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01.04.2020 · IWW-Abrufnummer 215055

Hessisches Landessozialgericht: Urteil vom 05.03.2020 – L 1 BA 14/18

Zur Statusfeststellung einer Physiotherapeutin mit sehr geringem Unternehmerrisiko


Hessisches Landessozialgericht 1. Senat

05.03.2020


Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Februar 2018 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beigeladene zu 1. als Physiotherapeutin bei der Klägerin ab 15.04.1999 sozialversicherungspflichtig tätig gewesen ist.

Die Klägerin schloss in ihrer Eigenschaft als Inhaberin der Krankengymnastikpraxis am 15.03.1999 mit C. (Beigeladene zu 1.), einer gelernten und staatlich anerkannten Krankengymnastin, einen Vertrag „als freie Mitarbeiterin", der - auszugsweise - folgenden Inhalt hatte:

„C. ... nimmt vom 01.04.1999 an in der vom Praxisinhaber selbstständig geführten Praxis eine Tätigkeit als freie Mitarbeiterin auf (Ziffer 1).

Die freie Mitarbeiterin bestimmt ihre Arbeitszeit, ihre Pausen und ihren Urlaub selbst; es erfolgt lediglich eine Abstimmung mit dem Praxisinhaber im Rahmen der gesonderten Patientenbestellungen und der sich daraus ergebenden Behandlungsplatzbelegung. Die freie Mitarbeiterin bestimmt selbst, welche Behandlungen sie durchführt (Ziffer 2).

Anfallende Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Leistungen nach Mutterschutzgesetz oder bei Krankheit werden vom Praxisinhaber nicht gezahlt. Für den Fall einer entsprechenden Inanspruchnahme durch Dritte stellt die freie Mitarbeiterin den Praxisinhaber von eventuellen Ansprüchen frei (Ziffer 3)

Die freie Mitarbeiterin ist nicht weisungsgebunden; lediglich über die Art der Behandlung hat der behandelnde Arzt ein Weisungsrecht. Die Behandlungsdauer richtet sich nach den von den Krankenkassen vorgegebenen Mindestzeiten. ... Die Überprüfung bzw. Beurteilung der Arbeitsausführung unterliegt ausschließlich dem behandelnden Arzt oder den Krankenkassen (Ziffer 4).

Der Praxisinhaber gestattet der freien Mitarbeiterin die Nutzung der Behandlungsräume und ihrer Einrichtungen. Das Auftreten gegenüber den Patienten erfolgt im eigenen Namen der freien Mitarbeiterin. Lediglich die Rechnungsstellung erfolgt über das Abrechnungssystem des Praxisinhabers. Der Preis für erbrachte Arbeiten erfolgt auf der Grundlage der jeweils gültigen Gebührenordnungen der Krankenkassenverbände bzw. des im Einzelfall mit dem Patienten vereinbarten Privathonorars. Als Vergütung erhält der Praxisinhaber 30 % des erbrachten Abrechnungsbetrages der von der freien Mitarbeiterin innerhalb eines Abrechnungszeitraums erbrachten Behandlungsleistung (Ziffer 5).

Im Verhinderungsfall werden die Behandlungen nach Möglichkeit abgesagt oder verschoben. Nur in Ausnahmefällen und mit Genehmigung der freien Mitarbeiterin werden diese von anderen in der Praxis tätigen Personen wahrgenommen (Ziffer 6).

Es steht der freien Mitarbeiterin das Recht zu, auch für andere Auftraggeber zu arbeiten, Sie hat ebenfalls das Recht, einen fremden Arbeitnehmer mit gleicher Qualifikation für sich einzustellen (Ziffer 7).

Eigenwerbung im Rahmen für Krankengymnasten zulässigen Möglichkeiten, auch am Praxiseingang ist ausdrücklich erwünscht (Ziffer 8). ..."

Am 09.11.2015 stellte die Beigeladene zu 1. einen Antrag auf Feststellung ihres versicherungsrechtlichen Status, wobei sie angab, auch in der Krankengymnastik-Praxis von Frau D. zu arbeiten (seit dem 01.01.2016 im Übrigen stattdessen in der Praxis von Frau E.). Ihre Tätigkeit in der Praxis der Klägerin beschrieb sie dabei dahingehend, dass die Erstkontaktaufnahme der Patienten mit der Praxis erfolge, von dort in gemeinsamer Besprechung die Entscheidung über Patientenvergabe vorgenommen werde, die Übergabe der Behandlungsanfrage des Patienten von der Praxisinhaberin erfolge, woraufhin dann die Kontaktaufnahme mit dem Patienten und Terminvereinbarung erfolge. Sie erhalte daraufhin das Rezept, Folgeterminierung erfolgten dann in eigener Regie. Sie schreibe der Praxis Rechnungen, die auf den Rezepten basierten mit Stundenauflistungen und Berechnungsgrundlage, wobei die Abrechnung nach den Gebührensätzen der RVO-Kassen und vdek-Kassen erfolge, und sie 70 v.H. des Gebührensatzes erhalte, während 30 v.H. in der Praxis verbleiben würden. Bei Krankheit müsse sie eigenständig die Termine absagen und neue vereinbaren. Sie behandle die Patienten nur auf ärztliche Verordnung in den Praxisräumen und - wenn ärztlich verordnet - auch im Rahmen eines Hausbesuchs, wozu sie ihren eigenen PKW verwende. Zur Behandlung würden eigene sowie Arbeitsmittel der Praxis verwendet. Da sie für ihre Tätigkeit auch hafte, habe sie entsprechende Versicherungen abgeschlossen.

