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· Fachbeitrag · Unfallschadenregulierung

Die wichtigsten BGH-Urteile zum Kfz-Unfallschadenrecht aus dem Jahr 2013 im Überblick

von Rechtsanwalt Joachim Otting, Hünxe

| 2013 hat der BGH eine Reihe wichtiger Urteile für das Kfz-Schadengeschäft gefällt. Im Fokus stehen der Anspruch des Geschädigten auf einen Mietwagen und dessen Ausstattung, die Nutzungsausfallentschädigung, die fiktive Abrechnung, die Erstattung der Mehrwertsteuer bei Inzahlungnahme eines Unfallfahrzeugs, das Recht des Geschädigten, auf das Gutachten zu warten, sowie der Anspruch der Kfz-Werkstatt auf Standgeld. |

Mietwagen

In drei Urteilen hat sich der BGH mit der Ausstattung und mit dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung der Mietwagenkosten auseinandergesetzt:

 

Preisaufschlag für Winterreifen bei Mietwagen

Dass Mietwagen bei winterlichen Straßenverhältnissen mit Winterreifen ausgerüstet sein müssen, bedeutet nicht, dass der Unfallgeschädigte dafür keinen Aufpreis akzeptieren darf. Der Versicherer muss die Kosten ersetzen.

 

Manche Gerichte empörten sich, dass Autovermieter für eine „Pflichtausrüstung“ einen Aufpreis berechnen. Andere sind der Auffassung, dass die Ausrüstung mit Winterreifen Kosten mit sich bringt, die weit über den Reifenpreis hinausgehen. Darauf kommt es aber nicht an, wenn es branchentypisch ist, dass Winterreifen einen Mietpreiszuschlag mit sich bringen. Dann kann der Unfallgeschädigte nur zu diesen Konditionen anmieten, entschied der BGH (Urteil vom 5.1.2013, Az. VI ZR 245/11; Abruf-Nr. 131350).

 

PRAXISHINWEIS | Die Marktgegebenheiten haben sich seit dem Anmietzeitpunkt im BGH-Urteil verändert. Einige große Vermieter berechnen keinen Aufpreis mehr. Das heißt letztlich, dass es auf die Situation am lokalen Markt ankommt, ob der Unfallgeschädigte einen Aufpreis akzeptieren darf.

 

Mietwagen für weniger als 20 km/Tag im Ausnahmefall

Der BGH hat geklärt: Zwar mag für die Frage der Erforderlichkeit der Mietwagennutzung die Faustregel „20 km pro Tag“ gelten. Doch gibt es Fälle, bei denen es für den Unfallgeschädigten auf die ständige Verfügbarkeit eines Mietwagens ankommt (BGH, Urteil vom 5.2.2013, Az. VI ZR 290/11; Abruf-Nr. 130926).

 

In diesem Sinne haben zwei Amtsgerichte dem Unfallgeschädigten die Mietwagenkosten auch bei weniger als 20 km Fahrleistung pro Tag zugesprochen:

 

 

  • Das AG Aachen (Urteil vom 21.1.2010, Az. 113 C 207/09; Abruf-Nr. 100812). Dort ging es um einen Schwerbehinderten, der in ländlicher Gegend lebte und den Mietwagen im Durchschnitt 14 km pro Tag nutzte. 

 

Gleiches würde wohl gelten, wenn sich ein Arzt in Rufbereitschaft oder eine Familie mit einem unter Anfällen leidenden Kind einen Mietwagen vor die Haustür stellen würde, um im Ernstfall schnellstmöglich in die Klinik zu gelangen. Auch der Leiter der örtlichen Feuerwehr braucht einen Mietwagen, um rechtzeitig am Einsatzort sein zu können.

 

PRAXISHINWEIS | In den Fällen geringer Nutzung muss der Unfallgeschädigte im Streitfall - am besten vertreten von seinem Anwalt - vortragen lassen, warum der Mietwagen unbedingt gebraucht wurde.

 

Kein Abzug für Eigenersparnis bei „eine Klasse kleiner“

Der BGH hat bestätigt: Wenn der Unfallgeschädigte einen Mietwagen nimmt, der eine Klasse kleiner ist als das beschädigte Fahrzeug, darf der eintrittspflichtige Versicherer keinen Abzug wegen Eigenersparnis vornehmen (BGH, Urteil vom 5.3.2013, Az. VI ZR 245/11; Abruf-Nr. 131350).

