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14.11.2018 · IWW-Abrufnummer 205494

Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 28.02.2018 – 5 K 69/15

Stichwort: Die Beschränkung des Verlustausgleichs bei Verlusten aus der Veräußerung von Aktien gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStGa.F. ist verfassungsgemäß.


Finanzgericht Schleswig-Holstein

Urt. v. 28.02.2018


In dem Rechtsstreit

wegen Einkommensteuer 2012

hat der 5. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts am 28. Februar 2018 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Verrechnung von Verlusten aus dem Verkauf von Aktien mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden können.

Die Kläger werden zusammen veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Steuerberater sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die Klägerin erzielte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen.

Auf Grundlage der am 30. Juni 2013 eingereichten Einkommensteuererklärung erging der Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 4. Oktober 2013, mit dem die Einkommensteuer auf 81.393,00 € festgesetzt wurde. Dabei wurden die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nach § 32 d Abs. 1 EStG besteuert werden (Abgeltungssteuer) wie folgt berücksichtigt:

                             Ehemann    Ehefrau      
Kapitalerträge    2.092,00 €    1.289,00 €      
Verluste aus der Veräußerung von Aktien     -4.819,00 €          
davon nicht ausgleichsfähige Verluste    4.819,00 €          
abzügl. Sparer-Pauschbetrag    801,00 €    801,00 €      
Kapitalerträge i. S. d. § 32 d Abs. 1 EStG    1.291,00 €    488,00 €     

Zudem wurde mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2012 vom 4. Oktober 2013 der verbleibende Verlustvortrag nach § 10 d Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus Kapitalvermögen (Veräußerung von Aktien) auf 4.819,00 € festgestellt.

Am 29. Oktober 2013 ging ein Einspruchsschreiben vom 27. Oktober 2013 beim Beklagten ein. Dieses Schreiben trug den Kopfbogen des Klägers als Steuerberater und bezeichnete im Betreff die Steuernummer sowie die Namen der Kläger. Nach der Anrede folgt die Formulierung: "hiermit lege ich gegen den o. g. Bescheid Einspruch ein." Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich der Einspruch gegen die Anwendung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG wende, da diese Regelung gegen Art. 3 GG verstoße und damit verfassungswidrig sei. Diese Rechtsauffassung gründe sich auf die Ausführungen des BFH in seinem Urteil vom 18. Oktober 2006 (IX R 28/05). Der BFH habe die Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 8 f. EStG als verfassungsgemäß angesehen, da es sich um eine besondere Regelung handele, die nur bei Anschaffungen und Veräußerungen innerhalb bestimmter Fristen zum Tragen komme. Daraus lasse sich eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Einkünften rechtfertigen. Anders sei die Situation jedoch bei der Verlusteinschränkung innerhalb der dem Sondersteuersatz von § 25 unterliegenden Einkünften des § 20 EStG. Die fristenlose Besteuerung von Substanzgewinnen in Kapitalanlagen ab 2009 durch die Regelung des § 20 Abs. 2 EStG würde vom Gesetzgeber mit der Gleichstellung von Substanzgewinnen mit laufenden Kapitalerträgen gerechtfertigt. Damit stelle der Gesetzgeber u. a. Substanzgewinne laufenden Gewinnausschüttungen gleich. Sämtliche Kapitalerträge - unabhängig davon, ob es sich um Substanzgewinne oder laufende Erträge handele - könnten nach § 20 Abs. 6 EStG untereinander ausgeglichen werden. Die einzige Ausnahme stellten die Verluste aus Aktienverkäufen dar.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebiete dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln; er sei verletzt, wenn

- sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lasse oder

- eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt werde, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BverfG-Urteil vom 6.3.2002 (2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, BFH/NV Beilage 2002, 60 m. w. N.).

Im Streitfall sei festzuhalten, dass es sich beim Anwendungsbereich des § 20 EStG grundsätzlich um Kapitalanlagen handele. Die Kapitalanlageformen seien vielfältig. Dennoch erfasse der § 20 EStG grundsätzlich sämtliche Formen der Kapitalanlagen und führe sowohl laufende Erträge als auch Substanzsteigerungen der Besteuerung zu. Ein Unterschied zwischen den einzelnen Kapitalanlageformen, die eine Verlustverechnungsbeschränkung untereinander rechtfertigen könnte, sei nicht ersichtlich. § 20 Abs. 2 EStG erfasse u. a. Veräußerungen von Optionsscheinen, Genussrechten, Indexzertifikaten, Anleihen, Aktien, Anteilen an GmbHs (soweit nicht § 17 EStG erfüllt sei) u.v.m.. Verluste aus diesem Bereich könnten - einschließlich der Verluste aus Termingeschäften - mit anderen Kapitalerträgen verrechnet werden. Eine sachliche Rechtfertigung, ausgerechnet Verluste aus Aktienverkäufen aus der Verrechnung auszuschließen, sei nicht ersichtlich.

Auch würden hier Steuerpflichtige mit der gleichen Zielrichtung (Anlage von Vermögen) unterschiedlich behandelt, weil sie unterschiedliche Anlageformen wählen. Es lasse sich kein plausibler Grund finden, z. B. Verluste aus der Veräußerung von GmbH-Anteilen in eine Verrechnung mit sämtlichen anderen Tatbeständen des § 20 EStG einzubeziehen, die Verluste aus der Veräußerung von Aktien jedoch nicht. Letztlich sei es auch nicht zu rechtfertigen, Substanzsteigerung in Aktien laufenden Erträgen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gleichzustellen und gleichzeitig die Verrechnung von Veräußerungsverlusten mit laufenden Erträgen aus denselben Wertpapieren zu versagen. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass u. a. Gewinnausschüttungen gleichzeitig zu Substanzverlusten führen. Aus der Gesetzesbegründung sei keine Begründung ersichtlich.