Auf Nachfrage der Beklagten antwortete die Klägerin zur Beschäftigung der Beigeladenen zu 1., dass die Beigeladene als Krankengymnastin nach Terminvereinbarung tätig werde. Sie arbeite nicht weisungsgebunden, es erfolge keine Zuweisung der Patienten. Die Abrechnung erfolge über die Rechnungstellung durch die Auftragnehmerin mittels eines Abrechnungszentrums. Es bestehe keine feste Regelung bzgl. der Arbeitszeiten, es müsse nur der Praxisablauf gewährleistet sein; dies gelte auch für Vertretung im Krankheits- und Urlaubsfall. Es bestehe nur im Einzelfall eine Vertretung nach Absprache. Der Ersttermin könne durch die Praxis erfolgen, die Folgetermine vereinbare die Beigeladene zu 1. dann eigenständig. Die Arbeitsmittel und -geräte stelle die Praxisinhaberin der Beigeladenen zu 1. zur Verfügung, wobei 70 v.H. der Leistungen an die Beigeladene ausgezahlt würden, dabei umfasse der Anteil für die Praxis auch die anteiligen Betriebskosten. Die Abrechnung gegenüber den Kassen erfolge über die Praxis durch ein von ihr beauftragtes Rechenzentrum. Bei Privatpatienten würde teils durch die Praxis und teils durch die Beigeladene zu 1. direkt abgerechnet. Die Beigeladene zu 1. dürfe eigenständig die Rezeptgebühren in Empfang nehmen.

Auch die Beigeladene zu 1. äußerte sich zu den Fragen der Beklagten am 18.01.2016 und wies ergänzend darauf hin, dass sie den Praxisanteil an ihrer Tätigkeit mit der jeweiligen Inhaberin frei verhandelt habe. Hintergrund ihrer freien Mitarbeit sei die Tatsache, dass die Praxisinhaberinnen Unterstützung durch vermehrte Patientenzahlen benötigten. Es existierten keine Dienstpläne, die Raumbelegung werde im Team abgestimmt, sie vereinbare ihre Termine selbstständig, wozu sie ein eigenes Terminbuch führe. Seitens der Praxis würden Behandlungsbank, Heißluft und Behandlungsmatten sowie Gymnastikbälle etc. zur Verfügung gestellt, deren Kosten mit dem pauschalen Anteil von 30 Prozent abgegolten seien. Dies umfasse auch die Miete und Umlagen (Strom, Telefon, Heizung, Wasser, Benutzung der Arbeitsmittel). Sie erstelle ihre Rechnungen an die Praxisinhaberin, die dann nach ihren Vorgaben die Rechnungen schreiben würde. Die Abrechnung ihrer Leistungen erfolge durch die Praxis über eine Abrechnungsstelle.

Die Beklagte nahm am 03.02.2016 noch eine Kopie des Internetauftritts der Klägerin zur Akte, in der unter dem Stichwort „TEAM" u.a. auch die Beigeladene zu 1. als Physiotherapeutin vorgestellt wurde. Auch bei dem Internet-Auftritt der Praxis für Physiotherapie D. wurde die Beigeladene zu 1. persönlich unter der Rubrik „Unser Physiotherapeutenteam" erwähnt.

Nach Anhörung sowohl der Klägerin wie auch der Beigeladenen zu 1. äußerten sich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24.03.2016 dahingehend, dass von einer selbstständigen Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. auszugehen sei. Denn die fachliche Verantwortung trage allein die Beigeladene zu 1., sie bestimme, wie die vom Arzt verordnete Behandlung zu erfolgen habe. Die Praxisinhaberin habe lediglich die rechtliche Verantwortung für die Behandlung, da das Vertragsverhältnis zwischen den Patienten mit der Praxisinhaberin zustande komme. Es träfe zudem nicht zu, dass die Beigeladene zu 1. in einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation ausgeübt werde, denn es stünden insgesamt vier Behandlungsräume für Therapeuten in ihrer Praxis zur Verfügung, so dass angesichts einer Angestellten und einer Aushilfskraft immer genügend Therapieplätze vorhanden seien, so dass die Beigeladene zu 1. jederzeit einen Praxisraum ohne Rücksprache mit der Inhaberin nutzen könne. Bei Hausbesuchen erfolge die Behandlung ohnehin nicht in den Räumen der Praxis. Es treffe zwar zu, dass die Kassenpatienten über das Kassensystem der Praxisinhaberin abgerechnet würden, Privatpatienten rechne die Beigeladene zu 1. jedoch selbst ab. Insoweit trage diese auch das Ausfallrisiko. Zudem seien die Öffnungszeiten der Praxis nicht begrenzt, die Beigeladene zu 1. könne ihre Patienten morgens um 5:00 Uhr sowie nachts um 24:00 Uhr behandeln, allerdings wünsche dies kein Patient. Da die Beigeladene zu 1. zudem eigene Rechnungen gegenüber Privatpatienten ausstelle, müsse sie zwingend selbstständig sein; ganz abgesehen davon, dass sie auch in anderen Praxen tätig sei.

