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08.07.2011 · IWW-Abrufnummer 112163

Oberlandesgericht Brandenburg: Urteil vom 07.06.2011 – 11 U 6/11

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


11 U 6/11 Brandenburgisches Oberlandesgericht
6 O 4/10 Landgericht Cottbus
Anlage zum Protokoll vom 07.06.2011
Verkündet am 07.06.2011
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit XXX
hat der 11. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2011 durch
XXX
für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 25. November 2010 verkündete Urteil des Landgerichts Cottbus - Az.: 6 O 4/10 - wird zurückgewiesen.
Der Klägerin werden die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für die Berufungsinstanz, zugleich Wert der Beschwer der Klägerin: 34.243,57 €.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin begehrt Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (im Folgenden: „BUZ“) zur Lebensversicherung sowie die Feststellung des Fortbestands des Versicherungsvertrages.
Die Klägerin hat bei der Beklagten am 6. Dezember 2000 eine Lebensversicherung mit BUZ-Schutz beantragt. In dem Antrag (Anl. K2; Bl. 13 d. A.) hat die Klägerin die Gesundheitsfragen jeweils verneinend beantwortet, mit folgenden Ausnahmen:
Die Frage Nr. 8 nach Röntgenuntersuchungen hat die Klägerin bejaht und dies erläutert mit „Untersuchung zur Verbeamtung 12/1999; Ausgeheilt: ja; Zurückgebliebene Folgen: ohne Befund“.
Die Frage Nr. 12.1 nach „Krankheiten des Herzens, der Kreislauforgane …, der Verdauungsorgane“ pp. hat die Klägerin bejaht und dies mit einer Lungenentzündung Anfang 1999 begründet. Als behandelnde Ärztin hat die Klägerin insoweit die Zeugin Dr. U… angegeben.
Anlässlich der Ausfüllung des Antragsformulars waren die Agentin der Beklagten, die Zeugin B… sowie der Zeuge S…, der von dieser eingearbeitet werden sollte, anwesend. Die Beklagte nahm den Antrag an. Versicherungsbeginn war der 1. Dezember 2000. Wegen der Einzelheiten des Versicherungsvertrages wird auf den Nachtrag zum Versicherungsschein vom 20. September 2007 (Bl. 12 d. A.) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragte Ende November 2006 die Leistungen aus der BUZ. Mit Ablauf des 28. Februar 2007 wurde die Klägerin wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Wirkung ab dem 1. März 2007 eine Berufsunfähigkeitsrente und stellte sie von der Beitragszahlungspflicht frei. Ab dem 1. März 2009 zahlte die Beklagte die Rente nicht mehr fort, nachdem sie am 20. Februar 2009 die Anfechtung der BUZ wegen arglistiger Täuschung erklärt hatte.
Klagegegenstand ist die zu zahlende Rente i. H. v. jährlich 3.681,24 € seit dem 1. März 2009, die Befreiung von der Beitragspflicht und die Feststellung, dass der Vertrag nicht durch die Anfechtungserklärung der Beklagten beendet worden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie aus der Berufungsunfähigkeitsversicherung zur Lebensversicherung mit der Versicherungsscheinnummer 72887275.6 eine Rente in Höhe von jährlich 3.681,24 €, zahlbar jeweils monatlich im Voraus, ab dem 1. März 2009 zu zahlen, solange Berufsunfähigkeit besteht, längstens bis zum 1. Dezember 2021;
2. die Beklagte zu verurteilen, sie von der Beitragszahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung und die Lebensversicherung mit obiger Nummer in Höhe von 162,32 € ab dem 1. März 2009 freizustellen, solange Berufsunfähigkeit besteht, längstens bis zum 1. Dezember 2026;
3. die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.023,16 € seit Rechtshängigkeit (= 8. März 2010) zu zahlen;
4. festzustellen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Berufsunfähigkeitszusatz-Versicherungsvertrag zur Lebensversicherung mit obiger Nummer unverändert fortbesteht, insbesondere nicht durch die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 20. Februar 2009 beendet worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Versicherungsschutz in der BUZ sei infolge der Anfechtungserklärung erloschen. Die Klägerin habe sie, was durch die im Computer der behandelnden Ärztin U… verzeichneten Diagnosen und Behandlungen (Bl. 112 ff. d. A.) belegt werde, über bestehende Vorerkrankungen wie folgt arglistig getäuscht:
1. depressives Syndrom: insoweit sei die Klägerin mehrfach behandelt worden
2. Krampfader mit Thrombose 1997 mit ca. zehn Tagen Krankschreibung
3. Sehnenscheidenentzündung
4. psychische Dekompensation mit einer Woche Krankschreibung 1997
5. Gastritis mit mehrfacher medikamentöser Behandlung, zuletzt einen Tag vor der Antragstellung in der streitgegenständlichen Versicherung
6. HWS-Syndrom; insoweit fachärztliche Behandlung
7. Stauungssyndrom; insoweit ebenfalls fachärztliche Behandlung
8. mehrfache Bronchitis 1998 und 2000
Die Klägerin hat in Abrede gestellt, die Beklagte arglistig getäuscht zu haben. Von der Zeugin B… sei anlässlich der Ausfüllung des Versicherungsantrags erklärt worden, nur Erkrankungen von offensichtlich erheblicher Tragweite und solche, die bleibende Schäden zurücklassen könnten, seien anzugeben; nicht etwa jedes „Pillepalle“. Aus ihrer, der Klägerin, Sicht seien die Vorerkrankungen nicht gravierend gewesen. Im Einzelnen hat die Klägerin zu den Erkrankungen ausgeführt:
1. Die Diagnose „depressives Syndrom“ sei ihr von der Ärztin nicht bekannt gegeben worden.
2. Der Verdacht auf ein Krampfaderleiden habe sich nicht im Sinne einer Diagnose erhärtet.
3. An eine Sehnenscheidenentzündung habe sie keine Erinnerung; die Ärztin habe ihr die Diagnose nicht mitgeteilt.
4. Sie habe wegen familiärer Probleme eine Auszeit benötigt; eine psychische Erkrankung sei darin nicht zu erblicken.
5. Von einer Gastritis sei ihr nichts bekannt. Sie sei wegen einer leichten Magenverstimmung bei der Ärztin gewesen.
6. Sie habe lediglich unter Verspannungen gelitten. Soweit Medikamente verschrieben worden seien, habe sie hieran keine Erinnerung mehr gehabt.
7. Auch im Hinblick auf ein Stauungssyndrom habe es keine bestätigte Diagnose gegeben.
8. Bezüglich der Bronchitis sei sie von einer gelegentlichen, nicht als gravierend einzuschätzenden Erkältung mit Husten ausgegangen, die mit Rücksicht auf die Erklärungen der Zeugin B… nicht anzugeben gewesen sei.
Das Landgericht hat zur Frage, unter welchen Vorerkrankungen die Klägerin gelitten hat, Beweis erhoben durch Vernehmung der Hausärztin der Klägerin, der Zeugin Dr. U…. Zum Verlauf des Gesprächs der Klägerin mit der Versicherungsagentin, der Zeugin B…, im Hinblick auf die Beantwortung der Gesundheitsfragen hat es diese sowie den Zeugen S… vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 28. Oktober 2010 (Bl. 220 ff. d. A.) verwiesen.
Durch die angefochtene Entscheidung hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die von der Beklagten erklärte Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung greife durch. Die Mehrzahl und Intensität der von der Zeugin Dr. U… geschilderten Diagnosen und Behandlungen sei gewichtig. Es habe der Klägerin nicht verborgen bleiben können, dass eine Mitteilungspflicht bestanden habe. Zum Verlauf des Gesprächs zu den Gesundheitsfragen ist das LG den Zeugen gefolgt und hat insbesondere ausgeschlossen, dass die Zeugin erklärt habe, nur chronische, nicht auskurierte oder Krankheiten von „bestimmtem Wert“ seien anzugeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des angefochtenen Urteils, welches der Klägerin am 13. Dezember 2010 zugestellt worden ist, wird auf die bei den Akten befindliche Leseabschrift (Bl. 237 ff.) Bezug genommen. Gegen dieses Urteil richtet sich die klägerische Berufung, die am 10. Januar 2011 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen ist. Nachdem die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 13. März 2011 verlängert worden ist, hat die Klägerin ihr Rechtsmittel durch Schriftsatz, eingegangen am 10. März 2011, begründet.
Die Klägerin macht - zusammengefasst - geltend, das Ergebnis ihrer Anhörung vom 29. April 2010 (Bl. 126 f. d. A.) sei vom Landgericht nicht verwertet worden. Die Aussagen der Zeugen seien als formelhaft anzusehen und deshalb zu Unrecht berücksichtigt worden. Es spreche nichts dafür, den Zeugen mehr zu glauben als ihr, der Klägerin. Der im Rahmen der arglistigen Täuschung erforderliche Vorsatz könne nicht vermutet werden. Es gebe keine Regel, nach der eine objektive Falschangabe stets mit Täuschungsabsicht gemacht werde.
Aus ihrer, der Klägerin, subjektiver Sicht habe es auch keine schwerwiegenden oder gar chronischen Krankheiten gegeben. Wenn sie sich habe krank schreiben lassen, ohne krank zu sein, so habe dies nur an der Notwendigkeit gelegen, mal eine „Auszeit“ zu nehmen. Dass sie die schwerwiegende Vorerkrankung „Lungenentzündung“ offenbart habe, belege geradezu, dass sie keinen Täuschungsvorsatz gehabt habe. Auch habe sie ihre Hausärztin benannt, sodass sie damit habe rechnen können, dass die Beklagte sich an diese wende, um Näheres zu erfahren.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und nach den in erster Instanz zuletzt gestellten Anträgen zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung nach Maßgabe der Berufungserwiderung vom 14. April 2011 (Bl. 297 d. A.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Frist und Form eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO). In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen, weil die durch die Beklagte erklärte Anfechtung des BUZ-Vertrages zur bestehenden Lebensversicherung durchgreift.