Mit Einspruchsentscheidung vom 24. März 2015 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Einspruchsentscheidung wurde an den Kläger adressiert und erging über den Einspruch des Klägers. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Einkommensteuerbescheid auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen ergangen sei. Gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG dürften Verluste aus den Veräußerungen von Aktien nur mit Gewinnen aus dem Verkauf von Aktien verrechnet werden. Die Verrechnung der erklärten Verluste aus dem Verkauf von Aktien in Höhe von 4.819,00 € sei mangels Gewinn aus dem Verkauf von Aktien nicht zulässig gewesen. Hinsichtlich der Prüfung der behaupteten Verletzung von Grundrechten werde auf die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde sowie auf die Pflicht der Gerichte nach Art. 100 Abs. 1 GG, bei der Annahme einer Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, hingewiesen.

Am 23. April 2015 haben die Kläger Klage erhoben und tragen zur Begründung vor, das Finanzamt habe die Verluste nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG unter zutreffender Anwendung des Gesetzes nicht mit den positiven Einnahmen aus Kapitalvermögen verrechnet, sondern zum weiteren Verlustvortrag auf evtl. anfallende Gewinne aus Aktienveräußerungen gesondert festgestellt. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen seien mit 0,00 € zu berücksichtigen, da die angewendete Vorschrift des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG verfassungswidrig sei. Seit 2009 würden Veräußerungsvorgänge von Kapitalanlagen durch die Regelungen des § 20 Abs. 2 EStG fristenlos der Besteuerung unterworfen. Die entsprechenden Gewinne würden als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst. Gesetzessystematisch habe der Gesetzgeber damit die Substanzgewinne den laufenden Erträgen gleichgestellt. Diese Regelungen seien insoweit auch zutreffend, da mit den Substanzgewinnen insbesondere bezüglich Aktien "stehengelassene" Gewinne auf der Ebene der Gesellschaft realisiert würden, die für eine Ausschüttung zur Verfügung stehen würden. Die Realisation eines Substanzgewinns sei damit im wirtschaftlichen Ergebnis nur ein anderer Weg der Ausschüttung. Gleiches gelte, soweit stille Reserven durch die Anteilsveräußerung realisiert würden. Folgerichtig bestehe auch die grundsätzliche Möglichkeit, Verluste aus der Veräußerung von Kapitaleinlagen mit laufenden Erträgen des § 20 Abs. 1 EStG zu verrechnen. Lediglich Aktien - mithin auch nur bestimmte Tatbestände des § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG - seien von dieser Verrechnung ausgenommen. Eine Begründung bzw. sachliche Rechtfertigung für diese Sonderregelung enthielten die Gesetzesmaterialien nicht.

Die Sonderregelung sei insbesondere für Aktien sachlich nicht gerechtfertigt. Gerade bei Aktien lasse sich die systematische Gleichstellung von laufenden Ausschüttungen und der Substanzbesteuerung als Kapitalerträge rechtfertigen. Werden z. B. Aktien vor einer Ausschüttung erworben und nach einer Ausschüttung veräußert, so werde sich (bereinigt um marktbedingte Einflüsse) ein Veräußerungsverlust in Höhe der Dividende ergeben. Aufgrund der Sonderregelung ergebe sich jedoch, dass die laufende Ausschüttung versteuert werden müsse (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und sich dennoch keine Verlustverrechnungsmöglichkeit mit den negativen Einnahmen aus § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG ergebe. Tatsächlich seien Erträge von 0,00 € erzielt worden.

Die gesetzliche Sonderregelung sei offensichtlich schlicht eine Fortführung der bisherigen Verlustverrechnungsbeschränkung des § 23 EStG. Hier liege jedoch eine ganz andere Systematik zugrunde, und die beiden Vorschriften seien nicht vergleichbar. Der BFH habe in seinem Urteil vom 18. Oktober 2006 (IX R 28/05) bereits zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 23 EStG positiv entschieden. Entscheidend sei dabei gewesen, dass der § 23 EStG nur ausnahmsweise die Veräußerung innerhalb bestimmter Fristen als steuerbar vorsehe, so dass eine Ausnahme auch bei der Verlustberücksichtigung gerechtfertigt sei. Der § 23 EStG sei eine Ausnahmevorschrift, die den Dualismus der Einkunftsarten durchbreche und eine Substanzbesteuerung bei privaten Wirtschaftsgütern vorsehe. Die Grundsystematik des EStG sehe bei privaten Wirtschaftsgütern ansonsten nur die Besteuerung der Erträge aus dem Privatvermögen vor. § 20 EStG in der Fassung ab 2009 sei jedoch eine in die Grundsystematik eingebettete und gerade keine Ausnahmevorschrift. § 20 EStG sehe keine Ausnahme vom Dualismus der Einkunftsarten vor, sondern lediglich die Besteuerung der Erträge. Neu sei lediglich, dass Substanzgewinne den laufenden Erträgen insoweit gleichgestellt würden. Damit ergebe sich gerade keine Rechtfertigung für die Ausnahmeregelung für die Verlustverrechnung von Aktien.

Soweit die Rechtfertigung eine Sicherung des Steueraufkommens in Verlustfällen darstellen solle, wäre nicht nachvollziehbar, warum andere - u. a. auch hochspekulative Kapitalanlagen - von dieser Verlustverrechnungsbeschränkung nicht betroffen seien. So könnten z. B. Verluste aus Warentermingeschäften ebenso mit laufenden Kapitalerträgen verrechnet werden wie die Verluste aus dem Handel mit Aktienoptionen. Ebenfalls könne eine Verlustverrechnung erfolgen, wenn es sich um die Veräußerung von Fondsanteilen (auch bei reinen Aktienfonds) handele. Außerdem seien die Verluste aus Kapitalvermögen, die der Sondersteuer von 25 % nach § 32 d Abs. 1 EStG unterliegen, grundsätzlich vom Ausgleich mit anderen Einkünften ausgenommen. Letzteres werde auch nicht angezweifelt.

