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12.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141753

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 10.01.2014 – 20 U 119/13

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Köln

20 U 119/13

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 14. Juni 2013 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 O 522/10 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

G r ü n d e

I.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Krankentagegeldversicherung, welcher die MB/KT 2008 zugrunde liegen. Versichert ist ein kalendertägliches Krankentagegeld in Höhe von 120, -- Euro ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit.

Im Jahr 2009 wurde bei dem Kläger, der zu diesem Zeitpunkt als angestellter Industriekaufmann in einer leitenden Führungsposition tätig war, ein Burn-Out-Syndrom diagnostiziert; aufgrund dessen war er in der Zeit vom 16. September 2009 bis zum 30. April 2010 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Ab dem 1. April 2010 wurde er nach dem so genannten „Hamburger Modell“ stufenweise in den Arbeitsprozess wieder eingegliedert. Im Rahmen dessen arbeitete er in den ersten beiden Wochen zunächst drei Stunden täglich sowie in der dritten und vierten Woche jeweils sechs Stunden am Tag. Die M. Versicherung, bei der der Kläger eine Berufsunfähigkeitsversicherung unterhält, zahlte an diesen für die Zeit von Oktober 2009 bis einschließlich April 2010 aufgrund einer außergerichtlichen Vereinbarung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht einen Betrag von 5.671,89 €. Die Beklagte verweigerte die von dem Kläger beantragten Krankentagegeldleistungen.

Der Kläger hat erstinstanzlich Krankentagegeld für die Zeit vom 16. September 2009 bis zum 30. April 2010 in Höhe von 24.840, -- € beansprucht. Hierzu hat er vorgetragen, er sei in diesem Zeitraum krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.840, -- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. November 2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zunächst die von dem Kläger behauptete Erkrankung sowie bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit bestritten. Ferner hat sie den Standpunkt vertreten, ein Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld scheitere auch daran, dass der Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung empfangen habe.

Das Landgericht hat Zeugen zum Tätigkeitsbild des Klägers vernommen und ein Gutachten der Sachverständigen Dr. N. eingeholt, in dem diese zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Kläger vom 16. September 2009 bis zum 31. März 2010 (bzw. 16. Februar 2010) seine Berufstätigkeit krankheitsbedingt in keiner Weise habe ausüben können. Die Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 14. März 2013 mitgeteilt, das Ergebnis der Begutachtung zu akzeptieren, und einen Krankentagegeldanspruch in Höhe von 13.440, -- € errechnet.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 18.600, -- € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das Versicherungsverhältnis sei nicht gemäß § 15 b MB/KT 2008 vorzeitig beendet worden. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger berufsunfähig gewesen sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass er vom 16. September 2009 bis zum 31. März 2010, d.h. für die Dauer von 197 Tagen, vollständig arbeitsunfähig gewesen sei. Unter Berücksichtigung der vereinbarten Karenzzeit von 42 Tagen ergebe sich daher ein Krankentagegeldanspruch in Höhe von 18.600, -- €. Ab dem 1. April 2010 sei die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers teilweise wiederhergestellt gewesen, wie sich aus dem geglückten Wiedereingliederungsversuch nach dem Hamburger Modell ergebe.

Gegen dieses, seinen Prozessbevollmächtigten am 19. Juni 2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. Juli 2013 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. September 2013 mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung des Klägers, mit der dieser die Zahlung weiterer 3.600, -- € beansprucht.

