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16.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130090

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 16.01.2012 – 6 K 1078/10

1. Die Bildung einer Rücklage nach § 7g EStG gehört zu den zeitlich unbefristeten Wahlrechten, die formell bis zum Eintritt der Bestandskraft derjenigen Steuerfestsetzung ausgeübt werden können, auf welche sie sich auswirken sollen.

2. Soweit die Rücklage die „künftige” bzw. die voraussichtlich bis zum Ende des zweiten Jahrs auf die Bildung der Rücklage erfolgende Anschaffung eines Wirtschaftsguts voraussetzt, schließt dies ein im Zeitpunkt der Rücklagenbildung bereits angeschafftes Wirtschaftsgut nicht aus.

3. Nur für künftige Investitionen, die im Zeitpunkt der Rücklagenbildung nicht mehr durchführbar oder objektiv unmöglich sind, darf keine Rücklage mehr gebildet werden.

4. Eine Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG kann auch im Rahmen der Änderung des Bescheides erstmals gebildet werden.

5. Das Erfordernis eines Finanzierungszusammenhangs zwischen der Rücklage und der Investition schließt es nicht aus, die Rücklage auch dann zu bilden, wenn die Bilanz für das Jahr der Rücklage zeitlich nach der Investition aufgestellt wird.

6. Ein Finanzierungszusammenhang ist dann nicht mehr gegeben, wenn die Rücklage erstmals später als zwei Jahre nach Anschaffung oder Herstellung der Wirtschaftsgüter gebildet wird. In diesem Fall wird typisierend und unwiderleglich vermutet, dass die Rücklage nicht mehr der Investitionserleichterung dient.

7. Die vom Gesetzgeber geförderte Innenfinanzierung einer bereits getätigten Investition wird auch durch die nachträglich Bildung der Ansparrücklage erleichtert, so dass das gesetzgeberische Ziel erreicht wird.


FG Baden-Württemberg v. 16.01.2012

6 K 1078 / 10

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Bildung einer Rücklage nach § 7g des Einkommensteuergesetzes – EStG – in der in den Streitjahren 2006 und 2007 gültigen Fassung.

Die Klägerin hat am 1. Januar 2006 mit ihrer Tätigkeit begonnen.

Der Jahresabschluss zum 31. Dezember 2006 wurde am 26. März 2007 vom Geschäftsführer der Klägerin und deren steuerlichen Berater unterzeichnet. Er wurde zusammen mit der Körperschaftsteuererklärung für 2006 am 19. Juni 2007 beim beklagten Finanzamt – FA – eingereicht. In der Bilanz war für die geplante Investition einer Bandanlage in Höhe von 140.000 EUR eine Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG in Höhe von 56.000 EUR (40 %) gebildet worden. Mit Datum 5. Oktober 2007 erging der erstmalige Körperschaftsteuerbescheid.

Der Jahresabschluss zum 31. Dezember 2007 wurde am 23. April 2008 vom Geschäftsführer der Klägerin und deren steuerlichen Berater unterzeichnet. Er wurde zusammen mit der Körperschaftsteuererklärung für 2007 am 30. April 2008 beim FA eingereicht.

Gleichzeitig reichte die Klägerin am 30. April 2008 eine berichtigte Bilanz zum 31. Dezember 2006 ein, in der zum einen Umsatzerlöse in Höhe von 150.000 EUR nachgebucht worden waren und zum anderen die Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG auf 131.000 EUR erhöht wurde (+ 75.000 EUR). Hierzu wurde u.a. vorgetragen, dass die Klägerin in 2007 und 2008 weitere Investitionen getätigt habe:

Investitionsgut

Betrag

Rücklage
Wechselhubbrücke, angeschafft am 27.06.2007

110.000 EUR

44.000 EUR
Gabelhubwagen, angeschafft am 22.02.2007

4.500 EUR

1.800 EUR
Audi A3 Pkw, angeschafft am 24.04.2007

23.000 EUR

9.200 EUR
BMW Pkw

50.000 EUR

20.000 EUR
Summe

187.500 EUR

75.000 EUR

In der Bilanz zum 31. Dezember 2007 wurde die Rücklage aus 2006 in Höhe von 131.000 EUR gewinnerhöhend aufgelöst und folgende Sonderabschreibungen nach § 7g Abs. 2 EStG a.F.

auf die in 2007 neu angeschafften Investitionsgüter vorgenommen:

Investitionsgut

Anschaffungskosten

Abschreibung
Wechselhubbrücke

103.700 EUR

20.470 EUR
Gabelhubwagen

4.218 EUR

843 EUR
Audi A3 Pkw

23.257 EUR

4.651 EUR
Bandanlage

69.810 EUR

13.962 EUR
Summe


39.926 EUR

Außerbilanziell wurde dem Gewinn ein Gewinnzuschlag nach § 7g Abs. 5 EStG i. H. von 1.200 EUR (Rücklage für BMW Pkw i.H. von 50.000 EUR × 40 % × 6 %) hinzugerechnet.