Die Beweggründe des Gesetzgebers blieben im Dunkeln, da sich keine Ausführungen dazu in den Gesetzesmaterialen fänden. Es handele sich zwar nur um ein temporäres Verlustverrechnungsverbot, da ein Verlustvortrag aus entsprechenden Aktiengeschäften mit positivem Ergebnis erfolge.

Letztlich gebe es aber auch keine Rechtfertigung für diese Einschränkung und es könne dieselbe Wirkung wie ein endgültiges Ausgleichsverbot entfalten, wenn zukünftig keine Gewinne anfielen.

Nach den allgemeinen Grundsätzen für einen Verstoß gegen Art. 3 GG ergebe sich damit kein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigen würde, so dass die Regelung verfassungswidrig sei.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 4. Oktober 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2015 dahingehend zu ändern, dass unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Verlustverrechnung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 1.779,00 € die Einkommensteuer um 445,00 € niedriger festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Klage ist zulässig.

a) Die Klage des Klägers ist zulässig. Der Einspruch des Klägers wurde mit der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2015 als unbegründet zurückgewiesen, so dass die Voraussetzungen des § 44 FGO vorliegen.

b) Die Klage der Klägerin ist als Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 FGO zulässig.

Hinsichtlich der Klägerin geht der Senat nach dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung davon aus, dass der Kläger mit dem Einspruchsschreiben vom 27. Oktober 2013 Einspruch auch für die Klägerin eingelegt hatte, weil dieses Schreiben den Kopfbogen des Klägers als Steuerberater trägt und im Betreff die Steuernummer sowie die Namen der Kläger aufführt. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger als Prozessbevollmächtigter der Kläger bestätigt, dass der Einspruch für beide Eheleute eingelegt werden sollte.

Es liegt zwar keine Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Klägerin und damit kein abgeschlossenes Vorverfahren vor.

Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist aber eine Klage abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH handelt es sich bei den in § 46 Abs. 1 FGO angeführten Tatbestandsvoraussetzungen nicht um Zugangsvoraussetzungen, sondern um Sachentscheidungsvoraussetzungen, die erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erfüllt sein müssen. Eine Untätigkeitsklage kann daher in die Zulässigkeit hineinwachsen. Für die Zulässigkeit der Klage kommt es somit darauf an, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO zum Zeitpunkt der Entscheidung gegeben sind (BFH, Beschluss vom 07.03.2006, VI B 78/04, BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430, m. w. N.). Aus § 46 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 2 FGO folgt, dass eine Frist von bis zu sechs Monaten nach Einlegung des Einspruchs regelmäßig als angemessen anzusehen ist (BFH, Beschluss vom 27.06.2012, XI B 8/12, BFH/NV 2012, 1809 m. w. N).

Das Tatbestandsmerkmal "in angemessener Frist" kann aber auch eine Frist von mehr als sechs Monaten bedeuten. Es ist nach den gesamten Umständen des Falles zu beurteilen, ob eine darüber hinausreichende Frist noch "angemessen" ist.

Hiervon ausgehend liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor, da die Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Klägerin nicht innerhalb einer Frist von bis zu sechs Monaten nach Einlegung des Einspruchs ergangen ist.

Vor dem Hintergrund, dass eine Einspruchsentscheidung vom 24. März 2015 über den Einspruch des Klägers bereits ergangen ist, hält es das Gericht nicht für angezeigt, das Klageverfahren nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO auszusetzen, um dem Beklagten noch eine Frist zu setzen, binnen derer eine (aller Voraussicht nach gleichlautende) Einspruchsentscheidung über den Einspruch der Klägerin ergehen kann.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 4. Oktober 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten; eine Änderung kommt somit nicht in Betracht.

Der Beklagte hat die Einkommensteuer für 2012 unter zutreffender Anwendung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG (in der im Streitjahr geltenden Fassung, nachfolgend a.F.) festgesetzt und die Verluste aus den Aktienveräußerungen des Klägers nicht mit den positiven Einnahmen aus Kapitalvermögen verrechnet, sondern zum weiteren Verlustvortrag auf evtl. anfallende Gewinne aus Aktienveräußerungen gesondert festgestellt.

Ein Fehler ist dem Beklagten hierbei erkennbar nicht unterlaufen. Dies wird auch von den Klägern nicht vorgetragen.

3. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) kommt nicht in Betracht. Denn der Senat ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a. F. (jetzt § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG), wonach Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien ausgeglichen werden können, überzeugt. Gerade dies ist jedoch zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit eines konkreten Normenkontrollverfahrens.

a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm näher begründet werden (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfG vom 7.4.1992 1 BvL 19/91, BVerfGE 86, 52 <57). Das vorlegende Gericht darf sich dabei nicht nur auf die Benennung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabes beschränken, sondern muss auch die für seine Überzeugung maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar und umfassend darlegen (vgl. BVerfG vom 10.5.1988 1 BvL 8/82, 1 BvL 9/82, BVerfGE 78, 165 <171 f.>; vom 12.1.1993 1 BvL 7/92, 1 BvL 27/92, 1 BvL 49/92, BVerfGE 88, 70 <74>).

b) Die für den Streitfall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Private Veräußerungsgeschäfte waren nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. u.a. Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, insbesondere bei Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt. Bei Veräußerung von Beteiligungen, wie zum Beispiel Aktien, waren der Veräußerungspreis gemäß § 3 Nr. 40 Buchst. j EStG nur hälftig und die Anschaffungs- und Werbungskosten dann gemäß § 3c Abs. 2 EStG ebenfalls nur hälftig zu berücksichtigen.