 

Beachten Sie | Damit hat der BGH bestätigt, was die Instanzgerichte überwiegend längst zur Regel erklärt haben.

Nutzungsausfallentschädigung

Der BGH hat die Frage beantwortet, ob ein Unfallgeschädigter Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung haben kann, wenn er einen Mietwagen genommen hat, der aber wegen zu geringer Nutzung nicht ersatzfähig ist, oder wenn er ein Fahrzeug eines Angehörigen nutzen konnte.

 

Nutzungsausfallentschädigung statt Mietwagenkosten

Hat der Unfallgeschädigte einen Mietwagen genommen, der aber schadenrechtlich nicht erforderlich war, weil er ohne nachvollziehbaren und schutzwürdigen Grund nur wenige Kilometer damit gefahren ist, kann er hilfsweise Nutzungsausfallentschädigung verlangen.

 

Im BGH-Fall hat der Geschädigte das Auto nur für 6 km pro Tag genutzt. Die Vorinstanz hat das für zu wenig gehalten. Gleichzeitig hat die Vorinstanz aber den hilfsweise gestellten Antrag auf Verurteilung der Versicherung zur Zahlung von Nutzungsausfallentschädigung zurückgewiesen. Die Begründung: Der Geschädigte hatte ja ein Fahrzeug, nämlich den (gegebenenfalls von ihm selbst zu zahlenden) Mietwagen. So geht es nicht, entschied der BGH. Der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung ist dann der Auffanganspruch (BGH, Urteil vom 5.2.2013, Az. VI ZR 290/11; Abruf-Nr. 130926).

 

Wichtig | Die Zeit, für die der Unfallgeschädigte Nutzungsausfall verlangen kann, ist nicht allein die tatsächliche Reparaturzeit. In der Regel kommt ein Zuschlag für die Überlegungszeit hinzu, innerhalb der der Geschädigte entscheidet, ob er reparieren lässt oder ein anderes Fahrzeug anschafft.

 

„Papas Auto“ und trotzdem Nutzungsausfall

Dass der Unfallgeschädigte während der Reparaturzeit das Auto seines Vaters benutzen durfte, ändert nichts an seinem Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung. Etwas anderes gilt, wenn der Unfallgeschädigte selbst über mindestens ein weiteres ungenutztes Fahrzeug verfügt (BGH, Urteil vom 5.2.2013, Az. VI ZR 363/11; Abruf-Nr. 130595).

 

PRAXISHINWEIS | Wenn das für die Nutzungsausfallentschädigung gilt, dann gilt das erst recht für die Mietwagennutzung.

 

Fiktive Abrechnung

Was ein Unfallgeschädigter bei einer fiktiven Abrechnung vom Versicherer verlangen kann und umgekehrt, ist Gegenstand von zwei BGH-Urteilen:

 

Kein Abzug von „öffentlichen Abgaben“

Bei fiktiver Abrechnung darf der gegnerische Haftpflichtversicherer nicht die in den Stundenverrechnungssätzen enthaltenen „öffentlichen Abgaben“ schätzen und herausrechnen (BGH, Urteil vom 19.2.2013, Az. VI ZR 69/12; Abruf-Nr. 131158 und BGH, Urteil vom 19.2.2013, Az. VI ZR 401/12; Abruf-Nr. 131159).

 

Das ist keine Überraschung, denn der Gesetzgeber hat sich bei der Schadenrechtsreform im Jahr 2002 ausdrücklich von dem Gedanken verabschiedet, über die Mehrwertsteuer hinaus „öffentliche Abgaben“ aus der fiktiven Abrechnung herauszunehmen. Wie schon diverse Gerichte zuvor hat auch der BGH die Gesetzesbegründung zur Leitlinie seiner Entscheidung gemacht.