Er macht geltend: Das Landgericht habe zu Unrecht einen Krankentagegeldanspruch für die Zeit der Wiedereingliederung im April 2010 abgelehnt. Auch in diesem Zeitraum sei er bedingungsgemäß arbeitsunfähig gewesen. Bei einer Wiedereingliederungsmaßnahme nach dem so genannten „Hamburger Modell“ handele es sich nicht um eine Berufsausübung. Diese habe vielmehr der Überprüfung gedient, ob er alsbald wieder in seinen zuvor ausgeübten Beruf zurückfinden könne. Der Arbeitgeber habe in diesen Fällen keine Leistung zu erbringen, da nicht davon ausgegangen werde, dass der Arbeitnehmer die normalen Arbeitsprozesse aktiv verfolgen und so zur Produktion oder dem Umsatz der Firma beitragen konnte. Dies komme letztlich auch dem jeweiligen Versicherer zugute, denn ohne die Möglichkeit einer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben sei auch ein anteilig Arbeitsunfähiger für gewöhnlich darauf angewiesen, seine vollständige Genesung abzuwarten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, über den tenorierten Urteilsbetrag hinaus weitere 3.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. November 2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und trägt ergänzend vor: Aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. N. ergebe sich, dass der Kläger lediglich bis zum 16. Februar 2010 vollständig arbeitsunfähig gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

1.

Dem Kläger steht aus dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit § 1 MB/KT 2008 kein Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld für den Monat April 2010 zu. In diesem Zeitraum hat keine bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit vorgelegen.

Gemäß § 1 Abs. 2 MB/KT 2008 ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Arbeitsunfähigkeit ist nach § 1 Abs. 3 MB/KT 2008 gegeben, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischen Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht.

Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger im maßgeblichen Zeitraum seine bisherige berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund in keiner Weise ausüben konnte. Jedenfalls hat er diese im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme tatsächlich ausgeübt.

Nach § 1 Abs. 3 MB/KT 2008 hindert grundsätzlich jede auch geringfügige Tätigkeit, die dem Berufsfeld des Versicherungsnehmers zuzuordnen ist, das Entstehen des Leistungsanspruchs (BGH r + s 2009, 380, 381; NJW-RR 2007, 1624, 1626 = VersR 2007, 1260). Vorliegend hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Schriftsatz vom 4. März 2011 im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme „seine Tätigkeit“ – zumindest teilweise – wieder aufgenommen; er hat danach Aufgaben wahrgenommen, die zu seinem Berufsbild gehörten.

Zwar mag eine Berufsausübung dann nicht vorliegen, wenn der Versicherungsnehmer lediglich einen Arbeitsversuch unternimmt (so LG Hannover VersR 1991, 1281; offen gelassen von BGH VersR 1985, 54). Um einen solchen handelte es sich vorliegend aber nicht. Ein Arbeitsversuch erschöpft sich in der Erprobung der Belastbarkeit des Versicherten (BGH VersR 1985, 54); er dient mithin dazu, festzustellen, ob der Versicherte überhaupt wieder in der Lage ist, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Demgegenüber setzt die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74 SGB V voraus, dass der Versicherte nach ärztlicher Feststellung seine bisherige Tätigkeit teilweise verrichten kann, was nur dann der Fall ist, wenn eine entsprechende Belastbarkeit vorhanden ist. Zudem sprechen auch Umfang und Regelmäßigkeit der von dem Kläger ausgeübten Tätigkeiten gegen das Vorliegen eines bloßen Arbeitsversuchs.

Der Annahme, der Kläger habe seinen Beruf im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme zumindest teilweise wieder ausgeübt, steht auch nicht der Umstand entgegen, dass dieser hierfür kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern weiterhin Krankengeld bezogen hat (so aber AG Wiesbaden VersR 1999, 1270). Denn Anspruchsvoraussetzung ist nach den Versicherungsbedingungen nicht der Verlust des Arbeitseinkommens, sondern vielmehr, dass der Versicherungsnehmer seine berufliche Tätigkeit nicht ausübt. Im Übrigen ist die Tatsache, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer während einer Eingliederungsmaßnahme kein Arbeitsentgelt zu zahlen hat, auf die besonderen Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung zurückzuführen. Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist – anders als im Privatversicherungsrecht - sozialversicherungsrechtlich nicht teilbar; Regelungen über abgestufte Formen der Arbeitsunfähigkeit oder eine diese begründende Gewichtung von Leistungseinschränkungen enthält das SGB V nicht (Hess in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB V Rn. 31). Arbeitsunfähig ist danach vielmehr derjenige, der die nach dem konkreten Versicherungsverhältnis maßgebliche Tätigkeit unabhängig von seinem Restleistungsvermögen nach Inhalt und/oder Umfang aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht voll verrichten kann.