Dennoch stellte die Beklagte mit Bescheiden vom 04. April 2016 - jeweils getrennt für die Klägerin bzw. die Beigeladene zu 1. - fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. in der Praxis der Klägerin im Rahmen eines abhängigen und daher sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfolgt sei, wobei der Beginn der Versicherungspflicht mit der Aufnahme der Tätigkeit zum 01.04.1999 festgelegt wurde. Den nicht begründeten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte, nachdem sie auch die Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. in der Krankengymnastik-Praxis von Frau E. als abhängige Beschäftigung qualifiziert hatte (Bescheide vom 26.05.2016), dann mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2016 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 20.12.2016 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 07.02.2017 Frau C., die Bundesagentur für Arbeit, die DAK-Gesundheit und die die DAK-Gesundheit - Pflegekasse zum Verfahren notwendig beigeladen (§ 75 Abs. 2 1. Alt. Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Die Klägerin hat zur Klagebegründung ergänzend vorgetragen, dass die Beigeladene zu 1. in ihrer Praxis eine selbstständige Tätigkeit ausübe, da sie auf der Grundlage des freien Mitarbeitervertrages vom 15.03.1999 tätig geworden sei. Unabhängig davon, ob die Beigeladene zu 1. auf der Homepage der Klägerin erschienen sei, müsse berücksichtigt werden, dass sie für viele Auftragnehmer tätig geworden, ohne über eine eigne Betriebsstätte zu verfügen. Sämtliche Krankengymnasten wie die Beigeladenen zu 1. Beschäftigten keine eigenen Angestellten. Die Beklagte verwies darauf, dass die Klägerin als Praxisinhaberin die fachliche Verantwortung für die Behandlungen durch die Beigeladene zu 1. trage, dass die Beigeladene zu 1. ihre Tätigkeit in einer für sie fremden Arbeitsorganisation ausübe, die Behandlung der Patienten in den Räumlichkeiten der Klägerin erfolge und Arbeits- und Betriebsmittel überwiegend durch die Klägerin zur Verfügung gestellt würden. Außerdem würden bei ärztlichen Verordnungen zumindest die gesetzlich versicherten Patienten über das Kassensystem der Auftraggeberin abgerechnet. Es bestehe lediglich eine Kostenbeteiligung an der Praxisnutzung mittels prozentualer Beteiligung der Beigeladenen, die aber kein unternehmerisches Risiko darstelle, weil die Kosten nur dann anfielen, wenn tatsächlich auch Behandlungen durchgeführt und damit Honorare fällig würden. Die Beigeladene zu 1. übernehme die Tätigkeit teilweise zur Abdeckung von Auftragsspitzen und mache keine eigene Werbung. Selbst wenn keine festen Anwesenheitszeiten vereinbart worden seien, sei die Arbeitszeit durch die Öffnungszeiten der Praxis begrenzt, so dass sie regelmäßig dienstags, mittwochs und donnerstags in der Praxis tätig sei. Gegenüber den Patienten trete die Beigeladene auch nicht als Selbstständige auf, zumal keinerlei vertragliche Beziehungen zwischen ihr und den Patienten bestehe. Demgegenüber stellten die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit, wie die fehlende Pflicht zur Übernahme von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen, das Führen eines eigenen Terminbuchs, die Tatsache der Tätigkeit für mehrere Krankengymnastikpraxen sowie wie die Benutzung eigener Kleinmaterialien und die freie Annahme von Aufträgen, bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nur untergeordnete Gesichtspunkte dar. Zumal die Beigeladene zu 1. kein eigenes Unternehmerrisiko trage: Die Kostenbeteiligung sei gerade nicht mit einer monatlich zu entrichtenden Miete zu vergleichen, welche ein Fixum im Monat darstelle, unabhängig ob tatsächlich gearbeitet werde oder nicht. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass der Beigeladene zu 1. aufgrund ihrer Qualifikation keine Weisungen erteilt würden, da auch von angestellten Krankengymnasten allgemein eine eigenständige Durchführung der Therapien erwartet werde.