Durch das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG) vom 14. August 2007 (BGBl. I 2007, 1912) hat der Gesetzgeber die Besteuerung von (privaten) Kapitaleinkünften zum 1. Januar 2009 grundlegend neu gestaltet und dabei Gewinne aus Wertpapiergeschäften -unabhängig von Spekulationsfristen- nunmehr den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG zugeordnet, die nicht mehr der tariflichen Einkommensteuer, sondern nach § 32d Abs. 1 EStG einem linearen Steuersatz von 25 % unterliegen. Für die (privaten) Kapitaleinkünfte nach Einführung der Abgeltungssteuer, einschließlich der jetzt dazuzählenden Wertpapierveräußerungen, gibt es kein Halb- oder Teileinkünfteverfahren mehr. Dieses ist durch § 3 Nr. 40 Satz 2 EStG n.F. i.V.m. § 20 Abs. 8 EStG n.F. nunmehr auf "betriebliche Kapitaleinkünfte" beschränkt.

Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören seitdem nach § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG u.a. der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft (Nr. 1).

Der Gesetzgeber hat im Zuge des Systemwechsels auch die Verrechenbarkeit von Verlusten genau geregelt.

Gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG a.F. sind verbleibende positive Einkünfte aus Kapitalvermögen nach der Verrechnung im Sinne des § 43a Abs. 3 EStG zunächst mit Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften nach Maßgabe des § 23 Abs. 3 Sätze 9 und 10 EStG zu verrechnen. Nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG dürfen dagegen Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt (Satz 3). § 10d Abs. 4 EStG ist sinngemäß anzuwenden (Satz 4). Verluste aus Kapitalvermögen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 Satz 1, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, dürfen nur mit Gewinnen aus Kapitalvermögen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 Satz 1, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden; die Sätze 3 und 4 gelten sinngemäß.

Dies bedeutet, dass die Verlustverrechnung weiter dahin eingeschränkt wird, dass Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien ausgeglichen werden können. Diese Einschränkung des Verlustausgleichs wurde auf Empfehlung des Finanzausschusses eingeführt (Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) BT-Drucksache 16/5491 vom 24.05.2007). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Sinn und Zweck der Einschränkung der Verlustverrechnung "die Verhinderung von durch Spekulationsgeschäfte bedingten abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken" sei (BT-Drucksache 16/5491, S. 19 "Zu Absatz 6").

c) Der Senat ist trotz Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a.F. nicht davon überzeugt, dass der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat und der allgemeine Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.

aa) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 29.3.2017 - 2 BvL 6/11, Rn. 98). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Das BVerfG führt aus, dass es zwar grundsätzlich Sache des Gesetzgebers sei, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl müsse er jedoch sachgerecht treffen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, ließen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Dabei ergäben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Differenzierungen bedürften stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind.

Die Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen hat das BVerfG (vom 12.5.2009 - 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, 120 f.) für das Steuerrecht wie folgt konkretisiert:

"Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: Durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes."

Art. 3 Abs. 1 GG bindet den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit (BVerfGE 6, 55, 70 [BVerfG 17.01.1957 - 1 BvL 4/54]), der gebietet, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Das gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen hin angelegt ist (BVerfGE 43, 108, 120; 61, 319, 343 f.; 66, 214, 223; 82, 60, 86; 89, 346, 352; 127, 224, 248). Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. BVerfGE 82, 60, 89; 99, 246, 260; 107, 27, 46 f.; 116, 164, 180; 122, 210, 231; vgl. auch BVerfGE 117, 1, 30; 121, 108, 119 f.; 127, 1, 28; 132, 179, 189 Rn. 32; 141, 1, 40 Rn. 96).

Abweichungen vom Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht bedürfen nach Art. 3 Abs. 1 GG der Rechtfertigung. Zu den Rechtfertigungsgründen hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 29.3.2017 (2 BvL 6/11, BStBl II 2017, 1082) Folgendes ausgeführt:

"Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. BVerfGE 1, 14 [BVerfG 23.10.1951 - 2 BVG 1/51] <52>; 89, 132 <141>; 105, 73 <110>; 107, 27 <45 f.>; 110, 412 <431 f.>; 113, 167 <214>; stRspr). Willkür des Gesetzgebers kann nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat, vielmehr nur dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden lässt (BVerfGE 55, 72 <90>; 89, 132 <141 f.>). Dabei genügt Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand (BVerfGE 4, 144 [BVerfG 16.03.1955 - 2 BvK 1/54] <155>; 36, 174 <187>; 55, 72 <90>). Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (BVerfGE 9, 334 [BVerfG 16.06.1959 - 2 BvL 10/59] <337>; 55, 72 <90>; 76, 256 <329>; 85, 176 <187>; 101, 275 <291>; 115, 381 <389>; 141, 1 <39 Rn. 94>). Willkür in diesem Sinne kann erst festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist (BVerfGE 12, 326 [BVerfG 09.05.1961 - 2 BvR 49/60] <333>; 23, 135 <143>; 55, 72 <90>; 89, 15 <23>; 89, 132 <142>; 99, 367 <389>)."

Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen. Die Bemessungsgrundlage muss - in Einnahmen und Aufwand - den wirtschaftlichen Vorgang sachgerecht aufnehmen und realitätsgerecht abbilden. Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung (folgerichtige Umsetzung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands) bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag.

Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht als besonderer sachlicher Grund in diesem Sinne anzuerkennen (vgl. BVerfGE 105, 17 <45>; 116, 164 <182>; 122, 210 <233>; 141, 1 <41 Rn. 96>).

Allgemein steigen die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen in dem Maße, in dem sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den rechtfertigenden Sachgrund, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern.

Der Gesetzgeber darf allerdings bei der Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfGE 84, 348 [BVerfG 08.10.1991 - 1 BvL 50 /86] <359>; 113, 167 <236>; 126, 268 <278 f.>; 133, 377 <412 Rn. 86>; stRspr). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist er berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt (vgl. BVerfGE 11, 245 [BVerfG 28.06.1960 - 2 BvL 19/59] <254>; 78, 214 <227>; 84, 348 <359>; 122, 210 <232>; 126, 268 <278>; 133, 377 <412 Rn. 86>).

Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 82, 159 <185 f.>; 122, 210 <232>; 126, 268 <279>; 133, 377 <412 Rn. 87>). Begünstigungen oder Belastungen können in einer gewissen Bandbreite zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung nach oben und unten pauschalierend bestimmt werden (BVerfGE 111, 115 <137>). Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen (BVerfGE 122, 210 <232 f.>; 126, 268 <279>; 132, 39 <49 Rn. 29>; 133, 377 <412 Rn. 87>). Insbesondere darf der Gesetzgeber keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (vgl. BVerfGE 116, 164 [BVerfG 21.06.2006 - 2 BvL 2/99] <182 f.>; 122, 210 <232 f.>; 126, 268 <279>; 132, 39 <49 Rn. 29>; 133, 377 <412 Rn. 87>; 137, 350 <375 Rn. 66>). Zudem dürfen die tatsächlichen Anknüpfungspunkte für die Typisierung den Normzweck nicht verfehlen (vgl. BVerfGE 111, 115 <137>; 132, 39 <56 f. Rn. 49>; 133, 377 <412 Rn. 87>).

Die Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen (vgl. BVerfGE 110, 274 <292>; 117, 1 <31>; 120, 1 <30>; 123, 1 <19>; 133, 377 <413 Rn. 88>; 137, 350 <375 Rn. 66>). Typisierung setzt voraus, dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und das Ausmaß der Ungleichbehandlung gering ist (vgl. BVerfGE 63, 119 [BVerfG 08.02.1983 - 1 BvL 28/79] <128>; 84, 348 <360>; 126, 233 <263 f.>; 133, 377 <413 Rn. 88>).

bb) Das BVerfG hat sich bereits mehrfach zu Einschränkungen des periodenübergreifenden Verlustausgleichs bzw. der Verlustverrechnung geäußert. Danach ist ein uneingeschränkter Verlustvortrag verfassungsrechtlich nicht garantiert. Die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte Einkunftsarten und damit der Ausschluss anderer Einkunftsarten von jeglichem Verlustvortrag wurde ebenso wenig verfassungsrechtlich beanstandet (BVerfG-Beschluss vom 8.3.1978 1 BvR 117/78, HFR 1978, 293) wie die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte, durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Betriebsverluste (BVerfG-Beschluss in HFR 1978, 293; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 30.10.1980 1 BvR 785/80, HFR 1981, 181). Nach der Rechtsprechung des BVerfG bestanden ferner unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Bedenken gegen eine Beschränkung des Verlustabzugs auf einen einjährigen Verlustrücktrag und einen fünfjährigen Verlustvortrag (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423 [BVerfG 22.07.1991 - 1 BvR 313/88]). Allerdings hat das BVerfGE den völligen Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände (§ 22 Nr. 3 Satz 3 EStG 1983) für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, Beschluss vom 30.9.1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 <95>; BFH, Urteil vom 22.8.2012 I R 9/11, BStBl II 2013, 512).

Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. dazu die Nachweise im BFH, Urteil vom 1.7.2009 I R 76/08, BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061, und in dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150 [BFH 27.01.2006 - VIII B 179/05]; BFH-Beschluss vom 26.8.2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826) bestehen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich insoweit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Verlustausgleichsbeschränkung, als der Verlustausgleich nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird. Eine Verlagerung des Verlustausgleichs auf spätere Veranlagungszeiträume sei im Hinblick darauf nicht zu beanstanden, dass das Grundrecht seine Wirkung grundsätzlich veranlagungszeitraumübergreifend entfalte. Es genüge, wenn die Verluste überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden. Insbesondere erstarke die bei ihrer Entstehung gegebene bloße Möglichkeit, die Verluste später ausgleichen zu können, nicht zu einer grundrechtlich geschützten Vermögensposition (Art. 14 Abs. 1 GG; s. BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423 [BVerfG 22.07.1991 - 1 BvR 313/88]; dies relativierend BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 [BFH 17.12.2007 - GrS 2/04], zu D.II.2.). Immerhin hat der BFH in seinem Beschluss vom 29.4.2005 XI B 127/04 (BFHE 209, 379, BStBl II 2005, 609), in dem eine Beschränkung des Verlustvortrags grundsätzlich gebilligt wurde, wenn der Vortrag zeitlich über mehrere Veranlagungszeiträume gestreckt wird, ausgeführt, dass damit nicht zugleich über die Konstellation entschieden sei, dass "negative Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen" in einem solchen System "nicht mehr vorgetragen werden können". Darüber hinaus hat der XI. Senat des BFH in seinem Vorlagebeschluss an das BVerfG vom 6.9.2006 XI R 26/04 (BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167 [BFH 06.09.2006 - XI R 26/04]) hervorgehoben, dass die sog. Mindeststeuer durchaus den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG berühre; auch wenn in mehreren summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO wegen der die Veranlagungszeiträume übergreifenden Wirkung des Art. 3 Abs. 1 GG die Norm als verfassungsgemäß angesehen worden sei, sei nicht zu verkennen, dass die Begrenzung des vertikalen Verlustausgleichs (im dortigen Streitfall durch § 2 Abs. 3 EStG 2002) trotz der Streckung der Verlustverrechnung nicht nur bei einer kleinen Zahl von Steuerpflichtigen mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu nennenswerten Belastungsunterschieden führen könne. Auch bestehe naturgemäß keine Gewissheit, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können (BFH, Urteil vom 22.8.2012 I R 9/11, BStBl II 2013, 512).