Auch der Charakter der Krankentagegeldversicherung sowie deren sozialer Schutzzweck stehen der Einordnung der beruflichen Wiedereingliederung als Berufsausübung nicht entgegen (so aber Tschersich in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 45 Rn. 99). Abgesehen davon, dass der gesetzlich Krankenversicherte während einer Wiedereingliederungsmaßnahme Krankengeld erhält und damit nicht schutzlos gestellt ist, ist das Bestehen eines Leistungsanspruchs allein nach den Versicherungsbedingungen zu beurteilen. Diese knüpfen aber nicht an den Wegfall des Arbeitseinkommens oder den Bezug von Krankengeld an, sondern an den vollständigen Verlust der Arbeitsfähigkeit bzw. die Nichtausübung der Berufstätigkeit.

Aus demselben Grund spricht auch der Zweck der stufenweisen Wiedereingliederung, der darin besteht, den Arbeitnehmer individuell, d.h. je nach Krankheit und bisheriger Dauer der Arbeitsunfähigkeit, schonend, aber kontinuierlich an die Belastungen seines Arbeitsplatzes wieder heranzuführen (Hess in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 74 SGB V Rn. 2), nicht gegen die Annahme, die Teilnahme an einer solchen lasse bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit entfallen (so aber AG Hameln, Urteil vom 09.02.2010, 32 C 221/09, für die Arbeitsunfähigkeits-Zusatzversicherung). Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn die Grundentscheidung des Versicherers, bei teilweiser Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit beziehungsweise - zumindest teilweiser - Wiederaufnahme der Berufstätigkeit keinen Versicherungsschutz zu gewähren, für den Fall der beruflichen Wiedereingliederung unterlaufen würde.

Angesichts dessen erweist sich das Berufen der Beklagten auf eine Berufsausübung des Klägers im Rahmen einer Wiedereingliederungsmaßnahme auch nicht als rechtsmissbräuchlich. Durch die Maßnahme soll es dem Arbeitnehmer ermöglicht werden, entsprechend seinen Fähigkeiten wieder am Berufsleben teilzunehmen. Dies schließt es nicht aus, dass die stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit zum Verlust des Krankentagegeldanspruchs führt, zumal die Beklagte Versicherungsschutz nur für die Zeit vollständiger Arbeitsunfähigkeit verspricht, mithin auch der teilarbeitsfähige Arbeitnehmer, der sich gegen die Teilnahme an einer Wiedereingliederungsmaßnahmen entschließt, keinen Anspruch auf Krankentagegeld hätte.

Rechtsmissbrauch kann zwar ferner dann vorliegen, wenn der Versicherungsnehmer seinen Beruf nur ganz geringfügig ausübt (BGH NJW-RR 2007, 1624, 1626). Entscheidend ist insoweit, ob ihm - wenn auch in geringem Umfang - eine wertschöpfende Betätigung möglich ist (OLG Karlsruhe r + s 2003, 373, 374; vgl. auch OLG Saarbrücken r + s 2006, 117). Als nicht genügend wird es angesehen, wenn nur noch die Fähigkeit vorhanden ist, gänzlich unbedeutende Tätigkeiten wahrzunehmen (OLG Düsseldorf r + s 2003, 335, 336), die nicht auf die Fortführung der Erwerbstätigkeit gerichtet sind (OLG Saarbrücken, a.a.O.; OLG Düsseldorf r + s 2002, 518, 519). Eine Korrektur über § 242 BGB ist aber die „absolute Ausnahme“ (Rogler in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 2. Aufl., § 1 MB/KT 2009 Rn. 5). Dass er während der Zeit der Wiedereingliederungsmaßnahme nur gänzlich unbedeutende Tätigkeiten wahrgenommen hat, trägt der Kläger indes nicht vor.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3.

Der Senat lässt die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO zu, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und die Frage, ob die Teilnahme an einer Wiedereingliederungsmaßnahme einem Krankentagegeldanspruch entgegensteht, in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist.

Berufungsstreitwert: 3.600,00 €