Das Sozialgericht Darmstadt hat die Klage mit Urteil vom 14.02.2018 abgewiesen und zur Kostentragung tenoriert, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten hätten. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe zu Recht festgestellt, dass die Beigeladene zu 1. ab dem 01.04.1999 in ihrer Beschäftigung als Physiotherapeutin/Krankengymnastin in der von der Klägerin betriebenen Krankengymnastik-Praxis der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe. Die Beklagte sei für die Feststellung des Status der Beigeladenen zu 1. zuständig ist. Denn nach § 7 a Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) könnten die Beteiligten einer vertraglichen Regelung zur Beschäftigung eine Entscheidung beantragen, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliege, über den die Deutsche Rentenversicherung Bund zu entscheiden habe (§ 7 a Abs. 1 Satz 3 SGB IV) und dabei dies auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu tun habe (§ 7a Abs. 2 SGB IV). Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt seien, unterlägen in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - SGB XI und § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - SGB Ill) der Versicherungspflicht (und damit der Beitragspflicht). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung sei § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach sei Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setze eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Diese Weisungsgebundenheit könne eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Bei untergeordneten und einfacheren Arbeiten sei eher eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation anzunehmen (BSG, Urteil vom 28.09.2011, B 12 R 17/09 R). Demgegenüber sei eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig sei, richte sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 25.04.2012, B 12 KR 24/10 R). Ausgangspunkt sei daher zunächst das Vertragsverhältnis der Klägerin mit der Beigeladenen zu 1., so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergebe oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lasse. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehe der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich sei. Umgekehrt gelte, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich sei, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen sei. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehöre daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gelte, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag gäben, wenn sie von Vereinbarungen abwichen. Maßgeblich sei die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert werde, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig sei (BSG, Urteil vom 29. August 2012, B 12 R 14/10 R). Dabei sei vorsorglich klarzustellen, dass zum maßgeblichen Tatbestand des § 7 Abs. 1 SGB IV weder eine „Festanstellung" noch der Abschluss eines - was auch immer darunter im Detail zu verstehen sein möge - „typischen" Arbeitsvertrages zähle. Der gesetzliche Typus eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses umfasse vielmehr eine große Bandbreite in Betracht kommender - seien sie als mehr oder auch als weniger „typisch" einzuschätzen - Ausformungen, bei denen insbesondere sog. „Festanstellungen" nur einen Teil der in Betracht kommenden Ausprägungen darstellten. Maßgeblich sei, ob die zu beurteilende Tätigkeit die Bandbreite der in Betracht kommenden Ausgestaltungen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse verlasse und ob insbesondere im Rahmen der Gesamtabwägung die für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Umstände überwögen. Vorliegend spreche die gebotene Gesamtschau der maßgeblichen tatsächlichen Umstände (vgl. dazu etwa: BSG, Urteil vom 25.04.2012, B 12 KR 24/10 R, aber auch: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.09.2013, L 1 KR 351/12 mit weiteren Nachweisen) zur Überzeugung der Kammer für das Vorliegen eines abhängigen und, da mehr als nur geringfügig ausgeübten, auch versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. Zwar hätten die Klägerin als Inhaberin der Krankengymnastik-Praxis und die Beigeladene zu 1. im Vertrag vom 15.03.1999 ausdrücklich geregelt, dass die Beigeladene zu 1. in der von der Praxisinhaberin selbstständig geführten Praxis zum 01.04.1999 eine Tätigkeit als „freie Mitarbeiterin" aufnehme und ihre Arbeitszeit, ihre Pausen und ihren Urlaub selbst bestimme (Ziffern 1 und 2), anfallenden Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Urlaubs-und Weihnachtsgeld sowie Leistungen nach dem Mutterschutzgesetz oder bei Krankheit von der Praxisinhaberin nicht gezahlt würden (Ziffer 3), jedoch handele es sich insoweit lediglich um Regelungen, die einseitig zu Lasten der Beigeladenen zu 1. gingen und die für die Frage der tatsächlichen Ausübung einer selbstständigen oder abhängigen Beschäftigung irrelevant seien und im Übrigen gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen würden und daher unwirksam seien (§ 134 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Auch die Regelungen des Vertrages vom 15.03.1999, wonach die freie Mitarbeiterin nicht weisungsgebunden sei, lediglich über die Art der Behandlung einem Weisungsrecht des verordneten Arztes unterliege und deren Auftreten gegenüber den Patienten im eigenen Namen erfolge (Ziffer 4), sprächen zwar für eine selbstständige Tätigkeit, gäben jedoch bei der gebotenen Gesamtschau nicht den Ausschlag. Vielmehr sei die Beigeladene zu 1., wie sie dies bereits anlässlich ihrer Antragstellung zur „Erläuterung meiner Tätigkeit" ausgeführt habe, von der Klägerin abhängig gewesen. Denn sowohl der Erstkontakt der Patienten sei über die von der Klägerin geführte Praxis erfolgt wie auch die Patientenvergabe, selbst wenn ausgeführt werde, dass die Entscheidung darüber „in gemeinsamer Besprechung mit der Praxisinhaberin" erfolge. Denn angesichts der Tatsache, dass die Beigeladene zu 1. nur „zur Unterstützung der Praxisinhaberin durch vermehrte Patientenzahl" (Schreiben der Beigeladenen zu 1 vom 18.01.2016) eingesetzt werde, sei es tatsächlich so, dass eine Patientenvergabe an die Beigeladene zu 1. nur dann erfolge, wenn die Kapazitäten der Klägerin selbst sowie ihrer festangestellten Mitarbeiterinnen erschöpft seien. Schon gar nicht ins Gewicht falle bei der Entscheidung, dass die Beigeladene zu 1. nach Erhalt des Rezeptes durch die Praxisinhaberin die Folgetermine „in eigener Regie" vornehme, da dies gleichermaßen für die festangestellten Mitarbeiter in einer Krankengymnastik- Praxis zutreffe, da immer versucht werde, dass Patienten von der gleichen Krankengymnastin betreut würden. Allerdings sei es nicht üblich, dass die Beigeladene zu 1. ein eigenes Terminbuch führe, in das sie ihre Behandlungstermine eintrage. Ob dies zusätzlich mit der - möglicherweise computerisierten - Erfassung durch die Praxis selbst (denn die Praxisinhaberin muss gewährleisten, dass zu dem jeweiligen Termin ein Behandlungsplatz zur Verfügung stehe) geschehe, könne die Kammer letztlich dahingestellt sein lassen, da dies kein auschlaggebendes Merkmal für eine