In seinem Urteil zur sog. Mindestbesteuerung hat der BFH entschieden, dass der Gesetzgeber durch das Grundkonzept der Mindestbesteuerung die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht willkürlich überschritten habe; er könne sich für diese Ausgestaltung des Verlustabzugs vielmehr auf den im Gesetzgebungsverfahren erteilten Hinweis auf eine Verstetigung des Steueraufkommens infolge der Dämpfung der Steuerauswirkungen konjunktureller Schwankungen berufen. Denn damit habe der Gesetzgeber nicht nur auf den (nicht in ausreichender Weise rechtfertigenden) Einnahmezweck (Erzielung von Steuermehreinnahmen), sondern auf einen in der Konzeption der Regelung angelegten "qualifizierten Fiskalzweck" verwiesen (BFH, Urteil vom 22.8.2012 I R 9/11, BStBl II 2013, 512).

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat der Überzeugung, dass sich der Gesetzgeber bei der Einschränkung des Verlustabzugs durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a. F. auf den im Gesetzgebungsverfahren erteilten Hinweis auf eine Verhinderung von durch Spekulationsgeschäfte bedingten abstrakt drohenden qualifizierten Haushaltsrisiken als rechtfertigenden Grund für die Ungleichbehandlung grundsätzlich berufen kann und er jedenfalls die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht willkürlich überschritten hat (vgl. zur Gesetzesbegründung im Einzelnen BT-Drucksache 16/5491, S. 19 "Zu Absatz 6").

Zwar wird in der Literatur eingewandt, die vom Gesetzgeber angestellten Erwägungen seien rein fiskalischer Natur, und als solche nicht geeignet, eine Durchbrechung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu rechtfertigen (Moritz/Strohm in Frotscher, EStG, § 20 n.F. Rz. 51; Jochum in Kirchhof/Söhn, EStG, § 20 Anm. H 55; Jochum, DStZ 2010, 309, 313; Loos, DStZ 2010, 78, 82; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 20 Anm. 620; von Beckerath in Kirchhof, EStG, 16. Auflage, § 20 Rn. 11; kritisch auch Geurts in Bordewin/Brandt, EStG, § 20 Rz. 773; Dinkelbach, DB 2009, 870, 873).

Der Gesetzgeber hat mit seiner Begründung für die Norm aber nicht nur auf den (nicht in ausreichender Weise rechtfertigenden) Einnahmezweck (Erzielung von Steuermehreinnahmen), sondern darauf abgestellt, dass die Erfahrung der Vergangenheit, insbesondere aus dem Verlauf des Börsencrashs 2000 bis 2002 gezeigt habe, dass bei vergleichbaren Kursstürzen innerhalb kürzester Zeit Steuermindereinnahmen in Milliardenhöhe drohen und er damit seiner Verantwortung für verfassungsgemäße und den Maastricht-Kriterien gemäße öffentliche Haushalte nicht gerecht werden könnte (BT-Drucksache 16/5491, S. 19 "Zu Absatz 6"). Damit hat der Gesetzgeber auf systemische Risiken der Finanzmärkte für den Haushalt verwiesen und damit auf einen nicht rein fiskalischen Zweck der Einnahme von Steuern. Jedenfalls handelt es sich um einen dem "qualifizierten Fiskalzweck" im Sinne des BFH-Urteils vom 22.8.2012 I R 9/11 (BStBl II 2013, 512) vergleichbaren Zweck, der als Rechtfertigung geeignet ist. Dass der Gesetzgeber möglicherweise zunächst andere Motive für die Einfügung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a.F. gehabt haben soll, wie dies Loos vermutet (Loos, DStZ 2010, 78: Gegenfinanzierung der Milderung der Zinsschranke), ist in diesem Zusammenhang irrelevant, da nur die im Gesetzgebungsverfahren genannte Begründung bei der Beurteilung zugrunde gelegt werden kann.

dd) Der Senat hat allerdings Bedenken, ob es unter Zugrundelegung des vom Gesetzgeber angegebenen Sinns und Zwecks der Regelung gerechtfertigt ist, die Verrechnung von Verlusten aus Aktienveräußerungen anders zu behandeln als die Verrechnung von Verlusten aus der Veräußerung von anderen Finanzmarktprodukten wie Zertifikaten, Termingeschäften oder Fondsanteilen (insbesondere auch Aktienfondsanteilen), die innerhalb der Einkunftsart des § 20 EStG unbegrenzt möglich ist. Diese Ungleichbehandlung bedarf eines besonderen sachlichen Grundes.