Für die geplante Investition von

2 Audi Pkw à 55.000 EUR

1 BMW Pkw à 50.000 EUR

2 Rangierfahrzeuge à 110.000 EUR

wurde ein Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG i. H. von 150.000 EUR gebildet.

Das FA vertrat in verschiedenen Schreiben an die Klägerin die Auffassung, dass die nachträgliche Bildung einer Rücklage nach § 7g EStG in der Bilanz zum 31. Dezember 2006 für die beiden Hubwagen sowie den Audi steuerlich nicht anerkannt werden könne, da es an dem erforderlichen Finanzierungszusammenhang fehlen würde, weil diese Investitionsgüter bei der Bildung der Rücklage im April 2008 (Zeitpunkt der berichtigten Bilanz) bereits angeschafft worden waren.

Weiter vertrat das FA die Auffassung, dass das Betriebsvermögen über den höchst zulässigen Werten gemäß § 7g Abs. 1 EStG liege, so dass in 2007 weder Sonderabschreibungen noch die Bildung eines Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 1 EStG n.F. zulässig sei.

Mit Datum 25. Juli 2008 erließ das FA einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 2006, in der entsprechend der vorherigen Ankündigung die nachträglich gebildete Ansparrücklage nur noch i. H. von 20.000 EUR anerkannt wurde (geplante Anschaffung des BMW Pkw). Der geänderte Gewerbesteuermessbetragsbescheid erging mit Datum 24. Juli 2008.

Bei der Körperschaftsteuerveranlagung 2007 wurde folgende Abweichungen gegenüber der Erklärung entsprechend der Ankündigung vorgenommen:

Nichtanerkennung der Sonderabschreibung auf den Audi und die beiden Hubwagen;

Nichtanerkennung der Bildung der Rücklage nach § 7g Abs. 1 EStG in der für 2007 gültigen Fassung i. H. von 150.000 EUR;

Minderung der in 2007 aufgelösten, aber für 2006 nicht anerkannten Ansparrücklage von 55.000 EUR.

Außerbilanziell wurde dem körperschaftsteuerlichen Einkommen hinzugerechnet:

ein (weiterer) Gewinnzuschlag nach § 7g Abs. 5 EStG n.F. i. H. vom 1.684 EUR;

außerplanmäßige Abschreibung auf Finanzanlagen gemäß § 8b Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes – KStG – (hier nicht streitig).

Der Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 2007 datiert vom 24. Juli 2008.

Die Klägerin legte gegen die Bescheide für 2007 und 2008 form- und fristgerecht Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 2010, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 15. März 2010, der am gleichen Tage bei Gericht eingegangen ist, erhobene Klage.

Während des Klageverfahrens beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. August 2010 eine Berichtigung der Bilanz zum 31. Dezember 2006 und zum 31. Dezember 2007. Hierauf reagierte das FA mit geänderten Bescheiden vom 23. November 2010, in denen nur zum Teil dem Begehren der Klägerin stattgegeben wurde (vgl. Schriftsatz vom 25. Oktober 2010).

In der Sache wird von der Klägerin Folgendes vorgetragen: Strittig sei, ob im Rahmen einer Bilanzberichtigung zum 31. Dezember 2006 nachträglich eine Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG a.F. gebildet werden dürfe. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 17. Juni 2010 III R 43/06, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2011, 104, folge zweifelsfrei, dass eine Rücklage für die künftige Anschaffung eines neuen beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens (Ansparabschreibung) auch nachträglich im Wege der Bilanzänderung zur Kompensation eines Betriebsprüfungsmehrergebnisses gebildet werden könne; dies entspreche dem im vorliegenden Streitfall verwirklichten Sachverhalt. Als Konsequenz aus der Rücklage für 2006 folgen dann die Sonderabschreibungen in 2007.

Die Klägerin beantragt,

die Körperschaftsteuerveranlagung 2006 dahingehend abzuändern, dass die Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG um 55.000 EUR erhöht wird, sowie im Rahmen der Körperschaftsteuerveranlagung 2007 Sonderabschreibungen in Höhe von 26.234 EUR zu berücksichtigen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise für den Fall des völligen oder teilweisen Unterliegen Zulassung der Revision.

Im Wesentlichen verweist das FA auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Bei den streitigen Investitionen fehle es aus der Sicht der Finanzverwaltung am sog. Finanzierungszusammenhang, da die Investitionen im Zeitpunkt der Bildung der Rücklage bereits angeschafft gewesen seien. Auch fehle es an einer hinreichenden Konkretisierung der bereits durchgeführten Investitionen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, die vom FA vorgelegten Steuerakten sowie die Niederschrift über den Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 17. Oktober 2011 verwiesen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Das Wahlrecht zur Bildung einer Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG in der im Streitjahr 2006 gültigen Fassung wird in der Bilanz ausgeübt. Die geänderte Bilanz zum 31. Dezember 2006 wurde am 30. April 2008 eingereicht. Zu diesem Zeitpunkt war seit dem Zeitpunkt der Anschaffung der Wirtschaftsgüter, für die eine Ansparrücklage nachträglich in der geänderten Bilanz gebildet worden war, ein Zeitraum von zwei Jahren noch nicht verstrichen.