selbstständige Tätigkeit darstelle. Wesentlich entscheidender sei die Tatsache, dass die Beigeladene zu 1. für ihre Behandlungen - gemäß den „Gebührensätze der RVO" (Erläuterung ihrer Tätigkeit durch die Beigeladenen zu 1. vom 04.11.2015) - eigene Rechnungen an die von der Klägerin betriebene Krankengymnastikpraxis schicke und nicht selbstständig mit den Krankenkassen - und sei es auch unter Einschaltung eines Inkassobüros - abrechne. Vielmehr erfolge die Abrechnung auf der Basis der von den Ärzten ausgestellten Rezepten allein durch die Praxis selbst. Dafür sei maßgeblich, dass die Beigeladene zu 1. gar nicht Vertragspartner der Patienten werde, sondern dies mit der Praxis bzw. der Klägerin selbst erfolge. Schließlich begründe sich die abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. in der von der Klägerin betriebenen Krankengymnastik-Praxis auf deren tatsächlichen Eingliederung. So würden ihr bestimmte, sich in der Praxis der Klägerin meldende Patienten - sei es in Absprache mit der Beigeladenen zu 1. oder sei es auch allein an den vorhandenen Kapazitäten orientierend - zugewiesen, wobei Erfassung der entsprechenden Daten, die Vorlage der Rezepte und letztlich auch der Behandlungsvertrag ausschließlich mit der Praxis erfolge. Dies gelte - nach den übereinstimmenden Angaben der Klägerin wie der Beigeladenen zu 1. - auch bezüglich der Festlegung des ersten Behandlungstermins. Erst die weiteren Termine stimme die Patientin/der Patient dann mit der Beigeladenen zu 1. direkt ab. Die Beigeladene zu 1. bediene sich - nicht nur in Bezug auf die Abrechnung ihrer Leistungen mit den einzelnen Krankenkassen über das zwischen der Praxis und dem Dienstleister vereinbarte System - sondern sowohl in Bezug auf die Räumlichkeiten wie der zur Ausübung der Tätigkeit als Krankengymnastin notwendigen Utensilien und Gerätschaften der in der Praxis vorhandenen Materialien. Dies erfolge zwingendermaßen in Abstimmung mit den übrigen Mitarbeitern der Praxis bzw. der Klägerin persönlich. Die Beigeladene zu 1. verfüge weder über eigene Behandlungsräume noch über entsprechende Gerätschaften, wie etwa zur Wärmebehandlung oder zur Bereitstellung von Fango-Packungen. Dazu sei die Beigeladene zu 1. ebenso zwingend auf die Einrichtung der Praxis der Klägerin angewiesen, wie auf die Massageliegen - mit Ausnahme der Haus-Termine. Dass die Beigeladenen zu 1. sich im Rahmen ihrer „Rechnungsstellungen" gegenüber der Praxis der Klägerin verpflichtet habe, anteilig einen Bruchteil der von der Praxis den jeweiligen Krankenkassen in Rechnung gestellten Behandlungskosten (hier: 30 %) der Praxisinhaberin zu belassen, ändere an einer abhängigen Beschäftigung ebenso wenig, wie die Tatsache, dass sie - in Einzelfällen bei Privatpatienten - sogar eigene Rechnungen erstellt habe. Auch das Bundessozialgericht sei in seinem Urteil vom 24.03.2016 (B 12 KR 20/14 R) im Falle einer Physiotherapeutin davon ausgegangen, dass eine Eingebundenheit in die Arbeitsorganisation einer Physiotherapie-Praxis bei der Durchführung von krankengymnastischen Leistungen selbst bei Hausbesuchen anzunehmen sei, wenn der Erstkontakt zu den Patienten ausschließlich über die Praxis stattgefunden habe, nach außen hin als verantwortliche Praxisbetreiberin gegenüber den Patienten nur die Inhaberin der Praxis aufgetreten sei, die Behandlungsangebote an die tätige Krankengymnastin ausschließlich durch die Praxisinhaberin erfolgt seien, die Krankengymnastin über keine eigenen Betriebsräume verfüge und auch keine eigene Patientenkartei gehabt habe. Auch in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall seien unternehmerische Freiheiten - wie vorliegend - allenfalls ansatzweise vorhanden gewesen, da etwa für Hausbesuche der eigene PKW eingesetzt worden sei. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts sei auf den vorliegenden Fall übertragbar. Erst recht müsse dies gelten, wenn - wie hier - die Beigeladene zu 1. im Internet-Auftritt der „Krankengymnastik-Praxis A." unter dem Stichwort „Team" persönlich mit Bild namentlich aufgeführt worden sei. Die Tatsache, dass dieser Internet-Auftritt inzwischen verändert worden sei, ändere jedoch an der getroffenen Einschätzung nichts. Selbst dem Umstand, dass die Beigeladene zu 1. neben ihrer Tätigkeit für die Klägerin auch noch für andere Krankengymnastik-Praxen tätig geworden sei, führe zu keinem anderen Ergebnis. Auch bei Beschäftigten sei es durchaus nicht ungewöhnlich, dass sie noch für einen weiteren Arbeitgeber erwerbstätig seien (z.B. in Form einer Nebenbeschäftigung), ohne dass sich damit der sozialversicherungsrechtliche Charakter der ersten Tätigkeit deshalb abweichend beurteilt werden müsse. Soweit dagegen bisweilen die Selbstständigkeit einer von einer Praxis eingesetzten Physiotherapeutin bejaht worden sei (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.10.2015, L 4 R 3874/14), könne die Klägerin daraus keine Rechtsfolgen ableiten. Denn die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit erfolge nicht abstrakt für bestimmte Berufs- oder Tätigkeitsfelder, weshalb es möglich sei, dass ein und derselbe Beruf - je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis - entweder in Form der abhängigen Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit erbracht werden könne. Maßgebend seien allein die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts (vgl. auch BSG, Urteile vom 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R, vom 30.10.2013, B 12 KR 17/11 R, jeweils mit weiteren Nachweisen). Ob man darüber hinaus - mit der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R) - dem Zulassungserfordernis für Heilmittelerbringer der gesetzlichen Krankenversicherung keine Bedeutung für die Feststellung des Status als Beschäftigte im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zukommen lasse (vgl. Landesozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.09.2014, L 1 KR 351/12), könne die Kammer letztlich dahingestellt sein lassen. Immerhin habe das Bundessozialgericht in dem Fall der Statusfeststellung eines als Fahrlehrer in einer Fahrschule tätigen Mannes, der zwar über die Fahrlehrererlaubnis, jedoch nicht über die Fahrschulzulassung verfügt habe, maßgeblich darauf abgestellt, dass er nach dem einschlägigen Fahrlehrergesetz nicht selbstständig tätig sein könne, weil ihm die Fahrschulzulassung fehle. Angesichts der gebotenen Gesamtwürdigung der hier vorliegenden Vereinbarungen und deren tatsächlicher Umsetzung komme die Kammer zu dem Schluss, dass die Beigeladene zu 1. während ihrer Tätigkeit für die von der Klägerin betriebenen Krankengymnastik-Praxis in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV gestanden habe, weshalb sie der Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung unterliege. Die Kostenentscheidung beruhe - fälschlicherweise - auf § 193 SGG. Denn weder die Klägerin als Arbeitgeberin noch der beklagte Rentenversicherungsträger gehörten zu dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis. Daher hätte die Entscheidung gemäß § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend ergehen müssen, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens trage.