(1) Der Gesetzgeber rechtfertigt diese Ungleichbehandlung damit, dass eine Einbeziehung anderer Finanzmarktprodukte wie Zertifikate, Termingeschäfte oder Fondsanteile nicht angezeigt sei, weil die vorliegenden Daten eine nicht unbedeutende Verbreitung speziell von Aktien bei Privatanlegern belegen würden, die Anlass für Mechanismen zur strukturellen Verhinderung von qualifizierten Haushaltsrisiken sein könnte. So seien im Jahr 2006 nach einer Infratest-Umfrage 4,24 Millionen Bundesbürger Inhaber von Aktien. Die Anzahl der Zertifikatebesitzer habe lediglich 480.000 betragen. Auch die Verbreitung von Termingeschäften erreiche nicht die Dimensionen der Anlageform Aktie. Bei Erträgen aus Fondsanteilen, deren Verbreitung in der Bevölkerung der Aktie entspreche, bestünden keine vergleichbaren Haushaltsrisiken, da der wesentliche Unterschied von Investmentfonds gegenüber der Direktinvestition gerade in der Risikomischung liege (vgl. Begründung in BT-Drucksache 16/5491, S. 19 "Zu Absatz 6" letzter Absatz).

(2) Es erscheint dem Senat durchaus zweifelhaft, ob diese Begründung belastbare Gründe für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung enthält (kritisch auch Oho/Hagen/Lenz, DB 2007, 1322 und die oben unter cc) angeführte Literatur).

(a) Das Kriterium der Verbreitung von Aktien und anderen Finanzmarktprodukten wie Zertifikaten und Termingeschäften allein anhand der Zahl der Personen, die die jeweilige Anlageform besitzen, hat nur eine sehr begrenzte Aussagekraft hinsichtlich des Risikos für den Haushalt bei einem Börsencrash oder in einer Finanzkrise. So lag das Volumen der in Zertifikate investierten Gelder im Mai 2007 bei 126 Milliarden € und im Juni 2007 bei 136 Milliarden € (www.deutscher-zertifikate-verband.de). Bei Derivaten (wie z.B. Zertifikaten; Optionsscheinen etc.) handelt es sich zum Teil um hochspekulative Finanzprodukte, bei denen auch mit einem Totalverlust gerechnet werden muss. Insoweit ist es wenig überzeugend, wenn der Gesetzgeber nur bei Veräußerungsgeschäften mit Aktien ein besonderes Risikopotenzial für den Haushalt sieht. Zudem dürfte das Ausmaß der Gefährdung der öffentlichen Haushalte nicht von der Anzahl der Aktionäre, sondern vom Volumen und dem Verlustrisiko der einzelnen Kapitalanlageformen abhängen (vgl. Moritz/Strohm in Frotscher, EStG, Bd. 4, § 20 n.F. Rz. 52; Jochum in Kirchhof/Söhn, EStG, § 20 Anm. H 59).

Andererseits ist es für den Senat nicht ersichtlich, wie das abstrakte Risiko für die öffentlichen Haushalte bei Optionsscheinen und anderen Derivaten ermittelt werden kann, da von Anlegern mit diesen Finanzprodukten zum Teil auch auf fallende Kursentwicklungen spekuliert werden kann und eine Veräußerung dieser Papiere dann zu Gewinnen führen könnten. Fraglich ist auch, ob es dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative nicht zugebilligt werden muss, das zugegebenermaßen sehr grobe Kriterium der Verbreitung der Anlageformen, das ihm bekannt war, zu berücksichtigen und hieraus das Haushaltsrisiko abzuleiten. Überzogen dürfte es jedenfalls sein, dem Gesetzgeber umfangreiche Recherchen zu dem Risikopotential der verschiedenen Wertpapiere aufzuerlegen, zumal dieses sich in der Zukunft durchaus unterschiedlich entwickeln kann. Der Gesetzgeber wird deshalb eine typisierende und pauschalierende Regelung treffen dürfen.

(b) Das Argument des Gesetzgebers zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Verrechnung von Verlusten aus Veräußerungen von Aktien und Aktienfonds, es bestünden keine vergleichbaren Haushaltsrisiken, da der wesentliche Unterschied von Investmentfonds gegenüber der Direktinvestition gerade in der Risikomischung liege, begegnet ebenfalls Zweifeln. Zwar ist es grundsätzlich richtig, dass Aktienfonds eine Risikostreuung bewirken und im Vergleich zur Einzelaktie das Risiko eines extrem hohen Verlustes verringert wird, da eine größere Anzahl verschiedener Aktien gebündelt werden. Der Gesetzgeber hat auch im Rahmen einer Einschätzungsprärogative hinsichtlich des Risikopotentials verschiedener Anlageformen die Möglichkeit, zu typisieren und zu pauschalieren. Andererseits sind in der Wirtschafts- und Finanzkrise und bei früheren Börsencrashs auch bei Aktienfonds sehr hohe Verluste eingetreten (vgl. Jochum in Kirchhof/Söhn, EStG, § 20 Anm. H 59; Moritz/Strohm in Frotscher, EStG, Bd. 4, § 20 n.F. Rz. 52). Zudem gibt es auch eine Vielzahl von auf Branchen oder Regionen spezialisierten Aktienfonds, bei denen zum Teil ein deutlich höheres Verlustrisiko besteht, als bei der überwiegenden Anzahl der Aktien beispielsweise des DAX, MDax oder Eurostoxx. Schließlich erscheint es inkonsequent, wenn das vom Gesetzgeber zuvor genannte Kriterium der Verbreitung von Aktien und Aktienfonds hier nicht von Bedeutung sein soll, obwohl die Anzahl der Aktionäre 2007 4,1 Millionen und die Zahl der Besitzer von Aktien- und Mischfonds 8,0 Millionen betrug (Deutsches Aktieninstitut, www.faz.net vom 20.02.2018). Die Verbreitung von Aktienfonds in der Bevölkerung entspricht folglich von der Anzahl der Besitzer nicht der der Aktie, sondern ist allenfalls vom Volumen des Werts der beiden Finanzanlagenformen vergleichbar.

