflichtverletzung den Versicherungsschutz versage und der Verbraucher keinen Anspruch gegen den Versicherungsnehmer aus vorsätzlichem Handeln nachweisen könne.

 

Wichtig | Warum diese Interessenlage nur bei den Rechtsanwälten und dort auch nur bei bestimmten Formen der Berufsausübung gegeben sein soll, bleibt unklar. Es bleibt daher abzuwarten, ob der Gesetzgeber diesen Gedanken auch in andere Berufshaftpflichtversicherungen überträgt.

 

FAZIT | Die wissentliche Pflichtverletzung kann nach wie vor für unliebsame Überraschungen beim Schutz aus der Berufshaftpflichtversicherung sorgen. Die Voraussetzungen müssen vom Versicherer zweifelsfrei nachgewiesen werden. Dies gilt insbesondere für die handelnden Personen. Bei den Rechtsanwälten kann und muss die wissentliche Pflichtverletzung unter Umständen mitversichert werden. Ob das auch für Vermittler und andere Berufsgruppen Geltung erhält, bleibt abzuwarten.

 
Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 13 | ID 42717670