Die Klägerin hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 03.04.2018 zugestellte Urteil am 02.05.2018 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben und unter Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen zur Berufungsbegründung ergänzend vorgetragen: Es bestehe kein Weisungsrecht der Klägerin gegenüber der Beigeladenen zu 1. Es gebe insbesondere keine zeitliche Zuweisung von Patienten an die Beigeladene zu 1. Vielmehr vereinbare die Beigeladene zu 1. selbstständig ihre Termine und sei auch in der Lage, bei Verhinderung die Behandlungstermine abzusagen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Praxis der Klägerin über eine ausreichende Zahl an Behandlungsräumen verfüge, so dass die Beigeladene zu 1. frei entscheiden könne, wann sie eine Behandlung durchführe. Zudem verkenne das Sozialgericht, dass die Beigeladene zu 1. eine Vielzahl von Hausbesuchen durchführe. Die Beigeladene zu 1. habe infolge einer fast 20jährigen freien Mitarbeit einen eigenen Patientenstamm aufgebaut; diese Patienten wendeten sich telefonisch direkt an die Beigeladene zu 1.; auch dies werde vom Sozialgericht nicht ausreichend berücksichtigt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Februar 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2016 aufzuheben und festzustellen, dass die von der Beigeladenen zu 1. seit 1. April 1999 bei ihr ausgeübten Tätigkeit nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitslosenversicherung unterlag.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Dass die Beigeladene zu 1. zwischenzeitlich einen eigenen Patientenstamm aufgebaut habe, sei unerheblich. Der Erstkontakt der Patienten erfolge über die Praxis; bei dem „Patientenstamm“ der Beigeladenen zu 1. handele es sich daher weiterhin um Patienten der Praxis der Klägerin.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Die Berichterstatterin des Senats hat die Klägerin und die Beigeladene zu 1. im Erörterungstermin am 6. Februar 2020 ergänzend angehört. Wegen des Inhalts ihrer Angaben wird auf das Sitzungsprotokoll vom 6. Februar 2020 (Bl. 121 bis 124 der Gerichtsakte) verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich alle Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht Darmstadt hat mit Urteil vom 14.02.2018 die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 04.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beigeladene zu 1. übte ihre Tätigkeit bei der Klägerin ab 01.04.1999 bis zu ihrem Ausscheiden aus der Praxis der Klägerin am 31.03.2016 im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung aus; es bestand Versicherungs- und Beitragspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG vollumfänglich Bezug auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe; diese sind überzeugend und würdigen die fallentscheidenden Aspekte umfassend und vollständig.