Allerdings dürfte die Spekulation mit Einzelaktien erheblich ausgeprägter sein, als die mit Aktienfonds, bei denen üblicherweise Ausgabeaufschläge erhoben werden. Deshalb werden vermutlich im Falle eines Börsencrashs auch Aktionäre eher Aktien verkaufen als die Fondsbesitzer ihre Aktienfonds, zumal hier eine Anlage von Aktienfondsanlegern oft in der Form von Fondssparplänen erfolgt, bei denen eine Veräußerung regelmäßig auch in Zeiten fallender Kurse weniger wahrscheinlich sein wird. Es erscheint vor diesem Hintergrund nicht als evident unsachlich, das Risikopotential für die öffentlichen Haushalte bei Aktien und Aktienfonds unterschiedlich einzuschätzen. Auch ist zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber im Mai 2007 die Erfahrungen der im Sommer 2007 beginnenden Wirtschafts- und Finanzkrise (mit vom IWF am 3. April 2009 geschätzten weltweiten Wertpapierverlusten infolge der Krise von vier Billionen US-Dollar) nicht bekannt waren. Während der Börsenbaisse in den Jahren 2000 bis 2002 entstanden erhebliche Verluste aus Aktienverkäufen, deren Volumen dem Finanzausschuss aus statistischen Daten bekannt war. Bei einer Gesamtbeurteilung kann der Senat jedenfalls eine evident unsachliche Differenzierung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfGs auch in diesem Zusammenhang nicht erkennen.

(c) In der Literatur wird zudem kritisiert, dass die Verrechnungsbeschränkung der Verluste aus Aktienverkäufen nicht nur zu einer zeitlichen Verschiebung, sondern zu einer definitiven Versagung des steuerlichen Ansatzes des Verlustes führen könne, wenn der Steuerpflichtige nicht mehr in Aktien investieren könne oder wolle (vgl. Jochum in Kirchhof/Söhn, EStG, § 20 Anm. H 67; Geurts in Bordewin/Brandt, EStG, § 20 Rz. 773).

Der BFH hat in seinem Urteil vom 6.12.2016 IX R 48/15 (BStBl II 2017, 213 [BFH 09.11.2016 - II R 12/15]) allerdings entschieden, dass die auf fünf Jahre befristete Übergangsregelung zur Verrechnung von sog. Altverlusten mit Aktiengewinnen, die der Abgeltungsteuer unterliegen, verfassungsgemäß ist. Er begründete dies damit, dass die nicht bloß theoretische Möglichkeit der Verrechnung mit steuerbaren Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften mit anderen Wirtschaftsgütern verbleibe. Das FG habe im Streitfall nicht festgestellt, dass oder weshalb die Kläger Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften in Zukunft nicht mehr erzielen können. Die Frage, ob auch eine faktische Verlustvernichtung ("Definitiveffekt") rechtlich beachtlich sein könne (vgl. BFH-Urteil vom 22.8.2012 I R 9/11, BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512, und BFH-Beschluss vom 26.2.2014 I R 59/12, BFHE 246, 27, BStBl II 2014, 1016; Az. des BVerfG 2 BvL 19/14), habe sich deshalb im Streitfall nicht gestellt.

Auch im vorliegenden Fall kann der Senat nicht erkennen, dass es ausgeschlossen ist, dass die Kläger zukünftig Gewinne aus der Veräußerung von Aktien erzielen könnten, zumal die Verluste hier zeitlich unbegrenzt vorgetragen werden können. Außerdem dürfte angesichts der historischen Erfahrung, wonach in der Vergangenheit Aktien auf lange Sicht regelmäßig höhere Renditen als Anleihen erzielten (vgl. z.B. www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/das-renditedreieck vom 20.02.2018), typischerweise grundsätzlich eine realistische Chance auf eine zukünftige Verrechnung von Verlusten mit Gewinnen aus Aktienveräußerungen bestehen. Dies ist aus Sicht des Senats entscheidend und ausreichend.

(d) Nach alledem hat der Senat durchaus verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktien nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a.F., ist aber nicht davon überzeugt, dass der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat.

Die gesetzliche Regelung sieht vor allem keinen vollständigen Ausschluss der Verlustverrechnung vor, der nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG-Beschluss vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88) nicht zulässig wäre. Außerdem können die Verluste ohne zeitliche Begrenzung mit zukünftigen steuerbaren Gewinnen aus privaten Aktienveräußerungsgeschäften verrechnet werden. Dabei besteht grundsätzlich eine realistische Chance auf eine zukünftige Verrechnung von Verlusten aus Aktienveräußerungen. Die Einschätzung des Gesetzgebers, die Regelung sei zur Abwehr von Gefahren für den Haushalt erforderlich, ist nach alledem trotz Bedenken hinzunehmen. Denn es ist dem Gesetzgeber zuzugestehen, dass er eine Einschätzungsprärogative hat und zur Typisierung und Pauschalierung befugt ist und aus Sicht des Senats die Unsachlichkeit der gewählten Differenzierung hier jedenfalls nicht evident ist.

d) Im Übrigen hat der Senat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Beschränkung der Verlustverrechnung in § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG (vgl. hierzu FG Baden Württemberg, Urteil vom 19.3.2014 1 K 675/12, EFG 2015, 413; siehe auch Moritz/Strohm in Frotscher, EStG, § 20 n.F. Rz. 49). Die Verfassungswidrigkeit dieser Norm wird von den Klägern auch nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Eine gerichtliche (insbesondere höchstrichterliche) Entscheidung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a.F. (jetzt Satz 4) liegt bisher nicht vor.

RechtsgebieteEStG a.F., GGVorschriften§ 20 Abs. 6 S. 5 EStG a.F.; Art. 3 GG