Die Klägerin war, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, berechtigt, die Bilanz zum 31. Dezember 2006 zu ändern.

Die Bildung einer Rücklage nach § 7g Abs. 3 ff. EStG a.F. gehört zu den zeitlich unbefristeten Wahlrechten, die formell bis zum Eintritt der Bestandskraft derjenigen Steuerfestsetzung ausgeübt werden können, auf welche sie sich auswirken sollen.

Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn nach § 5 EStG (§ 7g Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 EStG a.F.) und erfüllt das für die Rücklagenbildung vorausgesetzte Größenmerkmal (§ 7g Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 EStG a.F.).

Soweit die Rücklage gemäß § 7g Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG a.F. die „künftige” bzw. die „voraussichtlich bis zum Ende des zweiten Jahres auf die Bildung der Rücklage” erfolgende Anschaffung eines Wirtschaftsguts voraussetzt, schließt dies ein im Zeitpunkt der Rücklagenbildung bereits angeschafftes Wirtschaftsgut nicht aus (BFH-Urteil vom 8. November 2006 I R 89/05, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2007, 671). Nur für künftige Investitionen, die im Zeitpunkt der Rücklagenbildung nicht mehr durchführbar oder objektiv unmöglich sind, darf keine Rücklage mehr gebildet werden.

Eine Rücklage gemäß § 7g Abs. 3 EStG a.F. muss nicht bereits bei erstmaliger Einreichung der Steuererklärung, sondern kann auch später im Rahmen einer Bescheidänderung – auch nach einer Betriebsprüfung – gebildet werden (BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 43/06, BF/NV 2011, 104, Abs. 21 mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung).

Der BFH setzt wegen der der Rücklage vom Gesetzgeber zugewiesenen Funktion der Finanzierungserleichterung / Ermöglichung der Innenfinanzierung in ständiger Rechtsprechung einen sog. Finanzierungszusammenhang zwischen Investition und Rücklagenbildung voraus, obwohl sich dieses Merkmal und eine damit verbundene zeitliche Begrenzung nicht unmittelbar aus dem Regelungstext ergibt.

Die an den Finanzierungszusammenhang zu stellenden Anforderungen hat der BFH nicht im Einzelnen konkretisiert. Der Finanzierungszusammenhang stellt nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls keine zahlungsflussorientierte Größe im Sinne eines tatsächlichen Ansparens oder einer Finanzierung zur Anschaffung oder Herstellung in Form einer Steuerminderung dar. Das Erfordernis eines Finanzierungszusammenhangs schließt es daher z.B. nicht aus, die Rücklage auch dann zu bilden, wenn die Bilanz – wie im Streitfall – für das Jahr der Rücklage zeitlich nach der Investition aufgestellt wird.

Ein Finanzierungszusammenhang zwischen der Rücklage und der Investition ist z.B. dann nicht mehr gegeben, wenn die Rücklage erstmals später als zwei Jahre nach Anschaffung oder Herstellung der Wirtschaftsgüter gebildet wird (BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 104, Abs. 23 und 24 m.w.N.). In diesem Fall wird typisierend und unwiderleglich vermutet, dass die Rücklage nicht mehr der Investitionserleichterung dient. Die Möglichkeit der Rücklagenbildung nach § 7g Abs. 3 EStG endet insoweit materiell vor dem Eintritt der Bestandskraft des Bescheides und obwohl die Bilanz formell noch geändert werden könnte.

Dies ist aber im Streitfall nicht gegeben. Demnach sind die Voraussetzungen der Rechtsprechung für die nachträgliche Erhöhung der Ansparrücklage für 2006 erfüllt. Die vom FA dagegen erhobenen Bedenken übersehen, dass die vom Gesetzgeber geförderte Innenfinanzierung einer bereits getätigten Investition auch durch die nachträgliche Bildung der Ansparrücklage erleichtert wird, so dass das gesetzgeberische Ziel auch in diesen Fällen erfüllt ist.

Wenn die Ansparrücklage für 2006 zu Recht gebildet worden ist, ist auch die sich gleichsam als zwangsläufige Folge ergebende Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 2 Nr. 3 EStG zu Recht der Klägerin zu gewähren.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 der Finanzgerichtsordnung – FGO –.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 FGO i. V. m. dem Achten Buch der Zivilprozessordnung (§ 708 Nr. 11, § 709 ZPO).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Hinblick auf die BFH-Urteile in BFH/NV 2007, 671 sowie BFH/NV 2011, 104 einerseits und das BFH-Urteil vom 29. April 2008 VIII R 62/06, Bundessteuerblatt – BStBl – 2008, 747 andererseits zugelassen.

RechtsgebietEStG 2006VorschriftenEStG 2006 § 7g EStG 2006 § 5