Ergänzend ist anzumerken:

Der Klägerin ist zuzustimmen, dass für eine Selbstständigkeit der Beigeladenen zu 1. deren Freiheiten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sprechen. Sie war insbesondere nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden, es bestand keine Anwesenheitspflicht und sie konnte selbstständig Terminvereinbarungen mit den Patienten treffen, soweit es um Folgetermine nach dem Erstkontakt mit der Praxis der Klägerin ging. Zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. waren keine festen Arbeitszeiten, kein fester Stundensatz und kein monatliches Arbeitsentgelt vereinbart (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R, juris, Rn. 19).

Ein bedeutendes Merkmal für eine abhängige Beschäftigung ist aus Sicht des Senats jedoch, dass der Erstkontakt aller Patienten jeweils über die Praxis und damit in Verantwortung der Klägerin erfolgte (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R, juris, Rn. 20). Insoweit war die Beigeladene zu 1. keinesfalls frei hinsichtlich des „Ob“ und des Umfangs ihres Tätigwerdens, sondern sie war insoweit von der Klägerin abhängig. Dass die Beigeladene zu 1. - genau wie auch die Klägerin und die damals außerdem angestellte Physiotherapeutin - den Patientenwünschen entsprechend die Folgetermine selbst vereinbaren konnte, relativiert aus Sicht des Senats das Argument der selbstbestimmten Arbeitszeit der Beigeladenen zu 1., da letztlich die Absprache mit der Klägerin bestand, den Wünschen der Patienten entsprechend die rezeptierten Behandlungen fortlaufend durch einen Therapeuten durchzuführen.

Auch die direkte Abrechnung von Privatpatienten, wie von der Beigeladenen zu 1. im Erörterungstermin geschildert, ist grundsätzlich ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Hier gilt jedoch zu berücksichtigen, dass es sich nach den Angaben der Beigeladenen zu 1. nur um „sehr wenige“ privat versicherte Patienten gehandelt hat, welchen sie direkt eine Rechnung gestellt hat. Die Beigeladene zu 1. hat im Erörterungstermin die Anzahl der Privatpatienten auf einen pro Tag angegeben, bei maximal 24 Patienten am Tag, so dass die direkte Abrechnung der Privatpatienten durch die Beigeladene zu 1. und das entsprechende Ausfallrisiko bei einer Gesamtabwägung nicht maßgeblich ins Gewicht fällt, zumal auch insoweit der Erstkontakt dieser privat versicherten Patienten über die Praxis der Klägerin erfolgte.

Der Führung eines privaten Terminkalenders durch die Beigeladene zu 1. kommt nach Auffassung des Senats hingegen keine maßgebliche Bedeutung zu. Zusätzlich zum eigenen Kalender gab es das Terminbuch der Praxis, in welchem auch die Termine der Beigeladenen zu 1. eingetragen wurden, damit die Klägerin bzw. die angestellte Mitarbeiterin neue Termine auch für die Beigeladene zu 1. vergeben konnten, so die Beigeladene zu 1. im Erörterungstermin am 06.02.2020. Dies erfolgte für den Fall, dass die Klägerin bzw. ihre angestellte Mitarbeiterin selbst keine Termine mehr frei hatten und auf diese Weise die Beigeladene zu 1. - bei Belastungsspitzen - die neuen Patienten übernehmen sollte. Nach Auffassung des Senats ist dies ein Indiz für die Einordnung der Beigeladenen zu 1. in eine fremde Arbeitsorganisation und damit für eine abhängige Beschäftigung. Dass sich die Beigeladene zu 1. zusätzlich die Termine privat notierte, ist aus Sicht des Senats hingegen kein Beleg für eine selbstständige Tätigkeit, sondern der Organisation der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. als „Teilzeitkraft“ geschuldet.

Auch wenn die Beigeladene zu 1. über den langen Zeitraum ihrer Tätigkeit in der Praxis der Klägerin einen Stamm mit „eigenen“ Patienten - auch aufgrund von Folge- oder Dauerverordnungen - aufbauen konnte, ist dies nach Auffassung des Senats kein entscheidendes Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Auch insoweit gilt, dass ursprünglich der Erstkontakt mit diesen Patienten über die Praxis der Klägerin erfolgt war.

Es mag sein, dass die Beigeladene zu 1. auch vor oder nach der von ihr beschriebenen „Kernzeit“ Patienten aus „ihrem Patientenstamm“ zusätzlich behandeln konnte. Eine entsprechende „Überstundenegelung“ ist nach Auffassung des Senats jedoch auch für eine abhängig beschäftigte Physiotherapeutin denkbar und praktizierbar. Außerdem hatte die Beigeladene zu 1. keine eigene Patientenkartei; die Patienten waren ausschließlich mit der Klägerin vertraglich verbunden.

Dass die Beigeladene zu 1. Hausbesuche unter Einsatz ihres eigenen PKW durchgeführt hat, steht der Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen. Auch insoweit erfolgte der Erstkontakt der Patienten über die Praxis. Zudem wurden die durch die Krankenkassen vorgenommenen Fahrkostenerstattungen durch die Klägerin an die Beigeladene zu 1. weitergegeben, wie von der Beigeladenen zu 1. im Erörterungstermin am 06.02.2020 erläutert, so dass die Nutzung des Privat-PKW jedenfalls kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit darstellt.