 

Wichtig | In den Fällen fiktiver Abrechnung stellen sich Versicherer gerne auf den Standpunkt, manche Schadenpositionen fielen bei fiktiver Abrechnung nicht an. Das gilt vor allem für die Aufschläge auf die unverbindliche Preisempfehlung für die Ersatzteile, für die Verbringungskosten zum Lackierer, aber auch für die Entsorgungskosten. Der BGH hat nun endgültig klargestellt: Es kommt nicht auf „angefallen“ oder „nicht angefallen“ an. Entscheidend ist, was eine gedachte durchgeführte Reparatur kosten würde.

 

Verweis auf andere Werkstatt noch im Prozess möglich

Rechnet der Unfallgeschädigte fiktiv ab, kann der Versicherer auch noch im laufenden Rechtsstreit um die Höhe des Stundenverrechnungssatzes eine Verweiswerkstatt benennen. Damit hat der BGH die bisher umstrittene Frage zulasten der Geschädigten geklärt (BGH, Urteil vom 14.5.2013, Az. VI ZR 320/12; Abruf-Nr. 131855).

 

Die Situation: Der Unfallgeschädigte hat ein Fahrzeug, das älter als drei Jahre ist und nicht konsequent in der Markenwerkstatt gepflegt wurde. Dann kann der Versicherer bei fiktiver Abrechnung bekanntlich den Stundensatz auf eine technisch gleichwertige andere Werkstatt herunterrechnen. Dabei müssen die Informationen zu der Verweiswerkstatt aber Substanz haben, insbesondere muss eine konkrete Werkstatt benannt werden.

 

PRAXISHINWEIS | In der Masse der Fälle wird sich die BGH-Rechtsprechung kaum auswirken. Denn die Versicherer sind mittlerweile so gut organisiert, dass die Fälle versäumter Sofortinformationen die Ausnahme sind.

 

Mehrwertsteuer bei Inzahlungnahme eines Unfallfahrzeugs

Wenn bei einem Haftpflichtschaden ein rechnerischer Reparaturschaden (Reparaturkosten + gegebenenfalls Wertminderung = kleiner als Wiederbeschaffungswert ./. Restwert) entstanden ist, das Fahrzeug unrepariert in Zahlung gegeben und ein Ersatzfahrzeug mit ausgewiesener Mehrwertsteuer gekauft wird, muss der Versicherer die in den Reparaturkosten steckende Mehrwertsteuer erstatten (BGH, Urteil vom 5.2.2013, VI ZR 363/11; Abruf-Nr. 130595).

 

Mehrfach haben die Versicherer die Klärung dieser Frage durch den BGH verhindert, indem sie nach verlorenen Prozessen die vom LG ausdrücklich zugelassene Revision nicht eingelegt haben. Sie fürchteten zu recht, dass der BGH nicht in ihrem Sinne entscheiden werde. Aber jetzt hat ein Versicherer offenbar nicht aufgepasst. Die Auffassung, die der BGH in seinem Urteil vertritt, war nach unserer Ansicht schon immer selbstverständlich.

Geschädigter darf schriftliches Gutachten abwarten

Der Unfallgeschädigte muss die Entscheidung zur Reparatur oder zur Ersatzbeschaffung nicht treffen, bevor ihm das schriftliche Schadengutachten als Entscheidungsgrundlage vorliegt. Dauert das über die Weihnachtsfeiertage länger (Unfalldatum 22. Dezember), geht das zulasten des Geschädigten (BGH, Urteil vom 5.2.2013, Az. VI ZR 363/11; Abruf-Nr. 130595).

 

PRAXISHINWEIS | So sehen es die Instanzgerichte schon immer. Nun liegt auch die höchstrichterliche Bestätigung des BGH vor.

 

Standgeld

Ein verunfalltes, nicht mehr fahrfähiges Fahrzeug kann nicht einfach am Straßenrand abgestellt werden. Wenn es bei einer Werkstatt untergebracht wird und die dafür Standkosten berechnet, geht das in Ordnung. Schadenrechtlich erstattungsfähig sind die Kosten dann, wenn sie die Kosten einer anderen gewerblichen Abstellmöglichkeit, zum Beispiel in einem öffentlichen Parkhaus, nicht übersteigen (BGH, Urteil vom 5.2.2013, Az. VI ZR 363/11; Abruf-Nr. 130595).

 

Weiterführender Hinweis

Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 11 | ID 42401722