Durch § 22 VVG in der maßgeblichen bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung ist klargestellt, dass die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Irrtumsanfechtung unbeschadet der versicherungsvertragsrechtlichen Regelungen zu den Folgen von Obliegenheitsverletzungen anzuwenden sind. Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige eine Willenserklärung anfechten, der zu ihrer Abgabe durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Die Annahme des klägerischen Versicherungsantrages durch die Beklagte ist hier durch eine Täuschungshandlung der Klägerin verursacht worden.
Vorliegend hat die Klägerin die Gesundheitsfrage zu Nr. 12.1, die sich unter anderem auf Erkrankungen der Verdauungsorgane bezieht, objektiv falsch beantwortet. Ausweislich der Aussage der Zeugin Dr. U… war bei der Klägerin am 12. April 1997, am 15. Juli 1997, am 27. November 2000 und am 5. Dezember 2000, dem Tag vor der Antragstellung, jeweils eine Gastritis, unzweifelhaft eine Erkrankung eines Verdauungsorgans, diagnostiziert worden. Die Richtigkeit dieser Diagnose wird von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt.
Eine objektive Falschangabe ist indes nicht ohne weiteres eine Täuschung; subjektiv muss ein Versicherungsnehmer sich anlässlich der Antragstellung darüber im Klaren sein, dass er den Versicherer auf die objektiv bestehende Erkrankung hinweisen muss (vgl. Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 22 a. F. RN 5). Hierbei gilt, dass ein Verschweigen von Umständen, deren Gefahrerheblichkeit auch aus der Sicht des Versicherungsnehmers auf der Hand liegt, also z. B. das Verschweigen schwerer oder chronischer Erkrankungen, grundsätzlich die Annahme einer Täuschung rechtfertigt (a.a.O. RN 7 a. E.).
Bei den wiederholt bis kurz vor der Antragstellung auftretenden Gastritiden der Klägerin handelt es sich um vergleichsweise schwere Erkrankungen, zumal die Einschätzung der Zeugin Dr. U…, es habe sich jeweils um eine gravierende Störung mit Schmerzen und Krämpfen gehandelt, von der Klägerin nicht angegriffen worden ist. Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellt, die Zeugin B… habe die Notwendigkeit der Angaben auf schwerwiegende Störungen beschränkt und auf solche mit bleibenden Folgen, so wäre die Klägerin insbesondere auch im Hinblick auf die Häufigkeit der Magenbeschwerden und die Kürze des Zeitablaufs zwischen den Beschwerden und der Antragstellung auch aus ihrer eigenen Sicht verpflichtet gewesen, die diesbezügliche Erkrankung anzugeben. Die Klägerin, die nach dem von ihr vermittelten Eindruck in der mündlichen Verhandlung verständig und geistig beweglich ist, bringt in diesem Zusammenhang auch nichts weiter vor, was ihre Mitteilungspflichten noch weiter mindern würde. Die Klägerin hat eingeräumt, dass sie hinreichende Gelegenheit hatte, die Gesundheitsfragen im Einzelnen durchzulesen.
Die Tatsache, dass die Klägerin im Versicherungsantrag ihre Hausärztin namentlich benannt hat, entlastet sie nicht. Sie konnte insbesondere nicht damit rechnen, dass die Beklagte vor der Entscheidung über die Annahme des Versicherungsantrags von sich aus die Ärztin befragen würde, ob - zusätzlich zu den angegebenen Vorerkrankungen - die Klägerin noch unter weiteren Erkrankungen litt. Aus der Sicht der Beklagten ergab sich angesichts der klaren Beantwortung der Fragen auch kein Bedarf, von sich aus bei der Ärztin nachzufragen, wie dies etwa bei unklaren, unverständlichen oder offensichtlich unvollständigen Antworten gegebenenfalls angezeigt sein kann. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin durch die partielle Beantwortung der Gesundheitsfragen im Übrigen das Bild einer vollständig gesunden Frau entworfen hat, die die Lungenentzündung folgenlos überwunden hatte.
Die vorwerfbare Falschbeantwortung der Gesundheitsfrage war auch für die Willensentschließung der Beklagten relevant. Die Relevanz folgt hier daraus, dass die Beklagte mit Schriftsatz vom 1. Juli 2010 (Bl. 167, 184, 185) im Einzelnen ausgeführt hat, bei der Entscheidung über einen Versicherungsantrag in der Sparte Leben/BUZ bei der Angabe der Diagnose „Gastritis“ stets näher nachzuforschen und gegebenenfalls entweder den Antrag abzulehnen oder Prämienzuschläge zu fordern. Dem diesbezüglichen Vorbringen der Beklagten ist die Klägerin nicht mehr in erheblicher Weise entgegengetreten.
Die Beklagte hat die Anfechtungsfrist des § 124 BGB gewahrt; die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des Landgerichts werden in der Berufungsinstanz von der Klägerin nicht angegriffen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Anordnung der Abwendungsbefugnis hat ihre Grundlage in § 711 ZPO. Die Revision ist nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Das Urteil steht in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Fall wirft klärungsbedürftige Rechtsfragen grundsätzlicher Art nicht auf. Im Hinblick auf den Streitwert folgt der Senat der Berechnung der Klägerin in der Klageschrift.