Aus Sicht des Senats ist zudem von Bedeutung, dass die Beigeladene zu 1. kein maßgebliches Unternehmerrisiko getragen hat. Sie verfügte nicht über eigene Betriebsräume bzw. eine eigene Betriebsstätte. Vielmehr konnte sie jeweils einen Therapieraum in den Praxisräumen der Klägerin sowie die erforderlichen Utensilien und Geräte nutzen, wobei die vereinzelte Anschaffung eines Gymnastikballes oder eines Thera-Bandes durch die Beigeladene zu 1. auf eigene Kosten - wie im Erörterungstermin geschildert - nach Auffassung des Senats angesichts niedriger Beträge nicht entscheidend ins Gewicht fällt. Ferner ist die Beigeladene zu 1. nicht in rechtlich relevantem Maße nach außen unternehmerisch auf dem Markt aufgetreten. Sie hat für ihre Tätigkeit keine Werbung gemacht. Auch hat sie keine Visitenkarten verteilt oder durch ein Praxisschild auf sich aufmerksam gemacht. Nach ihren Angaben tauchte ihr Name in der Praxis an keiner Stelle auf. Es war für die Patienten damit nicht wahrnehmbar, dass die Beigeladene zu 1. als selbstständige Physiotherapeutin tätig sein sollte. Sie erbrachte ihre Leistungen vielmehr ausschließlich im Namen der Klägerin. Die Beigeladene zu 1. beschäftigte kein eigenes Personal und erbrachte ihre Leistungen nur in eigener Person. Sie musste kein eigenes Wagniskapital einsetzen und war auch am wirtschaftlichen Erfolg der Praxis nicht eigenständig und unabhängig vom Ausmaß des eigenen persönlichen Arbeitseinsatzes beteiligt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 31.10.2019, L 1 BA 38/18 - Logopädin). Aufgrund der vertraglichen Vereinbarung, dass die Klägerin 30% der durch die Krankenkassen vorgenommenen Vergütung gegenüber der Beigeladenen zu 1. für die von dieser durchgeführten Behandlungen einbehielt, hatte die Beigeladene zu 1. gerade keine laufenden Kosten (wie z.B. eine monatlich fällige Miete), die sie - unabhängig von ihrem eigenen Tätigwerden - mit dem Risiko des Verlusts einsetzen musste. Allein der Umstand, dass jemand von seinem Vertragspartner keinen für Beschäftigte typischen sozialen Schutz zur Verfügung gestellt erhält, führt noch nicht zur Annahme eines unternehmerischen Risikos. Einem solchen Risiko müssen vielmehr - um sozialversicherungsrechtliche Folgen auslösen zu können - auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen. Auch aus dem allgemeinen Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft ggf. nicht verwerten zu können, folgt kein Unternehmerrisiko (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R, juris, Rdnr. 21; Urteil des erkennenden Senats vom 31.10.2019, L 1 BA 38/18).

Auf „zwingende“ Vorgaben des Leistungserbringungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung kann die Annahme von Beschäftigung hingegen nicht gestützt werden. Insbesondere kann der Regelung in § 124 Abs. 1 SGB V keine determinierende Wirkung in Bezug auf die zu entscheidende Frage des Vorliegens von Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV entnommen werden (BSG, Urteil vom 24. März 2016, B 12 KR 20/14 R, juris, Rn. 28). Es ist daher nicht relevant, dass die Beigeladene zu 1. wegen der Regelungen des Leistungserbringerrechts der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mit den Kostenträgern direkt abrechnen konnte, sondern dies über die Klägerin erfolgen musste (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2018, L 7 R 1319/17, juris, Rdnr. 47).

Angesichts der gebotenen Gesamtwürdigung der hier vorliegenden Vereinbarung und deren tatsächlicher Umsetzung gelangt der Senat in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht zu der Überzeugung, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. für die Klägerin deutlich mehr Merkmale einer abhängigen Beschäftigung aufweist als einer selbstständigen Tätigkeit, so dass die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV sowie die Versicherungspflicht zu den hier maßgeblichen Zweigen der Sozialversicherung durch die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden rechtmäßig erfolgte.

Die Beigeladene zu 1. ist seit 01.04.2016 nicht mehr für die Klägerin tätig, so dass sich der angefochtene Bescheid insoweit erledigt hat (§ 39 Abs. 2 SG X), denn ein zu beurteilender sozialversicherungsrechtlicher Status endete mit dem Ausscheiden der Beigeladenen zu 1. aus der Praxis der Klägerin. Eine abhängige Beschäftigung und die Versicherungspflicht zu den hier streitigen Zweigen der Sozialversicherung bestand lediglich bis 31.03.2016.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG werden, wenn in einem Verfahren weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten kostenrechtlich privilegierten Personen gehört, Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Da weder die Klägerin als Arbeitgeberin noch der beklagte Rentenversicherungsträger gemäß § 183 SGG kostenprivilegiert sind, ist eine Kostenentscheidung gemäß § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO zutreffen. Der Kostentenor im erstinstanzlichen Urteil war insoweit auch für das erstinstanzliche Verfahren zu korrigieren.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Der Streitwert war gemäß §§ 47, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- € festzusetzen. Geht es - wie in Verfahren nach § 7a SGB IV - nicht um eine konkrete Beitragsforderung, sondern um den sozialversicherungsrechtlichen Status, bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so dass der Streitwert auf 5.000,00 € festzusetzen ist (Beschluss des Senats vom 06.09.2019, L 1 BA 21/19 B unter Verweis auf BSG, Urteil vom 26.02.2019 - B 12 R 8/18 R; Beschluss vom 18.12.2018, B 12 R 37/18 B; Beschluss vom 20.02.2017 - B 12 KR 95/16 R).

RechtsgebietSGB IVVorschriften§ 7 SGB IV, § 7a SGB IV